Protokoll der Sitzung vom 07.03.2001

Meine Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle aber auch noch ein paar Ausführungen machen zur so genannten Stasidebatte, die zurzeit läuft. Keine Debatte in den letzten zehn Jahren ist so verlogen und unehrlich geführt worden wie diese.

(Gerd Böttger, PDS: Richtig.)

Das sieht man insbesondere daran, wie der Umgang mit den Stasiakten des Dr. Helmut Kohl derzeit diskutiert wird, im Gegensatz zu allen anderen vorher. Entweder alle oder keiner,

(Beifall Dr. Manfred Rißmann, SPD)

ungleiche Maßstäbe sind unehrliche Maßstäbe, meine Damen und Herren.

Der öffentliche Dienst ist im Wesentlichen überprüft. Beispielsweise sind derzeit 879 Polizeibeamte im Landesdienst, die als Volkspolizisten der DDR eine „Stasibiografie“ hatten. Diese differenzierte Überprüfung durch meine Amtsvorgänger ist gründlich, verantwortlich und gut gelaufen, aber sie ist auch weitgehend abgeschlossen.

Unklar ist allerdings, wie bei den Direktwahlen für Landräte und Bürgermeister verfahren werden soll. Dieses ist gerade nicht abgeschlossen, sondern liegt vor uns. Bei der gesetzlichen Regelung zur Direktwahl hat man offensichtlich diesen Punkt nicht gründlich durchdacht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Doch, doch.)

Derzeit haben wir hierzu im Land so manchen üblen Wildwuchs und so manche üble Diskussion. Fragen müssen beantwortet werden, zum Beispiel folgende: Darf jemand, der als inoffizieller Mitarbeiter beim MfS registriert war, kandidieren? Ja oder nein? Wer hat das gegebenenfalls zu entscheiden? Darf jemand, der als inoffizieller Mitarbeiter beim MfS registriert war, seine Biografie vor der Wahl offen legt und auf diese Weise vom Volk direkt

als Bürgermeister oder Landrat gewählt wird, zum Bürgermeister oder Landrat ernannt werden? Ja oder nein? Nach welchen Kriterien hat der Dienstherr, also die Stadtvertretung oder der Kreistag, zu entscheiden?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Bei der Direktwahl nicht vergessen!)

Was geschieht, wenn das Volk den Kandidaten wählt, die Volksvertreter ihn aber nicht ernennen? Wodurch ist der Landrat oder Bürgermeister in spe legitimiert? Darf jemand, der beim MfS als inoffizieller Mitarbeiter registriert war und heute bereits hauptamtlicher Bürgermeister ist, sein Amt guten Gewissens fortsetzen? Ja oder nein? Welche Maßstäbe sollen gelten, wenn der Umfang der inoffiziellen Tätigkeit herangezogen werden sollte?

Die geltende Regelung im Beamtengesetz hat symbolischen Charakter, wie mir von vielen Seiten derzeit gesagt wird. Auch ich vertrete diese Ansicht. Deshalb regelt sie aber gerade die vor uns liegenden Fälle nicht, weil sie eben allein symbolischen Charakter hat. Diese Fälle müssen aber geregelt werden. Ich will einiges dazu sagen.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Zuerst einmal vielleicht zu den Äußerungen der Kirchen aus jüngster Zeit. Nach dem christlichen Menschenbild ist der Mensch mehr als die Summe seiner Taten und Untaten. Genau deshalb wird bei Strafverfahren umfangreich das Strafmaß abgewogen und es werden bei Straftätern Resozialisierungsmaßnahmen angeordnet. Bei der Stasidebatte soll offensichtlich „lebenslänglich“ gelten, jedenfalls wenn ich hier so manche Äußerung derzeit zur Kenntnis nehme.

Für die Partei mit dem C im Namen beginnen die Biographien der Unionsfreunde zumeist erst 1990. Ich halte es für ganz gefährlich, wenn heute nur noch hinter vorgehaltener Hand über die Zeit vor 1989 geredet werden darf. Eine kritische Aufklärung dessen, was war, ist die Voraussetzung für ein konstruktives Verhalten zur eigenen persönlichen Geschichte. Ein Totschweigen beraubt uns Ostdeutsche des eigenen Selbstvertrauens und wer wie die CDU mit der SED und den anderen Blockparteien Mitauftraggeberin des Staatssicherheitsdienstes der DDR war, sollte hier und heute eine besondere Aufklärungsleistung erbringen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Stattdessen wird die eigene Geschichte vor 1989 zugedeckt. Es darf wohl die Frage gestellt werden, wer eigentlich Gerald Götting war, und wer ihn unterstützt hat.

