Ich habe versucht, da bin ich auch ehrlich, mich mit diesem Antrag auseinander zu setzen, und zwar intensiv auseinander zu setzen. Es fiel mir aber relativ schwer, so dass ich dann auch irgendwann gesagt habe, es ist vergebens, ich breche hier ab. Ich möchte Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren, dieser Antrag verkörpert im Prinzip das Motto eines Schwarz-Weiß- oder vielleicht auch eines Schwarz-Rot-Antrages.
Das heißt nämlich, dieser Antrag stellt ganz einfach nur die Frage: Bürgerversicherung Ja oder Nein? Und im Prinzip ist dann nicht einmal Schwarz-Rot, weil ja für uns hier nur die Möglichkeit Rot eröffnet wird, sprich die Bürgerversicherung.
Allein von dieser Warte aus können Sie ja wohl nicht ernsthaft verlangen, dass wir diesem Antrag zustimmen werden. Ich muss das ganz deutlich sagen, wir werden diesen Antrag auch ablehnen. Für mich haben sich hier mehrere Fragen gestellt und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diese Fragen auch beantworten könnten. Nämlich zum Beispiel erstens: Welches Ziel verfolgt dieser vorliegende Antrag überhaupt? Als Nächstes würde mich interessieren, die Vorteile haben wir jetzt ausreichend gehört: Welche Nachteile hat diese Bürgerversicherung? Hat sie überhaupt Nachteile und wenn ja, welche? Ein dritter Punkt, der ist vor allem an die Genossen der SPD gerichtet: Halten Sie die Festlegung einer Beitragsbemessungsgrenze für richtig und für sozial gerecht? Und eine letzte und abschließende Frage würde ich doch ganz gerne durch Sie klären lassen: Ist diese solidarische Bürgerversicherung eine Einheitskasse? – Danke schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Ringen um die Zukunft der Sozialversicherung und des Gesundheitswesens spitzt sich zu. Gestützt auf die Mehrheit im Bundesrat will die CDU die solidarischen und paritätischen Versicherungssysteme zerschlagen. Mit den Kopfpauschalen sollen angeblich im Interesse der Arbeitsplatzsicherung die Schwachen belastet und die Starken entlastet werden. Wie wir gehört haben, geht die neue Sozialpolitik der Union, um es korrekt zu sagen, die Politik des schrankenlosen Sozialabbaus, wie sie von Frau Merkel, Herrn Merz und der Herzog-Kommission vertreten wird, inzwischen selbst der CSU zu weit. Selbst Herr Blüm, Herr Geißler und Herr Seehofer haben sich von vielen Details distanziert.
(Dr. Ulrich Born, CDU: Dagegen hatte die Rede von Herrn Schlotmann schon Niveau. Das ist schon peinlich, was Sie sagen.)
Bei derart kontroversen Diskussionen, die in der Öffentlichkeit geführt werden, ist oft ein Blick zurück hilfreich,
ein Blick zurück, um zu schauen, welchen Angriffen unsere Vorväter ausgesetzt waren und wie sie diesen entgegengetreten sind. Mir fällt bei der Gelegenheit immer Bismarck ein, Bismarck, der Altvater der Sozialversicherung.
Er fand damals bei den Unternehmern wenig Fürsprache. Bismarck warf den Liberalen vor das reine Manchestertum in der Politik, das nach der Devise handle: „Jeder sehe, wie er es treibe, jeder sehe, wo er bleibe.“ Man bezichtigte Bismarck damals des Staatssozialismus und dieser weise, streitbare und oft auch umstrittene Politiker antworte: „Ja, ohne ein wenig Sozialismus ist kein Staat zu machen.“
(Beifall Torsten Koplin, PDS, und Regine Lück, PDS – Dr. Ulrich Born, CDU: Ja, da sehen Sie mal, was der Ihnen alles voraus hatte.)
Daran sollte man sich erinnern und daran kann man sich gut erinnern, das kann man in den einschlägigen Reden und Schriften nachlesen.
