Protokoll der Sitzung vom 23.06.2005

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 61. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 7: Zweite Lesung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Gesetze, Drucksache 4/1423, hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, Drucksache 4/1762.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Gesetze (Zweite Lesung und Schlussabstimmung) – Drucksache 4/1423 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – Drucksache 4/1762 –

Das Wort zur Berichterstattung hat der Vorsitzende des Innenausschusses Herr Abgeordneter Siegfried Friese.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Innenausschuss hat sich im Laufe der Beratungen für einige Veränderungen an dem Gesetzentwurf ausgesprochen. Insgesamt sind die Empfehlungen zu den einzelnen Vorschriften in überwiegendem Maße einstimmig getroffen worden. Lediglich bei drei Punkten gab es im Ausschuss größeren Erörterungsbedarf. Auf diese Punkte möchte ich kurz eingehen.

(Andreas Bluhm, PDS: Jetzt ist die Rede weg. – Peter Ritter, PDS: Ist noch ein bisschen früh heute. – Minister Dr. Gottfried Timm: Willst du meine nehmen, Siegfried?)

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wenn man hier vorn steht, hat man die Aufmerksamkeit des gesamten Hohen Hauses, und ich bedanke mich dafür.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Die Fraktion der CDU hatte sich – anders, als es der Gesetzentwurf vorsieht – für die Wiedereinführung und ausdrückliche Regelung der Institution des unabhängigen Untersuchungsführers ausgesprochen, einmal aus Gründen der Deregulierung und der Entlastung der Gerichte von unnötigen Prozessen, zum anderen aus Gründen der Rechtsschutzgarantie im nichtförmlichen Verfahren. Herr Dr. Jäger wird sicher noch einmal ausführlich zu diesem Änderungswunsch seiner Fraktion Stellung nehmen.

Der Ausschuss hat sich intensiv mit diesem Änderungsantrag befasst und ist letztlich einvernehmlich bei teilweiser Stimmenthaltung auf Seiten der Fraktion der CDU zu dem Schluss gekommen, keine Änderung im Paragraphen 23 vorzunehmen. Dem Landtag solle jedoch die Verabschiedung einer Entschließung empfohlen werden, mit der ausdrücklich auf die Unabhängigkeit des Untersuchungsführers hingewiesen werde. Diese Entschließung ist in der Beschlussfassung ausgewiesen.

Ein weiterer Punkt, der ausführliche Beratungen im Innenausschuss erforderte, war die Frage, ob und inwie

weit die neuen Befugnisse des Dienstvorgesetzten nach Paragraph 35 zu weit gehen würden. Die Fraktion der CDU hatte sich hier für die Beibehaltung der bisherigen Regelung ausgesprochen, weil sie befürchtete, dass das Land anderenfalls mit den Regelungen des Gesetzentwurfes hinter die rechtsstaatliche Garantie zurücktrete. Auch hierzu wird Dr. Jäger, wie ich annehme, sprechen. Die Mehrheit der Abgeordneten im Ausschuss hat sich letztlich gegen die Beibehaltung der gegenwärtigen Regelungen für eine unveränderte Annahme des Paragraphen 35 des Gesetzentwurfes ausgesprochen.

Einigkeit bestand im Ausschuss – und dies ist der dritte Punkt, den ich Ihnen vortragen möchte – bei der Feststellung, dass für Beamte der Gemeinden, Ämter, Landkreise und Zweckverbände besondere Regelungen erforderlich sind, die den Eigenheiten der Kommunalverwaltung, beispielsweise die Ehrenamtlichkeit einiger Tätigkeiten, Rechnung tragen. Der Ausschuss hat daher einstimmig entsprechende Änderungen in Paragraph 85 vorgenommen.

Um meinen beiden nachfolgenden Rednern nicht weiter vorzugreifen, möchte ich die Berichterstattung an dieser Stelle beenden. Ich darf Sie bitten, der im Innenausschuss mehrheitlich beschlossenen Empfehlung zu folgen und den Gesetzentwurf in der geänderten Fassung sowie die einvernehmlich beschlossene Entschließung in Punkt 2 der Beschlussempfehlung anzunehmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Andreas Bluhm, PDS)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Friese.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Herr Dr. Jäger von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Friese hat ja schon angekündigt, dass ich zu einigen Bestimmungen des Gesetzentwurfes noch Stellung nehmen werde. Das tue ich hiermit.

