Protokoll der Sitzung vom 30.01.2003

Es geht uns in diesem Prozess darum, allerdings auch zu sagen, dass es nicht nur darum geht, die Landesparlamente zu stärken, sondern dass wir über eine Bilanz reden müssen, und zwar die Bilanz zwischen bundesstaatlicher Verantwortung, föderaler Kompetenz der Landespolitik und einer Ebene, die ich leider in allen Redebeiträgen vermisst habe, nämlich dem Leben in unseren Kommunen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das haben wir in der Einbringung aber ausführlich diskutiert.)

Meine Ausführungen, die ich bisher gemacht habe, verwiesen in diesem Zusammenhang immer mal wieder darauf, dass gerade die Kommunen aus dieser Diskussion nicht herausgehalten werden dürfen. Es war ein Grundanliegen der PDS, dass auch der heute vorliegende Antrag letztendlich darauf Bezug nimmt. Es kann nicht nur darum gehen, dass wir uns um die Staatsqualität der Länder bemühen und fatalerweise dabei die Kommunen vergessen.

(Beifall Dr. Gerhard Bartels, PDS – Beifall Dr. Ulrich Born, CDU: Das ist richtig.)

Sie sind nämlich Objekte des Föderalismus. Aber es wird Zeit, dass wir ihnen auch eine subjektive Rolle in diesem Prozess ermöglichen,

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU)

und zwar im Interesse eines starken Landes und nicht gegen Landesinteressen.

Die kommunalen Spitzenverbände, insbesondere der Deutsche Landkreistag, haben hier interessante Vorschläge unterbreitet und ich bitte darum, dass wir das nicht als kommunale Mitbeteiligungsquengelei betrachten, womit wir uns widerwillig auseinander setzen müssen. Man kann über die vorgeschlagene Verteilung der Gesetzgebungskompetenz streiten, aber ich möchte, dass wir darüber streiten und sie nicht von vornherein in den Skat drücken und damit in diesem Prozess tatsächlich die Ebene der Kommunen, ihre Rolle und Bedeutung als Verwaltungseinheiten, aber auch als demokratische Teilhabe betrachten. Sie gelten immer noch mehr als Anhängsel von Landespolitik und Landesverwaltung und da, denke ich, muss in der Föderalismusdebatte es auch vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU, und Karsten Neumann, PDS)

Meine Damen und Herren, die vorliegenden Thesen zum Konvent – auf die wir, die wir uns damit beschäftigen müssen als Präsidentinnen und Präsidenten sowie als Fraktionsvorsitzende – erwecken den Eindruck, als ginge es nur um eine Reform des Föderalismus, um des Föderalismus selbst willen. Die Thesen sind auch sehr allgemein formuliert, weil – Frau Bretschneider hat darauf hingewiesen – wir in diesem Konvent möglichst über alle Parteigrenzen hinweg eine sachdienliche Entscheidung gemeinsam haben wollen. Aber weil sie so allgemein gehalten sind, müssen wir uns zukünftig darum kümmern, dass sie untersetzt und definiert werden. Insofern, denke ich, ist die Anregung aus dem Konvent, es nicht mit dem einmaligen Ereignis am 31. März in Lübeck dabei zu belassen, sondern sich in einem Folgekonvent mit den Detailfragen zur Gesetzgebungskompetenz, Finanzverfassung bis hin zur Rolle der Regionen der Länder im europäischen Einigungsprozess zu beschäftigen.

(Beifall Detlef Müller, SPD, und Dr. Ulrich Born, CDU)

Und wenn man eine wirkliche Reform des Föderalismus in Mecklenburg-Vorpommern möchte, dann wollen wir als PDS gern drei Fragen beantwortet haben. Ich würde mich freuen, wenn auch diese drei Fragen bei Ihnen eine gewisse Zielorientierung sein könnten, denn wenn wir es ernst meinen mit der Reform des Föderalismus, muss beant

wortet werden: Wie kommen wir zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in allen Bundesländern und was bedeutet das für den europäischen Prozess? Es ist eine Frage, die insbesondere für uns als ostdeutsches Flächenland dann auch mit der nahen Grenze zum neuen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, Polen, eine besondere Rolle spielt. Und damit ich nicht falsch verstanden werde, es geht uns da nicht um Gleichmacherei. Es ist ja auch nicht unbedingt attraktiv, in allen Bereichen zu werden wie Bayern. Ein bisschen Eigenständigkeit tut uns da gut.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Es ist schade, wenn Sie Bayrisch sprechen.)

Aber es geht nicht um Gleichmacherei, sondern es geht bei uns um das Prinzip Vielfalt in der Einheit. Insofern kann Wettbewerb in diesem Zusammenhang Katalysator dafür sein, darf aber nicht Maßstab und Ziel des Föderalismus sein. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Änderungsanträge der FDP zum Konvent, die eine Festschreibung des Wettbewerbsföderalismus in diesem Bereich wollten, abgelehnt worden sind. Ich hoffe, dass wir auch dabei bleiben werden.

