Schiffs- und Flugunfälle sind überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Nach Flugzeugunfällen wird versucht, mit Hilfe der Blackbox und der Überreste des Flugzeuges den Unfallverlauf zu rekonstruieren. Fast ausschließlich steht dabei die hochkomplizierte technische Aufklärung im Vordergrund. Im Gegensatz dazu beruhen 80 Prozent aller Seeunfälle auf menschlichem Versagen. Bei Flugzeugkatastrophen, bei denen es in der Regel leider keine Überlebenden gibt, geht es also um die technische Analyse komplex ineinandergreifender Systeme, in der Seeschifffahrt aber um die Bewertung menschlichen Verhaltens bei der Ursachenermittlung.
In der Gesetzesbegründung ragt neben haarsträubenden Formulierungen auch die Kritik am derzeitigen Seeamtsverfahren heraus. Das Verfahren sei nicht akzeptabel, weil es ein „hoheitlich richtendes“ Verfahren sei. Damit wird unterstellt, dass es eine Tendenz zur Konzentration der Unfalluntersuchungen auf das Bordpersonal gebe. Auch das ist falsch. Eine der wichtigsten Neuregelungen im derzeitig geltenden Seeunfalluntersuchungsgesetz war die rechtliche Möglichkeit, außer der Besatzung Reedereien, Werften und Verwaltungen als direkte Beteiligte anzusehen und zu den Verhandlungen zu laden.
Auch der Wasserschutzpolizei wird von Rot-Grün unterstellt, dass sie nicht „unvoreingenommen“ sicherheitsrelevante Tatsachen und Ursachen im Auge hat. Ja, wer dann, wenn nicht die Wasserschutzpolizei?!
Beanstandet wird auch, dass infolge eines Seeunfalls den Beteiligten sofort Patente vom Seeamt entzogen werden können. Aber gerade das ist doch eine sofortige und in die Zukunft gerichtete Maßnahme zur Verbesserung der Schiffssicherheit.
Kritisiert wird von Rot-Grün auch die Besetzung der Seeämter, also ein Jurist und zwei Beisitzer mit nautischem und technischem Sachverstand. Aber gerade die ist doch sachgemäß, weil die Vernehmung von Beteiligten und Zeugen bei Seeunfalluntersuchungen im Vordergrund stehen muss. Dafür wird eine juristische Ausbildung benötigt.
Die Transparenz der Entscheidungen der Seeämter gehört zu den Vorzügen des 15 Jahre alten Seeunfalluntersuchungsgesetzes. Deswegen wurde gegen Seeamtssprüche nur äußerst selten Widerspruch eingelegt. Die bisherigen Ermittlungen der Ursachen waren und sind für Reeder und Versicherer von großer Bedeutung. Das sind zentrale Punkte bei weiteren vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen, die nach einem Unfall zwingend zu erledigen sind.
Gerade die Öffentlichkeit zwingt das Seeamt und alle Beteiligten zur Objektivität. Mit fehlender Öffentlichkeit geht nicht nur Objektivität, sondern auch Rechtsstaatlichkeit verloren. Die internen und nicht öffentlich geführten
Untersuchungen zum „Estonia“-Untergang haben aus der Sicht aller Experten nicht zum Rechtsfrieden in Skandinavien und Estland beigetragen. Sogar die Meyer Werft sah sich genötigt, eine eigene Untersuchungskommission einzusetzen.
Die Kernargumente der Befürworter für den im Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf, denke ich, habe ich damit dargelegt. Sie sind nicht zutreffend und das ist auch nicht mit der bestehenden Gesetzeslage so direkt zu vergleichen. Die Argumente der Bundesregierung, die uns in diesem Gesetz vorgehalten werden, sind für uns an der Küste nicht überzeugend. Sie sind weder stichhaltig noch praktisch im Sinne der Verbesserung der Schiffssicherheit.
