Protokoll der Sitzung vom 14.05.2004

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 39. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.

Meine Damen und Herren, dem Landtag liegen mittlerweile die Beschlussempfehlung und der Bericht des Innenausschusses auf Drucksache 4/1208 zum Thema „Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern“ vor. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung gemäß Paragraph 74 Ziffer 1 der Geschäftsordnung des Landtages um diese Vorlage zu erweitern. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.

Weiterhin bestand Einvernehmen darüber, die Zweite Lesung und Schlussabstimmung dieses Gesetzentwurfes am Ende der heutigen Tagung zu beraten.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Die Zukunft in die eigenen Hände nehmen – Wettbewerbsföderalismus stärken, Drucksache 4/1174.

Antrag der Fraktion der CDU: Die Zukunft in die eigenen Hände nehmen – Wettbewerbsföderalismus stärken – Drucksache 4/1174 –

Das Wort zur Begründung hat der Fraktionsvorsitzende der CDU Herr Rehberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zuerst bitte ich, in unserer Drucksache unter Ziffer 5 die in Klammern stehende Ziffer 3 in eine 4 zu ändern. Das ist ein Versehen. Ich bitte um Entschuldigung.

Meine Damen und Herren, seit geraumer Zeit wird in Deutschland über die Neugestaltung der Aufgaben und der Funktion des Föderalismus debattiert. Auf den ersten Blick scheint dies ein sehr trockenes und bürokratisches Thema zu sein, eines, das man lieber beiseite schiebt. Erst wenn man sich die Mühe macht, sich die einzelnen Artikel des Grundgesetzes vorzunehmen, merkt man, wie spannend die hinter vermeintlich trockenen Fachdebatten stehenden Fragen sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier steckt Gestaltungspotential für jedes Bundesland drin. Dies ist keine theoretische Debatte, sondern eine Debatte, die zum einen dringend geführt werden muss und zum anderen glücklicherweise auch geführt wird. Hierzu auch gleich ein Testfall für die eigene Reformbereitschaft: Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der Auffassung, dass sich auch Mecklenburg-Vorpommern aktiv an der Neugestaltung der Bundesrepublik beteiligen sollte,

(Beifall Michael Ankermann, CDU, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

und zwar nicht nur durch den Ministerpräsidenten, sondern auch durch das Parlament.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Jahrzehnten seit der Gründung der Bundesrepublik hat der Bund immer mehr gesetzgeberische Kompetenzen – sei es über die Rahmengesetzgebung oder die konkurrie

rende Gesetzgebung – an sich gerissen. 1970 waren noch etwa 30 Prozent der Gesetze durch den Bund zustimmungspflichtig, heute sind es gut 60 Prozent, egal, ob die Bundeskanzler Brandt, Schmidt, Kohl oder Schröder hießen. Das hat zur Folge, dass immer mehr Gesetze eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat haben müssen. Der Unmut über das Zusammenspiel zwischen Bundestag und Bundesrat wird täglich größer, weil meistenteils in den letzten Jahrzehnten die politischen Mehrheitsfarben unterschiedlich waren. Das Empfinden des Bürgers gegenüber der Politik, dass beide Organe sich gegenseitig ausbremsen, steigt und wird allgemein als Handlungsunfähigkeit der Politik bezeichnet. Und die Bürger haben Recht, hier liegt eine der Ursachen für den Reformstau.

Wenn dies nun der Bund unter dem Schlagwort „Reformstau“ beklagt, dann kann aber nicht die alleinige Verantwortung in der Reduzierung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder liegen, sondern der Bund muss den Ländern wieder mehr eigenständige Kompetenzen überlassen. Es ist an der Zeit, dass bestimmte Politikfelder wieder an die Länder zurückgegeben werden und dass die konkurrierende Gesetzgebung, wie bereits in Lübeck erklärt, aufgehoben wird, vor allem um deregulieren zu können. Ich möchte das mit einem Zitat von Helmut Schmidt aus der „Welt“ in dieser Woche abrunden: „ 8 5 Prozent aller Verwaltungsakte gehen irgendwie auf Bundesrecht zurück.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hinzu kommt, dass die Europäische Union sich zunehmend in die Kompetenzen der Länder einmischt und den Gestaltungsspielraum der Länder immer weiter einengt. So liegt ein Großteil der Gesetzesvorhaben heute bei der Europäischen Union. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur das Seilbahngesetz lässt recht herzlich grüßen.

