Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 59. Sitzung des Landtages. Die Landesregierung hat gemäß Paragraph 72 Absatz 4 unserer Geschäftsordnung die heutige Dringlichkeitssitzung beantragt. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 59. Sitzung liegt Ihnen in der Fassung der Änderungsmitteilung vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 59. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich noch einmal ganz offiziell unserem Kollegen Bernd Schubert, der heute seinen 50. Geburtstag begeht, ganz herzlich gratulieren.

(Beifall bei den Abgeordneten – Heinz Müller, SPD: Ich denke, er hat Kuchen mit. – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Und da der alte Sack hier im Plenum nichts zu suchen hat,

(Heiterkeit bei den Abgeordneten)

ich meine das Geschenk, das da auf dem Platz stand, glaube ich, können wir jetzt in die Tagesordnung einsteigen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, auf Drucksache 4/1710.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Erste Lesung) – Drucksache 4/1710 –

Das Wort zur Einbringung hat zunächst der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Dr. Harald Ringstorff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wo soll Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2020 stehen? Wollen wir ein Land, das aus eigener Kraft die Zukunft gestalten kann, ein Land, in das man gern kommt und bleibt, in dem man gern lebt, arbeitet, investiert und Urlaub macht und das sich in der Mitte Europas behaupten und seine Chancen nutzen kann? Oder wollen wir ein Land, das sich am Bestehenden festklammert und dem daher schon in wenigen Jahren keine Handlungsspielräume mehr verbleiben, ein Land, das dann anderswo um „Aufnahme“ bitten muss, weil es allein nicht mehr lebensfähig ist? Noch haben wir die Wahl, meine Damen und Herren, noch können wir entscheiden: Setzen wir auf Zukunft oder setzen wir auf Stillstand. Die Landesregierung setzt auf Zukunft. Und deshalb wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die umfassendste Verwaltungsmodernisierung in der Geschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern einleiten.

Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger wissen wir dabei auf unserer Seite, denn die Verwaltungsvorgänge

dauern den Menschen zu lange und kosten zu viel Geld. Durch die geplante umfangreiche Modernisierung wird die Verwaltung im Land schlanker, effektiver, kostengünstiger und, was mindestens genauso wichtig ist, auch bürgernäher. Das Geld, das wir einsparen, können wir dann anstatt in die „Verwaltung von Verwaltung“ in die Zukunft unseres Landes, also zum Beispiel in Schulen, Hochschulen und Forschung, investieren. Es soll den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zugute kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Auch die Ansiedlungsbedingungen für Unternehmerinnen und Unternehmer können wir damit weiter verbessern. So machen wir das Land attraktiver und haben die Chance, die Zukunft aus eigener Kraft zu gestalten. Und das müssen wir, denn wir können uns nicht für alle Zeiten auf die Zahlungen aus Brüssel oder aus dem Solidarpakt verlassen. Der stete Geldtropf von außen ist kein Naturgesetz, obwohl es einige vielleicht schon so empfinden mögen. Bis zum Auslaufen des Solidarpaktes im Jahr 2019 müssen wir auf eigenen Füßen stehen und dabei gilt es zu berücksichtigen, dass schon die Zahlungen in den kommenden Jahren spürbar geringer ausfallen. Hinzu kommt, dass sich auf absehbare Zeit wenig an der schwierigen Haushaltslage des Landes ändern wird. Auch stehen wir wie der gesamte Osten vor weiteren demographischen Veränderungen, die den Westen erst später treffen werden, und diese demographischen Veränderungen stellen uns vor besondere Herausforderungen. Die alten Bundesländer schauen zunehmend kritischer auf das, was wir uns leisten. All das wird dazu führen, dass wir zukünftig mit weniger Geld auskommen müssen.

Angesichts dieser Entwicklung gilt es, die Weichen heute richtig zu stellen, um morgen noch gestalten zu können. Das tun wir, indem wir Strukturen so verändern, dass wir diese Entwicklungen auffangen. Dazu

überprüfen wir, welche Verordnungen und andere Vorschriften wir abschaffen können, um Unternehmen und Bürger zu entlasten, – legen wir Ämter und Gemeinden zu zukunftsfähigen Einheiten zusammen, – übertragen wir Aufgaben vom Land auf die Kreise und von dort auf die Ämter und Gemeinden, – organisieren wir die Landesverwaltung neu, indem wir die nachgeordneten Behörden zusammenfassen und auf die Hälfte reduzieren, – entwickeln wir E-Government weiter, – passen wir die personelle Ausstattung durch ein Personalkonzept an vergleichbare westdeutsche Flächenländer an und – führen eine umfassende Kreisgebietsreform durch.

Die Verwaltungsmodernisierung ist ein Gesamtpaket. Nur als Gesamtpaket macht sie Sinn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Entscheidend für das Gelingen der Reform ist, dass die Reformbausteine gleichzeitig realisiert werden. So sind Funktionalreform und Gebietsreform eng miteinander verknüpft. Die Übertragung vieler Aufgaben in die Hände der kommunalen Verwaltung legt mehr Verantwortung und mehr Entscheidungskompetenz in die Hände vor Ort. Wir müssen daher im Rahmen einer Gebietsreform die Zahl der Landkreise reduzieren, um starke und leistungsfähige