(Gerd Böttger, PDS: Wer war das? – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Es wird mit Ablenkungsmanövern, meine Damen und Herren, und mit weit ausgestreckter Hand auf ehemalige inoffizielle Mitarbeiter gezeigt,

(Unruhe bei Harry Glawe, CDU)

so, als ob niemand in der herrschenden Klasse der DDR,

(Harry Glawe, CDU: Die die SPD 1946 schon aufgegeben hat.)

der heute noch Politik macht, auch in der CDU, je damit zu tun gehabt haben wollte. Ich nenne als Beispiel die sozialistische Rechtsprechung

(Harry Glawe, CDU: Was muss man sich denn hier vom Innenminister erzählen lassen?! – Gerd Böttger, PDS: Recht hat er ja.)

im ehemaligen Bezirk Rostock, meine Damen und Herren, Herr Glawe.

Die Überprüfung des öffentlichen Dienstes ist weitgehend abgeschlossen. Ich habe dies bereits ausgeführt in Bezug auf die Polizei, aber die Aufklärung und die Versöhnung nach dem Ende der DDR-Zeit ist weitgehend fehlgeschlagen. Stattdessen wird eine Ersatzdebatte über die ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit geführt und bewusst instrumentalisiert.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Eine Ersatzdebatte?)

Diese Debatte nenne ich unehrlich und verlogen, denn diese Debatte, meine Damen und Herren, verhindert …

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sagen Sie das mal den Kirchen! – Harry Glawe, CDU: Wer hat denn die Fusion 1946 beschlossen? Das war doch die SPD. Das wurde doch durch die SPD abgelehnt.)

Herr Born, Sie waren nicht dabei, aber Herr Glawe kann sich vielleicht noch erinnern.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Meinen Sie die Kirchen damit?)

Diese Debatte verhindert das, was eigentlich erforderlich wäre –

(Dr. Ulrich Born, CDU: Meinen Sie die Kirchen damit? Das ist ja wohl!)

von jeder Seite eine konstruktive, kritische und möglichst emotionsfreie Haltung zur eigenen Rolle in der DDR.

(Harry Glawe, CDU: Ja, wer hat denn da 1946 mitregiert?)

Und sie verhindert die moralische Aufklärung, die immer persönlich ist und die immer zwischen den damaligen Betroffenen geleistet werden muss.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Meinen Sie die Kirchen mit Ihrer Wertung? – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Das haben Sie nun schon zum zehnten Male ge- fragt, Herr Born. Davon wird’s auch nicht besser.)

Davor können Sie niemanden bewahren, Herr Born.

Ich warne davor, aus Unvermögen, aus Opportunismus oder aus manch anderem Grund

(Harry Glawe, CDU: Wer ist denn hier der Opportunist? Das sind Sie doch!)

wie mit einem Schmutzkübel alles Unerledigte auf die Direktkandidaten der Bürgermeister- und Landratswahlen auszukippen. Das sage ich als Kommunalminister.

(Der Abgeordnete Dr. Ulrich Born meldet sich für eine Anfrage.)

Deshalb halte ich eine öffentliche Debatte über diese Frage für erforderlich. Ich habe großes Verständnis dafür, dass sie schwer fällt. Ich habe auch großes Verständnis dafür, dass manch einer sie lieber meiden will, aber wir müssen Antworten geben. Die Wahlen stehen bevor. Das Brett ist dick. Ich meine, dass jede Meinung, die hier geäußert wird, wenn sie sachlich ist, auch eine weiterführende Meinung sein kann. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Dr. Ulrich Born, CDU: Sehr interessant, wie Sie mit den Kirchen dieses Landes umgehen. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Sie können mich gerne etwas fragen, Herr Born. Haben Sie den Mut

(Dr. Ulrich Born, CDU: Nein, darum geht es nicht. Ich hab’ Sie gefragt, ob Sie die Kirchen damit meinen.)

und stellen Sie eine Frage!

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das geht leider nicht.)

Das ist hier eine Einbringung. Danke schön, Herr Minister.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.