Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja. Richtig.)

zweitens ist das eine Katalogstraftat laut dem Straftatenkatalog und schon bin ich damit fertig.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Dann muss ich die materiellen Voraussetzungen prüfen

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, ja, das ist richtig.)

und da gab es das Gefährlichkeitsgutachten der Frau Fellert. Sie hatte die fünfbändige Gefangenenpersonalakte nicht vorliegen, aber das Gutachten der Frau Fellert ging in 13 Seiten dezidiert auf die Gefangenenpersonalakte ein. Ich muss dazusagen, ich habe auch eine ganze Weile gebraucht, als ich das erste Mal das Fellert-Gutachten gelesen habe. Ich habe mir aber auch von Sachverständigen sagen lassen, dass die so ein Gutachten schneller lesen können, weil sie das fast täglich in ihrer Arbeit machen, ich habe es zum ersten Mal gemacht. Auf jeden Fall ist es ein Unterschied für mich, ob jemand nachträgliche Sicherungsverwahrung zu verhängen hat oder nicht oder ob sich jemand auf ein umfassendes Rechtsgutachten vorbereitet. Im Ergebnis lagen jedoch die Voraussetzungen für die Beantragung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Maik S. nicht vor. Einziger Unterschied: In anderen Ländern wäre er möglicherweise gar nicht erst in eine sozialtherapeutische Gruppe aufgenommen worden, weil man dort vielleicht früher festgestellt hätte, dass er therapeutisch nicht erreichbar war.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist ja genau der Fehler.)

Wir hatten einen Täter, der weiterhin gefährlich war, den man nicht therapieren konnte, und mussten ihn trotzdem

entlassen, und das, das gebe ich zu, ist eine bittere Erkenntnis.

Zu der Fehlkonstruktion des Gesetzes und ihren Folgen im Fall Maik S. sagte der von der CDU vorgeschlagene Sachverständige Dr. Wolf: „Das Gesetz hat dieses Loch, durch das zum Beispiel unser Mann hier gefallen ist.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Das Gesetz leidet an einem gravierenden Geburtsfehler, der dringender Reparatur bedarf.“, das hat ein anderer Sachverständiger und Rechtsgelehrter vor dem Ausschuss ausgeführt.

Bei der Verurteilung 1998 gab es keine Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung bei Maik S. anzuordnen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Stimmt.)

Dem fehlten die entsprechenden Vorverurteilungen. Er braucht nämlich zwei schwerwiegende Verurteilungen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

er hatte bloß eine.

Das andere waren zwar auch Verurteilungen wegen Fahnenflucht, aber es waren keine schwerwiegenden im Sinne des Gesetzes. Und für nachträgliche Sicherungsverwahrung fehlte es an neuen erheblichen Tatsachen. Das ist, das gebe ich zu, eine absurde Situation. Da ist ein Ersttäter, der aufgrund seiner besonderen Gefährlichkeit alle Voraussetzungen hat, und nachträglich kann man bei ihm nichts anordnen, weil schon alles, was an Gefährlichkeit bekannt ist, bekannt war bei der Erstverurteilung. Wenn der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollte, dass er hochgefährliche Täter wegsperren will, um die Allgemeinheit zu schützen, dann darf das nicht so geregelt werden, wie es jetzt geregelt ist. Diese Erkenntnis hatten wir allerdings schon Anfang des Jahres im Rechtsausschuss.

Die Gesetzesinitiative, die der Justizminister Ende letzten Jahres im Bundesrat eingebracht hat, zielt genau in diese Richtung, die Lücke im Gesetz, durch die Täter wie Maik S. fallen, zu schließen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist aber verfassungswidrig.)

Sicherungsverwahrung soll danach in Ausnahmefällen für Ersttäter möglich sein, wenn sich schon nach einer schweren ersten Tat ein gefährlicher Hang zum Serientäter feststellen lässt. Kollege Dr. Born, Sie hatten vorhin gesagt, ich glaube, Sie hatten „Die Zeit“ zitiert, dass dort auch geschrieben wurde, dass der Justizminister sich natürlich dort schon ganz schön weit vom Grundgesetz entfernt bewegt und alles strittig ist und so weiter. Ich muss dazusagen, es gab in diesem Land, in Deutschland, in der Vergangenheit etliche Landtage, etliche Justizminister, die Ähnliches gemacht haben

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, ja.)

und auf Messers Schneide gestanden haben,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, das ist okay.)

einfach weil sie die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern schützen wollten. Zwei Bundesländer haben die nachträgliche Sicherungsverwahrung selbst gesetzlich geregelt. Das wurde gekippt vom Bundesverfassungsgericht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist korrekt.)

Das ist, glaube ich, ein Vorwurf, der nicht unbedingt notwendig ist hier.

Es gibt einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Erweiterung des Aufgabenbereichs der Führungshilfe. Das Institut der Führungshilfe soll konsequenter gestaltet und effektiviert werden. Darüber hinaus ist die Fraktion der SPD der Auffassung, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei im Rahmen der Führungsaufsicht intensiviert werden muss. Dieses kann auch durch gezielte Hinweise der Führungsaufsichtsstelle an die Polizei im Falle einer Haftentlassung geschehen. Insofern gilt es zu klären, inwieweit dieses Vorgehen datenschutzrechtlich zulässig ist. Ziel muss in jedem Fall sein die Entwicklung einer Zusammenarbeit, welche mit der Betreuung durch die Bewährungshilfe gekoppelt ist. Dazu müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Bei der Kommunikation zwischen den verschiedenen Institutionen wie Strafvollzug, Staatsanwaltschaft, Bewährungshilfe muss eine höchstmögliche Transparenz der einzelnen Vollstreckungsverläufe erreicht werden. Hier muss erreicht werden, dass, wenn ein Gutachten an irgendeiner Stelle vorliegt, dies auch die anderen beteiligten Behörden bekommen.

