Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der Linkspartei.PDS die Abgeordnete Frau Borchardt. Bitte schön, Frau Abgeo r d n e t e.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich aus unserer Sicht die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit des Untersuchungsausschusses vorstelle, möchte ich dem Ausschusssekretariat für die gute Zusammenarbeit trotz der nicht immer einfachen Arbeitsbedingungen danken.

(Beifall Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

Nicht immer einfach deshalb, wenn man bedenkt, dass wir in einer sehr kurzen Frist 15 Ausschusssitzungen durchgeführt haben, davon 8 Sondersitzungen. Zum Teil waren zwei Sitzungen in einer Kalenderwoche mit einer Dauer von mindestens 14 Stunden. Über 30 Sachverständige und Zeugen wurden angehört. Über alle Sitzungen wurde ein Wortprotokoll erstellt. Diese mussten im Anschluss erst erstellt und natürlich so schnell wie möglich an die Fraktionen weitergeleitet werden. Aufgrund des Umfangs der Protokolle von bis zu 250 Seiten, der kurzen Abstände zwischen den Sitzungen und der Häufigkeit der Beratungen kann sich wohl jeder beziehungsweise jede zumindest annähernd vorstellen, wie viel Arbeit das war und welchem Druck das Sekretariat ausgesetzt war. Nochmals herzlichen Dank!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS, Klaus Mohr, SPD, und Heinz Müller, SPD)

Den Verfahrensteil hat der Ausschussvorsitzende bereits ausführlich dargestellt. Alles in allem kann man sagen, die Zusammenarbeit zwischen den Ausschussmitgliedern der Regierungsfraktionen einerseits und denen der Opposition andererseits war durchaus sachorientiert, und so möchten wir sie auch bezeichnen. Natürlich gab es kleinere Auseinandersetzungen am Rande. Diese sind jedoch in der alltäglichen parlamentarischen Arbeit nicht außergewöhnlich.

Darüber hinaus gab es aber auch Vorfälle, bei denen leider die Opposition eindeutig gegen das Untersuchungsausschussgesetz beziehungsweise die Geschäftsordnung des Landtages verstoßen hat. Dabei denke ich an die Übergabe von Unterlagen aus nichtöffentlichen Sitzungen an die Presse ohne Wissen des Ausschussvorsitzenden. Bewerten will ich das an dieser Stelle aber nicht.

Meine Damen und Herren! Ich möchte nun die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit des Untersuchungsausschusses aus der Sicht der Fraktion der Linkspartei werten.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Erstens. Der Vorwurf, der Strafvollzug hätte nicht genügend unternommen, um das Vollzugsziel zu erreichen, ist nicht haltbar. Danach soll der Gefangene während seiner Haft befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Maik S. wurden mehrere Arbeits- und Ausbildungsangebote während seiner Haft unterbreitet, die er allesamt selbstverschuldet wieder aufgab. Aus heutiger Sicht wissen wir, Maik S. war bereits bei Haftantritt nicht therapiefähig. Die Psychologen im Vollzug jedoch haben eine Therapie für möglich gehalten. Ob die im April 2004 begonnene Therapie als Sozialtherapie bezeichnet werden kann, lasse ich bewusst dahingestellt. Man kann ferner auch die Auffassung vertreten, dass die Therapie früher hätte beginnen sollen. Jetzt aber so zu tun, als ob ein früherer

Beginn zu einer erfolgreichen Therapie geführt hätte, ist reine Spekulation. Ein Mehr an Therapie hätte nach einhelliger Auffassung der Sachverständigen und Zeugen nicht geholfen.

Herausgearbeitet wurde: In anderen Bundesländern wäre Maik S. erst gar nicht in die Sozialtherapie verlegt worden, so auch in Hessen, wie uns der Sachverständige Wolf eindeutig zu verstehen gab. In Mecklenburg-Vorpommern hat man es wenigstens versucht. Das aber sollte man dem Vollzug nicht vorwerfen. Meine Kollegin Schwebs wird nachher darauf noch näher eingehen.

Zweitens. Der Staatsanwaltschaft ist kein Vorwurf zu machen. Sie hat die Möglichkeit eines Antrages auf nachträgliche Sicherungsverwahrung nachweislich geprüft. Die Dezernentin kam entsprechend der Rechtslage zu dem Ergebnis, dass ein Antrag keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Insofern war die Führungsaufsicht zu beantragen.

