Protokoll der Sitzung vom 30.06.2006

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 41: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD und Linkspar tei.PDS – Mindestlohn, auf der Drucksache 4/2309. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/2352 vor.

Antrag der Fraktionen der SPD und Linkspartei.PDS: Mindestlohn – Drucksache 4/2309 –

Änderungsantrag der Fraktion der CDU – Drucksache 4/2352 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Mohr. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Deutschland gibt es keine gesetzlichen Mindestlöhne. Das unterscheidet uns von der Mehrzahl der EU-Staaten. Bei uns werden die Löhne und Gehälter von den Tarifparteien ausgehandelt, also den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Das ist gut so.

(Beifall Ute Schildt, SPD – Wolfgang Riemann, CDU: Das ist auch gut so.)

Die Tarifautonomie wird durch das Grundgesetz und das Tarifvertragsgesetz garantiert. Durch Tarifverträge werden in Westdeutschland rund 70 Prozent der Arbeitnehmer erfasst. In Ostdeutschland sind es rund 55 Prozent. Auch Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Unternehmen profi tieren häufi g davon, wenn nämlich die Unternehmen diese Tarifabschlüsse übernehmen oder ihre Vergütung zumindest an solchen Tarifverträgen ausrichten.

Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen gerechte Löhne für gute Arbeit. Bruttostundenlöhne von weniger als 3 oder 4 Euro sind für uns nicht akzeptabel. Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, müssen von ihrer Arbeit auch menschenwürdig leben können. Das steht für uns fest.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, für uns stehen dabei tarifvertragliche Lösungen klar im Vordergrund. Soweit möglich, sollten tarifvertraglich festgelegte Löhne für allgemeinverbindlich erklärt werden. Ein bewährtes Instru ment ist das Arbeitnehmerentsendegesetz für den Bausektor und die Schifffahrt. Der Mindestlohn im Bausektor genießt nicht nur bei den Gewerkschaften hohe Akzeptanz, sondern eben auch bei den Arbeitgebern. Das Arbeitnehmerentsendegesetz soll auf weitere, wenn es nach mir geht, alle Branchen ausgedehnt werden, um branchenbezogene Mindestlöhne zu ermöglichen.

Man kann nun die These vertreten, dass tarifl iche Lösungen ausreichen, weil alles andere die Tarifautonomie aushebelt. Dies haben die Gewerkschaften auch lange Zeit so vertreten. Aber die Lage hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft, meine Damen und Herren.

Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor viel zu hoch und die EU-Erweiterung hat zu mehr Lohndumping durch Billiganbieter geführt. Hinzu kommt, dass immer mehr Unternehmen Druck auf die Löhne ausüben. Die Alternative heißt immer häufi ger: schlechtere Arbeitsbedingungen und sinkende Löhne oder Betriebsverlagerungen, und das selbst in profi tablen Bereichen.

Das alles hat zur Folge, dass viele Menschen zu unwürdigen Löhnen arbeiten, die häufi g nur 3 oder 4 Euro pro Stunde betragen. 2,5 Millionen Menschen, meine Damen und Herren, arbeiten in Deutschland für weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens. Man spricht in diesem Fall von Armutslöhnen. Alle Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor steigt.

Die Tarifbindung in Deutschland verliert an Kraft. Gerade für Geringverdiener ist das ein großes Problem. Ohne Tarifbindung fehlt die untere Absicherung des Lohngefüges. Die Würde der arbeitenden Menschen ist in Gefahr, deshalb die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Dieser dient als Auffanglinie nach unten und steht nicht im Widerspruch zu branchenbezogenen Mindestlöhnen, die darüber liegen.

Meine Damen und Herren, gerade auch im Zusammenhang mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie müssen Regelungen gefunden werden, die eine Mindestabsicherung gegen Billiglohnkonkurrenz ermöglichen. Andere EULänder sind da weiter als wir hier zurzeit in Deutschland. Von den bisherigen 15 EU-Mitgliedsstaaten verfügen 9 Länder über einen gesetzlichen Mindestlohn, ebenso 9 der 10 neuen EU-Mitgliedsländer. Mindestlöhne sind also eher die Regel als die Ausnahme. Ich möchte hier Beispiele bringen wie von unserem Nachbarland Frankreich. Dort haben wir einen Mindestlohn von 8,03 Euro. Und beispielsweise in Großbritannien beträgt der Mindestlohn 7,36 Euro pro Stunde.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Der ist gerade erhöht worden in Frankreich.)

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: In Frankreich ist gerade erhöht worden. – Wolfgang Riemann, CDU: Und die Arbeitslosigkeit?)

Die Erfahrungen, meine Damen und Herren, der anderen europäischen Staaten zeigen deutlich, dass ein gesetzlicher Mindestlohn nicht zu verstärkter Arbeitslosigkeit und zum Abbau von Arbeitsplätzen führt, wie oft von bestimmten Kreisen behauptet wird. Das Thema Mindestlohn hängt eng zusammen mit der Frage des allgemeinen Lohnniveaus. Und hierzu hat der Landtag am 1. April 2005 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen den Antrag für angemessene Löhne und Gehälter gegen ein Niedriglohngebiet Ost beschlossen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Leider, meine Damen und Herren, leider hat die Opposition dagegen votiert. Damals wie heute zeigt sich ein fundamentaler Gegensatz. Die CDU sieht die Zukunft des Landes auf Dauer als Billiglohnland. Wir sind dagegen für das Prinzip: „Gerechter Lohn für gute Arbeit“.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Zusammengefasst, meine Damen und Herren, wir

sind dafür, dass in Branchen, in denen keine existenzsichernden Tarifl öhne bestehen oder diese nicht eingehalten werden, ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird und vor dem Hintergrund bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem vorliegenden Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Danke schön, Herr Mohr.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erste hat das Wort für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau Strenz. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

