Protokoll der Sitzung vom 29.06.2001

(Harry Glawe, CDU: Da waren Sie gar nicht dran. Das haben Sie gar nicht erkannt.)

Herstellung von Zahlungsmoral und Überwindung derartiger schlimmer Auswüchse und Gegenstände, wie sie zurzeit sind,

(Harry Glawe, CDU: Sie haben nicht mal das Physikum bestanden.)

müssen wir ernsthafter weiterarbeiten. – Ich bedanke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Born von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Born.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Justizministers waren leider sehr verharmlosend und werden der dramatischen Wirklichkeit der wirtschaftlichen Situation in unserm Land in keiner Weise gerecht.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Auf alles andere lohnt es sich nicht einzugehen, weil Sie ja nicht einmal mehr bereit sind, sich mit einem solch

brisanten Thema überhaupt inhaltlich auseinander zu setzen.

Es kann gar nicht bestritten werden, dass durch eine immer raffinierter und aggressiver werdende Wirtschaftskriminalität und ein sich geradezu dramatisch verschlechterndes Zahlungsverhalten gerade in unserem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern immer mehr Unternehmensexistenzen bedroht und zugrunde gerichtet werden und damit zwangsläufig Arbeitsplätze in großem Umfang vernichtet werden.

Der erheblichen und immer brutaler werdenden kriminellen Energie gilt es, mit allen geeigneten Mitteln entschlossen entgegenzutreten. Dabei gilt es entsprechend dem Täterverhalten, alle Möglichkeiten privaten wie staatlichen Handelns sowohl präventiv wie auch repressiv, flexibel und konsequent auszuschöpfen und zum Schutz der Betroffenen zur Geltung zu bringen. Mir geht es bei dieser Diskussion vor allem um das Problem der, wie es im Grunde genommen zu Unrecht verharmlosend heißt, schlechten Zahlungsmoral. In Wirklichkeit hat dies mit mehr oder weniger schlechter Moral überhaupt nichts zu tun, sondern wir reden hier über nicht mehr und nicht weniger als schlicht über besonders gemeinschaftsschädigendes Verhalten.

Um es noch einmal ganz deutlich hervorzuheben: Das Problem, über das wir hier sprechen und dem sich unser Antrag zuwendet, liegt nicht bei der leider auch immer noch wieder vorkommenden schlichten Zahlungsunfähigkeit, sondern vielmehr in der hartnäckigen Zahlungsunwilligkeit,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

ein Thema, das beileibe nicht neu ist, aber nun endlich wegen seiner inzwischen flächendeckenden Dimension mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entschlossen angepackt werden muss. Bereits vor zwei Jahren hat die Vereinigung der Unternehmensverbände unter Mitwirkung des Justizministeriums, der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin sowie des Bauindustrieverbandes bei den Unternehmen des Landes eine Umfrage gestartet, deren Ziel es war, einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion zu leisten, aber auch konkrete Ansatzpunkte und Hinweise zur Abhilfe des Problems zu geben. Die Umfrage lieferte erstmals solide Daten zum Thema Zahlungsmoral und ist in dieser Art, soweit bekannt, deutschlandweit nach wie vor einzigartig.

Wer sich vor Augen führt, dass in Mecklenburg-Vorpommern nahezu drei Viertel der Unternehmen kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten sind, dem wird schnell deutlich, dass gerade bei uns der Handlungsbedarf am größten ist, denn besonders die kleinen Handwerker und der Mittelstand sind von der besorgniserregenden Verschlechterung der Zahlungsmoral am härtesten betroffen. In Deutschland wird beispielsweise mittlerweile jede vierte Insolvenz durch Zahlungsverzug und rund jede fünfte aufgrund einer durch vorgehende Insolvenzen hervorgerufene Kettenreaktion ausgelöst. Aufgrund der häufig geringen Kapitalausstattung sind es natürlich gerade die in den neuen Bundesländern überproportional stark vertretenen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die durch Forderungsausfälle in ihrer Existenz gefährdet werden.

(Zuruf von Gesine Skrzepski, CDU)

Will man eine Branche im negativen Sinne hervorheben, so sind es eben vor allem Bauindustrie und Baugewerbe,

die besonders stark betroffen sind. Auf der einen Seite ist dieses sicherlich dadurch bedingt, dass existierende Überkapazitäten dazu führen, dass ein ausgeprägter starker Konkurrenzdruck die Position des Bauunternehmers gegenüber der des Auftraggebers immer schwächer erscheinen lässt. Andererseits ist dies natürlich zum Teil auch ein hausgemachtes Problem, denn – auch auf die Gefahr hin, mich an dieser Stelle zu wiederholen – die aktuelle Politik von SPD und PDS trägt einen nicht unerheblichen Anteil dazu bei. Wer konsequent die Personalausgabenquote in die Höhe schraubt und dies zu Lasten der insbesondere für die Bauwirtschaft so wichtigen Investitionen finanziert,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Herr Dr. Born, das ist doch gar nicht wahr! Erst fordern Sie mehr Staats- anwälte und Richter und sagen, das ist für die Wirt- schaft und dann erzählen Sie so einen Unsinn!)

treibt damit zwangsläufig Unternehmen einer ganzen Branche, die eben sehr stark auch auf öffentliche Investitionen angewiesen ist, …

Also, Frau Gramkow, von Wirtschaft verstehen Sie nicht allzu viel.