Zweitens sollten wir uns die Frage beantworten, wie die Reform dazu beiträgt, demokratische Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger, ihre Beteiligung an Macht und an der Politik zu verbessern. Oder machen wir es dann nur um unser selbst willen?

Und drittens: Wie kann in diesem Prozess letztendlich mehr Transparenz gesichert werden?

Ich denke, wir werden in Lübeck einen Konsens erreichen. Ich gehe davon aus, dass die PDS-Fraktionsvorsitzenden der neuen Länder sich diesem anschließen werden, und freue mich auf die Weiterarbeit an diesem Prozess, und zwar gemeinsam und möglichst tatsächlich über Parteigrenzen hinweg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Frau Gramkow.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung.

Der Rechts- und Europaausschuss empfiehlt, den Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksac h e 4/47 in der Fassung seiner Beschlussempfehlung anzunehmen.

Ich lasse zunächst über den hierzu vorliegenden Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, CDU und PDS auf Drucksache 4/195 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, CDU und PDS auf der Drucksache 4/195 einstimmig angenommen.

Wir kommen nunmehr zur Beschlussfassung über die geänderte Beschlussempfehlung. Wer also der Beschlussempfehlung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung des Rechts- und Europaausschusses auf der

Drucksache 4/172 mit der soeben beschlossenen Änderung einstimmig angenommen. Ich denke, das ist ein klares Signal, das dieser Landtag in die bundesrepublikanische Föderalismusdebatte entsendet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Ich rufe nunmehr auf den Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Stärkung der politischen Bildung in Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 4/165.

Antrag der Fraktion der CDU: Stärkung der politischen Bildung in Mecklenburg-Vorpommern – Drucksache 4/165 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Lochner-Borst für die Fraktion der CDU. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Verdrossen sind die Ahnungslosen.“, so der Politikwissenschaftler Werner Patzelt in einem Essay, veröffentlicht in der „Zeit“. Darin geht er auf die Politikverdrossenheit vieler Menschen ein, die sich in Kenntnislücken, Missverständnissen und Vorurteilen begründet. So hat der Parlamentarismusforscher herausgefunden, dass, ich zitiere: „Gerade die Hälfte der Deutschen glaubt, schon etwas von Gewaltenteilung gehört zu haben. Was Föderalismus sei, wissen 59 Prozent nicht. Vom Rest machen 14 Prozent falsche Angaben. 40 Prozent der Deutschen können nichts oder nur Unrichtiges über den Bundesrat äußern.“ Bei seiner Betrachtung tiefergehender Systemkenntnisse, wozu bereits Parlaments-, Regierungs- und Oppositionsaufgaben gehören, tut sich ein Abgrund auf. Folge dieser Unwissenheit sind oftmals Unzufriedenheit und Misstrauen gegenüber dem Regierungssystem und den politischen Institutionen. Ablesbar wird dies unter anderem an einer schlechten Wahlbeteiligung oder indem Menschen sich an extremistischen Politikvorstellungen orientieren.

Veränderungen in der politischen Bildung sind also dringend notwendig. Dazu gehört aber zunächst eine Betrachtung der vorhandenen Strukturen. Der zentrale Ort für politische Bildung ist die Schule. Hier liegt aber ein Dilemma. An unseren Universitäten werden im Bereich der Politikwissenschaften Lehramtstudierende für das Fach Sozialkunde ausgebildet. Es gibt aber keinen Lehrstuhl für Didaktik der Sozialkunde beziehungsweise der politischen Bildung. Wie also wird politische Bildung an unseren Schulen vermittelt? Hinzu kommt, dass im Jahr 2004 die Lehrerweiterbildung im Rahmen des Xenos-Projektes ausläuft. Wo und wie wird diese wichtige Aufgabe fortgeführt und wie viel Zeit bleibt an den Schulen für politische Bildung insgesamt?

Aber auch die große Anzahl der Träger außerhalb von Schule und Hochschule ist ein wichtiges Merkmal politischer Bildung. In unserem Land leisten Kirchen, Volkshochschulen, Gewerkschaften, kommunale Verbände, Jugendverbände, Stiftungen der Parteien sowie die europäische Akademie mit ihrer Bildungsarbeit einen wesentlichen Beitrag für unser politisches System. Deshalb verdienen sie es, wo immer möglich gefördert und unterstützt zu werden. Und es sollte selbstverständlich sein, sie alle in einen Neustrukturierungsprozess einzubeziehen.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Sicher könnte man nun aus finanzpolitischer Sicht auf die Idee kommen, diese Strukturen- und Trägervielfalt genauer unter die Lupe zu nehmen. Dies würde aber am Wesen der politischen Bildung vorbeigehen, denn gerade der pluralistische Charakter der politischen Bildung ist ein wichtiger Bestandteil politischer Willensbildung. Eine Neustrukturierung der politischen Bildung in unserem Land ist deshalb im Interesse aller Beteiligten zu vollziehen und es darf nicht sein, dass ein so wichtiges Thema hinter verschlossen Türen verhandelt werden soll.