Das derzeitige Seeunfalluntersuchungsgesetz entspricht grundsätzlich dem internationalen Standard. Für die Ergänzung an die Erfordernisse des IMO-Codes und der EG-Richtlinie bedarf es nur der Zustimmung zu der, denke ich, uns allen bekannten Empfehlung der fünf norddeutschen Küstenländer und ich denke, dass dieses Parlament wenigstens abschließend zu dieser Empfehlung steht. Und die steht im Gegensatz zu diesem Gesetz der Bundesregierung. Ich bitte Sie deshalb namens meiner Fraktion um Zustimmung zu unserem Antrag und insgesamt um Ablehnung des von der Bundesregierung vorgelegten Seeunfalluntersuchungsgesetzes und natürlich um ein dementsprechendes Abstimmungsverhalten im Bundesrat. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns hier alle einig, dass das Seeamt in Rostock erhalten bleiben muss.
Das Seeamt in Rostock hat zwei Beschäftigte und die leisten gute Arbeit. Und deshalb habe ich mich auch für den Erhalt des Seeamtes eingesetzt und von der Bundesregierung die Zusage erhalten, dass das Seeamt in Rostock erhalten bleibt.
Diesen Teil des Antrages, meine Damen und Herren – jetzt wollt ich gerade Herrn Thomas ansprechen –, …
Diesen Teil Ihres Antrages, Herr Thomas, hat die Landesregierung damit schon ohne Ihre Aufforderung abgearbeitet. Da hätten Sie sich vorher informieren können.
Meine Damen und Herren, mit der Neufassung des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes will die Bundesregierung das Verfahren zur Seeunfalluntersuchung ver
ändern. Ein Kernpunkt dabei ist die Schaffung einer Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung. Außerdem soll das öffentliche Seeamtsverfahren abgeschafft werden. Das neue Verfahren wäre dann ähnlich dem bei Bahn- und Flugunfällen. Darum geht der Streit und dagegen gibt es Widerstand aus den Ländern.
Verkehrs- und Innenausschuss des Bundesrates haben sich deshalb für die Anrufung des Vermittlungsausschusses ausgesprochen. Unser Ziel war und ist es, eine gemeinsame Position der Küstenländer zu erreichen. Die Küstenländer können nur dann ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, wenn sie mit einer Stimme sprechen. Und darum bemühen wir uns gegenwärtig. Wenn wir eine gemeinsame Position hinbekommen, könnte das die Grundlage sein für einen Plenarantrag zur Sitzung des Bundesrates am 22. März 2002. Nur wenn wir uns einig sind, können wir damit Erfolg haben.
Meine Damen und Herren, die Sicherheit auf See, das ist ein wichtiges Thema gerade für ein Küstenland wie Mecklenburg-Vorpommern. In diesem Zusammenhang hat auch die Untersuchung von Unfällen auf See große Bedeutung. Unfallursachen müssen ermittelt werden, damit idealerweise Unfälle zukünftig vermieden werden können. Bei der Untersuchung von Unfällen kann sich auch herausstellen, dass Vorschriften geändert werden müssen, um mehr Schiffssicherheit zu erreichen. Die Seeunfalluntersuchung muss deshalb so organisiert werden, dass die Sicherheit auf See im Mittelpunkt steht. Daran darf es auch in Zukunft keine Abstriche geben und das ist das Ziel, an dem wir alle gemeinsam arbeiten müssen. – Danke sehr.
Ich weiß nicht, warum Herr Thomas sich bemühen muss, uns die Zustimmung zu diesem Antrag noch ohne Not schwer zu machen,
denn im Inhalt sind sich alle Fraktionen einig. Sie wollen, dass das Untersuchungsergebnis, das Ergebnis von detaillierten technischen Untersuchungen, von Befragungen, von Ermittlungen bei Seeunfällen, tatsächlich in einem öffentlichen Verfahren dargestellt und verhandelt wird. Dies ist der Kernpunkt der Forderungen bezüglich des vorliegenden Gesetzentwurfes der Bundesregierung. Und da sage ich mal, ich weiß nicht, ob es nun rot-grüne Landeier waren, aber ich weiß auf alle Fälle, es gibt auch schwarze. Und auf alle Fälle sind alle Blau-Weißen solche Landeier. Und da ist es vielleicht auch verständlich, wenn man auf den Gedanken kommen könnte, das System der Flugunfalluntersuchung dem der Seeunfalluntersuchung gleichzusetzen. Ich denke, es lohnt sich und wir müssen uns dieser Aufgabe stellen, uns die sehr detaillierte Begründung der Bundesregierung, weshalb sie für ein nichtöffentliches Verfahren ist, genau anzugucken und hier tatsächlich auch im Detail zu argumentieren. Denn diese Argumente sind sehr umfangreich und, da gebe ich
dem Antragseinreicher auch Recht, manchmal haarsträubend, bei mir ist die Gefahr allerdings nicht so groß. Trotzdem möchte ich Sie mit einigen Punkten der Drucksache 14/6455 vertraut machen.
