Protokoll der Sitzung vom 27.06.2002

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Norbert Baunach, SPD: Ja, danke, Frau Borchardt.)

Noch mal?

... die Einführung der Jobrotation als Regelinstrument, weil damit die Qualifizierung von Arbeitnehmern erleichtert wird und Arbeitslose wenigstens zeitweilig in Arbeit kommen und damit Kontakt zu einer konkreten Firma und einem konkreten Arbeitsplatz haben, Aufnahme von Zeiten in die Versicherungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit bei Mutterschaftsgeld, Kindererziehung, weil sich daraus Ansprüche ableiten, Abschaffung der ehrenamtlichen Regelung, die 14-Stunden-Regelung.

Das Job-AQTIV-Gesetz ist nun seit Januar 2002 in Kraft. Der langjährige Präsident der Bundesanstalt ist inzwischen durch den Vorstandsvorsitzenden abgelöst

worden, der ganz energisch, ach, nein, dynamisch, gleich ein paar Vorschläge in die Realität umgesetzt hat. Ein neues Gesetz, ein paar neue Köpfe, neue Ideen – prima, könnte man sagen. Leider, und deshalb haben wir, die Koalitionsfraktionen, diesen Antrag gestellt, helfen Schnellschüsse bezüglich der Reform der Bundesanstalt für Arbeit nicht.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Und ich kann mir schon vorstellen, dass unser Koalitionspartner insbesondere nach den Verlautbarungen über die Reform der Arbeitsförderung lange mit sich gerungen hat, ob dieser Antrag behandelt werden soll oder nicht. Wie schnell kann sich ein solcher Antrag zum Bumerang entwickeln? Aber – und das will ich an dieser Stelle auch gleich sagen – anders als noch vor 1998, als Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sich kaum einmal trauten, gegen Ihren damaligen Übervater in der eigenen Partei aufzubegehren, wollen wir uns frühzeitig einmischen. Für uns ist das selbstverständlich und gehört zum demokratischen und föderalen Ansatz dieses Staates. Deshalb melden wir uns heute zu Wort, debattieren unsere Positionen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag wollen wir die Landesregierung beauftragen – und das hoffentlich auch mit Stimmen der CDU-Opposition –, Initiativen zu ergreifen und zu unterstützen, die dem Wortlaut beziehungsweise dem Sinn dieses Antrages Rechnung tragen. Und Sie können sich auch sicher sein, dass wir die Landesregierung bei der Umsetzung dieses Antrages kritisch begleiten werden. Ich hoffe, dass alle diesem Antrag folgen.

Worum geht es im Einzelnen?

Erstens – und das halten wir für wesentlich – wollen wir, dass zukünftig an dem Grundsatz festgehalten wird, dass eine öffentliche Arbeitsvermittlung weiter stattfinden wird und die paritätische Arbeitslosenversicherung wichtiges Element des Sozialstaates ist und auch bleibt.

(Beifall Torsten Koplin, PDS)

Wer daran rührt, will den Sozialstaat abbauen.

(Torsten Koplin, PDS: Richtig.)

Zweitens. Wir halten es weiter für wichtig, dass insbesondere wir als Politikerinnen und Politiker immer wieder deutlich machen, die hohe Massenarbeitslosigkeit ist ein gesellschaftliches Problem und nicht das Problem des Einzelnen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Drittens. Zwang und Druck auf Erwerbslose schaffen keine Arbeitsplätze. Gemeinsam müssen wir darüber nachdenken, wie das Arbeitsplatzdefizit abgebaut werden kann, dass es immer besser ist, Arbeit zu bezahlen statt Arbeitslosigkeit, weil wir deshalb insbesondere in den neuen Bundesländern auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik nicht verzichten können und den so genannten zweiten Arbeitsmarkt auch weiterhin benötigen. Denken wir daran, im Landesarbeitsamt Nord, das neben unserem Bundesland auch Schleswig-Holstein und die Hansestadt Hamburg umfasst, besteht eine Schere zwischen im Mai 39.444 freien Stellen und 357.354 gemeldeten Arbeitslosen, also 9 potentielle Bewerber auf eine freie Stelle.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Für Mecklenburg-Vorpommern lautet das Verhältnis 10.944 freie Stellen und 164.740 gemeldete Arbeitslose oder 15 potentielle Bewerber auf eine freie Stelle. Dies macht natürlich auch die Dimension deutlich, in der wir uns bewegen, nicht nur in Ostdeutschland. Und eigentlich müsste jeder oder jedem auch klar werden, dass dieses Problem nur mit Beschäftigungsförderung gelöst werden kann. Jeder öffentliche Euro, ob als Transfer, Auftrag oder Förderung, muss zur Existenzsicherung führen und nachhaltige Wirkung erzeugen. Jede Regierung sollte lieber Arbeit finanzieren als Arbeitslosigkeit. Eine Abstrafung der Betroffenen bei vier Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen und insgesamt sieben Millionen fehlenden Arbeitsplätzen ist nicht nur absurd, sondern auch unsozial, gerade auch, wenn man die strukturellen Umbrüche in Ostdeutschland oder in anderen Regionen oder Branchen berücksichtigt. Seit wie vielen Jahren werden wie viele Milliarden D-Mark und nun Euro in die Subventionierung von Kohle, Schiffbau und Landwirtschaft investiert? Warum soll dies nicht auch für andere Modelle möglich sein?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Caterina Muth, PDS: Genau.)