(Beifall Gesine Skrzepski, CDU: Richtig! – Barbara Borchardt, PDS: Aber Sie, Herr Born! Aber Sie! – Angelika Gramkow, PDS: Sagen Sie doch mal, wer eine Bilanz besser aufstellen kann! Ich oder Sie? – Ministerin Sigrid Keler: Das haben wir doch gar nicht zurückgefahren, Frau Gramkow!)

Von Finanzen möglicherweise ja, aber sicherlich mehr vom Sparen oder vom Kaputtsparen, als vom Zur-Verfügung-Stellen der notwendigen Mittel, damit öffentliche Investitionen wieder stattfinden können in diesem Land.

… in eine Misere, deren Nährboden doch die Grundlage bildet für die Symptome, die wir hier debattieren und bekämpfen wollen. Ich stelle fest, die Finanzministerin ist wieder auf der Regierungsbank

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU – Angelika Gramkow, PDS: Sie ist die ganze Zeit schon da gewesen.)

und wie immer, wenn man zu Recht darauf hinweist, dass die Investitionsquote zu gering ist in diesem Land, meldet sie sich, aber sie trifft nicht die notwendigen Maßnahmen und zieht nicht die Konsequenzen, dass die Investitionsquote wieder erhöht werden muss.

(Ministerin Sigrid Keler: Ach, Herr Born!)

Wir wären also schon einen ganzen Schritt weiter, wenn sich die Landesregierung auf einen entschlossenen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Anhebung der Investitionsquote auf das frühere Niveau von 27 Prozent anstelle ihrer dramatischen Absenkung auf unter 20 Prozent verständigen würde. Damit würde ein spürbarer wirtschaftlicher Aufschwung nachhaltig initiiert und somit ein entscheidender Beitrag zur Gesundung der gesamten Bauwirtschaft geleistet.

Ich komme noch einmal auf die erwähnte Umfrage der Unternehmensverbände zurück. Ich denke, es sind Zahlen, die die gegenwärtige Situation plastisch darstellen und den Handlungsbedarf verdeutlichen. In nahezu drei Viertel der betroffenen Unternehmen im Land wird die

Liquiditätslage durch die so genannte schlechte Zahlungsmoral in mäßigem bis starkem Ausmaße beeinträchtigt. Unternehmen, die angaben, in starkem Ausmaß betroffen zu sein, beschäftigen allein rund 10.000 Mitarbeiter, so dass diese Arbeitsplätze als direkt gefährdet angesehen werden können. Der durchschnittliche endgültige Forderungsausfall beträgt rund 5 Prozent, in nicht wenigen Fällen liegt der Wert noch deutlich darüber. In 82 Prozent der verweigerten Zahlungen werden den Gläubigern keine sachlichen Einwände entgegengehalten, das heißt, die Forderungen sind unbestritten.

Als alarmierend angesehen werden muss die Tatsache, dass in zunehmendem Maße auch der Dienstleistungsbereich betroffen ist. Gerade weil in dem Bereich das größte Potential für Existenzgründungen gesehen und propagiert wird, ist dieses als besonders problematisch anzusehen. Auch wenn 71 Prozent das Zahlungsverhalten von öffentlichen Auftraggebern als zufriedenstellend bis gut bezeichnen, während 58 Prozent der Unternehmen der Meinung sind, das Zahlungsverhalten privater Auftraggeber sei schlecht bis sehr schlecht, ist dies kein Grund, die öffentliche Hand über die Maßen zu loben, denn auch hier lässt sich zunehmend eine Entwicklung erkennen, die nicht akzeptiert werden kann.

Aber wie ist es überhaupt möglich, dass in der täglichen Praxis Zahlungen so massiv und nachhaltig verweigert werden können? Nun, dies liegt in erster Linie an der für die Schuldner oder, um es deutlicher zu formulieren, Täter geradezu berechenbar folgenlosen Möglichkeit, berechtigte Forderungen schlicht nicht zu begleichen, also säumig zu bleiben,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

zum einen, weil die zwangsweise Verfolgung berechtigter Ansprüche sich einerseits für viele Gläubiger als schlicht zu kostspielig und zum anderen als viel zu langwierig darstellt.

