Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist wieder keine Aussage. Jetzt ist Schluss! Also die Eierei geht nicht!)

Danke schön, Herr Minister.

Die CDU-Fraktion hat um eine Unterbrechung wegen Beratungsbedarf gebeten. Ich unterbreche die Landtagssitzung für zehn Minuten.

Unterbrechung: 12.43 Uhr

Wiederbeginn: 12.57 Uhr

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich eröffne die unterbrochene Sitzung und wir werden in der Aussprache fortfahren.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Polzin von der Fraktion der SPD. Bitte, Frau Polzin.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich räume ein, heute geht mein zweitschlimmster Alptraum in Erfüllung. Der heißt, dass nach den Mühen des Gesetzgebungsverfahrens, das wir alle mehr oder weniger eng miterlebt haben, das ganze Thema noch einmal aufgemacht werden muss. Ich räume ein, das habe ich mir mit Sicherheit nicht so gewünscht. Ich war der Auffassung, dass wir nach den gemeinsamen Anstrengungen und den umfassenden tagelangen Anhörungen von Betroffenen ein Paket schnüren, das zwar nicht inhaltlich zu 100 Prozent fraktionsübergreifend getragen wurde, aber in wesentlichen Teilen. Rund die Hälfte der Anträge sind von der CDU mitgetragen worden, gerade im Hinblick auf Selbstständigkeit von Schule und so weiter. Ich bin davon ausgegangen, weil wir – und das muss ich jetzt einfach auch einmal sagen – das Risiko dieses ungewöhnlichen Gesetzgebungsverfahrens während der Beratungen sehr wohl gesehen haben. Das hat sich unter anderem daran festgemacht, dass wir im Ausschuss immer wieder offen gehalten haben, dass es eventuell eine Dritte Lesung geben müsste, denn uns allen war klar, dass nach der Ersten Lesung und der ersten Anhörung die daraus entstehenden wesentlichen Änderungen schon eine Besonderheit darstellen. Wir wollten damit gesetzeskonform umgehen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Beratung, wo wir auf gleicher Augenhöhe mit allen drei Fraktionen davon überzeugt waren, dass wir den rechtlich richtigen Weg gehen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Und nun nicht mehr?!)

Das war bis zum Schluss der Beratungen am 22. Juni immer noch so, was mit dem 07.07., also der Urteilssprechung des Landesverfassungsgerichts, schon ein bisschen in die Verunsicherung gesteuert wurde, und zwar gerade in dem Punkt, was bei wesentlichen Änderungen eines parlamentarischen Verfahrens passieren muss.

Die erneute Grundsatzdebatte ist genau der Punkt, bei dem wir heute sagen müssen, wir sind zwar davon ausgegangen, dass das über die öffentlichen Anhörungen in Ordnung war, nichtsdestotrotz würde ich mich nicht hier hinstellen und sagen wollen: Und jetzt sind wir sicher. Ich bedanke mich zwar dafür, dass wir als Parlamentarier schon ein bisschen das Gefühl haben, dass weniger Spielräume vorhanden sind, als wir es eigentlich gewöhnt sind, aber ich meine auch, Recht haben und Recht bekommen sind zweierlei Dinge. Ich weiß nicht, ob es für uns so wesentlich ist, dass unsere persönlichen Befindlichkeiten hier eine Rolle spielen, oder ob für uns nicht wirklich eins Vorrang haben muss: die Sicherheit für den nächsten Schuljahresbeginn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Ich räume ganz offen ein, ich habe nie die Gefahr gesehen, dass die CDU wegen des Schulgesetzes vor das Landesverfassungsgericht zieht. Es gab immer Absprachen, auf die ich vorhin verwies. Niemand in diesem Raum kann garantieren, dass das passieren wird zu Beginn des nächsten Schuljahres, was eigentlich immer passiert: Eltern und Schulträger klagen vor dem Verwaltungsgericht und fordern, dass ihre 5-, 6-Schüler-Klassen weiterhin vorgehalten werden.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das wird sich aber trotzdem nicht verändern.)

Erinnern wir uns bitte, wie auch im Zusammenhang mit dem Verfassungsgerichtsurteil Verwaltungsgerichte urteilen. Sie haben im Grunde immer den Status quo aufrechterhalten und immer dafür gesorgt, dass im Hinblick auf eine ausstehende Urteilsfällung Dinge nicht in Gang gekommen sind. Ich sage an dieser Stelle, auch wenn das heute mein zweitschlimmster Alptraum ist:

(Torsten Renz, CDU: Welches ist denn der schlimmste?)

