Meine Damen und Herren! Ich bitte Platz zu nehmen und begrüße Sie zur 77. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Sie wird heute erstmals nach den Regeln unserer neuen Geschäftsordnung ablaufen.
Zunächst möchte ich Sie auf eine Veränderung hinsichtlich der Ihnen zugegangenen vorläufigen Tagesordnung aufmerksam machen: Gemäß Paragraph 73 Absatz 1 Geschäftsordnung des Landtages habe ich im Benehmen mit den Fraktionen die Beratung des Tagesordnungspunktes 4 von der Tagesordnung abgesetzt. Entgegen den Erwartungen ist bislang eine Verkündung des Naturschutzgesetzes, die Paragraph 65 des vorliegenden Gesetzentwurfes voraussetzt, noch nicht erfolgt. Die Zweite Lesung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfes der Landesregierung „Entwurf eines Erstes Gesetzes zur Änderung des Landesnaturschutzgesetzes“ wird deshalb für die Aprilsitzung vorgesehen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 77. und 78. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung mit der soeben von mir mitgeteilten Änderung als festgestellt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Herrn Minister Dr. Backhaus, der heute seinen Geburtstag feiert, aber leider nicht hier ist, herzlich gratulieren, ich denke, auch in Ihrer aller Namen.
Da der Tagesordnungspunkt 4 abgesetzt ist, werden wir heute eine Mittagspause machen, so dass auch der Finanzausschuss während der Mittagspause tagen kann.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der PDS hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Solidarischen Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten“ beantragt.
Aktuelle Stunde Solidarischen Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gesundheitspolitik kommt aus den Schlagzeilen nicht mehr heraus. Sie ist krank. Die Arzneikosten laufen davon. Mecklenburg-Vorpommern steht da besonders in der Kreide. Die Beitragssätze steigen. In Mecklenburg-Vorpommern betragen sie für die gesetzliche Krankenversicherung 14,47 Prozent. Ärztemangel, gar Ärztenotstand wird prognostiziert,
Nach wie vor gibt es einen erheblichen Investitionsstau bei den Krankenhäusern. Die Krankenkassen sind verschuldet. Der Schuldenberg der ostdeutschen Krankenkassen betrug 1998 800 Millionen Euro. Betroffen sind hier vor allem die Allgemeinen Ortskrankenkassen Ost, aber auch die Ersatzkrankenkassen melden Gleiches.
Seit Jahrzehnten scheitern die Versuche der Bundesregierungen, durch eine Gesundheitsreform diesen Problemen zu begegnen. Die Einführung des Risikostrukturausgleiches noch unter Gesundheitsminister Seehofer war ein Schritt in die richtige Richtung. Umso mehr verwundert es doch, dass jetzt die Parteifreunde von Herrn Seehofer diesen Schritt beklagen.
Der Risikostrukturausgleich ist gleichzeitig mit Beginn des Kassenwettbewerbes 1996 eingeführt worden, um die Startchancen für alle Kassen in etwa vergleichbar zu machen.
Unterschiede bei den Faktoren Grundlohn, Alter, Geschlecht, Anzahl der mitversicherten Familienangehörigen sowie bei der Anzahl der in einer Kasse versicherten Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrentnerinnen und -rentner sollten durch dieses Instrument ausgeglichen werden.
Der Risikostrukturausgleich ist ein zentraler Bestandteil der Krankenversicherung geworden und er gleicht tatsächlich die unterschiedlichen Bedingungen zwischen Ost- und Westdeutschland solidarisch aus. Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für einen fairen Wettbewerb. Dieser Risikostrukturausgleich wurde weiter ausgestaltet durch die Aufhebung der Trennung der zwei Rechtskreise, nämlich Ost und West. Der Ausgleich zwischen den Kassen erfolgt nunmehr bundeseinheitlich. Ich nenne dieses Verfahren fair und richtig.
Wenn man sich die zu erwartenden Transferleistungen im Jahr 2002 ansieht, wird deutlich, dass es eben nicht nur einen Ausgleich zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland gibt. Nein. Von der Neuregelung durch den momentanen Wettbewerb um gesunde, junge und zahlungskräftige Mitglieder profitieren auch Kassen im Süden und im Norden unseres Landes. Natürlich hilft diese Regelung vor allen Dingen dem Osten.
