Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

Wir wissen, das Verbrechen ist zum Zeitpunkt der Anzeige durch das Opfer bereits verjährt gewesen.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Wir wissen somit auch, dass aufgrund der Haftentlassung von Maik S. dieser Sachverhalt keine neue Tatsache im Sinne des Gesetzes darstellt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das stimmt doch nicht.)

Meine Damen und Herren! Wir wissen letztendlich auch, das Opfer selbst hat Maik S. bei einer Wahllicht

bildvorlage im Jahre 2005 nicht zweifelsfrei identifizieren können. Uns wurde nicht zuletzt von der Zeugin Frau Staatsanwältin Below glaubhaft dargelegt, dass die Staatsanwaltschaft keine Einstellungsbehörde, sondern eine Verfolgungsbehörde sei.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sie dürfen niemals ein öffentliches Amt ausüben.)

Wenn es etwas gegeben hätte, was in Bezug zu Maik S. gestanden hätte, egal ob 1995 oder 2005, die Staatsanwaltschaft hätte alles getan, um den Täter ausfindig zu machen. Das zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft im Oktober 2005 die Ermittlungen wieder aufgenommen hatte, und zwar sehr wohl im Wissen, dass aufgrund der Verjährung die Tat nicht mehr bestraft werden kann.

Insofern stochert die CDU mit ihrer stereotypen Behauptung, ein Zusammenhang zu Maik S. liege auf der Hand, im Nebel. Juristisch haltbar sind derartige Äußerungen nicht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das behaupten Sie.)

Mit sachlicher Aufklärung hat das leider auch nichts zu tun.

Fünftens. Das schreckliche Verbrechen wird nicht folgenlos bleiben. Es ist klar, Maik S. trägt die Verantwortung für den Tod von Carolin. Er hat das junge Mädchen brutal ermordet. Dafür ist Maik S. zu einer lebenslänglichen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden.

Durch die öffentliche Berichterstattung hat der Mord die Menschen über die Grenzen des Landes Mecklenburg-Vorpommern hinaus erschüttert. Ich kann von mir nur sagen, dass mir die Arbeit im Ausschuss nicht leicht gefallen ist. Ich kann den Schmerz und das Leid der Familie des Opfers gut nachvollziehen. Dafür hat sie mein ganzes Mitgefühl.

Die Arbeit des Untersuchungsausschusses führte auch zu Diskussionen unter Juristen und Psychologen und nicht zuletzt unter Politikern über die Problematik der nachträglichen Sicherungsverwahrung, über Führungsaufsicht und die allgemeine Situation in der Justiz. Die erneut problematisierte personelle Ausstattung, insbesondere im Strafvollzug, ist deutlich geworden. So muss die Diagnostik bei der Aufnahme von verurteilten Straftätern in den Vollzug und auch die Dokumentation der Vollzugsfortschreibungspläne verbessert werden. Darüber hinaus ist augenscheinlich geworden, dass die Kommunikation zwischen dem Strafvollzug und der Staatsanwaltschaft optimiert werden muss. Erste Maßnahmen sind bereits in die Tat umgesetzt, andere müssen noch folgen. Es ist kein Geheimnis, dass vor allem die Einstellung von mehr Personal angesichts der angespannten Haushaltslage die wohl schwierigste Aufgabe sein wird.

Sechstens. In der Öffentlichkeit sollte nicht der Eindruck vermittelt werden, dass wir durch Gesetzesverschärfungen ein Mehr an Sicherheit vor besonders schweren Gewalttätern erreichen könnten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Einen absoluten Schutz vor Kriminalität gibt es nicht. Das ist die bittere Wahrheit.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das sagt doch Ihr Minister! Ihr Minister sagt das doch!)

Nicht zuletzt macht dies doch auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung deutlich.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das verstehe ich jetzt nun gar nicht.)

Dem Gesetzgeber ist zuzubilligen, dass er ein Mehr an Sicherheit wollte. Tatsächlich erleben wir, dass der überwiegende Teil von Anträgen auf nachträgliche Sicherungsverwahrung spätestens vor dem BGH scheitert. Ein weiteres Problem ist, dass Strafverschärfungen bewusst auf eine ganz kleine Gruppe von Tätern abzielen. Getroffen wird aber in der Praxis jeder einzelne Verurteilte und der Beschuldigte, der mit dem Gesetz in Konflikt gerät.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin fest davon überzeugt, Kriminalität muss vor allem durch eine effektive Strafverfolgung und nicht durch Gesetzesverschärfungen bekämpft werden. Statt auf weitere Strafverschärfungen zu setzen, muss mehr Gewicht auf Prävention gelegt werden.

Nach dem Richter am Bundesgerichtshof Axel Boetticher, zu lesen in der „Zeit“ vom 24.05.2006, sind die Früherkennung neurotischer Fehlentwicklungen bei jugendlichen Delinquenten und eine gute Therapie der wahre Schutz für das Volk. In diese Richtung argumentierte auch der Sachverständige Dr. Lüdke. Nach seiner Auffassung muss mit der Therapie bereits im Jugendalter begonnen werden.

Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einen Hinweis auf die aktuelle Debatte um die Föderalismusreform. Die Union wirft der Landesregierung vor, das Mecklenburg-Vorpommern der Föderalismusreform kritisch gegenübersteht. Unter anderem hat die Landesregierung Bedenken, dass die Vollzugsgesetzgebung vom Bund an die Länder übergehen soll. Wenn Sie, liebe Kollegen von der Union, das, was Sie heute wieder formuliert haben, ernst meinen, müssten sie gerade diese Bedenken teilen, denn es müsste doch auch Ihnen bewusst sein, dass Mecklenburg-Vorpommern als ein kleines und vergleichsweise finanzschwaches Bundesland nie den vorderen Platz erreichen wird, wenn es etwa um die Bewertung der personellen Ausstattung in den einzelnen Bundesländern geht. Es ist doch logisch, dass dann der Resozialisierungsgedanke hinter den Sparzwang zurücktreten wird.

