Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich begrüße Sie zur 24. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD und PDS – Entschließung – Tarifautonomie erhalten, Drucksache 4/866. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/897 vor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Tarifautonomie erhalten“ lautet der Titel des Antrages der Koalitionsfraktionen. Und ich denke, das ist ein sehr aktuelles Thema, meine Damen und Herren. Die Brisanz zu dem Thema hat ein Gesetzentwurf der CDU und CSU im Bundestag allen vor Augen geführt. Die Medien haben ausführlich darüber berichtet und natürlich sorgen solche Pläne für reichlich Diskussion, vor allem in den Betrieben bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich bei den Gewerkschaften, den Organisationen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Meine Damen und Herren, diese Debatte kommt übrigens nicht von ungefähr. Sie hat sicher zu tun mit den aktuellen Schwierigkeiten in Deutschland und der Suche nach Wegen aus der Wirtschaftskrise. Das Problem bei diesen allgemeinen Diskussionen ist allerdings: Da werden häufig Lösungsvorschläge gebracht, die mit den Problemen eigentlich nichts zu tun haben und sie deshalb auch nicht beseitigen können.
Die Zielrichtung solcher Vorstöße ist klar: Da soll sozialer Ballast abgeworfen werden nach dem Motto: „Was stört, muss weg!“ und die wirtschaftlichen Probleme werden vorgeschoben, um endlich handeln zu können.
Meine Damen und Herren, dieser Vorstoß ist eigentlich ein Stück weit auch historisch begründet. Man hat zu Zeiten der alten Bundesrepublik sich als Frontstaat verstanden und es hat gesellschaftliche Bereiche und Kreise gegeben, die geglaubt haben, dass man Gewerkschaften und Arbeitnehmern hier ein paar Rechte mehr geben muss, damit man als Frontstaat gegen den Osten bestehen kann. Diese Kollision ist eigentlich raus aus der Geschichte und deswegen glaubt man an manchen Stellen, dass man diese Rechte den Arbeitnehmern wieder wegnehmen sollte. Und ich sage Ihnen ausdrücklich, es geht hier um Arbeitnehmerrechte, es geht hier nicht um Funktionäre.
Meine Damen und Herren, die augenblickliche Diskussion um die Tarifautonomie und den Flächentarifvertrag ist für mich ein ganz eklatantes Beispiel dafür. Dabei wird schnell übersehen, welche positiven Effekte beide Ele
mente, wirklich beide Elemente uns in der Vergangenheit bundesweit, europaweit gebracht haben. Wir haben es im Antrag formuliert: „Das freie Aushandeln von Tarifbedingungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden hat zum Erfolg der Bundesrepublik und zu ihrer wirtschaftlichen Kraft beigetragen.“
Meine Damen und Herren, es dürfte auch keinem verborgen geblieben sein, die Tarifautonomie ist eine wesentliche Grundlage der sozialen Demokratie, und das kann auch jeder im Grundgesetz nachlesen.
Dort wird Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden das Recht zugestanden, unabhängig von staatlicher Bevormundung Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen zu regeln. – Das ist der Unterschied zu Rahmenkollektivverträgen zu DDR-Zeiten, meine Damen und Herren. – Davon profitieren übrigens nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es gibt auch Wirkungen von Tarifverträgen, die ausgesprochen positiv für die Arbeitgeber sind. Tarifverträge sorgen für den Frieden in den Betrieben, meine Damen und Herren. Damit sich das jeder auch mal vergegenwärtigen kann: Tarifverträge in rund 300 Branchen sind der Garant dafür, dass Deutschland weltweit zu den Ländern mit den wenigsten Arbeitskämpfen gehört. Ich denke, kein Arbeitgeber, kein verantwortungsvoller Politiker in diesem Land wünscht sich amerikanische, italienische oder englische Verhältnisse in diesem Bereich.
