Protokoll der Sitzung vom 11.09.2003

Die Chronik der Situation im Bereich der schulischen Bildung beginnt – ich kann nur das letzte halbe Jahr Revue passieren lassen – damit, dass im Mai 2003 bekannt wird, dass ein Entwurf für eine Änderungsverordnung für die

Verordnung zur Unterrichtsversorgung erstellt wurde und dass hier die Klassengrößen für Förderschulklassen erheblich vergrößert werden. Grund dafür sollten angeblich die gestiegenen Schülerzahlen in den Förderschulen sein. Dann kommt noch dazu, und wir wollen ja Ruhe haben, wir wollen in die Zukunft schauen, dass Referendare nur noch zum Halbjahr eingestellt werden. Alle Bewerber – wenn Sie sich das Schreiben, ich habe es hier schon mal zitiert, einmal angucken – bekommen ein Ablehnungsschreiben. Das heißt für mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Art und Weise, wie dieses Schreiben verfasst wurde, und mit diesem Signal, Herr Minister Metelmann, dass ein kompletter Jahrgang an Hochschulabsolventen damit aus dem Land getrieben wird.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Zum gleichen Zeitpunkt rollt eine Protestwelle von Eltern, Schülern und Lehrern mit Demonstrationen gegen die Sparpläne an. Die SPD sagt eine uneingeschränkte Rücknahme zu, der Minister spricht dagegen von einem neuen Förderkonzept. Meine Damen und Herren, was gilt denn nun? Kurz darauf der nächste Federstrich – oder soll ich eher sagen Schurkenstreich – in der Bildungspolitik: Die Regierung setzt die generelle Unterrichtsversorgung auf 97 Prozent herunter! Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder weiß, um eine 100-prozentige landläufige Unterrichtsversorgung zu erreichen, brauche ich eine rechnerische 104-prozentige!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: So ist es.)

Das heißt: Sie liegen sieben Prozent darunter, um den Unterricht an den Schulen sicherzustellen! Und wo wird gekürzt? Der Minister sagt, wir wollen die Kernfächer, die Kernkompetenzen stärken.

(Angelika Gramkow, PDS: Recht hat er!)

Herr Minister, Sie nehmen eine Stunde im Wahlpflichtbereich, im Förderbereich weg, aber Sie geben nichts für die Fächer Mathe, Deutsch und bei Fremdsprachen dazu. Wenn ich etwas stärken will, dann muss auch ich etwas dazu tun.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Sie nehmen nur etwas an einer Stelle weg! Damit stärke ich nicht! Schulprofilierung und Schulprogrammarbeit wird in vielen Fällen fast unmöglich gemacht. Übrigens hat dieses Streichen im Wahlpflichtbereich im Sekundarbereich I nachher noch Folgen bei der Unterrichtsversorgung, bei den Arbeitsverträgen mit den Lehrern. Am 2 6. Juni, auf Antrag der CDU, werden die Kürzungsvorschläge des Bildungsministers zurückgenommen. 92 Lehrerstellen im Förderschulbereich werden im Haushalt 2003/2004 durch eine globale Minderausgabe nahezu aller Ministerien finanziert. Die Pläne fürs nächste Jahr sind unklar.

Meine Damen und Herren, dieser Antrag hatte noch einen zweiten Teil, den haben Sie von SPD und PDS abgelehnt,

(Beifall Kerstin Fiedler, CDU)

und zwar haben Sie unseren Änderungsantrag zur 100prozentigen Unterrichtsversorgung abgelehnt. Wir sind finanzpolitische Realisten, wir haben dort nicht 104 Prozent reingeschrieben, sondern erst mal 100 Prozent, um die ärgsten Mängel an den Schulen zu lindern. Und jetzt?

Die Presseverlautbarungen der letzten Tage gehen in eine ganz andere Richtung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Halbwertszeit von Glaubwürdigkeit Ihrer Politik ist in diesem Land überhaupt noch gegeben?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Am 26. Juni lehnen Sie diesen Antrag ab und dann beginnt das neue Schuljahr. Die Reduzierung der Unterrichtsversorgung führt zu einem totalen Organisationschaos.