Dass wir das ganze Verfahren noch einmal aufmachen müssen, ist mein allerschlimmster, dass wir diesen Weg nicht gehen im guten Vertrauen darauf, dass wir richtig gehandelt haben.

Und genau das passiert zum nächsten Schuljahresbeginn: Eltern melden ihre Schüler an einem Gymnasium Klasse 5 an,

(Minister Dr. Till Backhaus: Das will die CDU ja! Das wollen sie ja!)

weil sie der Auffassung sind, dass das Gesetz irgendwo seine Lücken hat. Klassen mit 5, 6 Schülern werden wiederum eingeklagt, Schulen in freier Trägerschaft versuchen wieder, andere Regelungen durchzuziehen,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das werden sie trotzdem tun! Das werden sie trotzdem tun! Es gibt ein... – Zurufe von Dr. Ulrich Born, CDU, und Dr. Armin Jäger, CDU)

weil das Schulgesetz in Frage gestellt wird. Mit anderen Worten: Wir könnten da draußen ein Chaos organisieren. Das ist für mich der größte Alptraum und den würde ich gerne verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS – Torsten Renz, CDU: Wieso eigentlich Alptraum?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, die Urteilssprechung des Landesverfassungsgerichtes zum Doppelhaushalt hat ein paar Auswirkungen, die wir uns in der Tat noch einmal als Parlament und an geeigneter Stelle – ich sehe da vor allem auch in Selbstbefassung den Rechtsausschuss mit all seinen zusätzlichen Funktionen – ansehen müssen. Wir müssen in der Tat gucken, was darf das Parlament. Wir müssen uns auch das ansehen, was wir vielleicht jahrelang gar nicht so sehr ernst genommen haben, aber das Urteil stößt uns darauf. Unsere Verfassung ist eine besondere. Es gibt nur zwei Bundesländer – also eins außer uns –, die schon in der Verfassung festgeschrieben haben, wie ein Gesetzesverfahren abzulaufen hat. Andere regeln das über ihre Geschäftsordnung und sind vor Gericht dann, denke ich, sattelfester als wir.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Nein.)

Dieses ist alles eigentlich lange bekannt. Aber die Diskussion, dass das einmalig in der Bundesrepublik ist, hat natürlich auch etwas damit zu tun. Wenn wir uns hier im Parlament einig sind, dass Rechtssicherheit, Sicherheit für Schüler, für Eltern, für Lehrer, für Träger vor Ort, oberste Priorität hat, kann ich Sie nur eindringlich bitten: Versuchen Sie, mit uns gemeinsam diesen formalen Akt zu vollziehen!

(Heiterkeit bei Wolfgang Riemann, CDU: Wir vollziehen keine formalen Akte.)

Wir haben es selbst in der Hand, wie schwer wir uns damit gegenseitig tun. Wir tun es nur deshalb, weil wir diese Rechtssicherheit wollen, denn ich, das sage ich ganz offen, habe an dieser Stelle keine Lust mehr, all die Inhalte, all die Konsequenzen des Schulgesetzes zu diskutieren. Uns kann es doch vielmehr nur darauf ankommen, dass wir das nächste Schuljahr vernünftig vorbereiten, das heißt, dass die Qualifikation der Lehrer erfolgt,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig. Natürlich, das wollen wir auch.)

die schon auf gutem Weg ist, dass die Umsetzung der Förderstunden auf der richtigen Bahn ist, dass die finanziellen Voraussetzungen sitzen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig, das wollen wir auch.)

Das ist das, was mich im Moment bewegt, und das andere ist ein notwendiges, ein wirklich notwendiges Übel.