Bei der Reform der Bundesanstalt muss es gelingen, die regionale Verantwortung zu stärken, den unterschiedlichen Bedarfen der Länder und Regionen Geltung zu verschaffen. Deshalb ist es auch aus unserer Sicht notwendig, die Länder stärker in die entsprechenden Entscheidungen einzubeziehen.

Die Abschaffung der Landesarbeitsämter ist, ohne eine entsprechend andere Struktur zu schaffen, die dieses Prinzip umsetzen kann, aus unserer Sicht der falsche Weg. Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon einmal arbeitslos war, wer sich schon mal arbeitslos melden musste. Aber jeder, der diese Erfahrung machen musste, wird nichts dagegen haben, wenn die Bürokratie und der Aufwand in diesem Zusammenhang abgebaut werden würden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Mehr Zeit für individuelle Beratung statt für Papier ist, so meinen wir, sinnvoll und notwendig. Auch diesbezüglich muss in Ruhe überlegt werden.

Zum Abschluss möchte ich uns gemeinsam auffordern zu prüfen, ob die Entscheidungen, insbesondere die, die wir diesbezüglich treffen werden, für uns persönlich auch als zumutbar erachtet würden. Wenn wir stärker daran denken und stärker berücksichtigen, dass Entscheidungen, insbesondere für sozial Benachteiligte, für uns selbst zumutbar sind, ist sicher eine Politik menschlicher zu gestalten, lebensnah und bürgernah. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD – Angelika Gramkow, PDS: Eine sehr gute Rede.)

Danke schön, Frau Borchardt.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Albrecht von der Fraktion der CDU.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Löckchen kommt jetzt. – Unruhe und Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Barbara Borchardt, PDS: Da können wir gleich gucken, ob die neue Frisur...)

Ach, Frau Borchardt!

(Barbara Borchardt, PDS: Ja, ja, wir sind alle sehr gespannt.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich ja, dass Sie meinen Auftritt hier immer sehr interessiert verfolgen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber ja! – Zuruf von Barbara Borchardt, PDS)

Das schafft natürlich auch Mut.

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Meine Damen und Herren! Sie haben davon gesprochen, Frau Borchardt, dass Sie sich rechtzeitig einmischen wollen. Rechtzeitig heißt bei Ihnen ganze 86 Tage – 87 Tage heute – vor der Bundes- und Landtagswahl und das heißt genau 1.340 Tage nach Amtsantritt der SPDgeführten Bundesregierung. Das ist für Sie rechtzeitig einmischen in ein Thema,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ach du meine Güte! – Barbara Borchardt, PDS: Es hat nichts geholfen, Herr Albrecht.)

meine Damen und Herren, das von der Überschrift her – „Reform der Bundesanstalt für Arbeit“ – natürlich ein wesentliches Thema trifft.

(Zuruf von Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Und vieles von dem, was da drinsteht, liebe Frau Borchardt, ist tatsächlich, der Wahrheit entsprechend, notwendig – keine Frage! – und ich möchte auch im Einzelnen darauf eingehen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Der Kopf darunter hat sich nicht geändert.)

Es ist wie gesagt schon deshalb bemerkenswert, dass das jetzt kommt, weil natürlich die Zeit, diese 1.340 Tage, nicht genutzt worden sind von der SPD-geführten Bundesregierung, um hier Arbeitsmarktpolitik zu betreiben im Sinne von mehr Arbeitsplätzen.

(Barbara Borchardt, PDS: Dass Sie nichts anderes sagen können, ist doch klar.)

Meine Damen und Herren, ich muss die Zahlen nicht wiederholen, die Frau Borchardt hier vorgetragen hat. Es ist ein Armutszeugnis, dass in dieser langen Zeit nicht wirklich etwas passiert ist. Ich möchte gar nicht weiter eingehen auf die ganzen Versprechen, die uns hier ‘98 mit auf den Weg gegeben,

(Barbara Borchardt, PDS: Wollen wir mal die CDU-Zahlen von 1998 rausholen?)

unterwegs korrigiert worden sind und wahrscheinlich auch nicht eingehalten werden können, meine Damen und Herren.

Die Frage der Überbürokratisierung muss gestellt werden, denn es muss abgebaut werden. Viele Menschen haben nicht nur ihre Arbeit verloren, viele Menschen haben auch den Glauben daran verloren, dass ihnen das Arbeitsamt wirklich helfen kann, einen neuen Job zu fin

den. Bestätigt wird dieses unter anderem auch durch den Sachverständigenrat der Bundesregierung, wenn er in seinem Jahresgutachten 2001/2002 ein zentrales Kapitel unter die Überschrift „Verpasste Reformchancen“ stellt und schreibt: „Am schwersten fällt der Bundesregierung das Umdenken und Umsteuern bei der Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik.“

Und trotz dieser Kenntnis der Defizite, liebe Kollegen, haben viele in der Verantwortung Stehende die Augen verschlossen und den Mund gehalten, so dass nun erst von außen her der eigentliche Reformprozess in Gang gesetzt wurde.

(Barbara Borchardt, PDS: Das ist doch Blöd..., äh, das ist doch Quatsch.)

Nein, meine Damen und Herren, die Aufdeckung dieser Tatsachen, die Sie hier beschrieben haben, was die Fälschung von Statistiken betrifft, wurde von außen angeregt und nicht durch die Leute,