Unabhängig vom Fall Maik S. machen wir uns dafür stark, dass die Therapiebedingungen auch zukünftig noch weiter verbessert werden. Mit den weit gehenden Erneuerungen in der JVA Waldeck und dem dort seit 2005 eingerichteten Diagnostikzentrum sowie der Sozialtherapie unter nunmehr neuer Leitung ist man bereits auf einem guten Weg. Ein wichtiges Ziel bleibt daher weiterhin die Erhöhung der Betreuungsintensität in den Justizvollzugsanstalten. Im Fall Maik S. wurden alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, ihn so lange wie möglich in der Haft zu behalten. Er wurde nicht vorzeitig entlassen, er musste seine Strafe absitzen bis zum letzen Tag. Darüber täuscht die CDU mit ihrem auf eine Mindermeinung gestützten Sondervotum hinweg.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Wieso denn das?)

Weil Sie sagen, dass nicht alles ausgeschöpft wurde.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das haben wir nie bestritten.)

Man hätte nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragen können. Das sehen wir anders.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist keine Täuschung, sondern eine andere Auffassung, sehr gut begründet.)

Eine andere Auffassung, natürlich.

Was ich bei Ihnen nicht finden konnte, ist diese gesetzliche Lücke, die wir sehen, die gefüllt werden muss. Hier wäre es gut gewesen, wenn Sie sich auch dazu äußern.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, ja.)

Letztendlich muss dieses Gesetz repariert werden.

(Dr. Armin Jäger, CDU: In diesem Fall war die Lücke gar nicht erst gegeben.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte Ihnen ehrlich gesagt lieber ein anderes Ergebnis vorgestellt, aber ich komme leider zu keinem anderen Ergebnis. Das ist das Schwierige, das Paradoxe an der ganzen Sache. Es liegt in der Natur des Menschen, dass man, wenn etwas sehr Tragisches passiert, einen Schuldigen

sucht. In der Regel findet man den. Ich habe zum Beispiel einmal Folgendes gehabt: Rettungsleitstelle Neustrelitz, da ruft eine Frau an und sagt, ihr Mann hat ganz akute Herzprobleme, sie braucht unbedingt einen Notarzt. Der Beschäftigte hat diese Meldung nicht weitergegeben, vier Stunden später war der Mann verstorben. Da fragt man sich: Warum musste er sterben, wer war schuld? In dem Fall war es eindeutig der Angestellte der Rettungsstelle, ganz eindeutig.

(Beifall Heike Polzin, SPD)

Hier in unserem konkreten Fall wird ein junges Mädchen ermordet, welches nun wirklich das ganze Leben noch vor sich hatte, von einem frisch entlassenen Sexualstraftäter und schuld daran soll nur eine Lücke im Gesetz sein? Eine Lücke im Gesetz soll dieses Verbrechen erst ermöglicht haben?

Meine Damen und Herren, Sie können mir glauben, es wäre einfacher für mich, hier jetzt zu stehen und zu sagen: Das alles konnte nur deshalb passieren, weil Herr oder Frau Sowieso ihre Tätigkeit schuldhaft gemacht hat. Das hat der/die verzapft. Das wäre einfacher. Das wäre etwas zum Greifen.

(Egbert Liskow, CDU: Aber Sie wollen es ja gar nicht.)

Aber hier haben wir nur…

Das glauben Sie auch nur.

Hier haben wir nur eine Lücke im Gesetz. Wir konnten ein persönliches schuldhaftes Verhalten Dritter nicht feststellen. Maik Schulze – ich darf den Namen hier auch nennen, das Urteil ist rechtskräftig – trägt für den tragischen Tod der 16-jährigen Carolin die alleinige Verantwortung.

Ich glaube, meine Damen und Herren, in der deutschen Geschichte ist noch kein Mordfall so intensiv und aufwändig von einem Parlament untersucht worden. Alle Vernehmungen waren öffentlich und wurden auch von der Öffentlichkeit begleitet. Es hat sich durch den Untersuchungsausschuss nochmals bestätigt: Wir haben in diesem Gesetz eine Lücke. In einem so sensiblen Bereich wie der Sicherungsverwahrung ist es nicht möglich, eine Gesetzeslücke durch Auslegung oder Rechtsprechung des BGH zu schließen. Für einen so elementaren Eingriff wie die Inhaftnahme eines Täters über seine reguläre Strafzeit hinaus brauchen wir eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, anderenfalls hätten wir wieder das, dass Karlsruhe das kippen würde.

Meine Damen und Herren, ein Mordfall wie dieser darf sich nicht wiederholen. Eine sensibilisierte Justiz haben wir nach den Geschehnissen der letzten zwölf Monate mehr denn je. Aber erst mit Novellierung des Gesetzes zur Sicherungsverwahrung hätte diese dann auch die rechtliche Möglichkeit, so einen Mann in Haft zu halten. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Danke schön, Herr Krumbholz.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der Linkspartei.PDS die Abgeordnete Frau Borchardt. Bitte schön, Frau Abgeo r d n e t e.