Ich beantrage für die SPD-Fraktion die Überweisung in die Fachausschüsse gemäß Drucksache und kann Sie nur bitten, dass Sie diesen Weg mit uns kollegial gehen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS)

Danke schön, Frau Polzin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Bluhm von der Fraktion der Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es reizt mich natürlich, zu einer sowohl umfänglichen bildungspolitischen Grundsatzrede wie auch zu einer verfassungsrechtlichen Grundsatzrede anzusetzen. An der Stelle möchte ich dem Bildungsminister für seine Rede danken, der in den dargelegten Schwerpunkten noch einmal deutlich gemacht hat, warum die entsprechenden gesetzlichen Regelungen im Bildungsgesetz für die weitere Entwicklung des Schulsystems in unserem Land so wichtig sind. Selbst wenn wir in Einzelfragen unterschiedlicher Auffassung sind, so ist doch im Rahmen der Umsetzung dieser Fragen vor Ort ein großes Engagement der Lehrerinnen und Lehrer auch jetzt zu verspüren. Dafür möchte ich den vor Ort Tätigen schon an dieser Stelle danken, auch wenn sie nach wie vor viele Fragen haben und das etwas unübersichtliche Verfahren,

(Heiterkeit bei Wolfgang Riemann, CDU: Unübersichtliches Verfahren!)

so will ich es jetzt einmal formulieren, wieder zu mehr Verwirrung beiträgt als zu Klarheit.

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

Die Situation ist allerdings so, dass wir im Interesse von Schülerinnen und Schülern, und da greife ich das Wort des Fraktionsvorsitzenden der CDU-Fraktion auf, die entsprechende Sicherheit herstellen wollen und müssen. Das ist das, was das Ansinnen der Landesregierung ist und was auch im Interesse von uns Parlamentariern sein sollte. Von daher unterstützt meine Fraktion das Ansinnen, dieses in einer Ersten und einer Zweiten Lesung durchzuführen.

Die Fraktion der Linkspartei.PDS war für die Einführung von längerem gemeinsamen Unterricht. Daran hat sich nichts geändert und wir werden uns auch in den nächsten Monaten darum sorgen müssen, dass die Vorbereitung des Schuljahres vernünftig erfolgt. So weit vielleicht zu dem ersten Teil.

Jetzt zum zweiten Teil, wo ich meine, dass der Anlass vielleicht auch wirklich nicht der geeignetste ist, verfassungsrechtliche Fragen wie die Grundsatzfrage, was kann denn überhaupt der frei gewählte Landtag im Rahmen seiner Entscheidungskompetenzen, seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten alles tun, zu diskutieren.

Wenn ich den Paragraphen 48 der Geschäftsordnung nehme, in dem steht: „In der Ersten Lesung werden in der Regel“ – in der Regel, also auch nicht immer – „die Grundsätze des Gesetzentwurfs beraten. Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen sind vor Schluss der ersten Beratung nicht zulässig, zu Staatsverträgen überhaupt nicht zulässig“,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig, das ist so.)

taucht die verfassungsrechtliche Frage auf, wie denn überhaupt Gesetze geändert werden können. Das geht nur, indem Änderungsanträge in die entsprechenden Ausschüsse eingebracht werden. In der Ersten Lesung geht es überhaupt nicht.

Und auch das, was Änderungsanträge nach der Geschäftsordnung beinhalten, ist ziemlich weit reichend, denn da heißt es im Absatz 1 des Paragraphen 57: „Anträge, die den Wortlaut der Vorlage ändern oder ergänzen sollen“. Die Vorlage im Sinne der Geschäftsordnung dieses Hohen Hauses ist ein Gesetzentwurf. Ergänzungen dieses Gesetzentwurfes sind Änderungsanträge. Von daher, denke ich, ist schon darüber zu diskutieren, ob das, was aller Orten jetzt an Interpretation dieses Verfassungsgerichtsurteils unterschiedlichster Art und Weise vollzogen wird, tatsächlich auch so haltbar und so die Sichtweise des Parlaments selbst ist.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Sehr richtig.)

Das allerdings am Schulgesetz auszutragen, halte ich vor dem Hintergrund dessen, was die Regelungsdichte und die Regelungsnotwendigkeiten betrifft, für wenig dienlich. Von daher wird wahrscheinlich eine zügige Beratung dieses vorliegenden Gesetzentwurfes der Sache eher gerecht als eine weitere Verschärfung der Unsicherheiten, so kompliziert dieses Unterfangen auch ist.

Ich will das bei Herrn Jäger und bei Frau Polzin noch einmal aufgreifen: Wir als Parlament müssen die geeigneten Formen und Bewegungsmöglichkeiten finden, um über das zu reden, was wir in Umsetzung der Landesverfassung in unserer Geschäftsordnung als für verfassungsrechtlich denkbar und lösbar halten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU und Linkspartei.PDS – Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig. – Dr. Armin Jäger, CDU: Genau.)