Dort wird die Frage zur öffentlichen Verhandlung entschieden verneint, und zwar mit folgendem Argument: „Unter rechtsstaatlichen Aspekten unterliegt es keinem Zweifel, dass das erst vor kurzem im Rahmen des Flugunfall-Untersuchungs-Gesetzes von 1998 festgelegte Untersuchungsverfahren auch ohne eine öffentliche mündliche Verhandlung die gebotenen Anforderungen erfüllt.“ Tolle Begründung! Tolles Argument! „Unter rechtsstaatlichen Aspekten unterliegt es keinem Zweifel“ – wenn das tatsächlich so wäre, denke ich mal, bräuchten wir uns alle hier nicht zu unterhalten und auch die anderen Küstenländer nicht zu argumentieren.
Zweites Argument: Mit dem zwingenden Erfordernis der Unabhängigkeit der Untersuchungsbehörde wäre es unvereinbar, wenn man ein öffentliches Verfahren machen würde. Da frage ich mich doch: Was machen wir denn in den Strafgerichtsprozessen? Abhängige Gerichtsbarkeit, weil sie öffentlich stattfinden? Also dieses Argument ist bei weitem haarsträubend.
Nächstes Argument: Die öffentliche Verhandlung im Seeamtsverfahren wird zwar verbreitet als Verbürgerung von Rechtsschutz im Sinne von Transparenz und Erleichterung der Akzeptanz und insofern als ein Beitrag zum Rechtsfrieden angesehen. Völlig richtig. Dagegen ist die Öffentlichkeit der Verhandlungen in dem sicherheitspolitisch sensiblen, jetzt durch ISN-Pflichten geprägten Verhältnis zwischen den Reedern und ihrem Bordpersonal oft problematisch.
Er will uns sagen, dass, wenn das Bordpersonal in einer öffentlichen Verhandlung aussagt, der Reeder hat Mist gebaut, sie das deshalb nicht sagen, weil sie um ihren Job fürchten. Das ist das Argument. Da frage ich mich mal wieder, was soll die Öffentlichkeit der Verhandlungen im Gerichtsverfassungsgesetz.
Nächstes Argument, das aufgeführt wird: Diese Form der Seeunfalluntersuchungen sei Teil einer modernen kooperativen Sicherheitskultur. Diese moderne kooperative Sicherheitskultur würde sich durch Folgendes auszeichnen – ich habe meiner Kollegin Frau Muth versprochen, den Satz hier vorzulesen:
„An die Stelle des Streitregulativs ‚mündliche Verhandlung‘ tritt in der Verkehrsverwaltung das Sicherheitsregulativ der Produktion von Expertenwissen und Qualitätsressourcen, sicherheitsorientierter Sachkompetenz sowie der Sicherheitspartnerschaft der Verantwortlichen …“
(Beifall Dr. Gerhard Bartels, PDS – Torsten Koplin, PDS: Spitzenmäßig! – Barbara Borchardt, PDS: Gut vorgelesen. Und weil sie es nicht verstehen, sind sie nicht da.)
Was mag der sagen? Er sagt: „(‚Von Konfrontation zur Kooperation‘)“. Er sagt also aus, wir wollen nicht in einem Prozess Ankläger und Beklagten, die beide aus ihrer Sichtweise mit ihren Mitteln, mit ihren Rechten gemeinsam um das richtige Ergebnis ringen, sondern wir wollen in einer Sicherheitspartnerschaft der Verantwortlichen zu einer Kooperation kommen.
(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Das habe ich aber immer noch nicht verstanden. – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)