Protokoll der Sitzung vom 29.05.2002

Und gerade sie sind so wichtig für dieses Land. Und die CDU bildet sich doch tatsächlich ein – oder tut sie nur so, das kann ja auch sein –, mit einem Familiengeld von 600 Euro dieses Problem lösen zu können. Meine Damen und Herren, also das kann doch nun wirklich nicht Ihr Ernst sein!

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das haben sogar die Wissenschaftler gesagt, dass das keine Lö- sung ist. – Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Letztlich ist das doch nichts anderes als eine Prämie à la CDU an die Frauen, bloß nicht im Beruf zu bleiben, sondern schön an Heim und Herd zu bleiben.

(Sylvia Bretschneider, SPD: Na Klasse! Tolle Aussichten für die Frauen in Mecklenburg-Vorpommern!)

Das ist Ihr Verständnis von Politik und Integration.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das haben die Wissenschaftler im Sozialausschuss bestätigt, was Sie da gesagt haben. – Zurufe von Nils Albrecht, CDU, und Harry Glawe, CDU)

Das sage ich Ihnen. Das ist mit uns nicht zu machen, das können Sie glauben!

(Harry Glawe, CDU: Besser, als 53.000 Sozial- fälle zu produzieren hier in Mecklenburg-Vorpom- mern und 60.000 Langzeitarbeitslose zu haben.)

Wir haben einen grundsätzlich anderen Ansatz von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und glauben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union,

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

die Mehrheit der Frauen in diesem Land sieht das auch so.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie wüssten, welch lächerliches Bild Sie von hieraus abgeben mit Ihren Zwischenrufen manchmal.

(Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU – Harry Glawe, CDU: Jaja. – Nils Albrecht, CDU: Da könnte ich Geschichten erzählen.)

Meine Damen und Herren, wir beschönigen nichts und wir reden auch nichts schön. Wir zählen Fakten auf und halten dann dagegen, wenn Politiker wie Sie

(Harry Glawe, CDU: Sie haben doch Realitätsverlust. Das ist doch Ihr Problem.)

und auch andere dieses Land, für das wir alle ein gerüttelt Maß an Verantwortung tragen, und zwar jeder an seiner Stelle,

(Harry Glawe, CDU: Warum machen Sie dann nicht mehr?!)

wenn solche Leute wie Sie, die ich gerade ganz konkret auch gemeint habe, dieses Land überall bei allen unpassenden und passenden Gelegenheiten schlechtreden, den gequälten Jammerton von sich geben

(Harry Glawe, CDU: Da kann einem schon schlecht werden, was Sie da reden.)

und sich selbst jede Motivation wegreden und – viel schlimmer –

(Wolfgang Riemann, CDU: Ihre Politik ist schlecht. Dieses Land ist wunderschön.)

nicht nur ihre eigene Motivation wegreden, sondern auch die vieler engagierter Bürgerinnen und Bürger, Unternehmer und Gewerkschafter,

(Harry Glawe, CDU: Ihre ganzen Wahlverspre- chen, die Sie gebrochen haben, die müssten wir mal auflisten. Dann wird allen schlecht.)

von Studenten und Professoren, Frauen und Männern kaputtreden. Anpacken müssen alle. Und dass es nicht

leicht wird, die Probleme der Bevölkerungsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern zu lösen, das wissen wir auch alle. Es hilft uns nur herzlich wenig, wenn wir uns laut sagen – das ist ja Ihr Ziel und Sie praktizieren es –, mein Gott, geht es uns schlecht. Ich sage Ihnen, damit kriegen wir überhaupt nichts hin.

Und in dieser Phase ist für die Menschen dann erkennbar, dass es einer sinnvollen Verbindung von Wirtschaft und Arbeit auf der einen und sozialer Gerechtigkeit auf der anderen Seite bedarf.

(Harry Glawe, CDU: Man sieht’s! Sie und soziale Gerechtigkeit!)

Und für diese Verbindung steht niemand mehr als die SPD

(Wolfgang Riemann, CDU: Das glaubt Ihnen doch keiner mehr. – Harry Glawe, CDU: Was Sie alles gestrichen haben!)

und diese Koalition, denn wir sind ein verlässlicher Partner der Menschen in diesem Land, meine Damen und Herren.

(Harry Glawe, CDU: Wohlfahrtsverbände eingekürzt, Klinikbauten reduziert! Das ist Ihre Bilanz, das ist toll!)