(Wolfgang Riemann, CDU: Komisch, dass dazu der Wirtschaftsminister nicht redet.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungszeit von Rot-Rot oder, wie gestern Frau Wien sagte, von Rosa-Rot geht zu Ende

(Zuruf von Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

und an der Statistik …

Herr Ritter, Ihre Redebeiträge gestern waren schon so kryptisch, dass Sie es jetzt besser lassen, darauf einzugehen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Gabriele Měšťan, Die Linkspartei.PDS: Die waren ausgezeichnet. – Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Die haben Sie nur wieder nicht verstanden. – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Frau Strenz, waren Sie etwa da, gestern?)

Die Regierungszeit von Rot-Rot geht zu Ende und an der Statistik, meine Damen und Herren, lässt sich, anders als vom Ministerpräsidenten beschworen, der fehlende Erfolg Ihrer Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik ganz deutlich ablesen.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Oh, oh!)

Im September 1998 sind Sie mit 624.602 sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern gestartet und die aktuellen Zahlen weisen für April 2006 nur noch 491.700 sozialversicherungspfl ichtige Beschäftigungsverhältnisse in unserem Land aus. Das ist das Resultat der Rahmenbedingungen, die Sie mit Ihrer Politik hier im Land geschaffen haben. Und damit meine ich eben nicht das Plus der saisonal bedingten Plätze, wie wir gestern hören konnten, durch die Bundesagentur für Arbeit, 1.600 an der Zahl, sondern die über, und das ist die Differenz, 100.000 Arbeitsplätze, die in Ihren Regierungsjahren verloren gegangen sind. Die CDULandtagsfraktion freut sich über jeden einzelnen Arbeitsplatz. Das ist ganz unbestritten.

(Beifall Wolfgang Riemann, CDU)

Aber Ihr Saldo ist negativ.

(Beifall Rainer Prachtl, CDU, und Wolfgang Riemann, CDU)

Und aus diesem Grund, meine Damen und Herren, müssen wir bei allen neuen Instrumenten, die eingeführt

werden, die Frage stellen, ob sie wirklich dienen zur Schaffung neuer sozialversicherungspfl ichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Bei der Diskussion um Mindestlöhne spielt die Frage nach dem Beschäftigungseffekt die zentrale Rolle. Aber handfeste Antworten darauf gibt auch die Wissenschaft nicht, nachzulesen im Wochenbericht des DIW Berlin Nummer 15 bis 16 dieses Jahres. In den 70er und 80er Jahren deuteten alle Untersuchungen meist mit Daten aus den Vereinigten Staaten darauf hin, dass Mindestlöhne mit einem Abbau von Beschäftigung einhergehen. Anfang der 90er Jahre gab es in Teilen auch andere Feststellungen.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Man hatte aber Mindestlöhne.)

Auch in neueren empirischen Untersuchungen zeigte sich kein klares Bild zum Zusammenhang zwischen Mindestlöhnen und Beschäftigung. Das heißt mit Sicherheit nicht, dass die Einführung von Mindestlöhnen keine Konsequenzen für die Beschäftigung hätte. Es mangelt vielmehr an eindeutigen wissenschaftlichen belastbaren Aussagen.

Meine Damen und Herren, es ist also unerlässlich aus Sicht der CDU-Fraktion, im Vorfeld zu prüfen, wie sich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes denn auf die bestehende Erwerbstätigkeit in MecklenburgVorpommern auswirkt und ob dadurch in unserem Land wirklich neue sozialversicherungspfl ichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen können. Dazu haben wir Ihnen unseren Änderungsantrag vorgelegt. Die Landesregierung muss dabei die Tarifvertragsparteien in Mecklenburg-Vorpommern bei der Prüfung mit einbeziehen, um Wege für eine marktgerechte und auch transparente Bedarfsanalyse zu fi nden.

Nach bereits vorliegenden groben Analysen müssten bei jedem zehnten Beschäftigten in Deutschland die Löhne nach Einführung von fl ächendeckenden Mindestlöhnen angehoben werden, in den neuen Bundesländern sogar bei jedem fünften. Das bedeutet eine erhebliche Wirkung auf das Lohngefüge in unserem Land,

(Alexa Wien, Die Linkspartei.PDS: Und eine erhebliche Erhöhung der Kaufkraft.)

wo der mittlere Lohn von Facharbeitern übrigens nicht weit von einem solchen Mindestlohn entfernt liegt, wie ihn einzelne Gewerkschaftler fordern. Und es wären vor allem kleine Unternehmen betroffen, meine Damen und Herren. Ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber größeren Unternehmen würde ernsthaft geschwächt und das kann nicht Ihr Ansinnen sein. Die Basis des wirtschaftlichen Gefüges in unserem Land, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die ja auch Sie heute sehr beschworen haben, würden unter extremen Druck geraten.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Natürlich könnte versucht werden, die Höhe der Mindestlöhne etwa nach Berufen, Branchen oder Regionen zu differenzieren. Aber dies wäre wohl, und das würden auch Sie nicht wollen, Herr Mohr, mit einer erheblichen Bürokratie verbunden.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Sehr richtig.)