Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Sie schauen immer gerne nach Finnland, es lohnt sich aber auch ein Blick nach Kanada. Ein Erfahrungsbericht einer Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen, die ein Jahr in Kanada an einer Ganztagsschule gearbeitet hat, zeigt plastisch, wie weit wir von der wirklich guten Ausgestaltung von Schule und Unterricht entfernt sind und weshalb wir uns über PISA-Ergebnisse und Beschwerden von Unternehmen über mangelnde Ausbildungsreife, wie mir erst in der vergangenen Woche sehr drastisch geschildert wurde, nicht zu wundern brauchen.

Nehmen wir das Zitat mit als Auftrag für künftige bildungspolitische Aufgaben! Ich zitiere: „Auffällig war im Unterschied zu Deutschland, dass der Alltag der Ganztagsschule in Kanada in erheblich ruhigeren Bahnen verlief. Wir Lehrkräfte konnten uns viel stärker auf unsere

eigentlichen Aufgaben, Unterricht und Erziehung, konzentrieren.“

(Heike Polzin, SPD: Die haben ja auch nicht so einen gesellschaftlichen Umbruch hinter sich wie wir, ne!)

„Die personelle und sächliche Ausstattung ließ uns genügend Spielraum für Kooperationen. Durch das Heranziehen von ,Experten‘ wurden wir professionell unterstützt. Die Identifizierung mit der eigenen Schule hatte ein großes Gewicht. Die Schülerinnen und Schüler waren disziplinierter, die Eltern sahen ihre Mitarbeit in der Schule als Pflicht an. Die Autorität der Lehrerin oder des Lehrers wurde respektiert, das Berufsbild genoss ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Keiner von uns fühlte sich – wie so oft in Deutschland – überfordert oder unter Druck gesetzt. Niemand blieb mit seinen Problemen allein.“ Meine Damen und Herren, Bildungspolitik in diesem Land ist eine große Baustelle.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Frau Fiedler-Wilhelm.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Bluhm von der Linkspartei.PDS. Bitte schön, Herr Vizepräsident.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schließe mich dem Dank an die Lehrerinnen und Lehrer dieses Landes,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Sie enttäuschen mich nicht, Herr Bluhm.)

an die Elternvertreter, an alle, die mit Schule zu tun haben, an. Sie haben das so schön gemacht, da brauche ich es gar nicht extra zu tun. Aber dann ist auch schon Ende der Fahnenstange,

(Heiterkeit bei Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das überrascht mich auch nicht.)

was die Gemeinsamkeiten in der Auffassung betrifft. Nein, nicht ganz. Also die eine oder andere Einschätzung zu dem sich darstellenden Schulalltag, zur Herausforderung an die Gestaltung eines qualitativ guten Schulalltags im Interesse von Schülerinnen und Schülern, die würde ich schon mit Ihnen gemeinsam unterschreiben,

(Heike Polzin, SPD: Aber du siehst andere Ursachen, ne?!)

denn sie nehmen stetig zu, sie nehmen neue Formen an und sind in Bewegung. Deswegen kann man nicht so tun, und das machen auch Lehrerinnen und Lehrer in diesem Lande nicht, als würde man jetzt einfach weiterkommen, indem man Schule so lässt wie sie ist oder wie sie war.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das hat keiner gesagt. Das hat keiner gesagt.)

Schule impliziert stetig Veränderungen, auch wenn es die Auswertung eines besonderen Films am Abend davor war, der die Situation in dem Klassenverband völlig neu mischt. Landespolitik, und deswegen bin ich etwas überrascht über die Breite der Diskussion, die von Ihnen, Frau Fiedler-Wilhelm, heute zu diesem Tagesordnungspunkt noch einmal ausgeführt wurde, Landespolitik muss die Rahmenbedingungen richtig setzen und schaffen.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Ja.)