Maik S. musste nach Vollverbüßung seiner Strafe aus der Haft entlassen werden. Bereits der Gesetzgeber stellte bei der Einführung des Paragrafen 66 b Strafgesetzbuch zu Recht hohe Hürden auf. Schließlich handelt es sich bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung um eine Durchbrechung des Grundsatzes: Keine Strafe ohne Schuld. So kommt daher eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nur bei einer denkbar geringen Anzahl von Fällen in Betracht. Nach Auffassung aller juristischen Sachverständigen ist die Rechtsprechung des BGH in diesem Fall sehr restriktiv. Danach müssen neue Tatsachen vorliegen, die nach der Verurteilung während des Vollzugs und vor Haftende erkennbar werden und auf eine erhebliche Gefährlichkeit hinweisen. Eine verfestigte dissoziale Persönlichkeitsstörung etwa ist keine neue Tatsache. Auch eine Neubewertung bekannter Tatsachen scheidet nach der BGH-Rechtsprechung als neue Tatsache aus.

Nach dem Fellert-Gutachten besteht die Gefährlichkeit von Maik S. weiterhin fort. Seine Persönlichkeitsstörung hat sich manifestiert. Und die disziplinarischen Verfehlungen von Maik S. während der Haftzeit sind nach einhelliger Auffassung aller juristischen Sachverständigen für den Vollzugsalltag geradezu normal und scheiden ebenfalls als neue Tatsache aus. Tatsachen, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit hinweisen, sind nach den Gesetzgebungsmaterialien beispielsweise das Begehen neuer Straftaten, die Drohung, weitere zu begehen oder aggressive Angriffe auf Vollzugsbedienstete.

Der überwiegende Teil aller juristischen Sachverständigen hat unter Berücksichtigung der eben genannten Voraussetzungen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung im Fall Maik S. klar und deutlich abgelehnt. Dennoch, wir hätten noch 100 weitere Sachverständige hören können. Sie alle hätten mit Verweis auf die Rechtsprechung das Vorliegen der Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Fall Maik S. abgelehnt.

Die CDU würde weiterhin felsenfest die Auffassung vertreten, die Staatsanwaltschaft hätte mit Aussicht auf Erfolg einen Anordnungsantrag bei Gericht stellen können, aber selbst Sachverständige, die auf Antrag der CDU-Fraktion vom Ausschuss gehört worden sind, wie der Sachverständige Dr. Wolf, Vorsitzender Richter beim Landgericht Marburg, haben die Rechtsauffassung der Union eindeutig widerlegt. So hat Dr. Wolf ausgeführt, dass die Voraussetzungen der nachträglichen Siche

rungsverwahrung im Fall Maik S. nicht vorlagen. Nach seiner Auffassung wäre auch in Hessen alles genauso passiert. Maik S. hätte entlassen werden müssen.

Deshalb klammert sich die CDU vor allem an die Aussage von Frau Dr. Rissing-van Saan. Sie vertritt die Auffassung, dass die Gesamtschau der verschiedenen Disziplinarvergehen von Maik S. – sein ständiges Lügen, sein manipulatives Verhalten und die lange Haftdauer – als Mosaik betrachtet neue erhebliche Tatsachen ergäben. Mithin lägen nach ihrer Auffassung die Voraussetzungen für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung vor. Ihrer Meinung als Bundesrichterin kommt natürlich unzweifelhaft ein hoher Stellenwert zu. Frau Dr. Rissing-van Saan hat aber selbst ausdrücklich dargelegt, dass es für ihre Auffassung keine Beispiele in der Rechtsprechung gibt und dass der Bundesgerichtshof erst einen großen Schritt machen müsste, um zu einer derartigen Bewertung zu kommen.

An dieser Stelle sei angemerkt, diesen Schritt hat der Bundesgerichtshof bis heute nicht unternommen. Im Gegenteil, nach dem Fall von Carolin sind mehrere BGHEntscheidungen ergangen, die die bis dahin schon restriktive Rechtsprechung noch weiter verfestigt haben. Aber Sie, meine Damen und Herren von der CDU, halten an Ihrer Rechtsauffassung fest.

