Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf als Erstes meiner Zufriedenheit Ausdruck geben, dass unser Antrag auf offene Ohren bei den beiden anderen Parteien hier im Hause stößt. Deswegen kann ich es mir jetzt auch leichter machen und meine Ausführungen etwas kürzen.

Herr Krumbholz und Herr Neumann haben gesagt, sie würden einer Überweisung in die Ausschüsse zustimmen. Das freut uns. Wir verzichten deshalb auf unseren Abstimmungsantrag und beantragen mit den beiden Fraktionen gemeinsam Überweisung.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ein schöner Abschluss, Herr Helmrich.)

Na ja, ich will das nur vorwegsagen – zur Sache sage ich dann auch noch ein paar Dinge –,

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

um zu begründen, dass ich nicht alles bringen will, was ich eigentlich lang und breit ausführen wollte.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das ist auch ganz nett.)

Das Wesentliche ist von Herrn Krumbholz und von Herrn Neumann gesagt worden zu unserem Antrag.

(Wolfgang Riemann, CDU: Und von mir? – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Von mir doch auch.)

Ja, ja, von dir! Du hast es ja eingebracht. Ich meine die Stellungnahmen zu dem, was du gesagt hast.

Also, wir werden auch zustimmen, und zwar der Überweisung. Und da es im Grunde genommen im Wesentlichen Verfassungsfragen sind, muss wohl die Federführung beim Rechtsausschuss liegen, so hatte ich Sie dann auch verstanden. Außerdem, falls Finanzen in Betracht kämen, muss wahrscheinlich neben dem Innenausschuss auch der Finanzausschuss in die Überweisung einbezogen werden.

(Angelika Gramkow, PDS: Ach, Professor Helmrich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will nicht wiederholen, was schon gesagt worden ist, aber der Antrag ist bei den anderen Fraktionen wahrscheinlich auch deshalb auf eine positive Aufnahme gestoßen, weil es sich hier um zwei Dauerprobleme handelt.

Das erste – Herr Krumbholz hat das gesagt, die beiden Bereiche sind zu trennen – ist die innerdeutsche Verfassungsproblematik. Wir sind in Deutschland seit Jahrhunderten föderal organisiert, selbst der König und der Kaiser waren bis auf die letzten Jahre immer Wahlkönig und die dezentralen Mächte haben im Reich immer wesentlich mitgesprochen. Deshalb war Deutschland vor 150 Jahren auf der Landkarte ein Flickenteppich, ganz kleine Einheiten waren es zum Teil, aber insgesamt immer föderal. Darauf baut das Grundgesetz auf. Die geschichtliche Zeit habe ich deshalb angesprochen, weil wir auch schon früher immer erlebt haben: Wenn die Zentrale schwach war, waren die dezentralen Mächte stark. Dann hatten wir einen schwachen König. War die Zentrale stark, dann ging das zu Lasten der Einheiten in der Fläche. Und genau dieses Problem hat Herr Neumann ja auch deutlich angesprochen.

Selbst in der Entwicklung der Bundesrepublik seit 1949 haben wir Wellenbewegungen. Wir haben zunächst eine ziemlich starke föderale Ausprägung gehabt in den 50er Jahren. In den 60er und 70er Jahren nahm die Stärke der Zentrale immer mehr zu, und zwar auch wegen des Wunsches, möglichst gleichartige Lebensverhältnisse zu haben. Deshalb gab es auch dann mehr und mehr Leistungsgesetze des Bundes, die die Länder natürlich gerne aufnahmen – sie mussten immer gegenfinanzieren –, damit aber an den goldenen Zügel der Zuwendungen durch den Bund gerieten. Und dadurch wurden im Grunde genommen die Zuständigkeiten der Länder ausgehöhlt. Mit der Wiedervereinigung hatten wir dann eine Bund-Länder-Kommission, eine Bund-Länder-Verfas

sungskommission. Die hat den Ländern wieder ein paar mehr Rechte eingeräumt.

Und wir sehen jetzt im Zuge der Globalisierung, im Zuge der EU-Osterweiterung die nächste Schicht, und das ist dann das zweite Problem, unser Verhältnis zu Europa. Je mehr der Bund über Europa und neue Strukturen in Europa verhandelt, desto größer ist die Gefahr für die Länder, dass sie mehr eingeengt werden. Und deshalb hängt das Problem der Stärke der Länder einerseits, wie ich es geschildert habe, von der innenpolitischen Situation in der Bundesrepublik ab, zum anderen aber auch von der neuen Situation in Europa.

