Protokoll der Sitzung vom 26.05.2005

Wir wollen, dass Mecklenburg-Vorpommern zum kinder- und familienfreundlichsten Bundesland in Deutschland wird. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, bei dem es natürlich nicht nur allein um Geld, sondern um die gesamte Gesellschaft geht, sehr geehrter Herr Renz. Das muss man einfach erkennen.

(Torsten Renz, CDU: Ich habe gesagt, das ist eine Gesamtaufgabe, eine Querschnittsaufgabe, die über alle Bereiche geht. Das habe ich gesagt. Geben Sie es doch zu! Das ist so!)

Wir wollen Mecklenburg-Vorpommern nicht nur zu einem Bildungs- und Gesundheitsbundesland machen, sondern auch zu einem kinderfreundlichen Land.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass Mecklenburg-Vorpommern vor allergrößten Herausforderungen steht. Das Land verliert nicht nur finanzielle Mittel durch das Auslaufen des Solidarpaktes in Richtung 2020, sondern natürlich auch – leider – durch den demographischen Wandel. In allen ostdeutschen Ländern kam es nach der Wende zu einem dramatischen Einbruch der Geburten.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Innerhalb weniger Jahre hat sich die Zahl der Geburten mehr als halbiert. Ich denke, die Zahlen sind uns allen bewusst und bekannt. So etwas hat es zu einem Zeitpunkt in entwickelten modernen Ländern noch nie gegeben. Da die Mädchen seit 1990 nicht mehr geboren wurden und damit natürlich auch in der Zukunft keine Kinder bekommen werden, droht in Richtung 2010 erneut ein Geburtenknick. Ich glaube, das ist aus der Studie sehr gut erkennbar. Auch wir haben dies immer wieder thematisiert.

Bis 2020, meine Damen und Herren, bedeutet das für Mecklenburg-Vorpommern allein einen Rückgang – insbesondere im finanziellen Bereich – zwischen 5 und 6 Milliarden Euro. Das sind Fakten, meine Damen und Herren, die unabhängig der politischen Couleur einfach erkannt werden müssen. So schwierig aber die Lage des Landes ist, so wenig darf man dieses einfach hinnehmen. Die Menschen und das Land brauchen Perspektiven, die junge und die ältere Generation insbesondere.

Meine Damen und Herren der Opposition, Sie stellen hier mit fremden Federn gespickte Anträge, in denen die Landesregierung zum Handeln aufgefordert wird, ohne selbst, und das ist, glaube ich, auch in dem Beitrag von

Ihnen, Herr Renz, deutlich geworden, umsetzbare Vorschläge vorzulegen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Torsten Renz, CDU: Ich komme nachher noch drauf! Das war nur die Einbringung.)

Ja, dann bin ich sehr gespannt.

(Beifall Jörg Heydorn, SPD – Peter Ritter, PDS: Das wird noch ein schöner Tag heute. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU)

Dabei sind wir im Übrigen in unserem Bundesland doch ein ganzes Stückchen weiter. Die SPD hat bereits ein kinder- und familienpolitisches Leitbild entwickelt. Das ist bei uns Beschlusslage.

(Jörg Heydorn, SPD: So ist es! Als einzige Partei! – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Das ist nun mal so. Das ist Beschlusslage bei uns im Lande.

(Jörg Heydorn, SPD: Unplakativ und inhaltlich substanziiert!)

Grundlage dafür waren die aktuellen Analysen zur Situation von Kindern und Familien in Deutschland. Wir haben es demnach mit drei Hauptproblemen, Herr Renz,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

in Mecklenburg-Vorpommern zu tun:

Erstens. Die Familie verliert unter dem Druck der gesellschaftlichen Verhältnisse teilweise die Fähigkeit, ausreichend für die Kinder zu sorgen. Das nehmen wir insgesamt zur Kenntnis. Vor allem Kinder aus sozial schwachen Schichten haben eingeschränkte Lebenschancen, sich so zu entwickeln, wie wir das gerne wollen. Die wissenschaftlichen Autoren des Elften Kinder- und Jugendberichtes kommen daher zu dem Ergebnis: „Die Bedingungen des Aufwachsen in dieser Gesellschaft verlangen ein verändertes Ineinandergreifen von privater und öffentlicher Verantwortung.“ Dem können wir uns nur anschließen, meine Damen und Herren.

(Rainer Prachtl, CDU: Das haben beide Volksparteien richtig erkannt.)

Wir wollen deshalb eine Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Staat in Mecklenburg-Vorpommern voranbringen. Beide sollen zum Wohle des Kindes zusammenarbeiten.

Zweitens. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat erneut deutlich gemacht, dass insbesondere Alleinerziehende und damit auch ihre Kinder überdurchschnittlich von Armut betroffen sind. Während das Armutsrisiko bei Alleinerziehenden bei 35,4 Prozent liegt,

(Harry Glawe, CDU: Wie definieren Sie denn Armut in Mecklenburg-Vorpommern für die Bürgerinnen und Bürger? Sagen Sie dazu mal was! Das waren bis jetzt nur platte Aussprüche.)

sind das Armutsrisiko und die Quote im Durchschnitt bei 13,5 Prozent. Daraus wird deutlich, Herr Glawe, dass insbesondere Alleinerziehende eine Problemstellung haben. Da mit der sozialen Lage aber auch die Lebenschancen der Kinder und Jugendlichen positiv oder negativ beeinflusst werden, muss uns allen die Situation große Sorgen machen und damit auch nach Lösungen trachten lassen, gerade und insbesondere in Ostdeutschland.