In ähnlicher Weise wie die Bundesrichterin äußerte sich Herr Professor Dr. Krey. Aber auch er weiß die Rechtsprechung nicht hinter sich. Beide Sachverständige zielten vielmehr durch ihre Auffassung auf die Hoffnung beziehungsweise Erwartung ab, dass die Rechtsprechung sich zukünftig in diesem Sinne entwickelt. Gleichzeitig erheben sie aber auch ausdrücklich keinen Vorwurf gegen die Entscheidung der zuständigen Staatsanwältin. Dass die Union dies in ihrer Außendarstellung immer wieder verschweigt, zeigt aus meiner Sicht nur, dass wirklich eine sachliche Aufarbeitung vielleicht doch nicht im Mittelpunkt gestanden hat.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wir denken nicht wie Sie.)

Auch Professor Dr. Osterheider wird in diesem Zusammenhang oft und gern von der CDU zitiert. Aber er ist Psychologe und kein Jurist. Nach seinen eigenen Angaben ist aber gerade die Bewertung, ob neue erhebliche Tatsachen im Sinne des Paragrafen 66 b vorliegen oder nicht, eine rein juristische Frage.

Alles in allem gibt es nicht viele Sachverständige, die Ihre Meinung teilen. Sie sollten aber dennoch anerkennen, dass zu juristischen Problemen auch nur Auffassungen juristischer Sachverständiger maßgebend sind. Im Übrigen haben Sie uns, meine Damen und Herren von der CDU, stets darauf aufmerksam gemacht, dass juristische Sachverständige sich besser nicht zu psychologischen Fragen äußern sollten, da sie eben keine Psychologen sind. So steht es in einer geschmacklosen und zugleich diffamierenden Presseerklärung des Kollegen Riemann vom 24.05.2006, in der der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Dr. Dally als untauglicher Sachverständiger bezeichnet wurde, dessen Aussagen nur als unbrauchbar bezeichnet werden könnten. Bei Herrn Dr. Dally handelt es sich immerhin um den Richter, der bezüglich des Paragrafen 66 b Entscheidungen getroffen hat, die noch heute in der Rechtsprechung – auch des Bundesgerichtshofes – berücksichtigt werden.

Meine Damen und Herren! Die Union blendet die Auffassungen der Mehrheit der juristischen Sachverständi

gen und die eindeutige und einhellige Rechtsprechung des Strafsenats des Bundesgerichtshofes vollständig aus. Geradezu abenteuerlich ist die Aussage der CDU in ihrem Sondervotum, dass nur bei oberflächlicher Betrachtung des Fellert-Gutachtens lediglich eine weiterhin bestehende Gefährlichkeit von Maik S. festgestellt werden könnte. Ich finde, es ist ein starkes Stück, den angehörten Sachverständigen Oberflächlichkeit in ihrer Arbeit zu bescheinigen. Das gilt natürlich nicht für jene Sachverständige, die Ihre Auffassung vertreten. Dies zeigt einmal mehr die Art und Weise, wie versucht wird, Aussagen von Sachverständigen und Zeugen zu verdrehen oder herunterzuspielen, nur weil Ihnen deren Aussagen nicht passen.

Diesen anmaßenden Äußerungen trete ich ausdrücklich entgegen und möchte betonen:

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist sehr bedeutsam.)

Alle Sachverständigen waren sich ihrer Verantwortung bewusst. Sie haben sich gründlich auf die Anhörung im Ausschuss vorbereitet und die Rechtslage analysiert, unabhängig davon, ob ich deren Aussagen teile oder nicht. Damit schließe ich ausdrücklich und natürlich Frau Dr. Rissing-van Saan und Herrn Professor Dr. Krey ein, aber ebenso Herrn Professor Dr. Joecks von der Universität Greifswald, Professor Dr. Renzikowski von der Universität Halle/Wittenberg und Herrn Norbert Wolf, Generalstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig, um nur einige zu nennen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Drittens. Der von der Union immer wieder zitierte BGHBeschluss vom 8. Dezember 2005 weist keine für eine Beurteilung relevanten Parallelen zum Fall Maik S. auf. Dieser musste aber für die Union als Parallelfall herhalten, weil darin die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung von dem Bundesgerichtshof als einer der wenigen Fälle bestätigt wurde.

