Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

Um Zukunftsfähigkeit des Landes gestalten zu können, sind also mutige Schritte bei der Funktional-, Verwaltungs- und kommunalen Strukturreform notwendig.

(Wolfgang Riemann, CDU: Solche mutigen, wie Sie sie beim Waldgesetz gegangen sind!)

Wichtig, Herr Riemann, ist für die PDS dabei eine ausgewogene Balance zwischen Effizienz- und Demokratieaspek

ten. Die PDS spricht sich für eine umfassende Kommunalisierung vormals staatlicher Aufgaben aus. Dass der Gesetzentwurf bei der Aufgabenübertragung vom Land auf die kommunale Ebene dabei noch Reserven hat, ist aus unserer Sicht zumindest offensichtlich. Dennoch oder gerade deshalb wird von uns jede Stellungnahme der von Kommunalisierung Betroffenen ernst genommen und bewertet. Wichtig erscheint mir hier auch, dass wir die klassische Aufgabenteilung in so genannte freiwillige und pflichtige Aufgaben prüfen und ihre Zuordnung zum eigenen oder zum übertragenen Wirkungskreis kritisch hinterfragen.

Vor dem Hintergrund der angestrebten größeren Verwaltungseinheiten hat auch die Stärkung des kommunalen Ehrenamts auf allen Ebenen für uns große Priorität. Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, dürfen aber nicht die Rahmenbedingungen von gestern und heute Maßstab der Tätigkeit von morgen sein. Ein angemessener Dienstleistungssektor für das Ehrenamt ist daher zu gewährleisten. Aus unserer Sicht ist es deshalb völlig unakzeptabel, dass die für die Kreistagsfraktionen aus unserer Sicht notwendigen Geschäftsstellen unter das Gebot der Finanzneutralität gestellt werden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die Kommunalpolitiker, die wir ja oft selbst sind, und es gibt hier eine ganze Reihe von Kreistagsabgeordneten,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Werden ja weniger.)

müssen Impulse setzen, um die eingefahrenen Gleise in der Kommunalpolitik zu verlassen. Ein Verharren auf dem Status quo hilft uns hier nicht weiter. Deshalb wünsche ich mir auch eine umfassende Debatte des Gesetzentwurfes in allen Fachausschüssen unserer Kreistage und kreisfreien Städte.

(Beifall Gabriele Meˇsˇt’an, PDS)

Diese Debatte, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu initiieren und zu begleiten, das wird auch unsere Aufgabe sein. Dass dabei bereits vorliegende Stellungnahmen beachtet werden müssen, ist völlig unstrittig. Und so ergeben sich eben auch bei der Bewertung der bereits erwähnten Studie der Landkreise Demmin, Müritz, Mecklenburg-Strelitz und der kreisfreien Stadt Neubrandenburg interessante Details, zum Beispiel die Tatsache, dass in den Verwaltungen der drei Landkreise rund 300 bis 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind, in Neubrandenburg rund 1.000.

(Torsten Koplin, PDS: Na, 900.)

Es werden eine Reihe von Beispielen der interkommunalen Zusammenarbeit dargestellt, die auch heute hier schon Erwähnung fanden, so zum Beispiel bei der Abfallentsorgung durch die OVVD, beim Öffentlichen Personennahverkehr, der Durchführung von Aufgaben nach dem Tierseuchengesetz und so weiter und so fort. Warum aber, Herr Dr. Jäger, für diese oft reibungslose Zusammenarbeit vier Verwaltungen notwendig sind, diese Frage wird nicht untersucht.

(Beifall Heinz Müller, SPD, und Dr. Norbert Nieszery, SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Es geht nicht um Verwaltung.)

Vielmehr, Herr Dr. Jäger, ist doch in der Praxis festzustellen – und das werden Sie wissen –, dass in diesen

Kooperationsmodellen Entscheidungsträger oft nur unzureichend demokratisch legitimiert sind

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

und die Positionen der Verwaltungen dominieren. Und das hat mit kommunaler Selbstverwaltung nichts zu tun, Herr Dr. Jäger.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Diese Rahmenbedingungen sind also ebenfalls auf den Prüfstand zu stellen.

Ebenso, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die zunehmende Regionalisierung im internationalen Rahmen zu beachten.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Jaja.)

Vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklung in der Europäischen Union sind die Kreise als wichtiges Bindeglied zwischen Staat, Kommunen und Bürgern stärker als bisher auf die regionalen Wirtschaftsräume auszurichten.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die Region ist ein Land, Herr Ritter.)

Diese Ausrichtung kann auch dazu beitragen, dass um die jeweiligen Oberzentren herum wirklich zukunftsfähige Strategien zur Lösung der Stadt-Umland-Problematik entwickelt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts dieser von mir kurz skizzierten Tatsachen und dieser Herausforderungen ist Paragraph 1 der Mecklenburgischen Verfassung „Alles bleibt beim Alten.“ wirklich die falsche Herangehensweise.