Herr Minister Metelmann, ich nehme mir mal die Freiheit, aus einem Brief zu zitieren, der von der Elternvertretung eines Gymnasiums in Torgelow kommt. Das sind ja diejenigen, die den Mut noch haben können, denn die Lehrer schweigen ja oftmals aus bekannten Gründen,

(Torsten Renz, CDU: Richtig.)

und sie haben geschrieben: „Mit Befremden haben wir über die Medien Ihre Äußerungen zum Schulstart 2003/2004 zur Kenntnis genommen. Wir, die Eltern der Klasse 8/3, möchten Ihnen hiermit unser Unverständnis darüber mitteilen. Die Realität, Herr Minister, an unserer Schule entspricht in keinster Weise Ihren Ausführungen.“ Und jetzt kommt es: „Im Kopernikus-Gymnasium ist nach nunmehr fast drei Wochen“ – das Schreiben ist vom 2. September datiert, Herr Minister Metelmann, und das Schuljahr begann am 18. August – „noch keine hundertprozentige Unterrichtsabsicherung gewährleistet. Unsere 8. Klasse hat noch keinen Unterricht in folgenden Fächern: Physik, Chemie, Religion beziehungsweise Philosophie.“ Und so weiter und so fort.

(Kerstin Fiedler, CDU: Genau. Das ist ein Skandal!)

„Durch den zurzeit gültigen Notstundenplan hat sich schon ein Defizit von 15 Fehlstunden angesammelt. Wie soll dieser Unterricht nachgeholt werden?“

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und die Schlussfolgerung der Eltern: „Wir machen uns große Sorgen, dass das gymnasiale Niveau immer weiter sinkt. Sollen unsere Kinder bewusst dumm gehalten werden? Es sind unsere Kinder, die morgen dieses Land regieren, die morgen und übermorgen diesseits oder jenseits der Arbeitslosenstatistik stehen.“

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister, Sie tragen die politische Verantwortung hierfür, für solche Elternbriefe! Übrigens, das ist kein Unikat.

(Gesine Skrzepski, CDU: Unglaublich, unglaublich!)

Ich könnte Ihnen noch viele solche Briefe zitieren. Herr Minister Metelmann, Sie sprechen davon, dass an 95 Prozent der Schulen der Unterricht normal verläuft. Wenn wir eine Strichliste für die Briefe führen würden, alleine für die Briefe, die wir bekommen haben, dann komme ich auf deutlich mehr als 5 Prozent der Schulen, wo nach Ihrer Meinung der Unterricht nicht gut angelaufen ist. Ich habe Ihnen das schon mal gesagt, dass ich allein in meinem Wahlkreis keine Schule kenne, in der am 18. August alles geklärt war, so, wie es sich gehört.

(Kerstin Fiedler, CDU: Richtig!)

Und was sind die Ursachen? 200 Stellen fallen aufgrund der dreiprozentigen Kürzung der Unterrichtsversorgung weg! Lehrer wissen zum Schuljahresende nicht, wo und wen sie im August unterrichten werden! Ich will die Lehrerinnen und Lehrer nicht in einen Wattebausch packen, aber Sie müssen sich das mal menschlich vorstellen: Anfang Juli wissen sie noch nicht, was sie am 18. August machen sollen. Da müssen Sie sich auch mal den Menschen „Lehrer“ angucken, mit welcher Motivation der am 18. August wieder das neue Schuljahr beginnt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Der Lehrerjob ist kein einfacher Job, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die GEW spricht von einer Bildungskrise. Ich habe noch nicht erlebt, dass die GEW in diesem Land besonders CDU-freundlich ist.

(Regine Lück, PDS: Warum auch?)

Die Verteilung der Stunden, Herr Minister, ist Anfang September immer noch nicht abgeschlossen. Viele Schulen beginnen mit provisorischen Stundenplänen. Und wenn ich – Entschuldigung, das würde jetzt zu stark ins technische Detail gehen – mir dann aber noch auf der Zunge zergehen lasse, dass die Lehrer x Verträge haben, dann kommen y Stunden mit dazu und zu jeder Y-Stunde muss dann der Bezirkspersonalrat Ja sagen, weil jede Schule eine Dienststelle ist. Und da wird nicht nach Qualität entschieden, wie es die Schulleiter teilweise gemacht haben,

(Kerstin Fiedler, CDU: Nach Bedürftigkeit.)

sondern es wird nach Bedürftigkeit entschieden. Das heißt, es wird oftmals so entschieden, dass der, der am wenigsten Stunden hat, noch zwei oder drei obendrauf bekommt, damit sie möglichst gleichmäßig verteilt werden.

