Protokoll der Sitzung vom 04.04.2001

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben nun seit mehreren Monaten in den Ausschüssen den Entwurf eines Bildungsfreistellungsgesetzes diskutiert. Wir haben eine Anhörung erlebt, wie das ja üblich ist, und eigentlich dort noch mal die schon bekannten Standpunkte dann nachvollzogen. Ich will es auch nur noch mal in Erinnerung rufen der Vollständigkeit halber. Also die Gewerkschaften und einige Verbände – ich darf mal den Landessportbund herausgreifen – befürworten das Gesetz, und die Wirtschaft sagt eben nein, sie lehnt dieses Gesetz ab. Mir ist eigentlich aufgefallen – und das passt dann auch in die Runde heute hier, die ja überschaubar ist –, …

(Barbara Borchardt, PDS: Aber von allen Seiten, nicht, Herr Seidel?!)

Ja, ja, ich sag ja nur, es ist eine überschaubare Runde.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Hier sitzen nur die Interessenten.)

… dass es trotz mehrfacher Beratungen in den Ausschüssen zumindest für mich so ausgesehen hat, als ob inhaltliche Diskussionen gar nicht hätten stattfinden müssen. Ich hatte eher den Eindruck, dass zwar Argumente – und ich habe mich bemüht, da eine ganze Menge zu bringen – durchaus nachvollzogen werden, auch Argumente gegen ein solches Gesetz durchaus nachvollzogen werden, aber dann hörte man immer wieder, wir wollen dieses Gesetz.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Wat mut, dat mut.)

Ja, so ungefähr. Wat mut, dat mut. Das kommt zwar nicht aus Mecklenburg-Vorpommern, aber das macht ja nichts.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

So erklärt sich dann für mich auch manches, wenn man Politik wirklich so macht: Wir haben das reingeschrieben, wir wollen das durchsetzen, egal, wie da argumentiert wird, das spielt alles keine Rolle.

(Barbara Borchardt, PDS: Das stimmt aber nicht ganz.)

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal klar hier ausführen, dass auch …

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na, das ist aber wirklich Frustration der Opposition. Das kann ich voll nachvollziehen.)

Ja, das stimmt schon, da haben Sie völlig Recht, Herr Schoenenburg. Das ist ein Stück Frustration, dass Argumente überhaupt nicht gewünscht sind. Das ist die Situation, die wir hier haben, völlig richtig beschrieben.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber das wollen wir eigentlich nicht.)

Ja, wenn Sie es hinterher sagen, klingt es nicht mehr so glaubwürdig.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na doch, wir kommen nachher an einen Punkt, da sind wir wieder ganz glaubwürdig.)

Mir wäre es ja lieb, man könnte wirklich über die Dinge in der Sache reden und vielleicht nicht auf so spektakuläre Aktionen angewiesen sein, aber Sie beweisen gerade eben, dass das nicht gewollt ist bei Ihnen. Und genau den Eindruck habe ich erhalten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Herr Seidel, Sie reißen sich doch mit solchen Aktionen immer weiter rein und verhärten nur die Fronten!)

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal für die CDU-Fraktion klarstellen, dass Bildung und auch Weiterbildung die entscheidenden Themen für die Zukunft auch für Mecklenburg-Vorpommern sind. Da machen wir überhaupt keinen Abstrich. Ich denke, das haben wir auch mit vielen Anträgen hier im Landtag nachgewiesen. Wir bezweifeln jedoch in erheblichem Maße, dass die hier vorliegenden gesetzlichen Regelungen dazu beitragen werden, den Stellenwert des Bildungsbereiches – oder sagen wir hier konkret der Weiterbildung – wirklich nach vorn zu bringen. Wissen Sie, da hätte ich eine ganze Menge anderer Themen, über die wir schon diskutiert haben, die wir uns aber auch ernsthaft vornehmen sollten: 12-JahresAbitur, Klassenstärken hier in Mecklenburg-Vorpommern oder eben Werteerziehung, Schulentwicklungsplan. Das sind die Dinge, denke ich, die in dem Zusammenhang eine wirklich wichtige Rolle spielen.

