Protokoll der Sitzung vom 09.10.2003

(Ute Schildt, SPD: Oh, ein Mecklenburger!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Entwicklungschancen für Vorpommern und das östliche Mecklenburg geben – strukturschwache Räume brauchen Unterstützung“, ich denke, darüber sind wir uns einig im Hohen Hause: Dieser Antrag, das werden Sie unschwer feststellen können, liegt auf der Linie dessen, was der Landtag gestern und heute debattiert hat, nämlich im Wesentlichen, dass es um die Verbesserung von Rahmenbedingungen geht.

Ich will gerne eine Frage aufgreifen und ich werde ansonsten selbstverständlich nicht aus persönlichen Gesprächen zitieren, aber die Frage liegt ja auf der Hand, die mir eben der Wirtschaftsminister gestellt hat, wie es kommt, dass ich diesen Antrag begründe. Es ist ganz einfach damit zu erklären, dass wir für das Land Mecklenburg-Vorpommern nur dann eine wirkliche Zukunft haben, wenn es keinen Landesteil gibt, der zurückbleibt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU)

Deshalb muss es das Anliegen aller sein, egal, wo sie persönlich politisch ihren Schwerpunkt haben, dass wir solche Benachteiligungen bekämpfen, und deshalb freue ich mich, dass ich das als derjenige aus dem westlichsten Wahlkreis meiner Fraktion hier für die Fraktion tun darf, diesen Antrag einzubringen.

(Beifall Egbert Liskow, CDU)

Die ökonomischen Kennzahlen in den östlichen Landesteilen zeigen, dass sich trotz positiver Ansätze gerade hier noch keine ausreichende wirtschaftliche Basis mit entsprechender Auswirkung auf den Arbeitsmarkt entwickelt hat. In weiten Teilen Vorpommerns und auch des östlichen Mecklenburgs ist ein dramatischer Rückgang der das Gemeinwesen tragenden Strukturen, vor allem Familien, das ehrenamtliche Engagement, aber auch der Wirtschaft insgesamt, festzustellen. Die gesamtstaatliche Verantwortung gebietet es, dass das Land und der Bund dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Es geht heute nicht mehr nur um Strukturwandel, sondern um den Aufbau neuer Strukturen.

Mit dem Beitritt der osteuropäischen Nachbarn, insbesondere Polen, aber auch der baltischen Staaten, kommen auf diese Region, die sich bisher dadurch auszeichnet, dass sie eine Randlage bildet, enorme Chancen zu. Wenn sich Unternehmen, kommunale Verwaltungen, unterstützt von Land und Bund, jetzt zügig auf die verän

derte Situation einstellen und alles nur Mögliche in Gang setzen, dann kann die Erweiterung der Europäischen Union einen Wachstums- und Motivationsschub gerade für diese Region mit sich bringen. Und ich sage auch, wir müssen alles tun, dass dies geschieht,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

denn diese Chance besteht nur jetzt, sie kommt nicht noch mal.

Wir müssen deshalb Rahmenbedingungen schaffen, die langfristig ein eigenständiges Überleben dieser schwächeren Regionen in unserem Land ermöglichen. Dazu müssen neben den gesamtstaatlich notwendigen Reformen, die ja heute schon öfter Gegenstand der Debatte waren, die regionalen Wettbewerbsbedingungen verbessert werden. Neben der Stärkung bestehender Unternehmen ist die Ansiedlung neuer Unternehmen unabdingbare Voraussetzung. Dies kann aber nur durch einen erfolgreichen Mix aus einer generellen Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und einer regional bezogenen Wirtschaftspolitik geschehen. Ziel müssen regionalspezifische Impulse sein, die spezielle Entwicklungsdefizite berücksichtigen und deren Potentiale zur Entwicklung optimal fördern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie den vorliegenden Antrag aufmerksam lesen, dann werden Sie feststellen, dass wir Ihnen konkrete Vorschläge unterbreiten, die aus unserer Sicht dem Ziel dienen, die strukturschwachen Regionen zu stärken. Diese Vorschläge sind selbstverständlich – und es wäre anmaßend, wollte man etwas anderes behaupten – kein Patentrezept. Das betone ich ausdrücklich. Aber sie sind Teil eines Netzwerks einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik, eines Netzwerks von Vorschlägen, die auf der europäischen Ebene anfangen, die über bundesstaatliche Maßnahmen gehen, bis hin zu dem, was das Land Mecklenburg-Vorpommern tun kann. Und wenn Sie das mit den 17 Vorschlägen verknüpfen, die ich Ihnen gestern in der Aktuellen Stunde vorgelegt habe – und ich betone noch einmal, es handelt sich hier um Vorschläge, die das Land nicht mit Kosten belasten, sondern deutlich entlasten, die aber in der Lage sind, den Mehltau, der gerade über den schwachen Regionen dieses Landes liegt, zu beseitigen –, dann, glaube ich, haben wir eine ganze Menge getan, um die wirtschaftliche Situation unseres Landes zu verbessern.