Meine Damen und Herren, die Tarifvertragsparteien haben ein sehr differenziertes System – und man höre und staune, auch das ist anscheinend nicht überall bekannt – von rund 57.000 verschiedenen unterschiedlichen Tarifverträgen und Einzelregelungen geschaffen. Damit sind Wirtschaft und Gesellschaft jahrzehntelang gut gefahren und wir als Koalition sind der Auffassung, dass das auch weiterhin so sein kann.
Aber jetzt, jetzt scheint für die liberalkonservativen Kräfte im Land die Zeit reif zu sein – etliche Medien haben sich auch auf Gewerkschaften eingeschossen, sehen sie als Modernisierungsverweigerer –, nur eins wird allzu oft vergessen: Die angeblich so unflexiblen Tarifverträge sind und werden doch nicht allein von den Gewerkschaften abgeschlossen. Nein, sie tragen immer die Unterschrift auch der Arbeitgeberseite.
Jetzt also soll das bestehende Tarifsystem über Bord geworfen werden. Nur, auch das sollte man der Ehrlichkeit halber dann sagen, auf der Arbeitgeberseite ist man sich da selbst nicht so ganz einig. Da geht der BDI mit Herrn Rogowski und seinen Forderungen sehr weit. Dabei gehört der BDI, auch das wissen vielleicht einige nicht, überhaupt nicht zu den Tarifvertragsparteien. Verhandlungspartner der Gewerkschaften ist nämlich der BDA mit Herrn Hundt. Und der, also Herr Hundt,
hat im September Herrn Rogowski mehr als deutlich gesagt, was er von dessen Querschüssen zum Thema Tarifautonomie hält. Ganz konkret: Herr Hundt hat für den BDA deutlich gemacht, dass er sich die Forderungen von Herrn Rogowski nicht zu Eigen macht. Im Gegenteil, er lehnt die Streichung des Paragraphen 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz ab. Wörtliche Begründung von Herrn Hundt, ich zitiere: „... weil dies ein wirtschaftsschädigender Eingriff in die Vertragsfreiheit wäre.“ Man höre und staune!
Eine weitere Stimme. Norbert Blüm hat sich noch in seiner Zeit als Bundesarbeitsminister ebenfalls dagegen ausgesprochen, die Tarifautonomie auszuhöhlen. Mit Blick auf die Folgen einer Aushandlung aller Tarifbedingungen, aller Tarifbedingungen auf betrieblicher Ebene hat er wörtlich gesagt: „Dann muss man auch das Streikrecht den Betriebsräten geben. Das kann ich der deutschen Wirtschaft nicht wünschen. Das wäre nämlich Häuserkampf.“ Zitat Norbert Blüm. Recht hat er.
Meine Damen und Herren, diesen Begriff des Häuserkampfes hat übrigens auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft aufgegriffen und festgestellt, dass weder das Gros der Arbeitgeber noch das Gros der Betriebsräte selbst Tarifpolitik betreiben möchte. Die Arbeitgeber hätten anderes zu tun. Recht haben sie.
Die verantwortungsbewussten Arbeitgeber wollen mehr Flexibilität. Richtig, unbestritten, auch wir unterstützen das. Sie wollen das aber wohl eher so, wie wir es in unserem Antrag sagen. Wir haben deshalb dort formuliert: „Es ist Sache der Tarifvertragsparteien das Verhältnis zwischen zentraler Verhandlungsmacht der Tarifvertragsparteien und betrieblichen Möglichkeiten in eigener Autonomie zu regeln.“ Auch ein Satz des Bundeskanzlers auf dem letzten IG-Metall-Kongress. Und auch da hat der Kanzler Recht, meine Damen und Herren.
Übrigens, in Ostdeutschland ist das schon längst geübte und gängige Praxis. Dort gibt es Abweichungen von Tarifverträgen in vielfältigster Art nach unten, und zwar schon seit geraumer Zeit. Diese Härtefallregelungen gehen allerdings einher mit einer Verpflichtung der Unternehmen, ein Sanierungskonzept zu erarbeiten und vorzulegen sowie auf betriebsbedingte Kündigungen während der Dauer dieser Sonderregelungen zu verzichten. Wer solche Verpflichtungen nicht eingehen will, darf dann aber auch nicht jammern, meine Damen und Herren.