Politische Bildung hat in der Geschichte der Bundesrepublik einen so hohen Stellenwert, weil sie vor allem auf ein solides demokratisches Grundverständnis abzielt. Dieses sollte auch die politische Arbeit im Landtag bestimmen. Und deshalb muss es selbstverständlich sein, ein so wichtiges Thema auch im höchsten politischen Gremium des Landes zu diskutieren. Politische Bildung hat einen umfassenden Charakter und ist kein Privileg einer bestimmten politischen Gruppierung oder gar einer Landesregierung. Sie ist ein hohes Gut unseres Gemeinwesens und sollte diesen Stellenwert auch zukünftig behalten. Im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur ist diese Thematik am besten aufgehoben. Dort gibt es die Möglichkeit, alle Beteiligten anzuhören und mit ihnen zusammen am Ausbau unserer demokratischen Infrastruktur zu arbeiten.

Meine Damen und Herren, betrachten Sie den vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion als ein Angebot, dieses wichtige Thema angemessen zu beraten. Überweisen Sie diesen Antrag mit uns zusammen in den zuständigen Fachausschuss, wo wir gerne auch über die einzelnen Punkte des Antrages diskutieren wollen. Aber machen Sie die politische Bildung nicht zu einem Thema am Rande und betrachten Sie sie vor allem nicht nur unter finanzpolitischen Aspekten. Der Umgang mit der politischen Bildung ist letztlich auch ein Spiegel für das Demokratieverständnis der frei gewählten Abgeordneten dieses Hauses.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich beantrage im Namen der CDU-Fraktion die Überweisung der Drucksache 4/165 in den Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Lochner-Borst.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete der SPD-Fraktion Herr Brodkorb.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Frau Lochner-Borst, wir hatten uns darauf verständigt, hier miteinander vernünftig umgehen zu wollen. Das möchte ich auch weiter pflegen. Ich kann auch fast allen Ihren Ausführungen zustimmen. Die SPD-Fraktion wird diesen Antrag dennoch ablehnen. Ich möchte dafür drei Gründe nennen:

Erstens. Wir könnten den ersten Absatz annehmen, den Sie uns hier vorlegen, nur, verzeihen Sie mir, dass ich das so sagen muss, inhaltlich entspricht dies einfach unserem Koalitionsvertrag, den wir bereits beschlossen haben. Das heißt, wir könnten zwar jeden einzelnen Paragraphen unserer Koalitionsvereinbarung, dem Sie auch zustimmen, hier noch einmal zur Abstimmung stellen, aber der Sache nach würde uns das nicht weiterbringen. Deswegen halten wir die Zustimmung zum ersten Punkt schon für nicht nötig.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ah ja!)

Käme also der zweite Punkt. Und da gibt es meines Erachtens zwei Einwände dagegen, dem zuzustimmen. Der erste Einwand ist, aber das ist ein fachpolitischer, darüber muss man diskutieren, Sie machen da Vorschläge, die sehr diskussionswürdig sind, wo man auch sehr deutlich anderer Meinung sein kann. Und Sie greifen damit einer Debatte vor, die, wie Sie der Presse entnommen haben, erst begonnen hat und noch nicht abgeschlossen ist.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Was?)

Es muss erlaubt sein, dass sich die Koalitionsparteien zunächst einmal gemeinsam treffen und darüber diskutieren, welche Vorstellungen sie haben. Wir haben auch erklärt, sobald wir dort zu einem vernünftigen Ergebnis gekommen sind, das man auch fachgerecht diskutieren kann, werden wir die Öffentlichkeit – und das schließt die Opposition ein – in diesen Prozess mit einbeziehen.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Das heißt, Sie haben dementsprechend selbst vorgeschlagen, diesen Antrag zu überweisen und nicht anzunehmen, nur offenbar mit dem Ansinnen, dieses Thema in den Bildungsausschuss zu holen. Nur, Sie sind die Vorsitzende des Bildungsausschusses und Ihnen müsste bekannt sein, dass sowohl Ihre Fraktion als auch unsere Fraktion bereits das Thema politische Bildung beantragt haben. Sie haben einen Zettel mit Themen abgegeben, wo die politische Bildung erwähnt ist. Wir haben sie auch benannt, das heißt, darüber besteht auch innerhalb des Ausschusses das Einverständnis, dass wir das Thema diskutieren. Insofern bedarf es dieses Antrages nicht, um dieses Thema im Ausschuss zu besprechen. Aber es sei an dieser Stelle versichert, wir werden dies dennoch im Ausschuss konstruktiv tun. – Herzlichen Dank.