Siebtens. Meine Damen und Herren, alles in allem war die Einsetzung des Untersuchungsausschusses aus meiner Sicht nicht erforderlich. Wir haben keine neuen Erkenntnisse gewonnen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das glaube ich Ihnen. Ihnen glaube ich das.)

die auch nur irgendwie den Schluss zulassen, die Justiz des Landes hätte versagt. Maßnahmen, die etwa auf die Optimierung von Arbeitsprozessen innerhalb der Justiz abzielen, wurden bereits durch die Arbeit im Rechtsausschuss herausgearbeitet. Aber – und darauf möchte ich an dieser Stelle aufmerksam machen – durch die Einsetzung beziehungsweise die Behandlung dieses tragischen Falls wurde das aus meiner Sicht zu Recht bestehende Sicherungsgefühl der Bürgerinnen und Bürger bedient, allerdings in eine Richtung, die ich für fatal halte.

An dieser Stelle ein Zitat von Benjamin Franklin. Er sagte: „Wer Freiheiten aufgibt, um Sicherheit zu gewin

nen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.“ Untersuchungen beweisen, dass insbesondere die Politik unter erheblichen Druck gerät, den gesetzlichen Strafrahmen anzuheben und die prozessualen Regeln zur Durchführung von Strafverfahren zu verschärfen. Soll das wirklich unser gemeinsames Ziel sein? Ich hoffe nicht.

Zum Abschluss möchte ich feststellen: Es ist der Union nicht gelungen, den Untersuchungsausschuss für ihre vordergründigen politischen Zwecke zu instrumentalisieren.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Michael Ankermann, CDU, und Egbert Liskow, CDU: Das ist eine Frechheit! – Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist wirklich eine Frechheit! Sie unterstellen uns hier etwas und sagen, das ist nicht erreicht.)

So ist es etwa in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 03.06.2006 zutreffend beschrieben,

(Zurufe von Dr. Armin Jäger, CDU, und Egbert Liskow, CDU)

dass die Union in Wahlkampfzeiten den Untersuchungsausschuss dazu benutzen wollte,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Aber das passt zu Ihnen. – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

mit einem derart gefühlsbeladenen und auch emotional schwierigen Thema die Regierungskoalition anzugreifen. Dem möchte ich nichts hinzufügen.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS und Siegfried Friese, SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Das hätten Sie auch besser gelassen. Hätten Sie uns diese Peinlichkeit erspart. Nein, so was sitzt hier in diesem Haus!)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Borchardt.

Das Wort hat jetzt der Justizminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Sellering.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe hier im Landtag und sehr ausführlich im Ausschuss dargelegt, welche Betroffenheit dieser schreckliche Mord auch in der Justiz ausgelöst hat, dass jeder, der hier im Land mit schweren Sexualstraftätern professionell zu tun hat, sich fragt: Was hätte ich getan, wenn ich an Stelle der Staatsanwältin gewesen wäre, des Psychologen, der Bewährungshelferin? Herr Krumbholz hat gerade gesagt, wir haben eine gesteigerte Sensibilität in der Justiz. Das ist richtig.

Als zuständiger Justizminister ist es meine Aufgabe, aus diesem schrecklichen Fall die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Das habe ich getan. Ich muss mich aber auch vor die Bediensteten stellen, wenn sich die sehr schnell erhobenen, sehr weit reichenden Anschuldigungen, die sich auf einzelne Bedienstete beziehen, nicht bewahrheiten, wenn sie sich vor allem deshalb nicht bewahrheiten, weil sie auf Vorwürfen beruhen, die eine Rechtsmeinung unterstellen, wenn die sich als nicht haltbar erweist.

Meine Damen und Herren! Der Ausschuss hat seine Arbeit zum Fall Maik S. abgeschlossen und die nochmalige sehr intensive Untersuchung vom Vorsitzenden nach allgemeinem Urteil sehr souverän, sehr sachlich geführt.

Diese sehr ausführliche Untersuchung hat eindeutig bestätigt, was bereits im Rechtsausschuss nach ausführlicher Erörterung und Anhörung auch von Sachverständigen klar geworden war: Maik S. war nicht therapierbar. Er hätte auch durch mehr Therapie, frühere Therapie, intensivere Therapie nicht so weit gebessert werden können, dass von ihm keine Gefahr mehr ausging.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist doch offen geblieben.)

Ich denke, das ist sehr ausführlich hier dargelegt worden vom Ausschussvorsitzenden, von Herrn Krumbholz.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist doch schon wieder nicht richtig.)

Und vor allem: Es gab trotz der fortbestehenden Gefährlichkeit von Maik S. keine rechtliche Möglichkeit, ihn am Ende der Haft weiter festzuhalten. Das hat die Opposition immer anders gesehen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das behaupten Sie immer noch.)

Und auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung hat die Opposition sehr weit reichende Anschuldigungen erhoben.

Meine Darlegung der Rechtslage, die sich aufgrund der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts und des zuständigen obersten Bundesgerichts darstellt, ist, ich zitiere, als „unerträglicher Eiertanz“ bezeichnet worden. Es war die Rede vom „Versagen“ der Staatsanwaltschaft, die angeblich einen Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung hätte stellen müssen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die hätte erst mal prüfen müssen.)