Protokoll der Sitzung vom 13.11.2003

Worum geht es denn eigentlich? Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als dass die Industrie und ihre politische Vertretung, CDU/CSU, die Gewerkschaften dieses Landes als Blockierer hinstellen und die Tarifautonomie aushöhlen wollen,

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Tarifverträge abschaffen und nur noch betriebliche Vereinbarungen – und Herr Born war ja sehr deutlich –

(Volker Schlotmann, SPD: Oh, Herr Prachtl sitzt wieder vorne!)

oder das Aushandeln des Arbeitsvertrages

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sie haben hier eine Rede vorgestellt, die ich gar nicht gehalten habe, Frau Gramkow.)

durch jeden einzelnen Arbeitnehmer oder jede einzelne Arbeitnehmerin favorisieren.

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Und genau aus diesem Grund haben CDU/CSU am 17. Oktober im Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen,

(Rainer Prachtl, CDU: Jeden Tag werden wir hier als Wölfe im Schafspelz bezeichnet.)

um ihren irreführenden „Modernisierung des Arbeitsrechts“ genannten Gesetzentwurf in die parlamentarischen Beratungen einzuführen und möglicherweise –

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

und Sie haben es klar artikuliert – dies als Verhandlungsmasse mit der Bundesregierung im Reformprozess Agenda 2010 zu verwenden.

(Beifall Volker Schlotmann, SPD: So ist es.)

Also worum geht es? Es geht darum, einen Angriff auf die Tarifautonomie zu starten, um die Absenkung von Löhnen und Gehältern, um die Aufweichung und Abschaffung von sozialen und rechtlichen Standards

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ich möchte dazu den wirtschaftlichen Sachverstand des Wirtschaftsministers hören.)

bis hin zur Verlängerung der Arbeitszeit in Deutschland durchzusetzen.

(Torsten Koplin, PDS: Genau.)

Gewerkschaften sind eben entgegen anders lautender Behauptungen gerade im Zeitalter von Technisierung von Produktionsabläufen und der damit verbundenen Abhän

gigkeit der Produktion von Technik und von denen, die sie kontrollieren und warten, Gewerkschaften sind nach wie vor eine Macht in diesem Land.

(Heiterkeit bei Dr. Ulrich Born, CDU)

Und diese, Herr Dr. Born, diese soll nämlich gebrochen werden.

Und was sind die Argumente – Sie haben sie ja so schön bedient –, was sind die Argumente gegen Tarifautonomie, die Argumente gegen Aushandlung von Flächentarifverträgen? Was sind die Argumente eigentlich gegen Artikel 9 Absatz 3 „Koalitionsfreiheit“ des Grundgesetzes?

Die Gegner behaupten – und Herr Dr. Born hat es auch hier bewiesen –, Tarifverträge sind unflexibel, sie sind starr, sie sind antiquiert. Und wir wissen doch eigentlich alle, dass das Unsinn ist. Tarifverträge beinhalten schon heute eine Reihe von Möglichkeiten, um Branchenspezifika oder die wirtschaftliche Situation von Unternehmen dieses Landes berücksichtigen zu können. Beschäftigungssicherungstarifverträge, die Einführung von Entgeltkorridoren, von Optionsklauseln, Härtefall- und Öffnungsklauseln sind Belege für die Flexibilität und für das Verantwortungsbewusstsein von Gewerkschaften. Und im Vordergrund dabei steht immer die Sicherung von Beschäftigung, insbesondere bei uns in Ostdeutschland. Und es ist deshalb falsch zu behaupten, das Tarifsystem sei starr und unflexibel. Daraus allerdings auch einen durchlöcherten Käse zu machen, das ist ebenso falsch.

Woran die Gewerkschaften, insbesondere die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, derzeit arbeiten – und das dürfte eigentlich auch die Zustimmung der Arbeitgeberverbände finden –, das ist eine Vereinfachung des Tarifsystems. Und dies widerlegt auch die These davon, dass die Gewerkschaften unflexibel und uneinsichtige Interessenvertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land sind. Und dass dies so nicht ist, zeigen auch die Tarifverhandlungen und deren Abschlüsse in den zurückliegenden Jahren. Die Gewerkschaften haben hier sehr wohl verantwortungsbewusst gehandelt. Viele Kolleginnen und Kollegen übrigens meinen, zu verantwortungsbewusst, denn die Abschlüsse waren durchgängig moderat – wie es immer so schön heißt – und haben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch Realeinkommensverluste gebracht.

Und andererseits ist Deutschland doch wohl trotz – von Arbeitgeberseite immer wieder beklagt – zu hoher Tarifabschlüsse nach wie vor Exportweltmeister. Und das hat nicht etwas nur alleine mit dem schwachen Dollarkurs zu tun. Deutschland ist nach wie vor ein gefragter Wirtschaftsstandort. Die Gewinnerzielung deutscher Unternehmen kann sich trotz immer wieder beschwörter schlechter Prognosen sehen und vor allen Dingen auch zählen lassen. Deshalb stimmt das Argument auch nicht, wonach die Einschränkung der Tarifautonomie das Wirtschaftswachstum fördern und Arbeitsplätze sichern würde. Schon jetzt, das wissen wir doch alle, werden bei Förderzusagen und im Rahmen von Verhandlungen gemachte Arbeitsplatzzusagen von der Wirtschaft immer wieder einseitig nicht eingehalten.

