Protokoll der Sitzung vom 15.09.2010

Ferner fordern wir eine detaillierte Nachweispflicht und eine Marktanalyse darüber, ob dieses öffentliche Tun, dieses öffentliche Wirtschaften nicht zum Schaden der Privatwirtschaft gereicht.

(Irene Müller, DIE LINKE: Von Daseins- fürsorge hat er wohl noch nie was gehört.)

Diese Analyse ist in der Selbstverwaltung der Wirtschaft – und darauf sind wir, denke ich, alle sehr stolz, dass es die Selbstverwaltung der Wirtschaft gibt – vor der Genehmigung der Gremien zur Kenntnis zu geben und eine Stellungnahme der Selbstverwaltung der Wirtschaft.

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Und von der Warte denken wir, dass alle Rahmenbedingungen für eine ordnungsgemäße kommunale wirtschaftliche Betätigung und eine ordnungsgemäße privatwirtschaftliche Betätigung damit ermöglicht werden.

Ich denke, ich habe nachher noch Zeit, auf Ihre Redebeiträge einzugehen. Ich will nur eines sehr klar und deutlich sagen: Wer mehr Staatswirtschaft will, der wählt den Weg zurück in den Sozialismus,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Helmut Holter, DIE LINKE: Ach! – Zuruf von Gabriele Měšťan, DIE LINKE)

der gefährdet Arbeitsplätze, der schadet dem sozialen Zusammenhang und, meine Damen und Herren, der wird mit einem erheblichen Gegenwind

(Irene Müller, DIE LINKE: Daseinsvorsorge! Das Wort haben Sie doch schon öfter gehört.)

der betroffenen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern rechnen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Danke schön, Herr Roolf.

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat ums Wort gebeten der Innenminister des Landes Herr Caffier. Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.

(Michael Roolf, FDP: Eigentlich Aufgabe des Wirtschaftsministers.)

Ich glaube, Herr Roolf, Sie haben gerade über die Kommunalverfassung gesprochen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwurf der FDP zur Kommunalverfassung soll ein Verfahren in Gang gebracht werden, das sich die Regierungsfraktionen ohnehin schon auf die Fahnen geschrieben haben,

(Heinz Müller, SPD: Aber in anderer Richtung.)

eine Novelle der Kommunalverfassung, die unter anderem auch die Überarbeitung des Rechts der wirtschaft

lichen Betätigung berücksichtigt, und zwar in einem geordneten Verfahren, in dem in den Ressorts auch die notwendigen Verbandsanhörungen durchgeführt werden und in dem die Interessen aller berücksichtigt werden.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: So ist es.)

Wenn ich heute trotzdem gegen diesen Entwurf spreche, dann aus einem einfachen Grund: Dieser Gesetzentwurf stellt allerdings in der Tat nichts anderes dar als den Versuch, alle Fragen zur wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen ein für alle Mal zu beantworten, und zwar ganz eindeutig zulasten der Kommunen.

(Helmut Holter, DIE LINKE, und Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: So ist es.)

Lassen Sie mich dieses durchaus …

(Michael Roolf, FDP: Und das sagt die CDU! Wollen wir mal hören, was der CDU-Mittelstandsverein dazu sagt.)

Ja, das sage ich auch in meiner Funktion, aber hier spreche ich jetzt als Innenminister.

Lassen Sie mich dieses harsche Urteil auch durchaus belegen. Nach den Vorstellungen der FDP sollen drei grundlegend neue Eckpunkte in der Kommunalverfassung verankert werden:

Erstens soll die wirtschaftliche Tätigkeit der Kommunen nur noch dann stattfinden dürfen, wenn kein privates Unternehmen das Betätigungsfeld für lukrativ hält. Nichts anderes heißt es nämlich, wenn jegliche, also auch die als Nebenzweck verfolgte Gewinnerzielung zur Aberkennung des öffentlichen Zwecks führt.

Zweitens soll selbst der Weg zu den Brosamen wirtschaftlicher Betätigung, die die FDP den Kommunen belassen will, noch gepflastert werden mit der Hürde eines langwierigen und verwaltungsaufwendigen Zulassungsverfahrens, und zwar nicht nur bei den Kommunen selbst, sondern auch bei den Rechtsaufsichtsbehörden frei nach dem Motto: „Streiche Anzeige, setze Genehmigungspflicht“. Hier müssen Sie sich, meine Damen und Herren der FDP, wirklich fragen lassen, wie ernst es mit Ihrer Forderung

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Deregulieren.)

nach einer schlanken Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern ist. Versteht die FDP die Einführung neuer Schranken und Hürden als Bürokratieabbau? Das müssen Sie uns dann bitte auch erklären.

Und drittens zu guter Letzt soll auch noch ein neues Einfallstor für zusätzliche Gerichtsverfahren und Schadensersatzansprüche zulasten der öffentlichen Hand geschaffen werden, eine ABM für Rechtsanwälte.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Aha!)

Nichts anderes ist dieser hier ausgeführte dritte Punkt.

Wie gesagt, der Entwurf beantwortet alle Fragen nur nach wirtschaftlicher Betätigung, die danach nie wieder ein Bürgermeister oder eine Stadtverwaltung stellen müsse. Wenn ein Unternehmerverband derartige Forderungen erheben würde, hätte ich dafür auch ein gewisses Verständnis. Das gehört dazu. Von einer Partei, die in diesem Land Mandatsträger und Bürgermeister stellt,

(Heinz Müller, SPD: Nicht viele. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Es sind ja Gott sei Dank nicht so viele.)

hätte ich allerdings erwartet, dass Sie in einem Gesetzentwurf auch kommunale Interessen vertreten, denn Sie stellen meines Wissens auch Kommunalvertreter im Land.