Ich hatte in der Ersten Lesung schon auf Bedenken hingewiesen, die aus der Sicht unserer Fraktion gegen den Gesetzentwurf bestehen. Unter der durchaus gefälligen Überschrift „Deregulierung“ wird das noch nach der geltenden Disziplinarordnung für unser Land austarierte und auch allseits akzeptierte Gleichgewicht zwischen den Befugnissen des Dienstvorgesetzten und den Rechtsschutzmöglichkeiten des Beamten nach unserer Auffassung einseitig zu Lasten des Beamten verschoben. Wenn man dies will, dann muss man das auch ehrlich eingestehen, und darüber kann man sogar sachlich diskutieren.

Allerdings darf bei jeder Veränderung des Disziplinarrechts auch die Auswirkung auf die Motivation der Beamten nicht außer Acht bleiben. Das gilt insbesondere für die Beamten des Polizeivollzugsdienstes. Sie sind, etwas platt ausgedrückt, im höchsten Maße disziplinarverfahrensgefährdet und das liegt daran, dass in vielen Fällen, in denen der Polizeibeamte aufgrund des Legalitätsprinzips einschreiten muss, versucht wird, seine spätere Glaub

würdigkeit als Zeuge vor Gericht schon mal dadurch zu unterminieren, dass man ihm gegenüber Vorwürfe über die Art und Weise seines Einschreitens erhebt, die dann notwendigerweise zur Einleitung von Verwaltungsermittlungen und eines Disziplinarverfahrens führen. Aus dieser Sicht erscheint die bisherige Regelung, wonach der Dienstvorgesetzte lediglich die Maßnahmen Verweis und Geldbuße durch eine Disziplinarverfügung verhängen kann und alle weitergehenden Maßnahmen einem disziplinargerichtlichen Verfahren vorbehalten werden, durchaus sinnvoll und auch angemessen.

Nach der Regelung des Entwurfes bedarf es dagegen der Erhebung einer Disziplinarklage nur, wenn gegen den Beamten auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder auf eine Aberkennung des Ruhegehaltes entschieden werden soll. Alle anderen Disziplinarmaßnahmen, nämlich der Verweis, die Geldbuße und neu die Kürzung der Dienstbezüge, eine Zurückstufung oder eine Kürzung des Ruhegehaltes, sollen nunmehr ohne ein gerichtliches Verfahren verhängt werden können. Der Beamte kann zwar dagegen Klage bei dem Verwaltungsgericht, nämlich der Kammer für Disziplinarsachen, erheben, ihm soll aber nicht mehr der Anspruch auf Überprüfung in einem Vorverfahren durch einen Widerspruch eingeräumt sein. Außerdem besteht nicht die Möglichkeit, die Aussetzung des Vollzuges der Maßnahmen anders als durch die Erhebung einer Klage herbeizuführen. Damit wird der Beamte bei allen Disziplinarmaßnahmen, mit Ausnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder der Aberkennung seines Ruhegehaltes, in eine Stellung geschoben, aus der er sich aus der Defensive heraus gegen schon verhängte Maßnahmen wehren muss. Seine Rechtsstellung wird weiter dadurch geschmälert, dass die bisherige Trennung zwischen dem nichtförmlichen und dem förmlichen Verfahren aufgehoben wird.

Aus Deregulierungsüberlegungen ist dem Verzicht auf das bisherige förmliche Verfahren durchaus zuzustimmen. Allerdings führt die Beschränkung auf ein reines Ermittlungsverfahren dazu, dass der Ermittlungsführer als solcher nicht mehr unabhängig, also als objektiver Sachwalter und ohne Weisungen von Vorgesetzten unterworfen zu sein, die belastenden, aber auch die entlastenden Umstände ermittelt.

Der von meiner Fraktion gestellte Änderungsantrag, mit dem in dem neuen Paragraphen 23 Absatz 1 eingefügt werden sollte, dass die Ermittlungen durch einen unabhängigen Untersuchungsleiter geführt werden sollen, wurde im Innenausschuss mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Der dafür gefasste Entschließungsantrag, dem wir natürlich zugestimmt haben, reicht nicht aus, um ein faires Verfahren im Sinne der Waffengleichheit zwischen dem Betroffenen und dem Dienstvorgesetzten zu garantieren. Deutlich wird das dadurch, dass die Landesregierung in der Begründung zu ihrem Entwurf ausdrücklich ausführt, der Ermittlungsführer handelt weisungsgebunden. Gerade mit dem Wegfall des unabhängigen Untersuchungsführers sind erhebliche Gefährdungen eines objektiven Disziplinarverfahrens verbunden. Das Disziplinarverfahren dient der Durchsetzung eines dem Amt angemessenen Verhaltens des Beamten, was das Vertrauen in seine objektive und nur dem Gesetz unterworfene Amtsführung sichern soll. Es darf aber nicht dazu führen, dass etwa der nächsthöhere Dienstvorgesetzte

mögliche gegen ihn zu richtende Vorwürfe dadurch abwendet, dass er in dem ihm untergebenen Beamten den einzigen an einem Fehlverhalten Schuldigen ausmacht.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig.)