Wir haben damals, Sie haben den Artikel 23 erwähnt, festgelegt, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, soll die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden, so dass heute schon Ländervertreter, allerdings Regierungsvertreter, in besonderen Fällen, in denen die Länder betroffen sind, am Verhandlungstisch in Brüssel sitzen – allerdings nur da, wo wir ausschließlich zuständig sind. Da, wo wir etwa in der konkurrierenden Gesetzgebung Luft und Spielraum haben, da soll die Bundesregierung das nur mit den Ländern abstimmen, kann aber alleine verhandeln. Und hier lauern meines Erachtens bei der Neuverhandlung der Verträge im Zuge der EU-Osterweiterung für die Länder erhebliche Gefahren.

Sie haben, Herr Neumann, völlig zu Recht gesagt, die Machtkonstellationen müssen austariert werden. Das werden sie aber nur, wenn die Länder auf ihrer Position beharren und sich nicht auf kaltem Wege was wegnehmen lassen. Deshalb müssen sich die Länder zu Wort melden, und zwar rechtzeitig zu Wort melden. Dem dient unser Antrag. Insgesamt ist er auf ein positives Echo gestoßen. Deshalb lassen Sie uns, auch wenn hier vieles noch sehr allgemein gehalten ist, in den Ausschüssen darüber diskutieren und hier den besten Weg finden, damit sich Mecklenburg-Vorpommern im Chor der anderen Länder zu Wort meldet und Berlin uns sozusagen nicht mehr und mehr an den Rand drängt! – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Danke schön, Herr Abgeordneter Helmrich.

Das Wort erhält jetzt der Abgeordnete Kuessner für die Fraktion der SPD. Bitte schön, Herr Kuessner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich mich an dieser Diskussion auf Bundesebene beteilige, will ich hier einen Beitrag bringen, auch wenn die Zeit heute zwar noch früh, für uns jedoch schon weit vorangeschritten ist.

Diese Reform des Föderalismus scheint ja ein Thema zu sein, das weit von den Bürgern weg ist. Sie wird in Deutschland leider sehr akademisch geführt. Der Gedanke, der immer wieder sehr schnell aufkommt, ist, dass es dabei um die Frage geht, wie das Steueraufkommen zwischen Bund und Ländern verteilt wird. Meines Erachtens geht es in dieser Phase der Diskussion nicht um diese Frage, sondern es geht, was auch angesprochen wurde, allein um die Zuständigkeiten auf den verschiedenen Ebenen – Europa, Bund und Länder. Sie müssen, und daran

müssen wir als Politiker hohes Interesse haben, neu geordnet werden. Es geht darum festzulegen, wer im Sinne der Bürgerinnen und Bürger mit welchen Kompetenzen und Aufgaben betraut wird. Diese Reform muss nach meiner Überzeugung eine zentrale Aufgabe derer sein, die wir auf Landesebene politisch tätig sind, gerade bei dem zusammenwachsenden Europa, weil sich die Gewichte sonst noch mal sehr verschieben können.

Der Antrag der CDU weist meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Es gibt Entwicklungen, die eine Diskussion über die Reform des Föderalismus notwendig machen. Die Verantwortlichkeiten und Entscheidungszuständigkeiten im föderalen System haben sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verändert. Die Länder haben immer mehr Zuständigkeiten an den Bund abgegeben, der Bund wiederum Kompetenzen an Europa. Mit dieser Verlagerung geht gleichzeitig eine enorme Politikvermischung einher, die Entscheidungsprozesse sind immer undurchsichtiger geworden. Die mangelnde Transparenz von Verantwortlichkeiten führt zur mangelnden Akzeptanz und Abwendung von demokratischen Entscheidungsprozessen. Das ist ein ernst zu nehmendes Problem für die demokratische Kultur in unserem Land. Die Bürgerinnen und Bürger können oft überhaupt nicht erkennen, welcher Politiker für welche Entscheidung steht. Viel liegt auch daran, dass wir als Landtagsabgeordnete Dinge in den Mittelpunkt unserer Diskussion stellen, die nicht wir, sondern Bundestagsabgeordnete entscheiden. Bei vielen politischen Entscheidungen müssen Länderebene und Bundesebene zusammen entscheiden und viele Entscheidungen werden in Europa getroffen. Manchmal nutzen Politiker dieses Kompetenzwirrwarr aus und schieben die Verantwortung, auch ihre eigene, auf die jeweils andere Ebene.

