Protokoll der Sitzung vom 27.06.2001

Meine Damen und Herren, unserer Fraktion war es ein besonderes Anliegen, einen Schwerpunkt der Aufgaben des Gesundheitsamtes neu zu formulieren, nämlich die Förderung von Frauen- und insbesondere Kindergesundheit in den Aufgabenbereich zu nehmen, da diese unseres Erachtens noch immer zu wenig Berücksichtigung finden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Torsten Koplin, PDS)

Dort wird nun hervorgehoben durch die Einführung, dass spezielle Problemlösungen der Gesundheit von Frauen und Kindern durch das Landesgesundheitsamt zu befördern sind. Gerade bei Kindern stellt sich die Frage zum Beispiel des Impfschutzes. Welche Konsequenzen ergeben sich zum Beispiel aus dem Trend des in den letzten sechs Jahren um etwa fünf bis sieben Prozent gesunkenen kompletten Impfschutzes bei Mumps, Masern, Poliomyelitis, Tuberkulose, Keuchhusten? Noch scheint der Impfschutz auszureichen, um einen ausreichenden Schutz in der Bevölkerung vor Seuchen in diesem Sinne zu gewährleisten. Es besteht kein Grund für einen sorglosen Umgang mit diesem Thema für die Eltern und für uns. Eine vermittelte Sicherheit in der Bevölkerung ist nur eine scheinbare. Ein weiteres Absinken gefährdet einen durchweg noch vorhandenen Impfschutz.

Einen wichtigen Bereich stellt für mich auch die Rate der übergewichtigen Kinder in Mecklenburg-Vorpommern – bei der Einschulung festzustellen – dar. Diese hat sich von 1992 bis 1998 nahezu verdoppelt. Untersuchungen in den Vereinigten Staaten gehen davon aus, dass das Risiko, Herzinfarkt, Diabetes, Kreislauferkrankungen zu erleiden, sich von den 50er und 60er Jahren des Lebensalters auf Jahre um 40 oder darunter vorverlegt. Wir haben eine Spitzenstellung bei diesen Erkrankungen in unserem Bundesland. Und – ich kucke mich mal hier im Landtag um und kucke bis hinten auf die Tribüne – es wäre fatal, wenn diese Entwicklung, schon bei Kindern beobachtet, nicht mit der nötigen Konsequenz bedacht wird, dass hier eine Gesundheitsaufgabe auch für ein Landesamt gegeben ist.

Welche Ursachen hat die Zunahme von Sehstörungen bei Kindern im Schulalter? Eine Steigerung von 15 auf 22 Prozent von 1993 bis 1998 bei der Einschulung ist festzustellen. Eine Frage, der man nachgehen sollte, denn nicht jeder Beruf kommt bei funktionell Einäugigen, die ihre funktionelle Einäugigkeit durch Schielen vom Kleinkindesüber das Schulalter bis zum Beruf hin mit sich herumtragen müssen, mehr in Frage. Das Erwachen ist dann seitens der Familien sehr schwer zu akzeptieren, wenn man sagt, metallverarbeitende Berufe auf Gerüsten, Berufe mit Holzbearbeitung kommen für einen funktionell Einäugigen nicht in Frage. Und auf diese Richtung entwickelt sich das zu, wenn eine hohe Anzahl von Schwachsichtigen zum Teil auch durch Schielen bedingt ist.

Ist die Verzehnfachung von Sprachproblemen – ich sage es noch einmal ganz langsam –, die zehnfache Rate an Kindern mit Sprachstörungen bei der Einschulung nicht ein Versäumnis, das wir in den vergangen Jahren mit mangelnder Kommunikation innerhalb der Familien selber zum Teil mit verursacht haben? Natürlich kommt hinzu, dass die Technisierung der Spielzeuge, das Sitzen am Bildschirm dabei auch eine Rolle spielt, Spielen mit dem Gameboy, passives Fernsehen. Mündet nicht auch die

Unfähigkeit, sich sprachlich zu äußern und auseinander zu setzen, später in Verhaltensveränderungen einem gegenüber, der einem in der Diskussion überlegen ist? All diese Probleme müssen wir aufnehmen und je schneller, desto besser.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

Die Gesamtsituation der Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft verlangt geradezu nach meiner Überzeugung nach diesem zusätzlichen Augenmerk in einem Landesamt.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

Für Frauengesundheit gilt Ähnliches. Es besteht leider immer noch das Problem, dass bestehende geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang mit Krankheit und Gesundheit nicht genug beachtet, nicht erforscht sind, zum Teil nicht an die Möglichkeit gedacht wird, dass auch eine Frau mit linksseitigen Beschwerden in der Brust, im Brustbereich herzinfarktgefährdet sein könnte. Solche Herzsymptome erfahren nicht die nötige Aufmerksamkeit und daraus erklärt sich eine angestiegene Rate weiblicher Todesfälle durch koronare Herzkrankheiten. Das ist eine ganz logische Konsequenz aus der Nichtwahrnehmung, der Nichtakzeptanz eines solchen Beschwerdekomplexes. Landläufig denkt man: Manager, gestresster Mann, Beschwerden in der Brust – herzinfarktgefährdet, sofort stationäre oder gründliche Untersuchung. Bei einer Frau ist man zögerlich, diese Diagnose überhaupt in Betracht zu ziehen. Und daraus ergibt sich eine Notwendigkeit, geschlechtsspezifische Schwerpunkte auch in der Forschung und in der Bearbeitung dieser Probleme zu sehen. Auch das ist Aufgabe im künftigen Landesgesundheitsamt.