Herr Minister Metelmann, was glauben Sie, was an diesen Schulen zwischen den Lehrerinnen und Lehrern vor sich geht, was dabei für menschliche Probleme entstehen, wenn Lehrer Stunden von ihrem Schulleiter oder vom Schulamt zugeteilt bekommen hatten und das dann wieder zurückgeschraubt worden ist? Und worüber ich rede, Herr Minister, das sind keine Einzelfälle, das sind dutzende, das sind Hunderte Fälle, wo es so passiert ist!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Können Sie wirklich allen Ernstes verantworten, dass wir einen Lehrertourismus haben? Die GEW spricht von 4.000 versetzten Lehrern in Mecklenburg-Vorpommern in diesem Zeitraum.

(Kerstin Fiedler, CDU: Ja.)

Das heißt, hier treiben sich offenkundig manche Lehrer mehr auf den Straßen unseres Landes herum – manche haben Glück, wenn sie in der Nähe der A 20 wohnen, da mag das alles gehen –, als dass sie in den Schulen Unterricht geben. Wie wollen Sie das weiter verantworten, Herr Minister? 4.000!

Und obendrauf kommt ja noch, dass sich das mittlerweile nur auf eine bestimmte Gruppe beschränken wird, weil Sie mit Erlass ja untersagt haben, dass Teilzeitlehrer auch vertreten können. Die Ursache ist ganz einfach: Sie wollen den Vertretungsunterricht nicht bezahlen! Vollzeitlehrer müssten drei Stunden kostenlos geben, Teilzeitlehrer müssen Sie gleich bei der ersten Stunde bezahlen, was auch normal ist. Und übrigens werden Sie noch ein

Problem bekommen, das sage ich Ihnen voraus, denn gerade die Teilzeitkräfte sind oftmals von 1- und 2-Stunden-Fächern und Sie werden ein Riesenproblem gerade in diesen Fächern bekommen. Kernfächer stärken ist gut. Aber, Herr Minister, ich denke, dass Religion, Musik und Zeichnen mit zur allgemeinen Ausbildung der Kinder, der Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern gehören.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: Sehr richtig.)

Sie hatten zugesagt, dass gerade die Schwächsten, die Benachteiligten, die nichts dafür können, dass insbesondere diese Personen gefördert werden. Was machen Sie? Den LRS-Schülern wird das Personal mit sonderpädagogischen Aufgabenstellungen abgezogen. Die individuelle Betreuung eines deutschlandweit anerkannten Konzeptes wird nach 13 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern zu Lasten der betroffenen Kinder eingestellt. Übrigens, Herr Minister Metelmann, ich gehe noch darauf ein, ich folge Ihnen, was die Stärkung des Abiturs betrifft, voll, aber auch um die Schwächsten, die Benachteiligten, die Schwachen müssen wir uns kümmern, denn auch die müssen einen Lebensweg gehen, der ihnen die Chancen in unserer Gesellschaft eröffnet. Sie können nicht gerade da das Personal abziehen, wo es gebraucht wird. Auch die müssen sich den Chancen stellen können. Das geht nicht!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Gabriele Schulz, PDS: Ach so! – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Frau Gramkow, wissen Sie, …

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Sie tun ja gerade so, als wenn es in irgendeine Sparbüchse gesteckt worden ist. – Zuruf von Gesine Skrzepski, CDU)

Sie müssen sich mal wirklich in diesem Land entscheiden. Ich zeige Ihnen in aller Ruhe eine Chronologie seit dem Mai des letzten Jahres auf und Sie tragen in diesem Land mit politische Verantwortung!

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)

Der Spaß hört dann auf, wenn er zu Lasten unserer Kinder und der Zukunft des Landes geht, dann hört der Spaß in der Politik auf!