Als es im Frühjahr im Rahmen der Rürup-Kommission um die zukünftige Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme ging,
war die heutige Diskussion, sehr verehrter Herr Abgeordneter Born, schon in Ansätzen erkennbar. Diplomatisch geschickt hat sich der von der Bundesregierung beauftragte Wissenschaftler aus der Affäre gezogen und das so genannte Y-Modell für die Krankenversicherung propagiert. Der Buchstabe Y steht quasi gleichermaßen für den sozialpolitischen Scheideweg, dessen Konturen sich immer deutlicher abzeichnen.
Wir können uns aussuchen, ob wir an einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem festhalten wollen oder o b wir zu einem von versicherungsmathematischen Grundsätzen beherrschten Kopfprämienmodell überwechseln wollen. Für soziale Politik kann hier eigentlich nur eines gelten: Wenn wir ein zukunftsfähiges und gerechtes Gesundheitswesen beibehalten wollen, dann müssen wir an dessen solidarischer Finanzierung festhalten. Wir dürfen auf das, und zwar auf die Herausforderungen der demographischen Entwicklung, auch auf die Forderungen der Wirtschaft, dass wir das, was unsere Gesellschaft schließlich und endlich zusammenhält, nämlich den Sozialstaat auflösen, nicht so reagieren.
Der soziale Ausgleich für Geringverdiener soll nach Auffassung der Herzog-Kommission aus Steuermitteln kommen.
Und ich frage mich und ich frage Sie, verehrte Abgeordnete der CDU-Fraktion: Wo soll denn das Geld herkommen? Wo sollen die 27,3 Milliarden Euro für die Entlastung der Geringverdiener herkommen?
(Harry Glawe, CDU: Sie wissen Bescheid, wie man auf Bundesebene reagieren muss, und auf Landesebene machen Sie genau das Gegenteil.)
Bisher ging der Weg immer andersherum. Gerade die unionsgeführten Bundesregierungen haben in den neunziger Jahren ihre Haushalte auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherungen entlastet.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Ulrich Born, CDU: Sie machen doch sozialen Kahlschlag hier bei uns im Land, Frau Ministerin.)
Diese so genannten Verschiebebahnhöfe zugunsten der Bundeshaushalte und zu Lasten der GKV machen nach Auffassung von Experten,
hören Sie zu, Herr Glawe, insgesamt 29,8 Milliarden Euro aus. Und wer deshalb angesichts knapper Kassen für die Zukunft darauf setzt,
aus dem Staatshaushalt die gesetzliche Krankenversicherung entlasten zu wollen, der hat schlicht und einfach auf Sand gebaut.
Verehrte Abgeordnete, Schutz, Erhalt und Wiederherstellung der Gesundheit gehören zu elementaren Aufgaben öffentlicher Daseinsvorsorge. Das ist eine so zentrale Aufgabe, dass man sie gar nicht oft genug wiederholen kann, auch nicht hier in diesem Hause.
Gesundheit ist keine Ware. Gesundheit kann man nicht wie einen Markt steuern. Der Bedarf an medizinischer Versorgung ist für den Einzelnen nicht vorhersehbar. Der Patient Kunde verfügt eben nicht über Konsumsouveränität, er ist seinen Krankheiten und den vielfältigen Angeboten und Aussagen zu ihrer Behandlung in der Regel ausgeliefert. Wie soll er die Richtigkeit der Diagnose, die Wirksamkeit einer Therapie und die Qualität eines Arzneimittels zu Beginn einer Behandlung beurteilen? Und nur vor oder bei Behandlungsbeginn würde eine unter Wettbewerbsaspekten stehende Auswahl einen Sinn machen. Selbst die Krankenkassen, die zumindest theoretisch bessere Möglichkeiten haben, Behandlungsqualität zu vergleichen, tun sich damit sehr schwer. Von ihnen wird der Wettbewerb bislang nur und vor allem um den gesunden Patienten geführt. Die so genannten schlechten Risiken sollen dann möglichst bei allen anderen bleiben. Der junge, gut verdienende Single ist allemal attraktiver als das alte und kranke Rentnerehepaar. So sieht doch die Wirklichkeit aus. Und auf Seiten der Anbieter von Gesundheitsleistungen war bisher ebenfalls so wenig ein Wettbewerb möglich. Bei der niedergelassenen Ärzteschaft gibt und gab es weiterhin das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigung und das ist letzten Endes auch der Konsenskommission mit der Mehrheit der CDU zu verdanken.