Es ist erforderlich, die Ansiedlungspolitik neu auszurichten. Hilfreich für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind – und das ist der erste größere Unterpunkt unseres Antrages – Beratungsnetzwerke, die Existenzgründern einen Expertenpool zur Verfügung stellen, der durch seine Kompetenz Fördermöglichkeiten bündelt und, das ist ganz entscheidend aus unserer Sicht, an die Hochschulen unseres Landes angebunden ist. Wie ein solches Beratungsnetzwerk in vier Etappen potentielle Existenzgründer begleiten kann, ist im Antrag im Einzelnen dargestellt.

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Das meinen Sie doch nicht im Ernst.)

Die Vorteile liegen auf der Hand, denn der Expertenpool steht den Existenzgründern auch nach der Gründung zur Verfügung. Die Einbindung der Hochschulen in Greifswald, Stralsund und Neubrandenburg kann dazu beitragen, dass auch außerhalb dieser Region potentielle Gründer von der gründerfreundlichen Beratungsstruktur erfahren. Und was ich im Ernst meine, Kollege Dr. Bartels, dass

Sie mit Wirtschaftsförderung Ihre Probleme haben, das will ich Ihnen gern konstatieren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Ach, lassen Sie doch die ollen Kamellen! Geben Sie dem An- trag doch die Substanz, die jetzt nicht da ist!)

Aber ich habe mich vor Jahren – und dazu stehe ich auch nach wie vor – gegen das Beraterunwesen in unserem Land ausgesprochen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nämlich genau der Punkt, wir brauchen qualifizierte Beratung.

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Ich sag nachher was dazu.)

Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn wir einem schwächelnden Unternehmen oder jemandem, der ein Unternehmen gründen will, einen Berater an die Seite stellen, der vor allen Dingen darauf bedacht ist, dass seine Gebühren rechtzeitig eingehen, aber ansonsten nicht qualifiziert ist für die Beratung. Deshalb ist auch der Vorschlag, dass wir die damit betrauen, die von Berufs wegen etwas davon verstehen, und das sind die Kammern, das sind die Industrie- und Handelskammern, das sind die Handwerkskammern. Diese sollten in der Tat Zertifikate für diese Berater ausstellen und dann müssen sie auch den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, die jeweils für das entsprechende Vorhaben qualifiziert sind und nicht nur irgendeine Beratung anbieten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kommen zwangsläufig immer wieder auf den entscheidenden Punkt in diesem Land, das ist die Deregulierung.

(Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Es muss ein stringenter Abbau von Vorschriften stattfinden,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

um ein unternehmerfreundliches Klima gerade in strukturschwachen Regionen zu erzeugen.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Durch die mit einem wirklichen Bürokratieabbau erreichten Entlastungen bei den Kommunen, die für die Umsetzung von Verwaltungsvorschriften im übertragenen Wirkungskreis zuständig sind, erhalten die kommunalen Verwaltungen Freiräume. Diese gilt es zu nutzen, um Ansiedlungspolitik wirksam zu unterstützen und die Kommunalverwaltungen zu Serviceunternehmen zu etablieren. Jeder Abbau von Verwaltungsvorschriften, jede Entschlackung und Überprüfung von Gesetzen hilft deshalb Kommunen, Unternehmen, Bürgern und damit den schwachen Regionen gleichermaßen. Das Land muss darauf dringen, dass in strukturschwachen Gebieten betriebliche Bündnisse für Arbeit grundsätzlich Vorrang vor starren tariflichen Regelungen erhalten.