Das macht die Landespolitik zuerst als Landesgesetzgeber mit einem Schulgesetz, das ja bereits in einer entsprechenden Beratung stattgefunden hat und verabschiedet wurde. Über das Für und Wider haben wir in der Ersten Lesung zu diesem Regierungsentwurf aus rechtlicher Sicht diskutiert und nicht so vordergründig aus bildungspolitischer. Ich denke, dass natürlich die Frage zu beantworten war: Ist das, was im Gesetzgebungsverfahren vielleicht einer Prüfung des Verfassungsgerichts nicht standhalten könnte, so gewichtig, dass die Landesregierung diese so genannte doppelte Naht, wie Frau Polzin es formuliert hat, näht? Und weil es um Kinder und die Entwicklung ihrer Zukunftschancen geht, haben die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen diesem Verfahren bei allen Bauchschmerzen zugestimmt.

Da Sie so viele inhaltliche Dinge angesprochen haben, möchte ich zumindest zu drei Aspekten noch etwas sagen:

Erstens. Die wieder suggerierte Behauptung, der deutsche Sonderweg mit Österreich zusammen mit der frühen Leistungsselektion hätte sich gegenüber integrierten Systemen international als überlegen erwiesen,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das habe ich nicht gesagt, Herr Bluhm. Das habe ich nicht gesagt. Das unterstellen Sie mir jedes Mal und es ist jedes Mal falsch!)

auch wenn Sie es noch so oft wiederholen, es ist nicht wahr.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

Das ist durch PISA widerlegt worden. Wir brauchen an der Stelle keine grundlegend neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, ob das denn in Deutschland völlig anders wäre,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Sie ergänzt Strukturdebatten.)

sondern wir brauchen politische, bildungspolitische, bildungswissenschaftliche Analysen

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Es gibt keine Analysen!)

und Entscheidungen zur Weiterentwicklung von Schule. Es geht nicht um Strukturdebatten an sich,

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das machen Sie doch ständig.)

sondern um die inhaltliche Frage der Weiterentwicklung von Schule.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Und dafür hat das neunte Änderungsgesetz und das jetzt erneut zur Beratung vorliegende Gesetz eine ganze Reihe inhaltlicher Aspekte in den Gesetzeszustand gehoben, die bei der Entwicklung von Schule in diesem Zusammenhang wichtig sind.

Die zweite Nummer,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

wir würden sozusagen mit der politischen Aussage – die haben beide Koalitionsfraktionen ja gemacht, und ich

denke, wir werden landauf, landab genau im Wahlkampf auch zu dieser Debatte wieder unsere unterschiedlichen Auffassungen austragen, es werden ja wieder dieselben handelnden Persönlichkeiten sein, ich freue mich heute schon darauf – die Fragen 7 und 8...

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Darum geht es doch schon lange nicht mehr. Das kriegen Sie einfach nicht mit, weil Sie es nicht wahrhaben wollen!)

Frau Fiedler-Wilhelm, das ist doch einfach nur konsequent.

(Torsten Renz, CDU: Nein, die Frage verbietet sich schon.)

Welche Frage denn, Herr Renz?! Kommen Sie ans Pult, ich habe noch ein bisschen Zeit!

(Torsten Renz, CDU: Nach 7 und 8.)

Die Frage ist, diese Koalition steht für einen längeren gemeinsamen Unterricht. Da ist es nur konsequent zu sagen,...

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Also sind doch Strukturen für Sie wichtig und nicht Inhalte. – Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Selektives Denken. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Also vielleicht noch einmal ganz langsam: Längerer gemeinsamer Unterricht, mindestens von der 5. bis zur 8. vielleicht auch weiteren Jahrgangsstufe

(Torsten Renz, CDU: Ich hoffe, dass die SPD rechtzeitig aufwacht! – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Und was ist das für eine Strukturdebatte? – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Die Berliner machen zehn.)

ist international erfolgreicher als eine hochselektive Ausdifferenzierung von Bildungsbiografien.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Das behaupten Sie, das ist nicht erwiesen. – Zurufe von Torsten Renz, CDU, und Wolfgang Riemann, CDU)

Und deswegen ist es konsequent zu sagen: Wir haben damit angefangen und wir als Koalitionsfraktionen – beide Parteien haben es ebenso auf ihrer Agenda – wollen dieses fortsetzen.

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Ganz große Klasse! – Torsten Renz, CDU: Sprechen Sie für die SPD jetzt auch? – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Dritte Bemerkung. Sie suggerieren mit Ihrer Rede, wir hätten Kritiken und Anregungen nicht aufgenommen, wir würden uns davor verschließen