Protokoll der Sitzung vom 23.06.2004

(Angelika Gramkow, PDS: Ach, Frau Fiedler, das war ja eine Kapriole.)

Lassen Sie Schulen in Ruhe arbeiten, sie sind nämlich schon froh, wenn wenigstens die Verschlechterungen bei den Parametern berechenbar sind

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Eckhardt Rehberg, CDU: Richtig.)

und man sich rechtzeitig auf sie einstellen kann, gerade zum Ende des Schuljahres!

Rahmenbedingungen, wie stabile Lehrerkollegien, Unterrichtsgarantie, motivierte und engagierte Lehrer, Lernangebote und größtmögliche individuelle Förderung – sei es für Hochbegabte oder für Lernschwache, um nur zwei Beispiele zu nennen – haben nichts mit Systemen zu tun, sondern mit Ausstattung und mit Konsequenz. Und hier ist die gesamte Landesregierung in der Pflicht, nicht nur der Bildungsminister allein, denn den ständigen Bekenntnissen für Bildung müssen auch einmal in Zahlen messbare Taten folgen.

(Torsten Koplin, PDS: Ihr müsst jetzt klatschen! – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Frau Fiedler-Wilhelm.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Polzin von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich räume ein, als ich den Titel der Aktuellen Stunde sah, da hielt sich meine Begeisterung in Grenzen. Ich denke, eines muss ich meinem Koalitionspartner wirklich zugute halten, denn die drängenden Probleme packen sie offensiv an. Es ist auch wirklich an der Zeit, die Dinge zu benennen, wie sie sind. Ich habe der

Analyse von Frau Gramkow im Prinzip nichts hinzuzufügen, die ist aus unserer Sicht auch so zu sehen, denn es besteht nach wie vor Handlungsbedarf. Aber ich teile auch absolut die Auffassung, dass das, was zurzeit in der Öffentlichkeit in einem Rundumschlag kolportiert wird, so nicht stimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Auch bei aller Auseinandersetzung mit den wirklichen Problemen ist es wenig hilfreich, wenn man zusätzlich mit pauschalisiertem Draufhauen die Stimmung an Schulen so verschlechtert, dass sich das letztendlich auch wieder auf das Lernklima auswirkt. Das halte ich auch nicht für ein verantwortungsvolles Umgehen mit dem Thema.

(Torsten Renz, CDU: Wer haut drauf?)

Wir haben im Moment oder in der jüngsten Vergangenheit eigentlich schon bessere Ansätze zu dem Thema gehabt.

Und jetzt komme ich einmal zu dem, was Frau Fiedler hier in die Debatte eingebracht hat. Frau Fiedler, Sie erwarten im Moment die Quadratur des Kreises.

(Egbert Liskow, CDU: Und Sie wollen sie machen.)

Sie sagen: Lassen Sie die Schulen in Ruhe und machen Sie nicht laufend neue Experimente! Sie beklagen aber das Ist in den schlimmsten schwarzen Tönen. Was denn nun, Frau Fiedler?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS – Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Was ändern oder es so lassen wie es ist, Frau Fiedler?

Ich habe aus den letzten Jahren aktiv mitgestalteter Bildungspolitik auch einige Erfahrungen gemacht. Und man muss ja hier einmal eins klar benennen, deshalb würde ich auch sagen, alle Parteien dieses Parlamentes haben Mitverantwortung an dem, was Bildung heute ausmacht. Die grundsätzlichen Weichen – wer auch immer hier die Mehrheiten gehabt hat – sind natürlich gleich nach der Wende gelegt worden. Zu der Zeit hat man sich entschieden, welches neue Bundesland welchen Weg gehen wird. Die neuen Bundesländer haben sich unterschiedlich entschieden. Und wenn ich daran denke, welchen Weg beispielsweise Thüringen gegangen ist, die hatten nicht den Ehrgeiz, das dreigliedrige Schulsystem durchzudrücken, hier gab es im Übrigen auch CDU-Mehrheiten.

(Angelika Gramkow, PDS: Zwölf Jahre beibehalten.)

Es muss etwas damit zu tun gehabt haben, dass sich dort offensichtlich am Anfang Sachpolitik mehr durchgesetzt hat,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS – Torsten Koplin, PDS: So ist das.)

die in der Tat doch auch parteienunabhängig ist. Sie sind also diesen Weg, der für unser System hier inkompatibel war, ganz einfach nicht gegangen.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Ich erkläre Ihnen gleich einmal das thüringische Schulsystem, Frau Polzin!)

Ach nee! Von Ihnen, Herr Rehberg, das muss nun nicht sein, wirklich nicht.

(Zuruf von Eckhardt Rehberg, CDU)

Ich will damit nur sagen, die sind nicht das dreigliedrige Schulsystem gegangen.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Natürlich haben sie das gemacht!)

Nein, das haben sie nicht! Da müssen Sie einfach noch mal gucken. Es ist jetzt aber auch nicht mein Thema, mich mit Ihnen herumzustreiten, denn das würde ich gar nicht so sinnvoll finden.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Sie sollten sich auch einmal mit der Situation von Schulen in Mecklenburg-Vorpommern befassen! Das wäre sicherlich viel besser.)

Ja, diese Situation resultiert unter anderem daraus.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Und Sie tragen zehn Jahre die politische Verantwortung für die Schulen in Mecklenburg-Vorpommern!)