(Beifall Kerstin Fiedler, CDU, und Andreas Petters, CDU)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist erforderlich, die Infrastrukturlücke zu schließen, und zwar muss das jetzt mit Nachdruck geschehen, denn wenn wir es jetzt nicht hinbekommen, unsere östlichen Nachbarn schlafen nicht. Da entwickelt sich eine unglaubliche Dynamik und dann wird die Infrastruktur dort vorgehalten, die wir dringend in unserem Land brauchen. Deshalb muss

hier alles geschehen, damit die Infrastrukturlücke so schnell wie möglich geschlossen wird. Einer leistungsfähigen Verkehrsanbindung der Stadt Pasewalk an die A 20 kommt dabei ebenso wie dem durchgängigen vierspurigen Ausbau der B 96 eine zentrale Bedeutung zu.

(Heinz Müller, SPD: Was?!)

Ebenso muss dem Ausbau einer leistungsfähigen grenzüberschreitenden Infrastruktur nach Polen vor dem Hintergrund der bevorstehenden EU-Osterweiterung Vorschub geleistet werden.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, unsere gebeutelten Kommunen brauchen gerade in den strukturschwachen Gebieten unsere Unterstützung.

(Beifall Karin Strenz, CDU)

Durch die seitens der Landesregierung geplante Absenkung der Infrastrukturpauschale sowie der Mindestgarantie um insgesamt 193,2 Millionen Euro in den Jahren 2004/2005 werden die Kommunen nicht nur in den Regionen des östlichen Landesteils finanziell handlungsunfähig.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: So ist es.)

Sie können sich Investitionen nicht mehr leisten und wenn sie sich keine Investitionen mehr erlauben können, dann werden diese Regionen sich nicht erholen können. Es braucht stattdessen Finanzierungsmodelle, die die kommunale Investitionsfähigkeit langfristig sichern. Auch ein generelles Absenken des kommunalen Eigenanteils bei Mischfinanzierung ist in Betracht zu ziehen.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen die Änderung des Paragraphen 8 Absatz 3 Finanzausgleichsgesetz in Angriff nehmen.

(Beifall Egbert Liskow, CDU)

Aufgrund einer Änderung dieses Gesetzes aus dem Jahre 2000 werden die Schlüsselzuweisungen an die Landkreise zu 73 Prozent auf Grundlage der Einwohnerzahl und zu 27 Prozent aufgrund der Gebietsfläche verteilt. Damit sind großflächige, aber einwohnerarme Landkreise gegenüber anderen Landkreisen benachteiligt.

(Kerstin Fiedler, CDU: Genau. – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Sagen Sie das mal in Ihrem Kreistag!)

Ja, sehen Sie, Herr Dr. Bartels, das unterscheidet uns eben. Ich vertrete das genau in meinem Kreistag auch, auch wenn ich dort als Kommunalpolitiker tätig bin. Hier habe ich Verantwortung für das ganze Land

(Dr. Gerhard Bartels, PDS: Jawohl, so ist es.)

und der kann ich nur gerecht werden, wenn ich nicht so eine Kirchturmpolitik betreibe, wie Sie es – obwohl Sie mit Kirche sonst nicht viel am Hut haben – hier gerade eben vorgeführt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Gabriele Schulz, PDS: Na, na, na, na! Keine Be- wertung! – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Denn inzwischen ist unstreitig, dass die Wahrnehmung von gleich gearteten Aufgaben in dünn besiedelten Räumen nur mit einem höheren Kostenaufwand zu bewerkstelligen ist. Deshalb ist eine Rückkehr zum Flächenanteil

von 30 Prozent bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen an die Landkreise unverzichtbar.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihnen das gerne belegen. Ich habe gerade, Herr Abgeordneter Dr. Backhaus –

(Kerstin Fiedler, CDU: Hören Sie über- haupt zu? – Dr. Till Backhaus, SPD: Ich höre Ihnen wirklich zu.)

ja, ich will das nur belegen –, meine Fraktion im Kreistag dazu gebracht, sich dafür einzusetzen, sich aktiv an den Kosten des Staatstheaters Schwerin zu beteiligen, nicht nur dadurch, dass sie sich an ihrer Gesellschaft beteiligt, sondern auch mit einem jährlichen Betrag.