Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Seidel von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Seidel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem nun mehr als zehn Jahre seit der Wiedervereinigung vergangen sind, erleben wir ja allerorten die üblichen Jubiläen, ich meine da in erster Linie

die zehnjährigen. Es werden Erfolge aufgezeigt, Bilanzen werden gezogen, es wird auf noch zu Leistendes hingewiesen. Auch zur Entwicklung unseres Bundeslandes gab und gibt es ja immer wieder Reden der führenden Politiker. Hier werden dann hauptsächlich Erfolge aufgezeigt, ich denke ja auch, zu einem großen Teil zu Recht, das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Nehmen wir zum Beispiel nur die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt. Wer hätte gedacht, dass sich in der Tat in weniger als zehn Jahren dieses Problem absolut lösen lässt. Jeder kann heute die Wohnung haben, die seinem Bedarf und seinen Möglichkeiten, das muss man fairerweise sagen, entspricht. Oder nehmen wir die Entwicklung der technischen Infrastruktur, besonders auch unter dem Stichwort Telekommunikation. Nun geht die Zeit allerdings weiter, das will ich nur einflechten. Auch da hört man, das Glasfaserkabel ist nicht der letzte Schrei der Dinge,

(Heiterkeit bei Dr. Gerhard Bartels, PDS)

es gibt inzwischen wieder neue Erkenntnisse. Aber so ist das Leben heutzutage. Nehmen wir den Straßenbau, nehmen wir die Entwicklung der A 20, nehmen wir die Tourismuswirtschaft – ich denke, wir können durchaus sagen, hier gibt es Erfolge, ohne jetzt Probleme, die im Einzelnen bestehen, kleinreden zu wollen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Aber, meine Damen und Herren, zu einer Bilanz gehören immer zwei Seiten der Medaille. Von daher war es zu erwarten, dass – und ich bezeichne sie jetzt doch mal so – die Jubelreden unseres Ministerpräsidenten im letzten Jahr dann auch zur Ernüchterung führen mussten, die ja nun doch ein wenig eingetreten ist. Ich verweise hier noch einmal auf die Meldungen des Statistischen Landesamtes nur mal aus diesem Jahr. Ich erwähne mal die Meldung vom 28.02.2001: In Mecklenburg-Vorpommern sank die Zahl der Erwerbstätigen in 2000 um 10.100 Personen mit Arbeitsort hier im Lande. Oder die Meldung vom 06.03.2001: 16,6 Prozent Rückgang bei den Baugenehmigungen in 2000. Oder die Meldung vom 21.03.2001: Das Wirtschaftswachstum im Jahre 2000 betrug preisbereinigt 0,6 Prozent. Im Vergleich dazu: in den alten Bundesländern bei 3 Prozent und im Durchschnitt der neuen Länder bei 1,1 Prozent. Oder nehmen wir uns den Arbeitsmarktbericht des Landesarbeitsamtes Nord vor. Hier wird ausgeführt, die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern hat sich weiter verschlechtert.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Was?)

Die Zahl der Arbeitslosen ist im Februar – heute kriegen wir ja wohl die neuen Zahlen –

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

auf 184.000 angewachsen, was der bekannten Arbeitslosenquote von 20 Prozent entspricht. Nur im Februar 1998 gab es mehr Arbeitslose im Lande. Inzwischen haben wir fast 24.000 arbeitslose Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern zu konstatieren, den höchsten Stand seit der Wende.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, dies, ich betone das noch einmal, ist nicht Schlechtreden, das ist das Zur-KenntnisNehmen von Fakten.

(Dr. Berndt Seite, CDU: Man muss endlich mal die Fakten sehen. – Harry Glawe, CDU: Sie wollen doch alles besser machen.)

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob der Bundestagspräsident Thierse Recht hat, wenn er formulierte, der Osten steht auf der Kippe.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Rot-Rot hat versagt. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Auf jeden Fall halte ich sehr viel davon, dass wir nüchtern Bilanz ziehen

(Zuruf von Dr. Berndt Seite, CDU)

und uns fragen, ob es nicht vielleicht doch erforderlich ist, in einigen Bereichen eine Kursüberprüfung oder dann eventuell auch eine Kurskorrektur vorzunehmen.

(Harry Glawe, CDU: Die sollen zurücktreten.)

Ich denke, das sind Aktivitäten, die in jedem Unternehmen, in jedem größeren und kleineren Unternehmen völlig normal sind. Nur, ganz offensichtlich, die Politik aller Couleur tut sich immer wieder schwer, nüchtern Bilanz zu ziehen.

Ich will einmal sieben Fragen formulieren, ohne hier den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:

Erstens. Gibt die gegenwärtige Wirtschaftspolitik auch bei uns im Lande die richtigen Antworten auf die strukturelle Situation Mecklenburg-Vorpommerns,

(Dr. Ulrich Born, CDU, und Dr. Berndt Seite, CDU: Nein. – Harry Glawe, CDU: Ganz bestimmt nicht.)

auf die Anforderungen der Globalisierung oder auf die bestehende EU-Osterweiterung?

Zweitens. Wie können wir Infrastrukturdefizite, die zweifelsohne im Lande nach wie vor vorhanden sind, zügiger abbauen?

(Harry Glawe, CDU: Die Regierung muss ausgewechselt werden.)