Meine Damen und Herren, eine Einschränkung der Tarifautonomie wäre auch nicht betriebsnah und würde auch die Betriebs- und Personalräte nicht stärken, Herr Dr. Born, wie Sie behaupten. Denn was wäre dann die

Folge? Die Betriebsräte stünden ohne einen verlässlichen Rahmen, ohne vergleichbare Grundlage da. Eigentlich bedeutet das, dem Manchesterkapitalismus Tür und Tor zu öffnen in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und deshalb werden wir als PDS-Fraktion nicht zulassen, dass Eingriffe in die Tarifautonomie erfolgen. Wir werden sie verteidigen, die Tarifautonomie. Wir befürworten einen Dialog zwischen Politik und Tarifvertragsparteien, aber wir werden uns auch in Zukunft entschieden dagegen wehren, dass damit die Autonomie der Gewerkschaften angegriffen, dass in sie eingegriffen wird.

Und ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang einen interessanten Beitrag der „Frankfurter Rundschau“ vom 12.11. dieses Jahres.

(Torsten Koplin, PDS: Wir lesen ja auch nicht nur das ND.)

Hier argumentiert Thomas Dieterich folgendermaßen, ich zitiere: „Tarifautonomie ist notwendiger Bestandteil einer grundrechtlichen Freiheit, nämlich der Koalitionsfreiheit.“ Auch das zitierten Sie, Herr Born. Sie haben aber etwas anderes vergessen. Ich würde gerne fortfahren: „Der Vorschlag einer gesetzlichen Öffnungsklausel, der zufolge ohne Rücksicht auf die bestehende Wettbewerbslage und Tarifvertragspraxis alle Flächentarifverträge für betriebliche Regelungen geöffnet würden, könnte nur stören und hätte für das eingespielte System kollektiver Interessenvertretung verheerende Folgen. Eine gesetzliche Tariföffnung wäre nicht nur höchst unzweckmäßig, sondern darüber hinaus auch verfassungswidrig, weil dadurch nicht nur Tarifverträge ihre Durchsetzungskraft, sondern zugleich die Verbände ihre Relevanz verlören.“ Zitatende. Dem, meine Damen und Herren, kann ich nichts hinzufügen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke schön, Frau Gramkow.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich bitte doch wieder zur gebührenden Sachlichkeit in der Diskussion zurückzukehren. Dazu gehört auch der sensible Umgang mit der Sprache und mit Begriffen, denn wir wollen hier nicht persönliche Betroffenheiten auslösen.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Schwarz von der Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Tarifautonomie ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Demokratie. Tarifverträge erfüllen eine gesamtgesellschaftliche Funktion. Sie sind ein soziales Gebilde, von dem alle Seiten profitieren. Unternehmen haben Planungssicherheit und Kalkulierbarkeit. Dem Arbeitnehmer gibt er Schutz und Sicherheit

(Beifall Volker Schlotmann, SPD)

und er bietet allen den sozialen Frieden in den Betrieben.

Heute wollen Politiker, die sich selbst als Liberale bezeichnen, vermeintlichen Konfliktstoff beseitigen, in Wirklichkeit jedoch die Möglichkeit der Konfliktaustragung

massiv einschränken. Streiks seien nicht mehr zeitgemäß, autoritäre Konfliktunterdrückungsmodelle würden damit perspektivisch an die Stelle von autonomen Tarifauseinandersetzungen treten. Wir wissen ja alle, dass der schneidige Guido Westerwelle einen Traum hat, und der Traum heißt natürlich die Entmachtung der Gewerkschaften.

(Karsten Neumann, PDS: So ist das.)

Meine Damen und Herren, die Kollegin Gramkow sprach es bereits an, es gibt zig Beispiele dafür, dass der Vorwurf, dass Gewerkschaften starr und unflexibel wären, überhaupt nicht zutrifft.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Schon am Anfang der 90er Jahre wurde bereits hier in Schwerin im Kita-Bereich – das war damals schon ein Novum gewesen – von den 40 Stunden bis runter auf 30 Stunden gegangen. Ich habe in meiner Gemeinde Demen Tarifabschlüsse gemacht, auch bis 30 Stunden runter, das heißt 10 Stunden weniger als vorher. In den Werften verzichten Arbeitnehmer auf Weihnachtsgeld, auf Urlaubsgeld. Sie arbeiten drei Stunden mehr, die IG Metall sagt Ja dazu, ohne Lohnausgleich.

(Volker Schlotmann, SPD: So etwas wird hier gerne verschwiegen.)

Ich frage jetzt mal ganz ernsthaft, liebe Anwesenden: Was soll das? Und ich muss noch einmal nach dem praktischen Teil fragen. Wenn Betriebsräte in Zukunft Tarifverträge aushandeln sollen, Zahn um Zahn mit dem Arbeitgeber, frage ich mich und ich bin Betriebsrat: Wer hat denn die besseren Karten?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Betriebsräte haben nämlich eine Aufgabe, die der Arbeitgeber nicht hat. Die haben nämlich zwei Seiten, einmal die Arbeitgeberseite bei Entscheidungen zu berücksichtigen, also das Interesse des Betriebes, und das Interesse der Arbeitnehmerschaft. Und das – ich spreche jetzt hier als Betriebsrat – ist verdammt schwer, diesen schmalen Grat zu gehen. Wenn man jetzt Betriebsräten noch aufdrücken würde, Tarifverhandlungen zu führen – ein Großteil sind ehrenamtlich, die wären völlig überfordert,

(Regine Lück, PDS: Das ist ja gewollt.)