Dass sich angesichts dieser Tatsachen und dieser Herausforderungen vor Ort vielfach Bedenken artikulieren und Widerstände formieren, ist doch nachvollziehbar. Dieser Widerstand ist aber nicht nur einer Partei oder einer Interessengruppe zuzuordnen. Zu den Klagewilligen gehören PDS-Landrätinnen und CDU-Landräte, SPD- wie CDU-Bürgermeisterinnen und -Bürgermeister. Auch die Meinungsäußerungen von SPD-Landräten gegen die Position der Führung des Landkreistages halten sich in Grenzen. Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern, Vereine und Verbände, Kirchen und Gewerkschaften haben in diesem Prozess berechtigte Forderungen. Diese an- und aufzunehmen, zu bewerten,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Können Sie doch gar nicht mehr.)

umzusetzen oder auch abzulehnen wird ab heute Aufgabe des Parlaments sein, Herr Dr. Jäger, ab heute Aufgabe des Parlaments.

Lassen Sie uns also deshalb parteiübergreifend für die Zukunft des Landes streiten. Von vornherein aber das Scheitern der Reform als einziges Argument vor sich herzutragen, so, wie Sie das machen, zeugt von Reformunwillen und führt zu Stillstand. Beides kann unser Land nicht gebrauchen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Herr Ritter.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Jäger von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es fing ja so gut an.

(Heinz Müller, SPD: Der Ministerpräsident war gut.)

Ja, er hatte zwar den Entwurf nicht gelesen, hatte ich den Eindruck,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Herr Rehberg hat stark nachgelassen. – Heinz Müller, SPD: Herr Rehberg hat das doch als Büttenrede bezeichnet in seinem Zwischenruf.)

denn er sprach von der Stärkung kommunaler Selbstverwaltung, verschwieg uns aber, dass die Zahl der Kreistagsmitglieder in diesem Land auf ein Drittel zurückgeschraubt werden soll. Die Partizipation der Bürger ist offenbar im Kommunalleben nicht mehr gewollt.

Herr Müller, dass Sie das mitmachen, wundert mich sehr, denn wir waren uns eigentlich mal einig, dass wir auf der kommunalen Selbstverwaltungsebene relativ viel miteinander tun können.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Dass Sie Bedenken anmelden, dass jemand, der einige Jahre Verwaltungserfahrung hat, sich zur Sache äußert, verwundert mich genauso, denn dafür kann ich nun mal nichts, dass ich erst in die Politik ging, nachdem ich Verwaltung gelernt hatte. Es ist manchmal – das darf ich Ihnen verraten – richtig gut, wenn man Bescheid weiß, was draußen los ist. Und es ist manchmal, Herr Müller, auch ganz gut, wenn man draußen von den Bürgern in kommunale Parlamente gewählt wird, denn man muss sich der Diskussion verdammt hart stellen.

(Heinz Müller, SPD: Es ist manchmal auch ganz gut, wenn man die technische Entwicklung zur Kenntnis nimmt. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Richtig, Herr Müller, genau das.

Und den virtuellen Kreistag, den Sie haben, wollen wir nicht. Wir wollen Menschen haben, Männer und Frauen aus dem Volke, so, wie unsere Verfassung das sagt. Wir wollen keine Apparatschiks, wir wollen keine hauptamtlichen Kreistagsmitglieder, wir wollen kommunale Selbstverwaltung, auch in der Fläche unseres Landes.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

So manchmal muss man sich schon wundern, wenn hier gesagt wird, wir verstehen das nicht, wie die Opposition, wie die CDU glaubt, dass man durch Abbau von Hierarchien Reserven freibekommt in der täglichen Arbeit. Das ist doch nun so leicht zu kapieren. Wenn Sie einmal in einer kommunalen Selbstverwaltungsbehörde, in einer Behörde, die Kreissitz sein kann, die Kreisverwaltung sein kann, in einer Gemeinde, in einem Amt nachfragen würden, hätte man Ihnen Folgendes erklärt: Die Hauptarbeit, der Zeitverlust entsteht häufig dadurch, dass man sich erst mit vielen Hierarchieebenen abstimmen muss. Deswegen sind wir dafür, dass Verwaltungsreform dort beginnt, wo Sie die Funktionalreform I in Ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben haben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Müssen Sie die alte Platte noch mal nehmen, Herr Jäger?!)

Ich habe sehr deutlich gesagt – das habe ich zu dem ursprünglichen Gesetzentwurf schon sagen können, weil die beiden sich wie ein Ei dem anderen gleichen –, sie sind ja kaum zu unterscheiden, Herr Ritter.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Also, Entschuldigung, ich werde Ihnen gleich zeigen, dass noch nicht einmal ein Fraktionsvorsitzender ihn liest, wenn er von Einrichtungsbeauftragten spricht. Eine Kreisverwaltung ist kein Möbelhaus.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und CDU – Beifall bei Abgeordneten der CDU)