Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 77. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 77. und 78. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 77. und 78. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich den Abgeordneten, unseren Kollegen Reinhardt Thomas zu mir bitten. Herr Thomas ist vor wenigen Tagen 60 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch nachträglich zu diesem Jubiläum!
Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die heutige und morgige Sitzung die Abgeordnete Frau Friemann-Jennert zur vorläufigen stellvertretenden Schriftführerin.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Elterngeld – Chancen für Familien in Mecklenburg-Vorpommern“ beantragt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Zwölf plus zwei“ lautet seit 1. Mai die wohl zurzeit aktuellste Formel in der Politik, mit der die Einigung des Koalitionsausschusses in Berlin zur Einführung des Elterngeldes umschrieben wird. Mit der Entscheidung für das Elterngeld hat die große Koalition in Berlin nicht nur eine wichtige Entscheidung für eine moderne und zukunftsfähige Familienpolitik getroffen, sondern vor allem ein zentrales Element für Gleichstellung von Frau und Mann verankert. Auch wenn die CDU-Familienministerin Frau von der Leyen das Thema der zwei Vätermonate, das dabei eine Rolle spielt, sehr geschickt für sich verkauft, das gesamte Elterngeld und nicht nur die Vätermonate, die lange Zeit in der Union umstritten waren, sind ein Kind der SPD.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Haha! Also wirklich! Ich glaub’s ja nicht!)
Man bedenke, noch im vergangenen Jahr haben die CDU-geführten Bundesländer auf der GFMK hier in Schwerin einen Antrag Mecklenburg-Vorpommerns, also unseres Bundeslandes, auf Einführung eines Elterngeldes in Bausch und Bogen und mit völlig abenteuerlichen Begründungen einfach so vom Tisch gewischt.
Die SPD hat nach der Bundestagswahl nicht nur dafür gesorgt, dass das Elterngeld in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, sondern die SPD hat auch während der unionsinternen ideologischen Debatte über die Aus
gestaltung des Elterngeldes eines immer wieder deutlich gemacht, nämlich dass die Vätermonate nicht verhandelbar sind. Familienministerin a.D. Renate Schmidt hatte das Thema bereits in der vergangenen Legislaturperiode des Bundestages nach vorn gebracht.
Die Argumentation von Unionspolitikern, dass die Einführung der Vätermonate ein Eingriff des Staates in das Familienleben sei, ist populistisch und geht meines Erachtens an der Realität vorbei. Die zwei zusätzlichen Vätermonate sind freiwillig und sie sind ohne Zwang. Manchmal denke ich jedoch, dass diese Argumente nur vorgeschoben sind, weil man es grundsätzlich nicht will. Ich kann mich noch an einen Zwischenruf von unserem Kollegen Caffier aus der vergangenen Legislaturperiode erinnern, in der ich allgemein Vätermonate vorgeschlagen hatte. Da war der Kommentar sinngemäß von Herrn Caffier: Das fehlt mir noch.
(Dr. Armin Jäger, CDU: Das fehlt ihm ja noch. Das hatte er ja noch nicht. – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Er ist aus dem Alter raus. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)
(Wolfgang Riemann, CDU: Ohne unsere Samenspende wäre das gar nicht zur Welt gekommen, das Kind. – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kampf um die Vätermonate ist ein Kulturkampf, aber meines Erachtens keine kulturelle Revolution. Vätermonate sind allenfalls ein sanfter Einstieg für mehr Gleichstellung bei der Betreuung von Kindern und damit ein längst überfälliger Beitrag zur Gleichberechtigung von Frau und Mann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die große Koalition in Berlin hat den Traditionalisten in der CDU meines Erachtens einen regelrechten Schubs gegeben,
sich endlich von dem klassischen Familienbild der 50er Jahre zu verabschieden und den zunehmenden Wünschen von jungen Frauen und Müttern ebenso wie von jungen Männern und Vätern nach Aufteilung von Familienarbeit und vor allem nach Vereinbarung von Beruf und Familie Rechnung zu tragen.
Auch die letzten Vertreter der drei K’s können letztlich nicht ignorieren, dass junge, gut ausgebildete Frauen es heute mehrheitlich gewohnt sind, auf eigenen Füßen zu stehen. Sie haben in Deutschland bedauerlicherweise bislang mit der Entscheidung für ein Kind häufig immer noch eine gegen ihre ökonomische Unabhängigkeit getroffen.
