Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die hätte erst mal prüfen müssen.)

Es ist gesagt worden, ein gefährlicher Straftäter sei einfach entlassen worden, obwohl nachträgliche Sicherungsverwahrung anwendbar gewesen wäre. Eine ausreichende Prüfung sei nicht erfolgt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Letzteres stimmt.)

Meine Damen und Herren! Diese Rechtsauffassung der Opposition, auf der alles basiert – die Angriffe gegen eine einzelne Staatsanwältin, die Ablehnung der konstruktiven Zusammenarbeit im Rechtsausschuss, letztlich der Antrag auf diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss – ist durch die Beweisaufnahme widerlegt worden. Ich werde darauf gleich noch weiter eingehen. Als der für die Justiz zuständige Minister weise ich die Anschuldigungen gegen die Staatsanwaltschaft deshalb hiermit in aller Form zurück.

Meine Damen und Herren, ich tue das, obwohl ich weiß, dass sich im Fall Maik S. auch Schwachstellen in der Justiz gezeigt haben, allgemeiner Verbesserungsbedarf im Vollzug, bei der Sozialtherapie, in der Kommunikation zwischen Staatsanwaltschaft, Vollzug und Führungsaufsicht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist eigentlich eine ganze Menge.)

Wir haben übrigens lange vor der Einsetzung dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sehr sorgfältig in einer groß angelegten Aktion alle Akten von Gefangenen überprüft, bei denen die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtlich möglich gewesen wäre, wenn bis zum Ende ihrer Haft neue Tatsa

chen eine gesteigerte Gefährlichkeit belegen sollten. Insgesamt waren das 120 Fälle, die im Einzelfall sehr kritisch überprüft worden sind. Wir haben daraus Verbesserungsbedarf vor allem in drei Punkten abgeleitet:

Erstens. Wir brauchen eine verbesserte Diagnostik und eine klarere Vollzugsplanung von Anfang an. Das ist inzwischen verwirklicht durch das neue Diagnostikzentrum, das ab Mitte 2005 arbeitet.

Wir brauchen zweitens eine bessere Dokumentation der Vollzugsplanungen, auch der Vollzugsplankonferenzen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das wäre sehr hilfreich gewesen.)

Und drittens brauchen wir eine engere Zusammenarbeit und eine bessere Kommunikation.

Dieser Verbesserungsbedarf betrifft allgemein den Vollzug. Bei der Prüfung der Sozialtherapie wurde sehr schnell klar, dass diese noch junge Sozialtherapie mit einem noch jungen Team von diesem furchtbaren Mordfall sehr getroffen war, dass es daraus resultierend Probleme im Team gab, Selbstzweifel und auch Auseinandersetzungen. Wir haben das gesamte Konzept auf den Prüfstand gestellt, die Therapie, die Gruppenkonzeption, das Personalkonzept und die Leitung. Das alles wurde sehr kritisch überprüft mit dem klaren Ziel: Verbesserung für die Zukunft. Dieser Prozess hat im letzten Herbst begonnen. Während dieses Prozesses haben wir zur Unterstützung einen ganz hervorragenden externen Berater, Dr. Rehder, gewinnen können, und zwar deshalb, weil er Ende Januar in Pension gegangen ist. Und er hat uns ab 1. März 2006 in der täglichen Arbeit der Sotha für mehrere Monate begleitet.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, eben.)

Herr Dr. Jäger, ich habe die Bitte, dass Sie meine Rede nicht mit ständigem Gemurmel begleiten.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Ich denke, das ist dem Ernst dieses Themas nicht angemessen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Was Sie erzählen, erfordert Widerspruch!)

Lassen Sie mich doch …

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ehe Sie Abgeordnete korrigieren, tragen Sie die Wahrheit vor! Ich höre Ihnen gerne zu, aber Sie haben mich nicht zu korrigieren.)

Wir haben eben zwei Stunden Herrn Dr. Born gehört, jetzt hören Sie mir doch wenigstens eine Viertelstunde zu. Das halte ich wirklich für angemessen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Dann machen wir gleich eine Auszeit. Sie wissen doch selber, dass er das nicht darf.)

Herr Dr. Rehder hat den möglichen Verbesserungsbedarf ermittelt und Empfehlungen gegeben, aus denen wir die Eckpunkte für ein Optimierungskonzept entwickelt haben. Ich habe dazu schon dem Kabinett berichtet, der Landespressekonferenz, dem Rechtsausschuss und sehr ausführlich im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ich möchte das hier nicht wiederholen. Ich möch

te nur so viel sagen, ich wundere mich, wie wenig Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU, für diesen wichtigen Teil der künftigen Ausgestaltung des Strafvollzuges hier im Land interessieren, keine einzige Nachfrage an Dr. Rehder im Rechtsausschuss, keine Frage zur zukünftigen Arbeit der Sotha im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, und das vor dem Hintergrund der Wunschvorstellung der Bundes-CDU, dass der Strafvollzug im Rahmen der Föderalismusreform in die Länderkompetenz gehen soll.