Kreise zu schaffen, die diese neuen Aufgaben auch effizient erfüllen können. Mit den vorhandenen Strukturen, meine Damen und Herren, das sage ich hier noch mal ganz deutlich, ist das nicht zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Wer so etwas Grundlegendes modernisieren will wie die Verwaltung eines Landes, meine Damen und Herren, der braucht Verbündete. Es ist deshalb gut, dass neben vielen Bürgerinnen und Bürgern auch große Teile der Wirtschaft, die Kirchen, die Gewerkschaften und mehrheitlich der Städte- und Gemeindetag die Modernisierung unterstützen. Seit November 2004 sind zu der durchgeführten Anhörung zum Entwurf über 570 Stellungnahmen eingegangen. Verbände und Wissenschaftler haben sich geäußert, es wurde beraten, diskutiert und auch gestritten. Ich glaube, im Ergebnis wurde der Gesetzentwurf umfangreich überarbeitet und vor allen Dingen hat er an Gestalt gewonnen.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)

Insbesondere sind Hinweise zu verfassungsrechtlichen Fragen, zu den Finanzausgleichsbeziehungen, zum Personalüberhang, zu weiteren Fragen der Funktionalreform und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung aufgenommen worden. Auf allein 170 Seiten wird ausführlich dargelegt, welches Gesamtkonzept den einzelnen Rechtsänderungen des Entwurfs zugrunde liegt, warum die verfassungsrechtlichen Vorgaben gewahrt sind und warum es keine sinnvollen Reformalternativen gibt. Darüber hinaus wurde dem Anliegen nach der Stärkung der Kreistage entsprochen. Ihre Entscheidungs-, Beratungs-, Informationsund Kontrollbefugnisse werden gegenüber den derzeitigen Regelungen ausgeweitet. Um den Sorgen der Beschäftigten besser Rechnung zu tragen, ist der Personalübergang im vorliegenden Gesetzentwurf und im Personalüberleitungsgesetz umfassender geregelt worden.

Der Vorschlag des Landkreistages, von der Kreisgebietsreform und damit der Reduzierung der Kreise Abstand zu nehmen, wurde nicht aufgegriffen. Natürlich kann ich den Landkreistag verstehen. Landrat zu sein, meine Damen und Herren, ist eine schöne Aufgabe, die man nicht so gern aufgibt, aber stichhaltige Sachargumente sind das nicht. Ich möchte daher noch einmal eine ausdrückliche Einladung an den Landkreistag aussprechen, an den Reformen konstruktiv mitzuwirken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS)

Nicht nur der Landkreistag, mehrheitlich der Landkreistag und auch die CDU sagen, die Funktionalreform funktioniere ohne Gebietsreform, aber das stimmt nicht. Das Gutachten von Professor Seitz

(Wolfgang Riemann, CDU: Gefälligkeitsgut- achten! – Zuruf von Angelika Peters, SPD)

trifft zur Frage der Funktionalreform I ohne Kreisgebietsreform eindeutige Aussagen. Sie kann nicht sinnvoll ökonomisch durchgeführt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Regine Lück, PDS)

Und ich bin mir ziemlich sicher, die CDU weiß das auch, aber erzählt aus parteitaktischen Gründen den Menschen etwas anderes und verschleiert damit die Tatsache,

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU)

dass sie eine grundlegende Reform eigentlich nicht will.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Klaus Mohr, SPD: So ist das.)

Damit, meine Damen und Herren, steht die CDU für Stillstand

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU)

und gefährdet die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Gesine Skrzepski, CDU)

Zugleich, meine Damen und Herren, geben die vernünftigen Leute in der CDU im kleinen Kreis hinter vorgehaltener Hand zu, dass wir diese umfassende Verwaltungsmodernisierung brauchen. Stimmt! Daher, meine Damen und Herren von der CDU: Geben Sie Ihre Fundamentalopposition auf! Bleiben Sie nicht länger im Abseits stehen!

(Zuruf von Gesine Skrzepski, CDU)

Ich lade auch Sie noch einmal herzlich ein: Kommen Sie mit an Bord!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Meine Damen und Herren, viele Bundesländer sind heute vor ähnliche Probleme gestellt wie wir. Zurzeit sind wir bei der Verwaltungsmodernisierung Vorreiter und deshalb schaut man auf uns, was den Ablauf und auch das Verfahren angeht.

(Heiterkeit bei Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Diesen Vorsprung sollten wir nicht vertun. Galt früher in Mecklenburg-Vorpommern „Allens bliwwt bi’n Ollen“, so sind wir heute der Zeit schon einmal voraus.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Überholen, ohne einzuholen, hat …)

Schreien, ohne ernst genommen zu werden, Herr Riemann.

(Beifall und Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Meine Damen und Herren, der Entwurf für die umfassendste Verwaltungsmodernisierung in der Geschichte des Landes Mecklenburg-Vorpommern liegt auf dem Tisch. Natürlich ist nichts so gut, dass es nicht noch verbessert werden könnte. Und ich bin mir sicher, dass es im weiteren Verfahren noch Anregungen geben wird. Aber stellen wir dabei nicht die gesamte Reform in Frage. Behalten wir das zeitliche Ziel im Auge: Veröffentlichung im Gesetzblatt 2006, Umsetzung ab 2009.

Wir haben die Wahl: Setzen wir auf Zukunft oder auf Stillstand? Die Landesregierung setzt auf Zukunft und lädt alle ein, dabei mitzutun. Nicht die Lust am Verhindern sollte den einen oder anderen von uns antreiben, sondern die Lust, wirklich große Projekte gemeinsam zu stemmen, um das Land zukunftsfähig zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Torsten Renz, CDU: Sie sind sich doch nicht mal in der Koalition einig!)