Der zweite Faktor dabei, auch den halte ich in der Regel für relativ nicht schuldzurechnungsfähig, ist der demographische Faktor. Das, was bei den Schulen im Moment wirklich demoralisierend wirkt, ist die Standortunsicherheit. Was wird morgen mit meiner Schule? Muss ich mich dort noch engagieren? Sollten wir noch sehen, dass die Sachausstattung besser wird? Das ist natürlich etwas, was auch im Zusammenhang mit den Folgen für die Lehrer, sprich LPK, unsere Stimmung in der Bildung negativ beeinflusst.

Nun frage ich aber: Warum sollten wir das hier als gegenseitige Schuldzuweisung in der Verkämpfung wählen? Das ist ein Fakt und mit dem gehen alle neuen Bundesländer um. Ich habe noch von keinem der neuen Bundesländer gehört, dass es dort zufrieden stellende Lösungen gibt. In einem Bereich geht es um Entlassungen und im anderen geht es um Teilzeit von Anfang an. Jeder versucht, mit diesen Problemen nach bestem Wissen und Gewissen umzugehen. Ich würde es für viel wichtiger halten, an der Stelle zu sagen: Wie können wir gemeinsam eine Lösung finden, die ein bisschen kühner ist, als Jahr für Jahr das langsame Sterben von Schulstandorten?

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Meiner Meinung nach wird damit die Schulentwicklung mit zwei Parametern dringend zu diskutieren sein. So, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Gehen wir weiter die zaghaften Schritte, die immer versuchen, Mehrheiten bei Bildungsbetroffenen mit ins Boot zu nehmen, oder wagen wir in der Tat auch mal einen kühneren Schritt?

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das hätten Sie vor sechs Jahren schon tun sollen!)

Was SPD-Politik zu dem Thema gemacht hat, das muss ich einfach aus der Erfahrung sagen, ist, dass wir sehr vorsichtig und teilweise sogar halbherzig reagiert haben, um gegenzusteuern. Die Programme, die in den letzten Jahren von unserer Seite kamen, die waren alle richtig, aber ihnen fehlt der Zusammenhalt und ihnen fehlt im Grunde wirklich das Ziel, das zu definieren ist.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Ich erinnere an unseren Erziehungsantrag in der letzten Sitzung, das Thema ist richtig und ich erinnere daran, dass Schulen mehr Selbständigkeit haben müssen, auch das Thema ist völlig in Ordnung. Ich erinnere daran, dass

wir ein IT-Programm aufgelegt haben, auch das ist richtig. Aber was, meine Damen und Herren, ist mit dem Ausbau von Ganztagsschulen? Sind das etwa falsche Themen? Sie sind in Ordnung und nichtsdestotrotz werden sie in der ganzen Ebene verkleckert, weil uns die gemeinsame Zielstellung dabei fehlt. Ich denke, es fehlt auch der kühne Ansatz zu sagen: Wir überlegen neu!

Die Standortfrage ist dabei ein ganz wichtiger Bereich. Sinnvolle pädagogische Systeme sind in der Regel nicht diese kleinen Kollegien, obwohl ich diese kleinen Schulen wirklich sehr gut kenne. Frau Gramkow hat bereits ausgeführt, welche negativen Auswirkungen sie auf Vertretbarkeit, fachlichen Unterricht und so weiter haben. Da muss man, denke ich, in der Tat einen größeren Schritt machen. Was aber die Qualitätssicherung von Schule anbelangt,

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

unter dieser Überschrift haben wir hier vor Jahren bereits angefangen, heißt auf alle Fälle, bessere Beratung und Kontrolle von Schule,

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

bessere Koordinierung, gesicherte Berechnung und Ausstattung. Für mich ist die Überarbeitung des Lehrerpersonalkonzeptes in der Richtung ganz wichtig, damit man gerade im Sekundarbereich II wirklich überlegt, ob Fachlichkeit das einzige Kriterium mit den folgenden Ungerechtigkeiten sein kann, dass ein Russisch- und Geschichtslehrer wegen seiner Fachwahl wesentlich weniger Unterrichtsstunden bekommt als ein Philosophieund Englischlehrer und ob man nicht versucht, über einen Schulpool mehr Gerechtigkeit und auch mehr Möglichkeiten ins System zu bringen, damit beispielsweise der Lehrertourismus in Größenordnungen zurückgeschraubt wird.

Bei diesen Konzepten ist es nach wie vor wichtig, dass die Tarifpartner mit ins Boot kommen. Sie wissen, dass LPK ist nicht allein Sache der Regierung, sondern auf Vertragsbasis geschlossen und auch nur deshalb veränderbar.

Ich möchte damit den Bogen schlagen und noch einmal sagen, dass Ruhe an Schulen sehr relativ ist. Selbst, wenn man überhaupt nichts tun würde, wäre die Unruhe deshalb da, weil der demographische Faktor fortwirkt,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das ist doch nicht das einzige Übel hier, dass es hier nicht vorwärts geht.)

weil Schulentwicklungsplanung fortwirkt und weil auch Fehlentscheidungen fortwirken. Ich bin der Meinung, die Zeit ist reif dafür, den Mut zu haben, das einmal anzupacken, und zwar mit einer Zielstellung, die gesellschaftlich akzeptiert wird.