Die Rolle der Länder in Europa muss neu definiert werden. Ich denke, Jürgen Rüttgers hat Recht mit dem, was er in der letzten Woche sagte: „Die Länder wollen nicht zu bloßen Agenturen der Umsetzung europäischer Gesetze, Verordnungen und Richtlinien werden. Damit würde der Kern ihrer Eigenstaatlichkeit ausgehöhlt.“ Meine Damen und Herren, FFH-Gebiete und viele andere Dinge werden durch die Europäische Union für die Länder bestimmt, ohne dass wir als Länder entscheidende Einflussmöglichkeiten hätten. Aber ist es nicht so, dass die Landespolitiker, wir, am besten wissen, wo die wirklichen Probleme der Menschen vor Ort liegen? Berlin ist weit weg und Brüssel noch viel weiter. Der Föderalismus in Deutschland ist historisch gewachsen und wird in vielen Bereichen auch seiner Aufgabe gerecht. Die Ausübung der staatlichen Befugnisse durch die Länder nach Artikel 30 Grundgesetz hat sich dabei bewährt. Die demokratische Akzeptanz wird gewahrt und sie schafft vor allem Bürgernähe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die föderative Ordnung der Bundesrepublik steht in einem strukturellen Gegensatz zu globalen und latenten Zentralisierungsbestrebungen. Sie steht für den optimalen Gestaltungsspielraum in den einzelnen Bundesländern und hierin besteht auch die Chance eines Wettbewerbs zwischen den einzelnen Ländern. Wer die besten politischen Lösungen findet, wird künftig vorne liegen bei Wirtschaftsansiedlungen, in der Bildungspolitik oder wo auch immer.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss unser Ziel sein, diese Chance auch für Mecklenburg-Vorpommern zu nutzen. Sie muss aber auch von den Verant

wortlichen ernsthaft in Betracht gezogen werden. Meine Damen und Herren, die Menschen wissen nicht mehr, welche politische Ebene wofür die Verantwortung trägt, und können es auch nicht. Es gibt derzeit keine klare Kompetenzverteilung mehr. Und weil die Menschen nicht mehr wissen, wer wofür verantwortlich ist, kann man sie als Politiker zunehmend schwerer für Politik interessieren. Der Vermittlungsausschuss kurz vor Weihnachten im Jahr 2003 lässt hier herzlich grüßen.

Die Menschen müssen und wollen bei den politischen Entscheidungen einer Demokratie aber mitgenommen werden.

(Harry Glawe, CDU: Genau.)

Das werden sie aber nur, wenn sie das Gefühl haben, dass sie auch daran beteiligt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder müssen deshalb in ihren Kernbereichen den Rücken gestärkt bekommen, Bildung, Polizei, im kommunalen Bereich. Wir wollen hier in einen fairen Wettbewerb zu den anderen Ländern treten. Dazu brauchen die Länder aber mehr Spielräume, indem sie ihre politischen Ideen umsetzen können, indem man neue Wege gehen kann. Wir brauchen keine Sonderzone Ost. Wir brauchen gar keine Sonderstellung gegenüber den westdeutschen Bundesländern, aber ein Mehr an Bürokratieabbau, ein Mehr an Deregulierung können wir im Osten schon gebrauchen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und PDS, warum setzen Sie sich denn nicht für eine Verlängerung des Bundesverkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes über das Jahr 2004 hinaus ein?

(Beifall Rainer Prachtl, CDU, und Jörg Vierkant, CDU)

Föderalismus lebt vom Wettbewerb. Die ostdeutschen Bundesländer hatten formal gesehen 1990 die gleichen Startchancen. Aber waren die historischen Grundlagen in den fünf neuen Ländern nicht sehr unterschiedlich? Mecklenburg-Vorpommern hatte vor dem Zweiten Weltkrieg kaum größere industrielle Ansiedlungen, nur einen kleinen Mittelstand. Durch die ideologisch geprägte Wirtschaftspolitik sowohl zwischen 1933 und 1945 als auch unter der kommunistischen Diktatur wurde der junge Mittelstand sofort wieder vernichtet, 1972 fast völlig ausgerottet. Wir sind dadurch viel stärker agrarwirtschaftlich geprägt als Sachsen oder Thüringen. An diesem Beispiel lässt sich rückwirkend gut die Frage stellen, ob es gut und richtig war, für den Aufbau Ost die Instrumente für alle gleich zu gestalten, zumal der Bund dominierend die Rahmenbedingungen gesetzt hat. Meine Damen und Herren, manche Weiche für unsere Zukunft wäre sicher anders und besser gestellt worden, wenn die Länder mehr eigene Gestaltungsspielräume gehabt hätten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil wir Politiker in diesem Land eine realistische Vision haben, wohin die Reise in unserem Land gehen kann und auch sollte, brauchen wir mehr gestalterische Freiheit. Aber ich frage mich ganz besorgt: Warum muss die Opposition mit solch einem Antrag dieses Thema auf die Tagesordnung setzen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Ministerpräsident – er ist nicht anwesend –, …

(Volker Schlotmann, SPD: Sie wissen, dass er im Bundesrat ist, Herr Kollege.)