Mir geht es darum, dass wir sehr verantwortlich die richtigen Konsequenzen aus diesem schweren Fall ziehen. Die Justiz hat nicht gemauert, sie hat nichts unter den Teppich gekehrt, sie hat nichts beschönigt, sondern wir haben im Gegenteil sehr sorgfältig und sehr kritisch geprüft, welcher allgemeine Verbesserungsbedarf aus dem Fall Maik S. herzuleiten ist, und wir haben die gewonnenen Erkenntnisse rasch umgesetzt. Dieser allgemeine Verbesserungsbedarf, den wir im Zuge der ständigen Optimierung und Qualitätskontrolle ermittelt haben, vor dem Hintergrund des Falles Maik S. natürlich besonders kritisch und vertieft ermittelt haben, dieser allgemeine Verbesserungsbedarf, meine Damen und Herren, darf aber nicht mit disziplinarrechtlichen oder sogar strafrechtlichen Verfehlungen Einzelner verwechselt werden.

Die Opposition tut das leider. Sie vermischt die Fragen: Gab es individuelle, vorwerfbare Fehler oder Versäumnisse, ohne die das Verbrechen nicht möglich gewesen wäre, die also mitursächlich geworden sind? Und andererseits die Frage: Zeigt sich am Handeln der Justiz im konkreten Fall genereller Verbesserungsbedarf? Die Opposition formuliert jetzt zwar ein bisschen zurückhaltender, ein bisschen vorsichtiger, zum Beispiel: „Ich kann nicht beantworten, ob ein Gericht einem Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung gefolgt wäre.“

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Dabei ist doch gerade diese Frage zweifelsfrei durch die Beweisaufnahme geklärt. Nein, kein Gericht hätte einem Antrag stattgegeben.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Dann können wir ja Rechte abschaffen.)

Oder die Opposition sagt: „Es ist uns von Anfang an nicht darum gegangen, einzelne handelnde Personen in der Staatsanwaltschaft für den Mord persönlich verantwortlich zu machen.“ Aber die Opposition zielt nach wie vor darauf ab, zwischen dem allgemeinen Verbesserungsbedarf und diesem schrecklichen Mord einen Kausalzusammenhang herzustellen, der in Wahrheit eindeutig nicht besteht.

(Beifall Siegfried Friese, SPD, Klaus Mohr, SPD, Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS, und Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS)

Deshalb möchte ich noch einmal ganz klar sagen: Niemandem in der Justiz, das ist in fast 80 Stunden intensiver Befragung zweifelsfrei deutlich geworden, niemandem in der Justiz kann der Vorwurf gemacht werden: Wenn Du besser gearbeitet hättest, würde Carolin noch leben. Das stimmt einfach nicht.

(Zuruf von Birgit Schwebs, Die Linkspartei.PDS)

Und deshalb muss ich zurückweisen, was im Vorfeld dieses Ausschusses an massiven, weitgehenden Beschuldigungen gegen einzelne Bedienstete der Justiz

öffentlich vorgebracht worden ist. Und ich würde es sehr begrüßen, wenn insoweit von der Opposition aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme eine eindeutige Klarstellung käme. Ich kann nicht zulassen, dass von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in diesem schwierigen und sensiblen Bereich staatlichen Handelns mit großem Einsatz und Engagement tätig sind, einzelne leichtfertig zum Sündenbock gemacht werden.

Meine Damen und Herren, die richtigen Konsequenzen aus diesem schrecklichen Mord zu ziehen, das sieht anders aus. Die richtigen Konsequenzen kann nur ziehen, wer sich nicht länger der wichtigen Erkenntnis versperrt, dass wir dringend Verbesserungen unseres rechtlichen Instrumentariums zum Schutz vor schwersten Sexualstraftätern brauchen.