Wir halten es auch für völlig falsch, den Eindruck zu erwecken, als würden Weiterbildungsmaßnahmen nicht jetzt schon durch die Unternehmen erfolgreich organisiert. Sie können es heute im „Nordkurier“ nachlesen. Da wird von der Winterakademie gesprochen, die andere Kammern auch machen. In dem Fall wird gesagt, dass 149 Unternehmen im Bereich der IHK Neubrandenburg sich dieser Winterakademie angeschlossen haben. Hier wird Weiterbildung ganz konkret mit den Unternehmen und auch mit Hilfe des Staates – das muss man fairerweise an dieser Stelle sagen – durchgeführt.

Überhaupt wurde immer wieder versucht, die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes derart zu begründen, dass damit Weiterbildung überhaupt erst möglich würde. Und das ist natürlich wirklich falsch, denn ich weiß nicht, ob jetzt jemand wagen würde zu behaupten, dass es eventuell in Sachsen, Thüringen, Bayern oder Baden-Württemberg eine schlechtere Weiterbildungssituation als in Mecklenburg-Vorpommern geben würde. Wie wir wissen, verfügen diese Länder über keine derartigen Gesetze

(Reinhard Dankert, SPD: Das ist doch deren Sache.)

und gerade Baden-Württemberg hat für meine Begriffe auch eindrucksvoll in den letzten Wochen nachgewiesen, dass es dort schon einiges aufzuweisen hat. Das hat der Wähler ja auch honoriert, ich denke, zu Recht honoriert in dem Fall.

(Reinhard Dankert, SPD: Ja.)

Ich kann aus meiner Abgeordnetentätigkeit überhaupt keinen Ruf nach einem solchen Gesetz im Lande Mecklenburg-Vorpommern erkennen – ich bitte jetzt mal um Nachsicht –, wenn man mal die Gewerkschaften nur einen ganz kleinen Augenblick an die Seite stellt.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das kann man aber doch nicht, auch nicht einen kleinen Augenblick. – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Ja, das weiß ich ja. Ansonsten habe ich in keiner Sprechstunde – und ich führe eine ganze Menge Gespräche – jemanden bei mir gehabt, der gesagt hat, wir

brauchen hier nun wirklich endlich ein Weiterbildungsfreistellungsgesetz.

(Barbara Borchardt, PDS: Selbst wenn, würden Sie es auch nicht sagen. – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Die einen halten zu Ihnen und die anderen zu uns, so einfach ist das.)

Aber das passt in die Argumentation, Herr Schoenenburg, wie Sie ja sagen. Wir wollen das, egal, wie dann die Situation im Lande ist.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das habe ich aber nicht gesagt.)

Doch, doch, das haben Sie schon gesagt.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na, na!)

Jetzt bleiben Sie wenigstens mal bei dem, was Sie hier ausgeführt haben.

Ich habe allerdings einmal vernommen, dass ein Abgeordneter sogar von einem Wirtschaftsfördergesetz gesprochen hat. Da meinte er dann wohl die Tatsache, dass man ja auch berufliche Weiterbildung damit unterstützen kann. Ja, da muss ich Sie allerdings daran erinnern, dass die Wirtschaft gesagt hat, sie will dieses Wirtschaftsfördergesetz nicht. Also ich glaube, wir sollten kein Wirtschaftsfördergesetz machen, was die Wirtschaft nicht will. Das, glaube ich, verbietet sich von selbst.

(Heidemarie Beyer, SPD: Die Verbände wollen es nicht, die Wirtschaft schon.)

Ein weiteres Argument: Dieses Gesetz würde dazu beitragen – ich weiß nicht, ich glaube, Frau Beyer, das haben Sie mal gesagt –, dass die Jugend unser Land nicht weiter verlassen würde. Also schön wär’s ja,

(Heidemarie Beyer, SPD: So habe ich es nicht gesagt.)

aber da argumentiere ich jetzt mal nicht weiter. Überlegen Sie mal alle selbst, ob wir damit auch nur einen Jugendlichen davon abhalten würden, Mecklenburg-Vorpommern zu verlassen!