Lassen Sie es mich ganz deutlich unterstreichen: Wenn es einen öffentlichen Zweck gibt, der die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen rechtfertigt – in der Hauptsache geht es hier natürlich um Fragen der Daseinsvorsorge –, dann ist es völlig legitim, wenn in Ergänzung dazu auch Gewinne erzielt werden. Nur so lässt sich eine wirtschaftliche Aufgabenbetätigung zum Wohle der Bürger erfüllen.

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Und nur die Erzielung eines angemessenen Gewinns verhindert einen schleichenden Verzehr kommunalen Vermögens. Der Verzicht auf eine Gewinnerzielungsabsicht wäre angesichts der kommunalen Haushaltssituation doch auch überhaupt nicht vermittelbar. Sie müssen sich irgendwann entscheiden, was Sie wollen, und nicht jeden Tag was anderes. Dass nicht allein eine Gewinnerzielungsabsicht ausreicht,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

um einen öffentlichen Zweck zu bejahen, darüber sind wir uns doch hoffentlich alle einig, und das steht auch schon so im Gesetz.

Lassen Sie mich noch einen Blick darauf werfen, wie die FDP ihren Gesetzentwurf begründet. Da ist die Rede davon, dass es seitens der Kommunen Bestrebungen gebe, die wirtschaftliche Betätigung auszuweiten. Mir ist derzeit davon nichts bekannt. Und im Übrigen sitzen in den Gemeindevertretungen und kommunalen Parlamenten ja die Vertreter, die das letztendlich auch erst mal genehmigen müssen. Also insofern ist es keine Einzelentscheidung der Verwaltung, die da getroffen wird. Wenn damit allerdings die bereits in der letzten Legislaturperiode geforderte Anstalt öffentlichen Rechts gemeint sein sollte,

(Michael Roolf, FDP: Was für ein Unsinn!)

dann muss man seriös und weiter auf Folgendes aufmerksam machen: Will sich eine Kommune derzeit wirtschaftlich betätigen, so muss sie in zwei Schritten zunächst die Frage klären, ob eine wirtschaftliche Betätigung zulässig ist, und sodann darüber entscheiden, in welcher Rechtsform sie sich betätigen will. Bisher hat sie dabei die Wahl zwischen einer GmbH und einem Eigenbetrieb. Kommt künftig möglicherweise noch die Anstalt öffentlichen Rechts dazu, hat die Kommune zwar bei Schritt Nummer zwei nun eine Möglichkeit mehr, nämlich die Auswahlmöglichkeit für die Anstalt öffentlichen Rechts, eine Erweiterung der wirtschaftlichen Betätigung, vor der man die private Wirtschaft in Schutz nehmen müsste, liegt darin aber gerade nicht, denn bei Schritt Nummer eins, also bei der Frage, ob sich die Gemeinde überhaupt wirtschaftlich betätigen darf, bleiben die Hürden so hoch, wie sie sind, und insofern ist die mögliche Zuführung einer Anstalt öffentlichen Rechts nicht eine Erweiterung der betätigten Daseinsvorsorge.

Liebe Kollegen der FDP, wenn es ab morgen in der Landtagskantine ein Gericht zusätzlich zur Auswahl gäbe, würden Sie doch auch nicht behaupten, dass wir deshalb

jetzt alle mehr essen müssten. Also dass es in der Vergangenheit beim Thema wirtschaftliche Betätigung auch Sündenfälle in der kommunalen Praxis gegeben hat, will ich nie in Abrede stellen und werde ich auch nicht in Abrede stellen. Solche Sündenfälle wird man aber auch in Zukunft nicht mit noch so ausgefeilten Gesetzesformulierungen verhindern allein durch verantwortungsbewusstes Verhalten der Kommunalpolitiker vor Ort.

Hier gilt für wirtschaftliche Betätigung übrigens dasselbe wie für die Konsolidierung der kommunalen Haushalte. Die Bereitschaft zum Verzicht ist durch nichts zu ersetzen, weder durch rigorose Rechtsvorschriften noch durch Strenge der Kommunalaufsicht.

Trotzdem muss bei einer Novelle der Kommunalverfassung, die in meinem Ministerium ja bekannterweise derzeit vorbereitet wird, natürlich der Anspruch bestehen, einen gerechten Interessenausgleich der Kommunen auf der einen Seite und der Wirtschaft auf der anderen Seite herbeizuführen. Ein solcher Ausgleich, an dem wir alle gemeinsam mit den Fachministerien derzeit arbeiten, der überdies auch noch in einen Gesetzeswortlaut mündet, der verständlich und für alle Behörden vollzugsfähig ist, kann nach meiner festen Überzeugung nur im Dialog der betroffenen Fachministerien und mit darin gründlich stattfindender Verbandsanhörung gefunden werden. Da appelliere ich an alle, dass sie den Gesetzentwurf der FDP nicht zur Grundlage ihrer weiteren Beratung machen, sondern auf den Gesetzentwurf der Landesregierung warten, der noch in diesem Herbst dem Parlament zugeleitet werden soll.

(Michael Roolf, FDP: Im Herbst.)

Noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen zum Schluss: Ohne wirtschaftliche Betätigung der Kommunen hätten wir keinen öffentlichen Personennahverkehr mit bezahlbaren Fahrpreisen für den Bürger.