(Beifall Siegfried Friese, SPD, Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS, und Gabriele Meˇsˇt’an, Die Linkspartei.PDS)

Das tun Sie. Das tun Sie leider, wenn Sie weiterhin behaupten, die Rechtslage hätte eine Antragsstellung auf nachträgliche Sicherungsverwahrung erlaubt oder sogar erfordert. Diese Rechtsauffassung ist nicht haltbar, wie sich klar aus den Äußerungen der angehörten Rechtsexperten ergibt. Der Vorsitzende hat das eben im Einzelnen dargelegt. Die einmütige Klarheit dieser Aussagen ist schon erstaunlich, findet man doch häufig zu Rechtsfragen eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Ansichten. Nicht so hier. Allein Professor Krey behauptet, das Gesetz lasse nachträgliche Sicherungsverwahrung auch ohne das Vorliegen neuer Tatsachen zu, allerdings kann er dafür keinen einzigen Satz aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes für sich in Anspruch nehmen.

Bemerkenswert, und darauf will ich doch einmal kurz eingehen, ist auch die Aussage von Frau Dr. Rissing-van Saan. Frau Dr. Rissing-van Saan ist Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof. Ihre Vernehmung als Sachverständige ließ erwarten, dass sie entsprechend dieser beruflichen Funktion die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erläutert und vertritt. Das hat Frau Dr. Rissingvan Saan in einer Weise nicht getan, die schon erstaunlich ist. Sie hat nicht etwa im Einzelnen dargelegt, was es inzwischen an gefestigter und übereinstimmender Rechtsprechung aller fünf Strafsenate des BGH gibt, sondern sie hat erkennen lassen, dass sie eine davon abweichende persönliche Rechtsmeinung vertritt,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Genau, das hat sie gemacht.)

die übrigens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals vom BGH übernommen werden wird. Ich halte für sehr problematisch, dass jemand, der erkennbar als Repräsentant einer Institution, in diesem Falle als Repräsentant der maßgeblichen Institution auf Bundesebene, von einem Landesparlament zur Klärung des Standpunktes dieser Institution eingeladen wird, seine Privatmeinung vorträgt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Siegfried Friese, SPD: Ja.)

Also, meine Damen und Herren von der CDU, lösen Sie sich von Professor Krey und von Frau Dr. Rissing-van Saan und erkennen Sie die Rechtslage an, wie sie sich aus der gefestigten Rechtsprechung des BGH ergibt! Wie diese Rechtsprechung im Einzelnen zu verstehen ist, darüber besteht bei allen Experten, die mit ihrer Aussage auf

diese Rechtsprechung eingegangen sind und sie richtigerweise in den Mittelpunkt ihrer Aussage gerückt haben, völlige Einigkeit.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist eine Überheblichkeit.)

Meine Damen und Herren, wenn Sie trotz dieser klaren und übereinstimmenden Aussagen der Rechtsexperten an Ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhalten, dann hält Sie das davon ab, klar zu erkennen, dass wir unser rechtliches Instrumentarium zum Schutz vor schwersten Sexualstraftätern weiter verbessern müssen. Es macht Sie handlungsunfähig für das politische Erfordernis einer Gesetzesänderung.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die ist von der SPD abgelehnt worden.)

Eine klare Unterstützung meiner Bundesratsinitiative steht bezeichnenderweise nach wie vor aus.

Ich hatte Ihnen, meine Damen und Herren, schon in meiner Rede zur Einsetzung dieses Ausschusses am 26. Januar die Studie des früheren Vorsitzenden der Frankfurter Schwurgerichtskammer Ulrich Baltzer vorgestellt,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Aha!)

nach der fast jeder fünfte Gewalt- und Sexualstraftäter in Hessen nach der Haft gefährlich bleibt. Er sagte: Das Rückfallrisiko sei so hoch, dass sie nicht auf freien Fuß kommen dürften. Auch Baltzer stellt aber fest, dass wir kaum jemals in einem Fall die rechtliche Möglichkeit dazu haben, solche nach wie vor gefährlichen Täter festzuhalten, sondern dass wir sie sehenden Auges freilassen müssen. Diese nicht hinnehmbare Problemlage ist am Fall Maik S. noch einmal, finde ich, beklemmend deutlich geworden, vor allem deshalb, weil ein ganz aktuelles Gutachten die fortbestehende Gefährlichkeit am Haftende belegt hat und weil er tatsächlich innerhalb kürzester Frist rückfällig geworden ist. Ich meine, wir müssen deshalb handeln, auch wenn klar ist, dass es absoluten Schutz nicht geben kann. Deshalb habe ich meine Bundesratsinitiative mit Unterstützung der Regierungsfraktionen auf den Weg gebracht, die darauf abzielt, schon die erstmalige Sicherungsverwahrung wirkungsvoller auszugestalten. Ich habe Ihnen die Einzelheiten schon des Öfteren dargelegt, hier im Landtag, im Rechtsausschuss und im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ich will dazu weiter nichts mehr sagen.