Das Verschieben von Verantwortung wird damit erst ermöglicht.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU, und Rainer Prachtl, CDU)

Auf diese Gefahr hat der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in überzeugender und auch sehr eindringlicher Weise in der Anhörung hingewiesen. Zu meinem Bedauern muss ich feststellen, dass viele der in der Anhörung geäußerten sachlichen Vorschläge im Ergebnis von den der Koalition angehörenden Kollegen im Innenausschuss nicht berücksichtigt wurden.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist ja leider bei dem Innenministerium so üblich.)

Dies gilt neben dem bereits Gesagten auch für die von uns auf der Grundlage der Anhörung beantragte Option eines Widerspruchsverfahrens, auf das der Beamte verzichten, aber auch bestehen kann. Entgegen dem in der Anhörung gezeigten Verständnis einzelner Kollegen blieben sie in der Abstimmung – offenbar nach Rücksprache mit dem Innenminister – bei ihrer harten Haltung. Insgesamt erweckt die Beratung den Eindruck, dass man sich mit dem verschärften Disziplinarverfahren seitens der Regierung ein Instrument schaffen wollte und will, um bis in den mittleren Dienst mit doch erheblich belastenden Strafmaßnahmen durchgreifen zu können.

(Rainer Prachtl, CDU: Peinlich, peinlich!)

Dies entspricht nicht unserer Auffassung von einer zeitgemäßen Menschenführung und dürfte sich auf die Motivation der Betroffenen auf keinen Fall vorteilhaft auswirken.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ja.)

Aus diesem Grunde müssen wir, da die inhaltlichen Anträge, die wir gestellt haben, fast ausnahmslos abgelehnt wurden, diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Gestatten Sie mir aber, zu einer Belastung des Beratungsverfahrens noch einige Worte zu sagen, die eine Spezialität nach Art des Hauses der rot-roten Koalition zu werden droht. Die Erörterung im Innenausschuss wurde mehrfach von der Sitzung abgesetzt, weil die Koalitionspartner noch Beratungsbedarf hatten.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das kennen wir ja.)

Wir haben eine von allen beachtete Regelung, die wir auch einhalten: Wenn eine Fraktion noch Beratungsbedarf anmeldet, wird dem stattgegeben. In der Sitzung des Innenausschusses am 08.06.2005, Sie entsinnen sich, das war zwei Stunden vor der Landtagssondersitzung, wurde dann die Katze aus dem Sack gelassen. Offenbar auf Wunsch der PDS-Fraktion, die hier schon öfter versucht hat, Klientelpolitik zu betreiben, sollte im Paragraphen 8 Absatz 4 des Landesbeamtengesetzes die Nummer 2 entfallen.

(Angelika Gramkow, PDS: Nee, soll ganz gestrichen werden.)

Sollte entfallen, ja, entfallen.

(Angelika Gramkow, PDS: Damit Sie es auch genau wissen – ja, der gesamte Paragraph, und nicht nur der halbe.)

Für Insider wurde deutlich, dass dies der Grund war, warum die Koalition hinsichtlich dieses Gesetzentwurfes, der eigentlich mit dem Landesbeamtengesetz überhaupt nichts zu tun hat, so lange uneins war.

(Angelika Gramkow, PDS: Jetzt will ihn Dr. Jäger haben. Das sollte keiner wissen.)

In letzter Minute sollte der für viele dem früheren Ministerium für Staatssicherheit oder dem Amt für Nationale Sicherheit Nahestehende aufgebaute Stolperstein für den Eintritt oder für das Verbleiben im öffentlichen Dienst nun doch weggenommen werden.

(Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Es sollte damit die Regelung aufgehoben werden, nach der eine Person grundsätzlich von der Berufung in das Beamtenverhältnis ausgeschlossen ist, die für das MfS oder für das Amt für Nationale Sicherheit tätig war. Da auch die übrigen Änderungen, die seitens der Koalition zugebilligt oder gewünscht wurden, erst in dieser Ausschusssitzung, vor der Sondersitzung des Landtages, die bekanntlich nur zwei Stunden dauern konnte, eingebracht wurden, musste eine Ausnahmeregelung beantragt werden.