In der Anhörung wurde thematisiert, ob die kommunalen Gesundheitsämter ihre Mehraufwendungen infolge der übertragenen neuen Aufgaben durch die Erhebung von Gebühren abdecken können. Die Antwort seitens der beteiligten Ministerien – auch des Innenministeriums – war, dass die Gebühren das können. Wir möchten darüber eine Zwischenanalyse nach etwa einem Jahr vorgelegt bekommen, um den Befürchtungen der Angehörten Rechnung zu tragen.

Ein letzter Aspekt. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass es sinnvoll ist, wenn im Landesgesundheitsamt die Möglichkeit, sich an wissenschaftlichen Fragestellungen zu beteiligen, eingeräumt wird. Ich halte das aus zwei Gründen für richtig und wichtig. Der erste ist, wenn ein Landesgesundheitsamt beraten soll, muss es alle Möglichkeiten haben, aktuell auf dem Stand der Wissenschaften zu bleiben, und damit auch eigene Möglichkeiten für eine solche Teilnahme an Untersuchungen behalten und bekommen. Der zweite Aspekt, die Möglichkeit, hier den aktuellen Bezug zu behalten, bedeutet auch, dass Spitzenleistungen, die in der Diagnostik erfolgen, mit genutzt werden können durch andere Einrichtungen, wenn denn in einem Landesamt die nötigen apparativen und personellen Voraussetzungen dafür vorhanden sind. – Zwei gute Gründe also, diese Möglichkeit zu öffnen, wie sie im Gesetz jetzt auch vorgesehen ist, wenn die entsprechenden Kapazitäten dafür vorhanden sind.

Insgesamt ist nach reichlicher Diskussion, glaube ich, doch ein runder Entwurf für diese neue Regelung zustande gekommen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Koplin von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Koplin.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor uns liegt in Zweiter Lesung ein fortschrittliches Gesetz. Es verbindet das Wirtschaftlichkeitsgebot mit Rahmenbedingungen für das Bestehen aktueller Herausforderungen. Dafür gibt es mehrere Beweise, zum einen die Benennung der Aufgaben der Gesundheitsförderung, von denen hier bereits die Rede war. Ich verweise unter anderem auf die Aktuelle Stunde, die wir heute früh hatten, und sage, wenn wir effizienter mit den Mitteln im Gesundheitssystem umgehen wollen, dann vor allem durch verstärkte Prävention und Gesundheitsförderung.

Ein weiterer Beweis ist die Nutzung der Kompetenzen des Landesgesundheitsamtes zur Entwicklung von Konzepten zur Suchtprävention. Zum einen erhalten die Vereine und Verbände ein stärkeres fachliches Rückgrat durch das Landesgesundheitsamt, zum anderen denke ich auch hier an das Wirtschaftlichkeitsgebot beziehungsweise an Wirtschaftlichkeitseffekte, die erzielbar sind, und beziehe mich wiederum auf das Thema, was wir heute früh bereits hatten. Die Mehrbelastungen an Arzneimitteln im Jahr 2000 in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem Vorjahr, also 1999, sind mit 4,4 Millionen DM auf alkoholbedingte Abhängigkeiten zurückzuführen gewesen. Allein das macht mal in Zahlen ausgedrückt auch die Dimension dessen aus, was hier zur Rede steht.

Ein dritter Beweis ist die Aufgabe des Landesgesundheitsamtes, spezielle Problemlösungen der Gesundheit von Frauen und Kindern zu befördern. Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Dr. Rißmann voll und ganz an und möchte hinzufügen, dass wir diesbezüglich auch vor einiger Zeit eine Diskussion im Landtag hatten. Der Alltag der Mehrzahl der Frauen ist – das hat die Debatte seinerzeit schon verdeutlicht – durch die doppelte Einbindung in berufliche und familiäre Bezüge geprägt. Beispiellos sind die pflegerischen Anforderungen an Frauen. Eine aktuelle Studie besagt, dass 61 Prozent der Töchter, aber lediglich 6 Prozent der Söhne ihre über 80-jährigen Eltern pflegen. Pflegerische Anforderungen bringen hohe körperliche und psychische Beanspruchungen mit sich. Sie bedingen die Notwendigkeit ständiger Anwesenheit. Neben derartigen Anforderungen tragen Frauen vor allem die Lasten in Verarmungssituationen. Oft sind sie in solchen Situationen die allein Zuständigen für familiäre Belange.

