Problem an der ganzen Sache ist, dass mir diese Beschlussvorlage sagt, dass Menschen mit Behinderungen sehr wohl nicht gefragt wurden, denn wenn Sie sie gefragt hätten, dann hätten Sie ja wenigstens in die
Begründung die Dinge reingenommen, die Menschen mit Behinderungen sehr wohl – ich denke, mit Fug und Recht – kritisieren und geändert haben möchten.
Und ich wäre ja auch ganz glücklich darüber, wenn wir hier von diesem Parlament aus sagen könnten: Frau Dr. Bunge, bitte nehmen Sie Folgendes noch in Ihre schon bestehenden Vorlagen mit in die Bundesratssitzung, in den Ausschuss für Soziales beim Bundesrat, um die SGBIX-Diskussionen zu untermauern. Aber leider ist von diesen nichts zu finden. Und, Herr Glawe, es ist eben nicht selbstverständlich Integration und Rehabilitation und gleich gar nicht gesellschaftliche Teilhabe,
denn dieses Sozialgesetzbuch IX soll das allererste Mal das Recht auf Rehabilitation und Integration, auf gesellschaftliche Teilhabe festschreiben – das Recht darauf,
Wir haben allerdings ein Gesetz im Lande, in der Bundesrepublik, das heißt Reha vor Berentung. Und um das zu tun, müssen wir natürlich auch bestimmte Rahmenbedingungen schaffen, damit das wirklich eine Angelegenheit werden kann, die handhabbar ist. Und die Stimmen von Betroffenen sind in der Zwischenzeit sehr, sehr laut gewesen
… gemeinsam der Beschluss gefasst, das Sozialgesetzbuch IX zu schreiben. Wir hätten es auch schon 1992 haben können, wenn die CDU es nicht in ihrer Schublade gelassen hätte.
(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD – Harry Glawe, CDU: Lesen Sie sich mal die Stellungnahme vom Sozial- verband durch! Das ist ernüchternd.)
Die bis jetzt gültige Praxis ist eben so, dass Kostenträger und Leistungsträger sich so lange untereinander den Ball zuspielen, wer denn nun wohl die Leistung erbringt und die Kosten trägt, bis bei manch einem sich die Angelegenheit biologisch erledigt hat – entschuldigen Sie den Ausdruck, aber es ist so, da habe ich Beispiele, auch mit Namen und Adresse – oder in der Zwischenzeit die Pflege eingesetzt hat auf so lange Zeit, dass der Mensch, den es betrifft, keine Kraft mehr hat für eine Rehabilitation.
Ein Manko, ein großes Manko dieses Gesetzentwurfes SGB IX ist, Frau Dr. Bunge machte schon darauf auf
merksam, dass im Zusammenhang mit diesem Gesetz eine Erarbeitung eines Leistungsgesetzes für Menschen mit Behinderungen nicht angedacht und vorgenommen wird, beziehungsweise es hätte ja auch so sein können und so hätten es Menschen mit Behinderungen am besten gefunden, dass das SGB IX ein Leistungsgesetz wird. Und sogar schon Frau Nolte, Claudia Nolte, behindertenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Bundestag, hat in ihrer Presseerklärung am 20.02. geschrieben, dass zum SGB IX ein Leistungsgesetz gehört. Und da kann ich sie nur unterstützen. Ich denke, sie hat sehr genau zugehört, was auf dem Kongress „Gleichstellung jetzt“ im vorigen Jahr am 20. und 21. Oktober in Düsseldorf gesagt wurde. Sie war an der Basis, an beiden Tagen da. Und auch die bayerische Sozialministerin hat sich dahin gehend geäußert.
Diese Einheit zwischen den Kostenträgern, Leistungsträgern und den Betroffenen, um effektiv und schnell Rehabilitation und Integration anbieten zu können, ist eine Sache, die Menschen mit Beeinträchtigungen schon lange fordern. Dabei sollte kein Kostenträger und Leistungsträger außen vor gelassen werden. Wie ist die Praxis heute? Langwierig, unbequem, nicht effektiv und zwischendurch nur von abschlägigen Bescheiden der verschiedenen Kostenträger beschieden ist der Antragsweg für einen Menschen mit Behinderung beziehungsweise – man muss die psychische Konstellation mit einbeziehen – er selbst ist gar nicht in der Lage dazu, die Menschen um ihn herum sind in Arbeit. Und da muss man dann immer sagen, Betroffene sind nicht nur die, die rein gesundheitsmäßig betroffen sind, sondern auch die Familienmitglieder.