Die Krankenhäuser haben nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, um sich über ihren eigentlichen Aufgabenbereich hinaus zu betätigen. Die Bundesregierung hatte hier im Frühjahr unter Führung von Frau Bundesministerin Schmidt eine Reihe von zukunftsfähigen Ansätzen formuliert, die ebenfalls im Zwang zum Konsens mit der Union geopfert werden mussten.
Dennoch muss man anerkennen, und das tun ja auch die Regierungsparteien unseres Landes, dass auch eine Reihe von Verbesserungen in den Verhandlungen mit der Union durchgesetzt werden konnten. Ich denke an das
Zentrum für Qualität in der Medizin, dazu wird heute noch ein gesonderter Tagesordnungspunkt beraten. Anzuerkennen ist auch, dass im GKV-Modernisierungsgesetz Gestaltungsoptionen für die Vertragspartner enthalten sind.
Erwähnenswert sei die integrierte Versorgung, denn wir alle wissen, gerade die getrennten Versorgungsbereiche, ambulant und stationär, sind ein Kostentreiber im Gesundheitssystem.
Viele Sozialpolitiker im Land, auch wir, fordern hier eine engere Verknüpfung beider Systeme. Dafür steht jetzt Geld zur Verfügung. Sowohl der stationäre als auch der ambulante Bereich stellen ein Prozent der Gesamtvergütung als Anschubfinanzierung für Modelle der integrierten Versorgung zur Verfügung. Das ist eine nennenswerte Größe, und zwar 700 Millionen Euro. Ich denke, hier werden die Ergebnisse interessant auszuwerten sein und dann hoffentlich auch verallgemeinert werden.
Das alles sind im Ergebnis aber doch nicht die weitreichenden erforderlichen Strukturen, die nötig gewesen wären, um das gesamte System zu modernisieren.
Der Gesetzentwurf belastet die Versicherten und entlastet die Arbeitgeber. Insofern ist er sozial unausgewogen. Allein vom Jahr 2004 an haben die Patientinnen und Patienten erhöhte Zuzahlungen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro jährlich zu zahlen. Vom Jahr 2005 an wird der Zahnersatz aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert beziehungsweise gesondert durch die Versicherten zu tragen sein. Das belastet die Versicherten mit weiteren 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. Vom Jahr 2007 an soll dann das Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert werden. Fachleute haben diese weitere Belastung mit zusätzlich 5,5 Milliarden Euro veranschlagt. Alle diese Belastungen entsprechen summa summarum einer Beitragssatzerhöhung von 0,5 Prozent, die alleine den Versicherten zugeordnet werden. Die Solidarität in der Krankenversicherung und die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und Versicherte werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schleichend unterminiert.
Ich halte auch an meiner Forderung fest, die Positivliste einzuführen – rund 40.000 verordnungsfähige Medikamente, die Zahl könnte halbiert werden. Es könnten Kosteneinsparungen in Höhe von rund 800 Millionen Euro hier erreicht werden.
Auch hier kritisieren Deutscher Gewerkschaftsbund und Bund Deutscher Arbeitgeber in einer gemeinsamen Erklärung diesen Zustand und sind gerade hier für mehr Wettbewerb.
Den Beschlussvorschlag, der jetzt im Bundestag zur Verabschiedung ansteht, verstehe ich dennoch als einen Ausgangspunkt für weitreichende Reformen. Ansatzpunkte habe ich deutlich gemacht. Ich sehe insofern in dem Beschlussvorschlag der Koalitionsfraktionen hier auch heute ein Signal für die Zukunft, insbesondere über
die Einführung der Bürgerversicherung. Ich denke, ebenfalls die schrittweise Einführung aller Bürgerinnen und Bürger in die Krankenversicherung, eben die echte Bürgerversicherung, so, wie sie der Fraktionsvorsitzende Herr Schlotmann hier dargestellt hat, ist unausweichlich. Und ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns in der weiteren Reform an Bismarck anknüpfen! Entscheiden wir uns für die Bürgerversicherung, das ist die zeitgemäße Form des Bismarck’schen Grundsatzes der solidarisch-paritätisch finanzierten Sozialversicherung. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.