Von besonderer Bedeutung ist uns die Passage im Gesetzentwurf, die die Kooperation des Landesgesundheitsamtes mit Forschungseinrichtungen ermöglicht, ja geradezu befördert. Wir haben die Möglichkeit, auch an dieser Stelle den Forschungs- und Wissenschaftsstandort Mecklenburg-Vorpommern zu stärken.

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zu zwei Änderungsanträgen ein paar Worte verlieren. Zum einen zum Antrag, der Ihnen vorliegt auf Drucksache 3/2160. Hier geht es um eine formalrechtliche Änderung, die sich aus der Aktualisierung des Landesbesoldungsgesetzes ergibt, was wir ja selbst am 23. Mai 2001 in Kraft gesetzt hatten. Zum anderen zum Änderungsantrag auf Drucksache 3/2156 – nun komme ich zum

schwersten Part meiner Rede. Ich möchte Ihnen Folgendes dazu sagen: Herr Dr. Bartels und ich haben seit 1999 permanent für eine verbindliche Fortführung von Arbeiten in Greifswald gestanden

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

und haben aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Gleichstellung Schwerin mit einbezogen. Es ging und es geht uns nicht um den Erhalt alter Strukturen, das möchte ich betonen. Es geht um Untersuchungs- und Beratungsstellen und somit um den Erhalt der Kompetenz, um nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall Dr. Gerhard Bartels, PDS, und Angelika Gramkow, PDS – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Die Personalstellen sind eh eingestellt und wir haben unsere Sicht immer inhaltlich begründet, immer inhaltlich.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Ich möchte das insofern hier nicht ausbauen. Lassen Sie mich lediglich sagen, ein Votum, das wir Ihnen an die Hand geben wollen, wo wir davon ausgehen, dass es fachlich und sachlich vollauf begründet ist, ein solches Votum entzieht den anderen Standorten, sprich Rostock und Neustrelitz, kein Jota an Aufgaben, keine Personalstelle, im Gegenteil, hier geht es um andere Kompetenzen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Die Argumente, die uns entgegengehalten worden sind, waren in sich sicherlich schlüssig, haben uns aber letztendlich nicht überzeugt. Und ich halte es für ein demokratisch legitimes Verfahren, einen Änderungsantrag diesbezüglich zu stellen. Was ich nicht machen werde – lassen Sie mich das auch sagen –, ich werde nicht den Änderungsanträgen der CDU zustimmen, auch wenn sie in einem Punkt zum Beispiel gleichlautend sind, …

(Harry Glawe, CDU: Fast gleichlautend.)

Fast gleichlautend, ja. Danke für die Präzisierung.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ihrer ist ja noch besser.)

… denn sowohl in der Ausschussabstimmung als auch in Ihrer Rede hier heute, Herr Glawe, haben Sie deutlich gemacht, dass es Ihnen um etwas ganz anderes geht als Herrn Dr. Bartels und mir. Und da möchte ich nicht mit Ihnen in einem Boot sitzen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Harry Glawe, CDU: Na ja.)

Herr Glawe hat noch mal zu einer kurzen Rede das Wort. Bitte sehr, Herr Glawe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich habe es ja geahnt, Herr Koplin, dass das noch mal kommen musste.

(Annegrit Koburger, PDS: Ooh! – Torsten Koplin, PDS: Ich bin berechenbar, ich bin berechenbar.)

Aber bezüglich Ihres Antrages 3/2156 will ich sagen, die CDU-Fraktion kann Ihrem Antrag zustimmen und wir werden, wenn er die Mehrheit findet, dann unseren zurückziehen, aber vorher nicht. – Danke schön.

(Gerd Böttger, PDS: Das ist schon gut so. – Heiterkeit bei Angelika Gramkow, PDS: Sie sind sowieso schuld, Herr Glawe.)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Einzelberatung über den von der Landesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Aufgaben im Öffentlichen Gesundheitsdienst und zur Änderung des Landeskrankenhausgesetzes auf Drucksache 3/2149. Der Sozialausschuss empfiehlt in Ziffer 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 3/2149, den Gesetzentwurf der Landesregierung in der aus der Zusammenstellung ersichtlichen Fassung anzunehmen.

Wir kommen zur Einzelabstimmung.

Ich rufe auf den Artikel 1 in der Fassung der Beschlussempfehlung.

Ich rufe auf in Artikel 1 den Paragraphen 1 in der Fassung der Beschlussempfehlung.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Bartels und Torsten Koplin, Fraktion der PDS, auf Drucksache 3/2156 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. –

(Erhard Bräunig, SPD: Die Nationale Front ist wieder da. – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Wer regt sich hier auf?)

Einen Moment bitte, noch mal richtig die Hände hochheben.

(Zuruf von Minister Till Backhaus)

Danke. Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Bartels und Torsten Koplin, Fraktion der PDS, auf Drucksache 3/2156 mit den Stimmen der SPD-Fraktion, bei Stimmen der PDS-Fraktion, gegen die Stimmen der CDU-Fraktion und fünf Stimmen bei der PDS-Fraktion abgelehnt.