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal näher auf den vorliegenden Gesetzentwurf eingehen. Der in Paragraph 2 formulierte Rechtsanspruch auf Freistellung und die dann in den nachfolgenden Paragraphen, also insbesondere Paragraph 2(6) und Paragraph 13(1), dargestellte Umsetzung dieses Rechtsanspruches in der Praxis sind eben für meine Kollegen in der Fraktion der Kardinalfehler dieses Gesetzes, wenn man’s denn überhaupt will. Den Beschäftigten unseres Landes wird ein Rechtsanspruch suggeriert, der aber nur, zumindest im Jahr 2001, für 0,1 Prozent aller in Arbeit stehenden Menschen in Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich greift. Man kann es auch etwas anders ausdrücken: Wenn man sich den Paragraphen 2(6) anschaut – den haben Sie ja ein bisschen korrigiert oder wollen Sie korrigieren, muss man fairerweise sagen –,

(Barbara Borchardt, PDS: Ich denke, wir haben nichts gemacht?)

so ist dort formuliert, dass mit der Änderung dieser Rechtsanspruch – und so stelle ich es mir praktisch vor – in den Monaten Januar und Februar entsteht und im März nicht mehr entsteht.

(Beifall und Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Wissen Sie, ich bin kein Jurist, das muss ich sagen, aber ich glaube, da hätte auch jeder Jurist wirklich Schwierigkeiten, das dann im praktischen Leben nachzuvollziehen.

Meine Damen und Herren, heute wurde mal davon gesprochen, dass wir nicht dazu beitragen sollten, Politikverdrossenheit zu befördern. Ich behaupte, genau mit solchen Regelungen wird ein Rechtsanspruch in die Welt gesetzt, der gar keiner ist. Genau mit solchen Regelungen tragen wir wirklich – und dann auch alle miteinander, das weiß ich wohl, da sind wir letztlich alle miteinander verhaftet – dazu bei, dass wir einfach nicht mehr ernst genommen werden.

(Jörg Vierkant, CDU: Allerdings.)

Wie übrigens auch die Erfahrung in den anderen Ländern zeigt, wird dieses Gesetz in den kleinen Unternehmen, und das ist ja bekanntlich die Masse der Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern, kaum eine Rolle spielen. Aber, und hier verweise ich noch einmal auf den Paragraphen 2 Absatz 4, mit Sicherheit – das hat übrigens die Frau Finanzministerin nicht richtig gelesen im Gesetz, sie muss sich wohl heute korrigieren,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

auch wenn sie sich damit schwer tut, mir gegenüber zumindest –, sage ich Ihnen, wird dieses Gesetz in Anspruch genommen im öffentlichen Dienst, bei den Landesbediensteten, bei den Einrichtungen, die also nach Maßgabe des öffentlichen Dienstes ihr Arbeitsrecht ausgestaltet haben. Da werden Sie auf volle Zustimmung treffen. Was das allerdings im Lande letztlich bedeutet, das will ich mir mal erst nach einiger Zeit anschauen.

Aber, meine Damen und Herren, der Paragraph 6, der sich mit der Einschränkung des Anspruchs befasst, wird mit Sicherheit zu Unfrieden in den Unternehmen führen, die dann über das Thema überhaupt reden. Denn es ist doch ganz klar, dass der Arbeitgeber eine andere Auffassung von dienstlichen oder betrieblichen Gründen für eine Verweigerung einer Freistellung hat als der Arbeitnehmer. Das ist ganz normal, das nehme ich auch überhaupt keinem übel. Das wird zu Streitigkeiten führen und ich behaupte, hier haben Sie ein Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte und Gerichte aufgelegt.

Interessant ist auch, dass Sie mit der vorgeschlagenen Änderung des Paragraphen 13 noch stärker die Bereitstellung von finanziellen Mitteln, also die Erstattung des Bruttoarbeitsentgeltes, einschränken, indem Sie ausdrücklich noch einmal durch Ihre Änderung, die Sie vorhaben, auf die Bereitstellung von Mitteln nach Maßgabe des Haushaltes, das ist die Änderung, hinweisen.