Fast 20 Jahre Erziehungsgeld haben gezeigt, Beteiligung der Väter an der Erziehung der Kinder kann ohne Anreiz für die Väter nicht erreicht werden. In den 20 Jahren hat sich nämlich der Anteil der Väter, die sich an der Erziehung ihrer Kinder in der Elternzeit beteiligt haben, nur um drei Prozent von knapp zwei auf fünf Prozent erhöht. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass sich das mit
dem Elterngeld ändern wird. Andere Länder, vor allem Schweden, haben es uns vorgemacht. Inzwischen nehmen 37 Prozent der schwedischen Väter Elternzeit in Anspruch.
Ich gebe zu, natürlich hängt die Entscheidung auch mit dem Familieneinkommen zusammen, und genau hier setzt das Elterngeld an. Die bisher maximal 300 Euro des Erziehungsgeldes konnten und können kein Einkommen ersetzen, vor allem nicht das der Männer, die in Deutschland immer noch mit ihrem circa 20 Prozent höheren Verdienst den größten Teil des Familieneinkommens mit nach Hause bringen. Aber zwei Drittel des Gehaltes als Elterngeld ermöglichen auch Vätern die Elternzeit. Elterngeld ist aber nach wie vor besonders für Frauen wichtig, für die ökonomische Unabhängigkeit zum Lebensentwurf gehört. Die Geburt eines Kindes bedeutet so für sie nicht automatisch die vollständige wirtschaftliche Abhängigkeit vom Partner und den Frauen wird nicht automatisch die alleinige Zuständigkeit für die Familienarbeit zugeordnet. Darüber hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen, hoffe ich natürlich, dass zukünftig bei Entscheidungen von Arbeitgebern für die Einstellung eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin weniger das Geschlecht denn die wirkliche Qualifikation eine Rolle spielen wird.
Sie alle wissen, dass gerade in Mecklenburg-Vorpommern die Frauen einen sehr großen Bildungsvorsprung haben. Aufgrund der Familienzeiten kann nicht nur die Frau eventuell für einen Zeitraum ausfallen und soziale Kompetenzen sammeln, sondern genauso der Partner. Er kann genauso soziale Kompetenzen sammeln, die ihm in seiner beruflichen Tätigkeit zugute kommen. Der deutsche Sonderweg, der bisher Frauen mit allen Mitteln und Wegen gedrängt hat, vorrangig die Rolle der Erziehenden zu übernehmen oder aus beruflichen und ökonomischen Gründen auf Kinder zu verzichten, wird damit endlich verlassen. Ich glaube, man kann wirklich sagen, wir haben damit einen Paradigmenwechsel erreicht.
Damit ist aber keineswegs die Diskussion zum Elterngeld beendet. Es gilt bei allen berechtigten und zum Teil meines Erachtens auch unberechtigten Kritiken, zu den Auswirkungen für Geringverdiener, für Familien mit Arbeitslosengeld-II-Bezug, für Eltern, die BAföG erhalten, die grundlegende Zielsetzung des Elterngeldes nicht aus den Augen zu verlieren und die damit verbundenen Verbesserungen nicht kaputtzureden. Das Elterngeld als lohnorientiertes Modell mildert die finanziellen Risiken im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes in einem nie da gewesenen Ausmaß ab und ist auch für Familien mit nur geringem oder ohne Erwerbseinkommen sozial abgefedert. Dazu zählt, dass die pauschale Mindestleistung von 300 Euro je Monat nicht auf staatliche Transferleistungen angerechnet wird. Sie alle können sich sicherlich an die heftigen Diskussionen über diesen Punkt erinnern.
Erstes Beispiel: ein Geringverdiener, Ehepaar, Steuerklasse III. Das gemeinsame Nettoeinkommen vor der Geburt betrug 2.420 Euro, wovon 400 Euro auf einen der Partner in geringfügiger Beschäftigung fallen. Der nicht mehr erwerbstätige Partner, also nach der Geburt des Kindes, mit der geringfügigen Beschäftigung erhält nach
der Geburt, er hatte vorher 400 Euro, 390 Euro, also fast 100 Prozent des Nettoeinkommens, weil es einen Aufstockungsbetrag gibt, und zwar bezeichnet man den als Anhebung der Ersatzrate.