Drittens. Wie können wir im Land wieder eine Stimmung erzeugen, die geprägt ist von dem Wunsch, sich selbstständig zu machen?

Viertens. Wie kann die Finanzkraft der Kommunen als unbestritten größter Investitionsauftraggeber gestärkt werden?

(Harry Glawe, CDU: Der Deckel muss noch fester drauf.)

Fünftens. Wie kommen wir wieder zu mehr Aufträgen am Bau? Denn die Arbeit ist uns ja nicht ausgegangen im Lande Mecklenburg-Vorpommern, wir haben ja viel Arbeit. Wenn wir zum Beispiel von Infrastrukturdefiziten reden, dann bedeutet dies Arbeit.

(Angelika Gramkow, PDS: Ja, aber das Problem ist, dass das nicht Arbeit für Hochbauer ist, sondern für Tiefbauer. Herr Seidel, Sie wissen das doch viel besser.)

Aber wie können wir dies hier in Aufträge umsetzen?

Sechstens. Wenn Bildung der wichtigste Standortfaktor auch in unserem Land ist, wie kommen wir dann zu einer Bildungsoffensive, statt nur davon zu reden?

(Andreas Bluhm, PDS: Das ist eine gute Frage. – Dr. Berndt Seite, CDU: Und mehr Lehrer.)

Siebtens. Wie gestalten wir im Lande ein auch gemeinsam getragenes Standortmarketing, das ein glaubhaftes

Signal von Mecklenburg-Vorpommern sendet? Zu dem Punkt habe ich jetzt was in der Zeitung gelesen vom designierten Wirtschaftsminister. Ich bin gespannt und freue mich auf die Diskussion zu diesem Punkt.

Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen deshalb heute einen Antrag vor, der den Versuch darstellt, einerseits sicherlich eine Grundsatzdiskussion zu führen, der andererseits aber zumindest auch Vorschläge, konkrete Vorschläge enthält für das weitere Vorgehen im Bereich der Wirtschaftspolitik. Das schließt allerdings die schonungslose Analyse der Situation genauso ein wie – und das, meine ich, sollten wir tun – die Nutzung von externem Sachverstand, um eben notwendige Schlussfolgerungen und Maßnahmen zu finden.

Lassen Sie mich vielleicht noch auf drei Punkte eingehen:

Erstens. Ich rege an, dass wir bei der Förderung noch mal überlegen, ob die Entscheidung richtig war, zwischen Rationalisierungs- und Erweiterungsinvestitionen Unterschiede zu machen. Ich halte das nach wie vor für falsch, aber ich denke, auch hier sollten wir uns eine Analyse vorlegen lassen und uns von externen Beratern die Dinge einmal etwas näher erklären lassen.

Meine Damen und Herren, ich will mich auch deutlich dagegen wenden, dass wir nach wie vor in MecklenburgVorpommern Existenzgründungsförderung betreiben in Bereichen, die keinen Markt haben.

(Gesine Skrzepski, CDU: Ja.)

Ich sage nach wie vor, alles, was an Existenzgründungsförderung im Baubereich läuft – und hier spreche ich weniger den Wirtschaftsminister an als vielmehr den Arbeitsminister –,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Der ist nicht da. – Dr. Berndt Seite, CDU: Der ist nicht da. Das ist schlimm. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

halte ich für falsch, und ich meine, hier ist dringend eine Kurskorrektur angezeigt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ein zweiter Punkt ist der Vorschlag, die GfW und das LFI näher zusammenzubringen, sie eventuell sogar zu fusionieren, ich sage das hier mal etwas locker, ich weiß, so schnell geht das nicht. Aber ich will diesen Gedanken einmal aufgreifen, weil ich die Kritik kenne, dass hier auch zum Teil ohne tiefgründiges Förderwissen agiert wird. Das ist vorgekommen und das könnte verbessert werden.

(Angelika Gramkow, PDS: Selbstkritik.)

Man könnte vielleicht auch besser auf das volkswirtschaftliche Wissen der Norddeutschen Landesbank, die ja dafür ganze Abteilungen vorhält, zurückgreifen. Ich denke, hier wäre eine Mittelverstärkung – unter Umständen sogar aus Synergien – durchaus möglich. Ich halte diesen Punkt zumindest mal für überprüfbar.

Und der dritte Punkt. Diese berühmten Standortmanager, die Vereinigung der Unternehmensverbände, sagt dazu, Ansiedlungsmanager, streiten wir uns mal nicht. Auch hier meine ich, sollten wir darüber nachdenken, wie wir die Ansiedlungspolitik dieses Landes weiter professionalisieren können. Ich stelle mir das so vor, dass das so eine Art Honorarkonsul für die Wirtschaft ist, den man auch erfolgsorientiert honorieren könnte. Wenn jetzt

gefragt wird, wo kommt das Geld her. Wir haben zwar eine Bemerkung dazu im Antrag gemacht, aber ich will Ihnen dazu gleich ein Beispiel nennen. Wissen Sie, Sie haben uns ja gestern bewiesen, wenn man etwas unbedingt will – Stichwort Bildungsfreistellungsgesetz –, findet man auch Geld. Für die 600.000 DM könnten wir sechs Leute garantiert für zwei Jahre diesbezüglich ins Land schicken.