(Zuruf von Reinhardt Thomas, CDU)

In der Praxis ist es doch mittlerweile gang und gäbe, dass Schuldner auf berechtigte Mahnungen wie folgt reagieren: Wenn ihnen die Mahnungen lästig werden, zücken sie einen Scheck und zeigen ihn dem Gläubiger. Der Scheck lautet auf günstigstenfalls 70 bis 75 Prozent der Schuldsumme. Natürlich wird er nur herausgerückt, wenn der Gläubiger gleichzeitig anerkennt, dass damit alle seine Forderungen restlos beglichen sind. Falls er sich darauf nicht einlassen will, wird ihm bedeutet, er könne ja ruhig klagen, dann werde er ja schon sehen, wie weit er damit komme. Dabei weiß der Schuldner nur zu gut, dass der Gläubiger nicht in der Lage ist, die teuren Prozess- und Anwaltskostenvorschüsse aufzubringen,

(Gesine Skrzepski, CDU: So ist es.)

und mit einem rechtskräftigen Urteil ohnehin frühestens nach vier bis fünf Jahren zu rechnen wäre.

Meine Damen und Herren, der Gläubiger kann sich verhalten, wie er will. Ob er sich darauf einlässt oder nicht, über kurz oder lang ist er schlicht pleite, denn wenn er dreimal auf 25 Prozent verzichtet, dann ist sein Unternehmen auch am Ende.

Versuche, immerhin möglicherweise doch einmal erlangte Titel zu vollstrecken, gleichen in unserem Land einem Abenteuer, auf das sich viele wegen des zusätzli

chen, erheblichen Zeitaufwandes verständlicherweise erst gar nicht einlassen. Ein Vollstreckungszeitraum von durchschnittlich zehn Wochen ist schlicht nicht akzeptabel. Das sind zehn oder mehr Wochen Zeit für Schuldner, um Geld, das sie schulden, beiseite zu bringen.

Wie ist dem überhaupt beizukommen? Auch die Wirtschaft selbst muss unter Mithilfe der Politik stärker als bisher wirksame Maßnahmen ergreifen, um wirtschaftlich schwache Gläubiger gegenüber kriminellen Schuldnern zu schützen.

Bereits vor Jahren habe ich einen Selbsthilfefonds der Wirtschaft vorgeschlagen. Sinn des Ganzen ist, dass wirtschaftlich schwache Gläubiger in Form eines Gläubigerschutzfonds einen starken Partner bekommen, der in der Lage und entschlossen ist, berechtigte Forderungen einzutreiben und notfalls auch über mehrjährige Gerichtsverfahren durchzusetzen. Der Fonds zahlt dem Gläubiger sofort 75 Prozent des zu Recht geforderten Betrages aus, nach erfolgreicher Eintreibung die restlichen 25 Prozent und begleicht seine eigenen Kosten aufgrund der angefallenen Verzugszinsen, die dem Fonds verbleiben. Übrigens, der damalige Wirtschaftsminister Ringstorff – das war für mich ein ganz außergewöhnliches Ereignis, deshalb ist es mir so gut in Erinnerung – hat damals von dem Platz aus, wo jetzt Herr Dankert sitzt, mir zugerufen: Dieser Vorschlag ist gut. Wir sollten ihn endlich in die Tat umsetzen. Das war 1996, passiert ist bis heute nichts.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na, das müssen Sie erst mal beweisen, dass er das gesagt hat. Das ist so lange her.)

Das Wesentliche ist, dass allein das Bestehen eines solchen Fonds das stärkste Mittel ist, um schlicht zahlungsunwillige Schuldner davon abzuhalten, ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachzukommen, weil dies rein wirtschaftlich nicht nur keinen Sinn mehr macht, sondern zukünftig für säumige Schuldner, wenn der Fonds sie sogar noch mit Gerichtsverfahren überzieht, richtig teuer wird. In viel stärkerem Maße als bisher muss von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, Schiedsgerichtsklauseln zu vereinbaren, weil dann nämlich in der Tat schnell und sachkundig entschieden werden kann und es sich dann auch nicht mehr lohnt, einfach Schulden nicht zu begleichen.

Was kann das Land konkret tun, um der zunehmenden Kriminalisierung in wirtschaftlichen Abläufen entgegenzuwirken?

1. Dem Erpressungspotential muss mit verstärkter Aufklärungskapazität begegnet werden. Dazu gehören neben Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die auch entsprechend personell ausgestattet sein müssen für Wirtschaftskriminalität, betriebswirtschaftlich gut geschulte Spezialfahnder der Kriminalpolizei.

Übrigens, ein ganz konkretes Beispiel dafür, wie ein erstklassiger Experte hier sinnvolle Arbeit leisten kann, ist der Oberstaatsanwalt Schneider-Brinkert, der leider von sinnvoller Tätigkeit durch unsinnige Tätigkeit im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss dieses Parlaments abgehalten wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

2. Die Gerichtsverfahren müssen drastisch verkürzt werden. An den Landgerichten müssen Zivilkammern mit betriebswirtschaftlich besonders ausgebildeten Rich