der Weg bis zu diesem Gesetzentwurf am 19. Januar im Bundestag ist schon ein ganz, ganz weiter. 28 Arbeitspapiere hatten wir dazu. Wir haben da bereits unsere Vorarbeiten gemacht. Der Behindertenbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland Herr Haack hat die umfangreichsten Foren auf den unterschiedlichsten Gremienebenen zusammengenommen und auch Herr Riester hatte die Menschen beieinander, um alles miteinander abzuwägen. Die Integration und Teilhabe, das musste dabei allerdings immer festgestellt werden, ist eine Angelegenheit, die in Deutschland unwahrscheinlich entwicklungsbedürftig ist.
Das Gesetz SGB IX soll eine Plattform für die Vereinheitlichung des Rechtes auf Rehabilitation für Menschen mit Behinderungen werden. Für die Behindertenpolitik insgesamt eine Vereinfachung, wie gesagt. Und nun sehen wir es uns mal an. In dem Moment, wo der Patient oder Klient als ganzheitlicher Mensch betrachtet wird und Leistungsträger, Kostenträger und der Betroffene beieinander sitzen und miteinander besprechen können, welche Leistungen überhaupt notwendig sind und vor allen Dingen in welcher Reihenfolge und mit welchem Ergebnis, ist es unseres Erachtens ein Fortschritt, der nicht unter den Tisch gejubelt werden darf. Wie sieht es heute aus? Eine Leistung wird beantragt. Als Allererstes wird abgelehnt, weil der Sozialhilfeträger erst einmal sein Ja und Amen geben muss. Dass es unbedingt die Leistung ist, die als Erstes kommen muss bei gesellschaftlicher Rehabilitation, ist überhaupt nicht gesagt, denn letztendlich ist es so, jeder, der eine Leistung anbietet, will die auch loswerden.
Also haben manche Menschen mit Beeinträchtigungen durchaus damit zu kämpfen, dass Leistungsträger sich sehr wohl auch selbst melden. Wer zuerst da ist, hat unter Umständen den Vorteil, dass er zuerst gehört wird. Aber ob das dann unbedingt der Leistungsträger ist, der vom Kostenträger auch als Erster bezahlt wird, ist die Frage. Und ob das mit dem zusammenpasst, was noch gemacht werden soll, das ist die nächste Frage.
Dazu muss ich allerdings sagen, es ist im SGB IX im Moment eine Formulierung enthalten, die verstehen Menschen mit Beeinträchtigungen überhaupt nicht und sie ist auch juristisch überhaupt nicht definiert. Es steht nämlich drin, dass das Recht auf Rehabilitation derjenige hat, bei dem Aussicht auf Erfolg besteht. Und da muss ich nun sagen, alle diejenigen, die ein bisschen Wissen haben in juristischer Hinsicht, Aussicht auf Erfolg, wie ist das wohl definiert und was ist wohl bei einem Menschen mit Behinderung Aussicht auf Erfolg. Dass er bei Beendigung der Rehabilitation Professor oder Professorin werden kann oder dass er wirklich in der Lage ist, nach Ende der Rehabilitation seine häuslichen Angelegenheiten so gut wie möglich selbständig zu erledigen? Das ist eine Formulierung, an der muss noch gearbeitet werden.
Ein großer Mangel ist auch, das allerdings ausschließlich aus der Sicht der Betroffenen und aus der Sicht der Freien Wohlfahrtspflege, dass die Leistung der Wiedereingliederung nach wie vor an das BSHG geknüpft ist. Wir fordern schon lange eine Abkopplung vom BSHG, da unseres Erachtens all die Leistungen, die da gegeben werden, in der Richtung nichts zu tun haben.
Zur Vermögensabkopplung hat Frau Dr. Seemann schon gesprochen. Genau das gleiche Problem: In welcher Art und Weise ist es gerecht, Menschen, die eine Behinderung im Laufe ihres Lebens erworben haben, finanziell erst mal dahin gehend zu überprüfen, ob sie nicht beim Erlernen eines neuen Berufes, bei der Umschulung selbst zur Kasse gebeten werden können? Ich bitte Sie, meine Damen und Herren! Welcher junge Mensch in Erstausbildung wird zur Kasse gebeten, wenn er seinen Beruf erlernt?! Keiner! Und welcher Mensch mit Beeinträchtigung, der aufgrund seiner erworbenen Beeinträchtigung einen neuen Beruf lernen muss, ist daran schuld? Wer hat denn das mit Absicht verursacht? Muss er auch noch dafür bestraft werden?