Jetzt weiß ich es, Herr Kollege Schlotmann, aber gleichwohl frage ich Sie als den Fraktionsvorsitzenden der größeren Regierungsfraktion: Wie ernst nehmen Sie eigentlich Beschlüsse dieses Parlaments?

(Beifall Rainer Prachtl, CDU, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Wie ernst nehmen Sie eigentlich Beschlüsse und wie ernst nehmen Sie Ihre Verantwortung gegenüber der Landesregierung, dass Sie zum Beispiel einfordern mit Punkt 4, den wir gemeinsam einstimmig in diesem Landtag beschlossen haben, und zwar im Januar 2003: „Der Landtag fordert die Landesregierung in Anknüpfung an den Beschluss des Landtages vom April 2002 … auf, nach jeder Beratung“ – meine sehr verehrten Damen und Herren, nach jeder Beratung – „der Ministerpräsidentenkonferenz … über die Ergebnisse der Bund-Länder-Kommission ,Föderalismus’“ im Rechts- und Europaausschuss „fortlaufend mündlich zu berichten.“?

Herr Schlotmann, wie häufig hat denn die BundLänder-Kommission getagt? Mindestens zweimal, am 25.März und am 6. Mai. Herr Kollege Schlotmann, wie oft hat die Staatskanzlei, ob der Ministerpräsident oder der Chef der Staatskanzlei, im Ausschuss berichtet? Nicht ein einziges Mal hat man es für nötig erachtet,

(Beifall Rainer Prachtl, CDU)

hier diesem Auftrag des Landtages nachzukommen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Im Mai 2002 gab es wenigstens noch eine schriftliche Unterrichtung der Landesregierung.

(Harry Glawe, CDU: Das geht doch wohl nicht! – Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Das haben Sie noch geschafft auf der Basis des Beschlusses der 3. Legislaturperiode. Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und PDS, wenn Sie es wünschen, den Beschluss der MPK vom 6. Mai zu bekommen, die CDU-Fraktion kopiert Ihnen den gerne. Ich musste ihn mir besorgen aus einem CDU-geführten Bundesland. Das, was ich für normal und selbstverständlich gehalten hätte, auch mit Blick auf diesen Tagesordnungspunkt, dass nämlich schnellstmöglich dem Parlament von der Landesregierung dieser Beschluss übersandt worden wäre, ist nicht passiert.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so viel zum Selbstverständnis und zur Achtung der Landesregierung gegenüber diesem Landtag.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle noch eine zweite Frage: Inwieweit wird diese Landesverfassung überhaupt noch ernst genommen an dieser Stelle? Artikel 39 Absatz 1: „Die Landesregierung ist verpflichtet, … über … die Mitwirkung im Bundesrat sowie die Zusammenarbeit mit dem Bund, den Ländern, anderen Staaten, den Europäischen Gemeinschaften und deren Organen, soweit es um Gegenstände von grundsätzlicher Bedeutung geht“, zu berichten. Die Informationspflicht nach Absatz 1 findet ihre Grenzen in der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Landesregierung. Ich habe den Eindruck, dass die Landesregie

rung eingeschätzt hat, dass sie, wenn sie uns darüber unterrichtet, in ihrer Funktionsfähigkeit gestört ist,

(Rainer Prachtl, CDU: So sieht es aus.)

in der Eigenverantwortung sicher nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Natürlich muss ich auch den Rechtsausschussvorsitzenden fragen,

(Bodo Krumbholz, SPD: Hier ist er!)

inwieweit Sie, Herr Krumbholz, darauf gedrungen haben, dass das sowohl im März als auch jetzt nach dem 6. Mai auf die Tagesordnung kommt. Das muss ich fragen. Ich muss uns alle fragen, wie wichtig uns dieses Thema ist, denn hier gibt es ganz unterschiedliche und konträre Interessenlagen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, schon bös aufgestoßen ist mir aber eine Übertragung am 25. März – und das war live – im Fernsehsender „Phönix“. Da hat der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern unser Land ungestraft als Habenichtsland bezeichnet,

(Rainer Prachtl, CDU: Was?!)

und zwar in einer Auseinandersetzung vor laufenden Kameras mit dem bayerischen Ministerpräsidenten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das geht natürlich dann vielfach unter. Über Form und Stil will ich da jetzt überhaupt nicht reden. Ich frage mich nur, Herr Ministerpräsident: Haben Sie es deswegen versäumt, schon nach dem 25. März und …

(Rainer Prachtl, CDU: Und uns wirft er mehrfach vor, wir reden das Land schlecht!)