Der andere Partner behält sein Einkommen. Das heißt, das verfügbare Familiennettoeinkommen aus Nettolohn, Kinder- und Elterngeld in Höhe von 2.580 Euro liegt nach dieser Berechnung damit um 160 Euro über dem früheren Wert.
Ein anderes Beispiel: Bezieher von Sozialleistungen, Alleinerziehende mit ALG II. Vor der Geburt des Kindes erhielt die betroffene Person im ALG II mit Unterkunftskosten rund 790 Euro. Nach der Geburt erhält die betroffene ALG-II-Bezieherin für sich und das Kind mit Unterkunftskosten für einen Erwachsenen und ein Kind 1.090 Euro plus 300 Euro Mindestleistungen für das Elterngeld für zwölf Monate. Das sind insgesamt 1.390 Euro je Monat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne die Einkommenssituation und damit auch Lebenssituation von Familien schönzureden heißt das jedoch, dass das Elterngeld isoliert betrachtet nicht immer ein realistisches Bild über das tatsächliche Familieneinkommen gibt. Ich glaube, auch das müssen wir bei dieser Diskussion mit betrachten.
Die Familieneinkommen sind sowohl heute als auch nach dem In-Kraft-Treten des Elterngeldes den finanziellen familienpolitischen Leistungen, den Erwerbseinkommen oder den Sozialleistungen hinzuzurechnen.
(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Das ist doch nicht wahr! Und das ist die Parlamentarische Staatssekretärin. Das ist doch nicht zu fassen!)
Ich bin sehr froh, dass es der SPD gelungen ist, dass das Elterngeld gerade nicht auf sonstige staatliche Transferleistungen angerechnet wird.
Und noch ein Wort zur Dauer der Elternzeit. Ich finde es angesichts der Situation, dass Erziehungsberechtigte, die mehr als ein Jahr aus ihrer beruflichen Tätigkeit ausscheiden, kaum noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, richtig und wichtig, dass mit der jetzigen Regelung zur Elternzeit kein weiterer Anreiz gesetzt wird, noch länger auszuscheiden. Ob wir es wahrhaben wollen oder ob wir es nicht wahrhaben wollen, längeres Ausscheiden bedeutet nach Meinung vieler Arbeitgeber Dequalifizierung und damit das Aus für den Arbeitnehmer im Beruf. Letztlich haben wir als Parlament uns nicht umsonst dafür entschieden, das Projekt „Modulare Qualifizierung in der Elternzeit“ auf den Weg zu bringen und auch über Jahre fortzusetzen, um gerade diesem Teil der Erziehungsberechtigten die Chance zu geben, nach der Erziehungszeit wieder in den Job zu kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch unter Berücksichtigung der noch weitergehenden Diskussionen und Details – und ich denke, die Diskussion ist mit Sicherheit noch nicht beendet – sehe ich in der Zielsetzung des
Elterngeldes die richtige Antwort auf die familienpolitischen und gleichstellungspolitischen Herausforderungen. Das Elterngeld trägt zur Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern bei und diese ist unabdingbare Voraussetzung für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Familienpolitik. Ob das Elterngeld auch ein wirksames bevölkerungspolitisches Instrument ist – ich habe das schon mehrfach gesagt, wir sind hier gut beraten, Familienpolitik und Bevölkerungspolitik nicht in einem Topf zu mischen, ich sage jetzt einmal, unkontrolliert nicht auseinander zu halten –, das wird sich im Laufe der Zeit zeigen.
Elterngeld ist ein wichtiger, aber mit Sicherheit nicht alleiniger Baustein für eine familienfreundlichere und geschlechtergerechte Gesellschaft. Verlässliche bedarfsgerechte Kinderbetreuungsmöglichkeiten, so, wie wir sie hier in Mecklenburg-Vorpommern haben, gehören genauso ins politische Geschäft wie auch eine umfassende Dienstleistungsstruktur für Kinder und Familien, bedarfsgerechte Arbeitsbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und darin, denke ich, besteht auch die Chance für Mecklenburg-Vorpommern. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sei mir abschließend gestattet noch anzumerken, wir müssen dafür auch viel, viel mehr die Wirtschaft ins Boot holen. – Vielen Dank.