In seiner Einbringungsrede hat Herr Dr. Born, ich zitiere, „geradezu frappierende Gemeinsamkeiten mit dem hier in Rede stehenden Fall“ festgestellt. Durch den Vergleich des Beschlusses mit dem Fall Maik S. wollte die CDU suggerieren, dass der Fall Maik S. doch genauso wäre, wie der, der im BGH zur Entscheidung vorlag. Der BGH hätte also auch im Fall Maik S. eine nachträgliche Sicherungsverwahrung bestätigt.

Im so genannten Vergleichsfall hatte der Bundesgerichtshof über eine nachträgliche Sicherungsverwahrung zu Lasten eines umfänglich glaubhaft schuldeinsichtigen und therapiemotivierten Strafgefangenen zu entscheiden. Dieser konsumierte während der Haftzeit Rauschgift und beging Straftaten. Es kam auch zu aggressiven Ausbrüchen gegenüber seinen Therapeuten. Die Therapie musste letztendlich abgebrochen werden. Der Bundesgerichtshof stellte mithin eine grundlegende Verhaltensänderung fest und bestätigte die nachträgliche Sicherungsverwahrung.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Genau das war hier auch. Genau das war hier auch.)

Zu derart schwerwiegenden Vorfällen kam es bei Maik S. jedoch nicht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ach ja?)

Maik S. beging in der Haft keine Straftaten. Er hat seine Therapeuten nicht angegriffen. Er verhielt sich weitgehend angepasst. Der Zeuge Schwark bezeichnete sein Verhalten gegenüber den Vollzugsbediensteten sogar als devot.

Meine Damen und Herren! Nach den Anhörungen der juristischen Sachverständigen ist es geradezu völlig absurd, eine Vergleichbarkeit zum Fall Maik S. aufrechtzuerhalten. Alle, ich wiederhole, alle Sachverständigen haben vor dem Untersuchungsausschuss eine Vergleichbarkeit abgelehnt. Einzig und allein die Landtagsfraktion der CDU bleibt bei ihrer abwegigen und einsamen Rechtsauffassung. Und wieder behauptet sie, dass nur bei oberflächlicher Betrachtung der BGH-Beschluss mit dem Fall Maik S. nicht vergleichbar sei.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, richtig.)

Die CDU unterstellt diesmal den Sachverständigen eine oberflächliche Betrachtung, selbst Frau Rissing-van Saan, denn auch sie hat eindeutig, gesagt: Dieser Fall ist nicht vergleichbar.

Viertens. Ein Zusammenhang zwischen Maik S. und einem Sexualverbrechen aus dem Jahr 1995 konnte nicht hergestellt werden. Das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wurde damals eingestellt. Dies ist nach Aussagen der Staatsanwältin ein üblicher Vorgang.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Schlimm genug.)

Die vorhandenen Beweismittel wurden ergebnislos auf Spuren untersucht und danach als unbrauchbar vernichtet,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wieso unbrauchbar? Das stimmt doch gar nicht.)

da man keinen Tatverdächtigen hatte ausmachen können.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das kann doch nicht sein!)

Als nach dem Mord das damalige Opfer meinte, seinen Peiniger in Maik S. wieder erkannt zu haben, wurden die Ermittlungen erneut aufgenommen. Es stellte sich heraus, dass die Akten bereits 2002 vernichtet worden waren.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Als unbrauchbar werden Spuren vernichtet, wenn das Gericht sie nicht anerkennt. Keine Ahnung! Keine Ahnung!)

Das war zu früh. Die Verjährungsfrist, die für den Zeitpunkt der Aktenvernichtung maßgeblich ist, war noch nicht abgelaufen. Meine Damen und Herren, an diesem Vorgang ist nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen. So etwas darf es nicht wieder geben und es darf sich nicht wiederholen. Nach Angaben des Zeugen Martensen ist mittlerweile sichergestellt, dass die Aufbewahrungsfrist vom zuständigen Dezernenten immer vermerkt wird.

Wir wissen, das Verbrechen ist zum Zeitpunkt der Anzeige durch das Opfer bereits verjährt gewesen.