Um das ein für alle Mal klar festzustellen für uns: Der Flächentarifvertrag ist nicht unmodern, im Gegenteil.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Arbeitsbedingungen in einer Branche ist im Gegenteil sehr modern. Als Vorbild für das, was notwendigerweise gemacht werden muss, kann hier zum Beispiel die Sozialpartnerschaft der Chemiebranche genannt werden. Dort wird das Tarifvertragssystem laufend modernisiert, und zwar gemein
sam zwischen Arbeitgebern und der Gewerkschaft, und dann auf die Sorgen und Nöte der einzelnen Unternehmen auch abgestimmt, und zwar ohne die Belange der Belegschaft zu ignorieren oder zu kurz kommen zu lassen. Dort gibt es in Masse tarifvertragliche Öffnungsklauseln. So kann zum Beispiel die Regelwochenarbeitszeit je nach Auftragslage eines Betriebes auf 35 Stunden gesenkt oder auch auf 40 Stunden erhöht werden. Dafür gibt es dann allerdings einen gemeinsam vereinbarten Entgeltkorridor.
Der Flächentarifvertrag lässt sich schon heute öffnen, und zwar ohne den Gesetzgeber. Die Gewerkschaften – und das muss ich hier ausdrücklich sagen –, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände müssen es nur wollen. Und ich kann auch sagen, die Gewerkschaften haben dabei durchaus erkannt, dass sie gut beraten sind, die Diskussion wirklich in jedem einzelnen Fall offen zu führen, weil sonst der Streit nicht aufhören wird.
An dieser Stelle möchte ich eine Anmerkung machen zur ganz aktuellen Tagessituation: Vermittlungsausschuss, Vorziehen der Steuerreform. Ich will mich gar nicht zu den Inhalten der Steuerreform äußern, aber ich sage Ihnen eins, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU: Was Sie da auf Bundesebene treiben in einer, ich würde mal sagen, Oppositionskoalition mit der FDP im Moment, ist, dass Sie den Vermittlungsausschuss zu einem Basar machen, einem türkischen Basar, was nichts gegen türkische Mitbürger ist, aber zu einem Basar,
indem Sie Arbeitnehmerrechte ausspielen wollen gegen die Steuerreform. Welchen Sinn das haben soll, müssen Sie wirklich mal ernsthaft erklären. Und die Wirtschaftsweisen, die am gestrigen Tage nun sicher nicht mit Kritik an der Bundesregierung gespart haben, haben Ihnen das sehr ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben, dass dieses Basarverhalten an der Stelle nun überhaupt nichts zu suchen hat. Ich sage Ihnen, Sie sollten das wirklich überdenken.
Und mir fällt noch etwas aus der letzten Landtagssitzung ein. Wir hatten damals draußen die Polizeidemonstration. Da haben Kollegen von Ihnen, der eine Kollege ist im Moment nicht da, aber mir sind die Zwischenrufe des Herrn Dr. Jäger noch sehr, sehr laut in den Ohren, der mich hier ständig unterbrach, indem er rief: Hören Sie (SPD/PDS) , hören Sie doch endlich auf die Gewerkschaften! Richtig, wir hören auf die Gewerkschaften. Hören Sie bei diesem Thema aber auch auf uns!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Bei uns sind das keine Lippenbekenntnisse, bei uns ist das ehrlich.)
(Unruhe bei Abgeordneten der SPD und PDS – Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Rainer Prachtl, CDU: Was haben Sie denn damals gesagt?)
Sie haben aber ständig was von sozialer Gerechtigkeit gesagt. Kollege Rehberg, soziale Gerechtigkeit beinhaltet aber auch genau die Tarifautonomie und die Eigenständigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber in diesem Land.