Wir müssen die Verantwortung für politische Entscheidungen klarer zuordnen, damit Wählerinnen und Wähler klar erkennen können, wer was entschieden hat. Die Entscheidungsprozesse müssen durchschaubar gemacht werden. Das ist eine Grundvoraussetzung für eine stärkere Beteiligung von Bürgern an der politischen Meinungsbildung.

Meine Damen und Herren, unser Grundgesetz verfolgte ursprünglich eine Konzeption, die auf starke Länderkompetenzen aufbaute. Herr Helmrich hat darauf hingewiesen. Deshalb hatten grundsätzlich die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung und der Bund nur in besonderen einzeln aufgeführten Fällen. Die Verfassungsrealität hat sich davon weit entfernt. Inzwischen ist es so, dass der Bundestag das Gesetzgebungsparlament ist. Die Länderparlamente können oft nur die Landesregierungen beim Gesetzesvollzug kontrollieren.

Man kann sich nun darüber streiten, wer Gewinner der Verschiebungen unserer föderalen Ordnung ist. Sicherlich haben die kontinuierlichen Kompetenzverlagerungen dem Bund ein unangemessenes Übergewicht im Bereich der Gesetzgebung verliehen. Einigkeit besteht auch, dass die Landesparlamente die eigentlichen Verlierer der andauernden Aushöhlung des föderalen Grundgedankens unseres Grundgesetzes sind. Ob aber die Landesregierungen durch ihre Entscheidungsbefugnisse im Bundesrat wirklich mehr Einfluss gewonnen haben und deshalb Gewinner der schleichenden Unitarisierung sind, ist schon schwieriger zu beantworten. Ich glaube, an Einfluss hat im Wesentlichen nur die Ministerialbürokratie der Länder gewonnen, die die Einzigen sind, die in Berlin oder Brüs

sel noch den Überblick haben, welche Entscheidungen getroffen worden sind,

(Beifall Dr. Henning Klostermann, SPD, Dieter Markhoff, CDU, und Wolfgang Riemann, CDU)

welche Entscheidungen sich gegenseitig bedingen und wie nunmehr entschieden werden soll. Aus eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen kann ich sagen, dass die Landesregierungen einer Erhöhung der Befugnisse der Länderparlamente durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen, weil es auch ihre politischen Gestaltungsmöglichkeiten erhöht. Es bestehen hier keine großen Gegensätze zwischen Landesparlament und Landesregierung.

Spannend ist die Frage, in welche Richtung eine Reform des Föderalismus gehen soll. Wie sollen die Kompetenzen neu geordnet werden? In welchen Bereichen brauchen wir mehr Landeszuständigkeiten und in welchen Bereichen mehr Bundeskompetenz?

In der Tendenz lässt sich die Frage sicher leichter beantworten als im Detail. Grundsätzlich müssen wieder mehr Kompetenzen durch die Länder wahrgenommen werden. Politische Entscheidungen müssen immer so dicht wie möglich vor den Augen der Bürgerinnen und Bürger getroffen werden. Entscheidungen dürfen nicht wie bisher fast schrankenlos von der höheren Ebene an sich gezogen werden mit der Begründung, dass wir in nahezu allen Bereichen im gesamten Bundesgebiet oder sogar in ganz Europa gleiche Regelungen brauc h e n.

Betrachtet man die Frage im Detail, erkennt man schnell, dass eine differenziertere Herangehensweise geboten ist. Auf der einen Seite fällt mir sofort die Bäderregelung ein, über die wir hier ja sehr oft diskutiert haben. Es ist für die Bürgerinnen und Bürger kaum nachvollziehbar, dass der Ladenschluss bundeseinheitlich geregelt ist und wir vor Ort kaum selbständige Regelungen treffen können, wann ein Geschäft öffnen kann.

