Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Hören Sie sich doch die Zahlen an! Ich merke schon, Fakten …

(Eckhardt Rehberg, CDU: Es geht doch nicht um die Zahlen, es geht um Menschen.)

Ach, Herr Rehberg, Sie möchten …

(Eckhardt Rehberg, CDU: Es geht um junge Menschen, Frau Keler, insbesondere. – Harry Glawe, CDU: Sie müssen prognostisch denken!)

Herr Rehberg, ich will Ihnen doch nur mal Fakten nennen.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Frau Keler, wie nehmen Sie denn Ihre Verantwortung wahr?! Wie nehmen Sie denn Ihre Verantwortung wahr?!)

Ich denke, ich nehme sie schon wahr, Herr Rehberg.

(Siegfried Friese, SPD: Fakten!)

Fakten! Also, nach den Erhebungen des Statistischen Landesamtes …

(Wolfgang Riemann, CDU: Haben wir die höchste Jugendarbeitslosigkeit seit 1990! – Beifall Dr. Christian Beckmann, CDU)

Ja, haben wir. Aber wir haben auch einen zunehmenden Bestand an jungen Leuten.

(Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU: Bestand! Das kann ja wohl nicht wahr sein! – Harry Glawe, CDU: Bestand! – Reinhardt Thomas, CDU: Es geht doch um junge Leute! – Wolfgang Riemann, CDU: Es geht hier um junge Leute und nicht um Bestand.)

1996 waren es 151.606. 1997 waren es 156.875

(Dr. Christian Beckmann, CDU: Was wollen Sie uns damit sagen?)

und 1999 sind es 172.777 Jugendliche,

(Harry Glawe, CDU: In Irland ist das Durchschnittsalter aller Bürger 30 Jahre.)

die hier im Land leben. Meine Damen und Herren, wer hier von Vergreisung spricht, der hat die Zahlen tatsächlich nicht im Kopf.

(Reinhardt Thomas, CDU: Wir sprechen nur noch von Vergreisung.)

Und jetzt kann ich Ihnen noch eines nicht ersparen: Es gibt eine Presseerklärung der Vereinigung der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern vom 22. März dieses Jahres.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Ja.)

Ich zitiere daraus: „Frau Schnoor hat entweder nichts verstanden oder missbraucht gezielt die Jugendlichen im Lande für polemische Äußerungen. Wenn Jugendliche nicht die ihrer Qualifikation und Neigung entsprechende Arbeit und Ausbildung im Land finden, so ist es vernünftig, dass sie woanders danach suchen. Mobilität und Flexibilität wird laufend gefordert. Warum hier diese Einschränkungen?“

(Martin Brick, CDU: Frau Keler, das sind Unternehmer. Sie sind Politikerin.)

„Selbstverständlich müssen wir uns darum bemühen, dass Jugendliche im Land bleiben, aber dies ist nur zu verantworten, wenn sie … ihre Potentiale und Fähigkeiten voll ausnutzen können, so weit das Zitat.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Jaja. Das ist doch!)

Ich kann schon feststellen, meine Damen und Herren, dass Sie von der CDU, als Sie früher in der Verantwortung waren,

(Harry Glawe, CDU: Da sah es besser aus. Da sah es deutlich besser aus.)

ganz anders gesprochen haben als jetzt. Und ich glaube, wir sollten uns an die Fakten halten

(Harry Glawe, CDU: Da hatten wir mehr Arbeitsplätze und dafür weniger Arbeitslose. – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Abgewan- dert sind junge Leute hier die ganze Zeit.)

und sollten versuchen, möglichst viele Jugendliche hier zu halten, aber das mit einer gezielten Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Dr. Christian Beckmann, CDU: Und das war ein konstruktiver Beitrag?!)

Danke, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dankert von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe anwesenden Jugendlichen! Ich glaube, man braucht gar nicht so viel hin und her zu reden. Herr Rehberg, ich gebe Ihnen in einem Punkt unumwunden Recht: Jugendliche sollten zuallererst hier eine Chance haben.

Wir wissen alle, dass es im Moment objektiv nicht die Arbeitsplätze gibt, die jedem Jugendlichen hier auf einer zweiten Schwelle Erfolg bescheiden. Demzufolge ist dann auch der Ruf nach einem Jugendsofortprogramm sehr groß. Und wir alle sollten aufhören zu suggerieren –

(Zuruf von Dr. Christian Beckmann, CDU)

und das hat der Minister auch sehr deutlich gesagt –, dass mit einem Jugendsofortprogramm, auch nicht mit JUMP, mit 2 Milliarden DM ausgestattet, das Problem der Jugendarbeitslosigkeit beseitigt werden kann. Es kann bestenfalls punktuell gemildert werden. Und ich denke, mit so viel Ehrlichkeit und so viel Offenheit sollte man es

insbesondere auch den jungen Leuten ganz klar ins Gesicht sagen,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Rudolf Borchert, SPD)

denn so bekloppt sind die nämlich alle nicht, dass sie es nicht kapieren. Und ich glaube, die Wahrheit in diesem Punkt ist besser, als wenn wir ihnen was vormachen wollen.

Ich denke, unsere neuen Programme – und Herr Minister Holter hat das vorgelegt, was er im Moment vorlegen kann – sollten in Zukunft darauf ausgerichtet sein, dass junge Menschen durch spezielle Maßnahmen, Landesmaßnahmen, von mir aus auch in Kombination mit Bundes- und EU-Programmen, eigene Zukunftschancen erkennen können und sie auch ergreifen.