Ich erwähnte schon, 1998 betrug der Schuldenberg der Ostkassen 800 Millionen Euro. Das ist ein Betrag, den diese Kassen aus eigener Kraft niemals hätten zurückzahlen können. Durch die Einführung des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleiches konnte die Verschuldung auf 200 Millionen Euro gesenkt werden.
Darüber hinaus vergessen wir bitte auch nicht, dass es eine Reihe von Menschen gab, die ihre Kassenbeiträge im Westen des Landes gezahlt haben, aber im Osten die Leistungen bekamen. Dieses wurde mit der Einführung des Wohnortprinzips geändert.
Letzten Sommer nun haben die Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage gegen den Risikostrukturausgleich eingereicht. Diese ist uns in Mecklenburg-Vorpommern im Januar diesen Jahres erst zugestellt worden. Die Klage richtet sich gegen die gesamte Regelung des Risikostrukturausgleiches mit länderübergreifenden Wirkungen und sie richtet sich gegen die Transfers der Krankenkassen des alten Bundesgebietes zu denen der neuen Bundesländer. Das Ziel, so steht es in der Begründung der Klage, besteht darin, die Aufhebung der Rechtskreise-Trennung für verfassungswidrig zu erklären. Am Ende geht es darum, dass der gesamtbundesdeutsche Ausgleich verhindert werden soll. Hier geht es also nicht nur um die Klärung verfassungsrechtlicher Belange der Bund- und Länderzusammenarbeit, auch nicht um die Interessen der einzelnen Kassen der Regio
nen. Nein, diese Klage ist ein Angriff auf die solidarische und soziale Krankenversicherung der Bundesrepublik Deutschland.
Denn, meine Damen und Herren, der gesamtdeutsche Risikostrukturausgleich ist unerlässlich. Dafür steht die Summe, die für 2002 zu erwarten ist. Es handelt sich um ein Volumen von rund 2,6 Milliarden Euro, die die ostdeutschen gesetzlichen Krankenkassen dringend brauchen. Damit kann entschuldet werden und können die überhöhten Versicherungsbeiträge in Ostdeutschland zukünftig an ein gesamtdeutsches Niveau angeglichen werden. Das ist doch die Situation. Bei einem Wegfall dieser Transferleistungen müssten 2,6 Milliarden Euro von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern in Ostdeutschland hereingeholt werden – die eine Hälfte von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und die andere Hälfte von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Das wiederum würde ja natürlich die Wettbewerbssituation am Standort Ost beeinflussen, wenn man die Einkommensverhältnisse und die wirtschaftliche Situation insgesamt berücksichtigt.
Gegenwärtig – ich nannte es – liegen die Kassenbeiträge im Sockel von 13,5 bis 14,9 Prozent. Bei einem Wegfall der Transferleistungen könnte sich dieser Beitragssatz im Extremfall auf 20 Prozent steigern. So viel zur Entwicklung der Lohnnebenkosten in Ostdeutschland!
Meine Damen und Herren, deshalb ist dieser Risikostrukturausgleich unentbehrlich. Er ist solidarisch und hat sich als gesamtdeutsche Lastenverteilung grundsätzlich bewährt. Die Länderregierungen von Bayern, BadenWürttemberg und Hessen beklagen nun ihre Lastenverteilung und kündigen die Solidargemeinschaft auf. Nicht nur für mich stellt sich da die Frage nach der Glaubwürdigkeit eines Kanzlerkandidaten und bayerischen Ministerpräsidenten. Gerade verkündete er noch: „Es ist eine nationale Verpflichtung, dass es dem Osten besser geht.“ Recht hat er. Das steht auch seit zwölf Jahren im Einigungsvertrag. Wer aber dann gleichzeitig gegen den Risikostrukturausgleich klagt, macht genau das Gegenteil.