(Beifall Beate Mahr, SPD, und Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Wäre es nicht sinnvoll, wenn jedes Land selbst entscheiden könnte, wann und wie Geschäfte öffnen können? Und wäre es nicht sinnvoll, wenn dann das Land den einzelnen Kommunen eine größere Entscheidungsbefugnis bei der Ladenöffnungszeit einräumt?

(Angelika Peters, SPD: Genau das ist es.)

Vor Ort kann doch am besten entschieden werden, ob die Sonntagsruhe durch geöffnete Geschäfte gestört wird oder nicht. Was schadet es, wenn die Geschäfte in den Gemeinden in Vorpommern länger öffnen als in bayerischen Gemeinden?

Andererseits gibt es Bestrebungen, die bundeseinheitliche Besoldung im öffentlichen Dienst aufzugeben und diese Kompetenz völlig den Ländern zu übertragen. Hier hätte ich Bedenken. Schon jetzt ist es leider so, dass junge Absolventen unserer Hochschulen oftmals eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst in den alten Ländern anstreben, weil dort eben 100 Prozent gezahlt werden. Wenn wir die Besoldungshöhe ganz in die Verantwortung der Länder stellen, könnten finanzkräftige Länder wie Bayern oder Hessen gezielt unsere guten Beamtinnen und Beamten abwerben, weil in den finanzstarken Ländern höhere Bezüge gezahlt werden können als in den finanz

schwachen Ländern. Dies hielte ich jedenfalls für unsere Entwicklung zurzeit für kontraproduktiv.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen auch sagen, was mich an dem Antrag der CDU stört. Er kommt im Grunde zu spät. Sie haben nach Schleswig-Holstein geguckt, was das Parlament dort zum Thema Föderalismus beschlossen hat. Wir haben am 16. Mai 2000 hier im Landtag eine Veranstaltung mit Professor Benda und Professor Arndt von der Bertelsmann-Kommission durchgeführt. In dieser Veranstaltung, an der Vertreter aller Fraktionen teilgenommen haben, ging es genau um das Thema Reform des Föderalismus. Inhaltlich wurden dabei die Vorschläge, die Sie heute in Ihrem Antrag unterbreiten, schon vorgestellt. Ich hätte mir gewünscht, dass damals eine parlamentarische Initiative gestartet worden wäre. Das haben wir alle nicht gemacht.

(Wolfgang Riemann, CDU: Da sind wir immer noch früher als die beiden anderen Fraktionen.)

Insofern ist es sicher gut, dass Sie die Initiative ergriffen haben. Jetzt kommen Sie allerdings mit dem Antrag von Schleswig-Holstein und kommen da an einer Stelle wirklich zu spät. Sie fordern, dass die Landesparlamente in die Mitarbeit der Bund-Länder-Kommission zur Föderalismusreform einbezogen werden sollen. Diese Forderung hat der Landtag von Schleswig-Holstein aufgestellt. Er hat sie rechtzeitig erhoben, nämlich vor der entsprechenden Konferenz der Ministerpräsidenten. Frau Simonis hat diese Forderung dann auch dort eingebracht

(Wolfgang Riemann, CDU: Und sie ist abgelehnt worden.)

und ist damit deutlich gescheitert.

(Wolfgang Riemann, CDU: Die ist abgelehnt worden. Richtig.)

Was soll es, die gleiche Forderung jetzt noch einmal zu erheben, wenn die Entscheidung bereits gefallen ist?

(Wolfgang Riemann, CDU: Da müsste man mal wissen, wie un- sere Landesregierung da gestimmt hat.)

Außerdem – und das, denke ich, sollte mal diskutiert werden – bin ich gar nicht so sicher, ob die Landesparlamente unbedingt in dieser Kommission vertreten sein müssen. Es geht uns doch darum, dass unsere Interessen in der Bund-Länder-Kommission zu Gehör kommen. Da stellt sich die Frage, wie wir die Interessen des Landtages am wirkungsvollsten einbringen. Geschieht das, indem der Landtag einen Vertreter entsendet, der in der Kommission sitzt und versucht, die Landes- und Landtagsinteressen durchzusetzen? Oder geschieht das vielleicht sogar besser dadurch, dass der Landtag sich in seiner Gesamtheit mit der Materie öffentlich befasst und gegebenenfalls durch einen Beschluss die Landesregierung auffordert, sich in bestimmter Art und Weise in der Kommission einzusetzen?

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja, dazu müs- sen wir uns dann auch damit befassen.)