Drittens. Auch die Gesundheitsfürsorge und -versorgung für Kinder in Mecklenburg-Vorpommern ist nach wie vor verbesserungsfähig. Hierbei kann insbesondere festgestellt werden, dass mit zunehmendem Alter die regelmäßige Inanspruchnahme unter anderem von Vorsorgeuntersuchungen rückläufig ist. Das können und müssen wir einfach erkennen.

Ich selbst habe aus eigener Erfahrung als Ernährungsminister die teilweise Kenntnis darüber, dass bis zu 7 0 Prozent unserer Grundschülerinnen und Grundschüler in Mecklenburg-Vorpommern kein warmes Mittagsessen einnehmen. Das ist ungesund, ungerecht und beeinträchtigt natürlich auch die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler.

(Harry Glawe, CDU: Das ist aber keine gute Bi- lanz für die SPD. Das gibt Punktabzug. Bis jetzt ist das nur Zustandsbeschreibung, was Sie machen.)

Weil wir in Mecklenburg-Vorpommern zum Gesundheitsland Nummer eins werden wollen, werden wir dabei auch Ansätze suchen müssen.

(Zurufe von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU, und Harry Glawe, CDU)

Auf der Grundlage dieser drei Hauptprobleme möchte ich nun ein Kinder- und familienpolitisches Leitbild entwerfen, das im Wesentlichen aus fünf Punkten besteht:

1. Der investive Sozialstaat

Wenn Wirtschaftswachstum nicht mehr alle Probleme löst, und das erkennen wir doch gemeinsam, müssen wir unseren Sozialstaat umbauen von einem Sozialstaat der bloßen Geldleistungen hin zu einem Sozialstaat der sozialen Investitionen. Es reicht aus unserer Sicht eben nicht aus, diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt wenige Chancen haben, regelmäßig mit etwas Geld zu versorgen. Die gesellschaftlichen Ausgrenzungen werden damit leider nicht beendet. Wir brauchen einen Sozialstaat, der in die Zukunft der Menschen investiert und die Menschen befähigt, ihr selbstbestimmtes Leben zu gestalten. Im Zentrum moderner Sozialpolitik muss daher zukünftig die Bildungspolitik stehen. Nichts entscheidet mehr über die Zukunftschancen eines Menschen wie eine gute Ausbildung, ob in der Schule oder auch in der Weiterbildung und der weiteren Ausbildung.

(Torsten Renz, CDU: Deswegen kürzen Sie im Hochschulbereich.)

In der Wissensgesellschaft ist gute Bildungspolitik daher zugleich die beste, ja, die beste und gut angelegte Sozialpolitik.

(Zurufe von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

2. Sozialstaat für alle

In den letzten Jahrzehnten hat sich in Deutschland eine Auffassung durchgesetzt, wonach der Sozialstaat etwas für arme Leute sei.

(Harry Glawe, CDU: Ja. – Rainer Prachtl, CDU: Wahlkampfrede.)

Die Menschen erwarten daher, dass sie zu Recht, wenn sie ihre Pflichten erfüllen, an diesem Sozialstaat insgesamt beteiligt werden und damit auch vom Sozialstaat profitieren, wenn sie in die Kassen einzahlen.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Ich finde diesen Zusammenhang ausdrücklich richtig. Wer etwas für die Gesellschaft leistet, muss auch etwas zurückbekommen, um damit zu einer ausgewogenen Entwicklung zu kommen.

(Torsten Renz, CDU: Das Problem ist aber, dass wir eine andere Mentalität haben. Wir haben eine andere Mentalität.)

Wer daher die Leistungen des Sozialstaates nur auf das angebliche Bedürftigkeitsproblem hinausbringt, begrenzt und untergräbt damit auch die Mehrheitsfähigkeit in dieser Gesellschaft. Viele Menschen werden auf Dauer eben nicht bereit sein, einen Sozialstaat zu unterstützen, von dem immer nur die so genannten „anderen“ profitieren, während sie selbst die Kosten mitzutragen haben. Der Sozialstaat muss also nach skandinavischem Modell Vorbild für uns alle werden und ich glaube, das wäre ein sinnvoller Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Jörg Heydorn, SPD: Jawohl.)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, soziale Gerechtigkeit ergibt sich nicht dadurch, dass einige die Leistungen des Staates erhalten und andere nicht. Dass alle in grundlegenden Fragen vergleichbare Leistungen erhalten, halte ich für richtig und auch für gerecht. Auf der anderen Seite sollen alle je nach Einkommen in unterschiedlicher Höhe an deren Finanzierung natürlich beteiligt werden.

(Harry Glawe, CDU: Sozial!)

Starke Schultern können und müssen eben auch mehr leisten.

(Harry Glawe, CDU: Das ist schon passiert.)

Starke Schultern müssen eben auch mehr leisten.

(Harry Glawe, CDU: Herr Backhaus, in welchem Land leben Sie eigentlich?)