Er will den Ausstieg aus der Solidarität zwischen alten und neuen Bundesländern. Er will bewusst und gewollt die Solidarität der Kassen West mit den Kassen Ost aufheben.
Meine Damen und Herren, ich weiß auch, dass diese Solidarität nicht überfordert werden darf. Diese Überforderung wird aber nicht eintreten. Das garantiert eine Klausel in dem Gesetz zum Risikostrukturausgleich. Aber ich weiß auch, dass diese Solidarität doch nicht grundlos eingefordert wird. Wir haben stets auf die prekäre Einnahmesituation der Kassen hingewiesen. Wir wissen, dass diese Situation nicht von ihnen selbst verschuldet worden ist. Die Ursachen sind doch bekannt. Ich will hier einige nochmals benennen: Ein sehr großer Anteil von Rentnerinnen und Rentnern, eine sehr hohe Arbeitslosenquote, viel mehr Härtefälle und – machen wir uns doch nichts vor – die Stagnation der Wirtschaft im Osten sowie die Abwanderung gerader junger Menschen in die alten Bundesländer, um Arbeit zu finden, tun doch ihr Übriges.
Wer vor diesem Hintergrund den Risikostrukturausgleich abschaffen will, zeigt, dass ihn die Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen zwischen Ost und West
Meine Damen und Herren! Ich will auch sagen, wir beschäftigen uns hier mit einer Detailfrage der gesetzlichen Krankenkassen, mit einer sehr wichtigen. Notwendig wäre es jedoch, sich grundsätzlich mit der Einnahme- und Ausgabensituation, aber auch mit der Struktur der gesetzlichen Krankenkassen zu befassen. Meine Überlegungen gehen zur Schaffung einer Einheitskasse. Diese Überlegung ist im Gegensatz zu den unsozialen und unsolidarischen Vorschlägen von Stoiber & Co ein konstruktiver Beitrag für eine notwendige gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema. Während die Klage führenden Länder ihre finanziellen Eigeninteressen vor die Beseitigung sozialer Unterschiede stellen, verteidigen wir, verteidigt die PDS die sozialstaatlichen Grundprinzipien des Gesundheitswesens. Wir stehen für eine solidarische, bedarfsorientierte Gesundheitssicherung mit dem medizinisch Notwendigen für alle. Eine zukünftige Einheitskasse würde diesen Grundprinzipien gerecht werden.
Der Risikostrukturausgleich soll zwischen den Kassen und somit zwischen den Versicherten differenziert wirken. Für eine Risikodifferenzierung gibt es zwei Möglichkeiten: zum einen den Preiswettbewerb zwischen den Kassen, der in letzter Konsequenz im Wettbewerb um die gut Verdienenden und Gesunden geführt wird, oder zum anderen durch die schrittweise Bildung einer bundesweit einheitlichen zuständigen gesetzlichen Kasse.
Lassen Sie uns also gemeinsam über diese Vorschläge diskutieren, aber gemeinsam kämpfen gegen die Auflösung des Solidarprinzips in der Gesundheitsversorgung für Ostdeutschland!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es ist nicht zu glauben: Schon wieder versuchen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen einen Keil zwischen Ost- und Westdeutschland zu treiben,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Christian Beckmann, CDU: Das ist unerhört! Das sind doch die Quertreiber!)
schon wieder versuchen sie sich aus ihrer Verantwortung für die bundesdeutsche Solidargemeinschaft zu stehlen!
(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU: Das war doch Eichel. – Wolfgang Riemann, CDU: Herr Eichel war das doch. – Dr. Ulrich Born, CDU: Genosse Eichel war da am Werk.)
Bayern, Baden-Württemberg und Hessen wollten den Ost-West-Finanzausgleich der gesetzlichen Krankenkassen kippen, und das, meine Damen und Herren, lassen wir nicht zu!
dass es sicherlich im internen bundesweiten Ausgleich einer Kassenart in Deutschland Diskussionsbedarf gibt.
In diesem Zusammenhang versucht Herr Rehberg ja ständig Nebelkerzen zu werfen und vom eigentlichen Problem abzulenken. Und das wird er auch heute wieder tun.