Ich komme jetzt zum Punkt drei der Begründung Ihres Antrages. Kostenneutral soll alles stattfinden, kostenneutral und dabei herausgenommen die Jugend- und Sozialhilfe. Das ist leider die Art und Weise, wie oftmals bestimmte Dinge oder fast alle Dinge in den Rubriken des Sozialen gesehen werden. Nehmen wir da mal ein bisschen was weg und da mal ein bisschen was weg und gucken, was es kostet. Wie Sie wissen, kostet es aber rundherum, und zwar kostet ein Mensch, der keine Rehabilitation hatte, an Pflege, ganz klipp und klar an Pflege, und ein Mensch, der lange keine Rehabilitation hatte, kostet an Pflege und man benötigt unter Umständen viel mehr Rehabilitationskosten, weil es länger dauert.
Besehen Sie sich also bitte, wenn Sie Kostenneutralität wollen, alle Kostenträger, alle fünf, die ab sofort für Reha
bilitation verantwortlich werden sollen, und nehmen Sie nicht nur einen raus. Und ich weiß, Herr Glawe,
gerade die Krankenkassen haben mordsmäßige Summen aufgestellt, Millionen und Milliarden, was das SGB IX angeblich alles kosten soll. Doch, erstens, was es in Wirklichkeit kostet, wissen wir nicht. Zweitens, bei diesen Berechnungen sind oftmals völlig falsche Angaben dabei, denn ich wüsste nicht, dass sich die Krankenkassen im Moment an den Fahrkosten beteiligen, wenn es um bestimmte Dinge der Integration geht. Und außerdem, wer fragt, bitte schön, was heute alles für Gelder aus dem Fenster geworfen werden, weil keine effektive Rehabilitation vorhanden ist.
Da werden Hilfsmittel versorgt, die braucht derjenige gar nicht. Da werden Brillen, Lupen, Vorlesegeräte und sonst was versorgt, weil die Optiker für ihren Umsatz sorgen müssen.
Aber die braucht derjenige gar nicht. Anspruch auf Rehabilitation hat er sowieso nicht, also landet es im Schubfach. Hörgeräte werden ausgegeben, mit wahrer Begeisterung. Auch Hörakustiker wollen verdienen. Wer fragt aber eigentlich mal, welcher hörbehinderte Mensch mit seinem Hörgerät wirklich umgehen kann, wer wirklich in der Lage ist, es so einzustellen, dass er es optimal nutzen kann? Keiner. Kein Anspruch auf Rehabilitation!
Nächste Frage: Sind wir denn überhaupt berechtigt festzustellen, bis zu welchem Alter Rehabilitation gegeben werden darf und ab welchem Alter nicht mehr?
Mit welchem Recht bekommen im Moment Senioren und Seniorinnen keine Rehabilitation zum Erlernen lebenspraktischer Fertigkeiten, weil man sie in die Pflege schickt, einfach in die Pflege schickt? Bis zu welchem Alter, bitte schön, darf man sich alleine behelfen und ab welchem darf man es dann nicht mehr? Das SGB IX wird es so, wie es jetzt steht, regeln und ich denke mir, das ist eine ganz, ganz wichtige Voraussetzung, dass dann auch alle ein Recht auf Rehabilitation haben und keine Willkür mehr herrschen darf.
Ich komme jetzt zum Punkt vier Ihrer Begründung. Die halte ich nun geradezu für abenteuerlich. Meine Damen und Herren, lesen Sie es mal bitte nach, wenn Sie können und wenn Sie es hier haben! Da wird wirklich begründet, dass für verschiedene Kostenträger verschiedene Definitionen von Behinderten anzuwenden sein. Du liebe Güte! Diese Praxis haben wir doch schon beim Finanzamt! Einkommen wird immer so berechnet, wie es gerade passt. Will ich viel Geld ausgeben oder will ich wenig Geld ausgeben? Natürlich will ich wenig Geld ausgeben. Also zählt immer das ins Einkommen mit rein, was gerade nötig ist, oder wird nicht dazugezählt, weil es dem Finanzamt nicht so klar wäre. Na klar, machen wir es doch! Nehmen wir eine Behindertendefinition für jeden Kostenträger!
Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie sich nur mal in Abstrichen mit den 470 Seiten der Anhörung zum SGB IX vom 19. und 20. Februar beschäftigt hätten,