Die Förderinstrumente für junge Menschen sollten aber auch regional ausgerichtet sein und vor allen Dingen der Stärkung der regionalen Strukturen dienen. Und ich denke, jeder Jugendliche ist immer froh, wenn er zuerst vor der Haustür Arbeit findet, denn das Geld alleine, das man im Westen verdient, ist nicht immer und nicht ausschließlich der Grund wegzugehen. Alle, die Kinder in dem Alter haben, wissen das auch ganz genau, dass es zu Hause nach wie vor doch am schönsten ist, und nicht nur wegen des Hotels Mama.

Die Stärkung des Fachkräftebedarfs für die Zukunft – das ist ein ganz entscheidender Punkt, der muss angedockt werden. Das kann nicht ein Arbeitsmarktprogramm allein. Herr Holter sagte das auch schon. Das beginnt in der Schule. Das beginnt mit der Berufsfrühorientierung und das beginnt mit besserer Schulausbildung, als wir sie zurzeit haben.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Und der nächste Punkt ist: An der zweiten Schwelle ist das Problem, nicht mehr an der ersten Schwelle, denn da schaffen wir es regelmäßig und jährlich durch Wahnsinnsprogramme – die Zahl wurde von der Finanzministerin genannt, 100 Millionen DM –, dass die Jugendlichen eine Ausbildung bekommen. Aber dann kommt die zweite Schwelle und dann knallt es meistens. An der zweiten Schwelle muss die Arbeit zwischen den Akteuren Arbeitsamt, Wirtschaft, Schule und Berufsschule verbessert werden. Ich denke, eine ganz hohe Bindungswirkung für das Land hat die Qualifikation. 75 Prozent unserer Jugendlichen haben eine Ausbildung und in der Regel auch eine gute Ausbildung. Und sie sind dann auch nicht länger als ein halbes Jahr arbeitslos. Ich will das nicht beschönigen, aber das gehört auch zur Wahrheit und zu den klaren Zahlen, die man immer wieder ablesen kann. Es ist schon schlimm genug, wenn man ein halbes Jahr arbeitslos ist. Das gebe ich voll und unumwunden zu. Am besten wäre es, gleich nach der Lehre in den richtigen Betrieb rein, und dann wissen sie auch, wie es langgeht. Aber manchmal ist nur eine bestimmte Zusatzqualifikation neben einer normalen Facharbeiterausbildung nötig, um in einem bestimmten Betrieb, in einer bestimmten Region und zu einer bestimmten Zeit einen Arbeitsplatz zu ergattern. Und da ist manchmal die Krux, dass das nicht zusammenpasst. Also muss man rechtzeitig während der Lehre anfangen, den Bedarf in der Region zu ermitteln. Und für den Fall, dass in einem Jahr vielleicht diese oder jene Zusatzqualifikation erreicht werden muss, muss man das organisieren. Das ist sehr aufwendig, da sind die

Arbeitsämter auch noch nicht so richtig darauf vorbereitet. Und ich denke, gerade die Träger auf dem zweiten Arbeitsmarkt und die Strukturen, die wir haben, könnten hier eine sehr große und gute Arbeit leisten. Und das kostet nicht mal unbedingt so viel mehr Geld.

Aber immerhin sind es inzwischen 25 Prozent der Jugendlichen, die länger als ein halbes Jahr arbeitslos sind, und die entwickeln sich dann zu den Problemfällen. Es sollten jedoch auch jene, die nicht so bedarfsgerecht ausgebildet sind und nicht sofort eine Arbeitsstelle kriegen, durch Qualifikation, durch Zusatzqualifikation in den Basisqualifikationen, die sie für jeden Job brauchen, zusätzlich ausgebildet werden. Auch dann würden sie ein wenig länger hier bleiben und eher eine Chance suchen.

Die Existenzgründung für junge Absolventen von unseren zahlreich vorhandenen Hochschulen und Fachhochschulen, glaube ich, ist inzwischen von allen bejaht und es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir da mehr tun wollen.

Herr Holter hat ein Programm vorgelegt und insbesondere höre ich auch von der Opposition und insgesamt von vielen Verbänden, an diesem „Jugend baut“ gibt es Kritik. Nun weiß ich nicht so recht, was die Opposition immer an dem Punkt will. Ich denke, die Philosophie von „Jugend baut“ ist, Investitionen im kommunalen Bereich mit Beschäftigung von Jugendlichen zu verbinden. Ich weiß gar nicht, was Sie dagegen haben. Sie jammern doch herum, dass gerade im Baubereich keine Investitionen erfolgen. Sie bemängeln zu Recht, denke ich, die Kürzungen im ABM-Bereich, im soziokulturellen Strukturbereich. Genau da setzt zum Beispiel für Investitionen auch das Jugendbauprogramm an. Und so ganz nebenbei entsteht Beschäftigung für Jugendliche. Ich weiß gar nicht, was da so schlecht dran sein soll. Und ich denke, Sie sollten sich langsam mal darauf einigen, was Sie denn wollen. Einmal wollen Sie es so rum, einmal so rum. Das, denke ich, wird mit der Zeit bei Ihnen aber auch abklingen.

Insofern möchte ich dem Minister ausdrücklich danken für das Vorlegen des Sofortprogramms. Ihr Antrag ist damit überflüssig geworden.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU: Schon wieder mal!)