Eins will ich Ihnen abschließend dann doch noch mit auf den Weg geben und Ihnen sogar Recht geben, man höre und staune, sogar Ihrem Spitzenmann geben wir manchmal Recht: Natürlich gibt es in der SPD vernünftige Menschen, und zwar mehr als Sie glauben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Und das genau, lieber Kollege Rehberg, ist ja Ihr Dilemma, denn all diese vernünftigen Menschen in der SPDFraktion und in der SPD als Partei sehen nun wirklich überhaupt keinen Grund, warum sie sich ausgerechnet Ihnen an den Hals schmeißen sollten. Gemeinsame zukunftsweisende Politik für unser Land mit Ihnen, das ist Verspottung, das ist Hohn, das wird bei uns nicht passieren. Sie sagen den Menschen in diesem Land lieber: Der Letzte macht das Licht aus! Das ist Ihre Politik! – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS – Zuruf von Nils Albrecht, CDU)

Das Wort hat jetzt der Arbeitsminister Herr Holter. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Debatten der letzten Wochen zum Thema demographische Entwicklung vermittelten den Eindruck, es geht hier darum, den schwarzen Peter zu verteilen. Wer behauptet, die demographische Entwicklung im Lande sei Folge der derzeitigen Landespolitik, der erfüllt den Tatbestand der Verleumdung.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Er verleumdet scheinbar die Regierung, tatsächlich aber das Land mit seinen fleißigen und hart arbeitenden Menschen. Und er verkauft die Menschen für dumm oder für unfähig zu erkennen, was eine Landesregierung vermag und was sie in einer globalisierten Welt eben nicht vermag.

Selbstverständlich ist eine Tat nicht schon deshalb edel, hilfreich und gut, weil sie Regierungshandeln verkörpert

oder gar von der PDS initiiert ist. Das gilt für viele Themen, besonders aber für die demographische Entwicklung. Sie ist völlig ungeeignet als Wahlkampfthema, denn politische Weichenstellungen von heute in diesem Bereich zeigen Wirkung erst in der nächsten oder sogar erst in der übernächsten Generation. Das weiß doch jeder, der hier darüber spricht und der hier debattiert. Und die Menschen im Land können sehr wohl einordnen, was Politik kurzfristig zu bewirken vermag und was eben nicht. Sie lassen sich nicht einfach hinter das Licht führen, wie das mancher hier im Saale glauben mag. Ich plädiere dafür, dieses Thema sachlich anzugehen und nicht hysterisch.

Die demographische Entwicklung im Lande wollen und können wir nicht schönreden, aber wir dürfen eben auch keine Ängste schüren, indem wir den Abwanderungsteufel an die Wand malen. Die Tatsache, meine Damen und Herren, dass die Abwanderungen aus den anderen neuen Bundesländern sich kaum von unseren unterscheiden, ist wohl für niemanden, zumindest nicht für mich und auch nicht für meine Fraktion, wenn ich das sagen darf, ein Trostpflaster, wohl aber ein deutlicher Fingerzeig darauf, dass derartige Prozesse nahezu unabhängig davon verlaufen, welche Partei in den einzelnen Ländern gerade die Regierung stellt.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig.)

Vielleicht hören Sie sich, Herr Rehberg, einmal an, was Herr Milbradt, der neue sächsische Ministerpräsident, vor zwei Wochen in seiner Dresdner Regierungserklärung gesagt hat. Ich darf Herrn Milbradt zitieren: „Wir werden weniger und wir werden älter. … Entgegen der weit verbreiteten Ansicht ist dies jedoch weniger eine Folge der Abwanderung als vielmehr eine Folge der niedrigen Geburtenrate.“ „Selbst wenn die Ressource Jugend knapp wird“, so Milbradt im Originalton weiter, „ist das kein Grund, sich durch Zukunftsangst lähmen zu lassen. Auch mit einer älteren Bevölkerung haben wir Chancen. Auch sie kann sich im globalen Wettbewerb behaupten, wenn sie ihre Erfahrungen nutzt, wenn sie durch lebenslanges Lernen ihre Kreativität behält, wenn sie aber auch Liebgewonnenes immer wieder zugunsten des Besseren infrage stellt.“

(Barbara Borchardt, PDS: So was hat er gesagt?)

So redet Herr Milbradt in Sachsen, im CDU-alleinregierten Sachsen. Das klingt eben anders als ein CDUMöchtegern-Ministerpräsident hier in Mecklenburg-Vorpommern.

Schauen wir uns einige Fakten an! Ich meine schon, dass man fernab von Polemik, wie ich sie von Herrn Albrecht gehört habe – und meine Hoffnungen, Herr Albrecht, sind nun endgültig hin, ich habe Ihnen das schon mal gesagt –, also lassen Sie uns Fakten hören und sprechen. Am Beispiel der Berufsausbildung kann ich Ihnen das deutlich machen.

Wir, Mecklenburg-Vorpommern, sind das Bundesland mit der höchsten Ausbildungsplatzdichte im Vergleich aller Bundesländer. Der Anteil der Auszubildenden an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beträgt im Bundesdurchschnitt 5,6 Prozent – das sind Zahlen aus 1999 –, in den neuen Bundesländern 6,6 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 8,5 Prozent.

Mecklenburg-Vorpommern hat mit den höchsten Bevölkerungsanteil an jungen Menschen im Berufsausbildungs- und Berufseintrittsalter. Der Anteil der 18- bis

25-Jährigen an der Gesamtbevölkerung beträgt im Bundesdurchschnitt 7,9 Prozent, in den neuen Bundesländern 9,1 Prozent und bei uns 9,8 Prozent.