Der ist sogar so weit gegangen und hat gesagt: Das, was wir heute beschließen, und wenn wir das beschließen mit Unterstützung der LINKEN mit über 80 Prozent in diesem Parlament, wofür ich sehr dankbar bin, dann werden wir zur, jetzt nicht zucken – Zitat –, „Avantgarde der Hochschulreform in Europa“, Zitatende.
Ja, manch einer versteht ja unter Avantgarde etwas anderes und fühlt sich irgendwie an andere Zeiten erinnert. Ich glaube, Herr Professor Kempten meinte das so nicht. Das kann man jetzt also alles gegeneinander abwägen.
Was macht man eigentlich in einer Demokratie, wenn sich die Leute nicht einig sind? Ja, dann muss das Parlament entscheiden. Deswegen machen wir das ja. Aber weil sie sich nicht einig sind, machen wir das, was der Minister auch schon hervorgehoben hat und Herr Ausschussvorsitzender Reinhardt, wir zwangsbeglücken niemanden, übrigens nicht mit Bildungsgutscheinen und auch nicht mit dem Diplom. Der Protest wäre berechtigt, wenn Sie jetzt hier beschließen würden, ihr müsst euch alle, ob ihr wollt oder nicht, Diplomingenieur nennen. Dann könnte ich verstehen, dass Herr Teuscher sagt, das will ich aber nicht, dass ihr uns zwingt, denn wir haben Hochschulautonomie und ich möchte selbst entscheiden. Ich erinnere übrigens mal an die Rede heute Morgen von Herrn Roolf zu PISA. Da habe ich, glaube ich, dreimal in der Rede das Wort „Wahlfreiheit“ gehört. Wahlfreiheit!
Ja, die Wahlfreiheit wollen Sie ja auch, nur dann nicht, wenn wir sie umsetzen. Abstrakt wollen Sie sie immer, aber wenn wir was Konkretes machen, dann nicht. Und wir sagen, genau diese Wahlfreiheit führen wir ein. Es muss sich erstens eine Hochschule entscheiden, dass sie das überhaupt will. Wenn Teuscher kein Diplom vergeben will, dann führt er das eben nicht ein.
Und wir haben die zweite Wahlfreiheit, als Regelabschluss bleibt der Master. Es bleibt der Regelabschluss, aber auch Wahlfreiheit des Studierenden. Auf Antrag des Studierenden beziehungsweise dann Absolventen kann auch das Diplomstudium, das Diplomzeugnis entgegengenommen werden, also völlige Hochschulautonomie.
Jetzt gab es zwei Haupteinwände, warum man das nicht machen dürfe. Die Unternehmervertreter haben gesagt, der Studienabschluss würde nicht anerkannt, es würde Chaos auslösen und das wäre ein Schaden für die Absolventen. Da bin ich Herrn Professor Schmachtenberg dankbar, der gleich gesagt hat: So, so, das wird also nicht anerkannt, aber wir garantieren euch schon mal, an den neun größten Technischen Universitäten Deutschlands werden wir diese Absolventen mit Handkuss nehmen. Dann war das Thema Anerkennung sofort vorbei.
Na, was soll man da noch sagen? In den neun größten – ich lese sie mal vor: RWTH Aachen, Technische Universität Berlin, Technische Universität Braunschweig, Technische Universität Darmstadt, Technische Univer
sität Dresden, Universität Hannover, dann Karlsruhe, die Technische Universität München und die Universität Stuttgart. Sie haben es gemerkt, es ist keine Hochschule aus unserem Land dabei. Unsere Hochschulen sind nicht die größten Technischen Universitäten. Aber die geben uns die Versicherung, wir anerkennen euren Abschluss. Warum hätte er denn auch nicht anerkannt werden sollen? Es gibt ja gar keinen Grund dafür.
Es gibt zwei Kriterien, um die Gleichartigkeit von Studienabschlüssen und von Studienleistungen anzuerkennen in Europa, zwei Kriterien:
Das erste ist ein quantitatives Kriterium. Wenn man Studienleistungen anerkennen will, dann müssen dieselben Studienquantitäten erreicht werden. Das messen wir in ECTS-Punkten. Diese 300 Punkte werden aber auch bei uns erreicht. Wir tasten die Struktur ja gar nicht an.
Und das zweite Kriterium ist, es reicht nicht nur aus, dass man 300 ECTS-Punkte studiert eine bestimmte Zeit, man muss auch noch nachweisen, dass das, was man studiert hat, ein Mindestniveau an Qualität erreicht. Und das machen wir durch Akkreditierung. Akkreditierung von Studiengängen führt dazu, dass attestiert wird, ihr sichert ein Mindestniveau an Qualität.
Das heißt, qualitativ und quantitativ erfüllen wir genau die beiden Kriterien, die der Bologna-Prozess verlangt. Die Studienleistungen nicht anzuerkennen, wäre schlichtweg sachwidrig. Es gibt gar kein Argument dafür. Damit hat sich das Thema oder das Problem Anerkennung erledigt.
Dann gibt es das Problem Förderung. Frau Wintermantel hat uns jetzt auch noch mal einen Brief geschrieben. Was wir hier machen, führt zu Verwirrungen. Wenn ich überlege, was ist das eigentlich für ein Begriff? Was ist das für ein Einwand? Also ein rechtlicher Einwand ist das nicht. Verwirrung ist kein Rechtsbegriff. Auch die Verhinderung von Verwirrung ist kein Rechtsbegriff.
Da gibt es die zweite Möglichkeit, vielleicht ist das ein fachpolitischer Einwand, die Verhinderung von Verwirrung, muss ich sagen, ist kein hochschulpolitischer Einwand, kein fachpolitischer Einwand. Das ist ein Einwand, der sich, glaube ich, eher im Bereich der Kommunikationspraxis ansiedelt.
Frau Wintermantel macht sich Sorgen darüber, ob wir in Europa und Deutschland in Zukunft noch einander verstehen und ob wir, wenn wir einen Abschluss beibehalten, den es seit 111 Jahren gibt, das ist eine These, kommunikative Verwirrung in Deutschland auslösen, wenn wir bei dem bleiben, was alle kennen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich übrigens auch mal etwas sagen zu den Kollegen der NPD: Der Diplomingenieur wurde vor 111 Jahren eingeführt von Kaiser Wilhelm.
Die NPD-Fraktion hätte mal richtig die Gelegenheit gehabt im Bildungsausschuss, ein Stück des deutschen Kulturgutes zu retten. Wie die Teutonen hätten sie sich starkmachen können und gen Europa marschieren. Und was ist passiert, als unser Antrag zur Abstimmung kommt? Der Landesvorsitzende Köster der NPD kommt mit einer schlaffen Enthaltung daher. Er schafft es nicht, das deutsche Diplom zu retten. Da muss ich sagen,
meine Damen und Herren, nationale Opposition habe ich mir bisher ein bisschen anders vorgestellt in diesem Parlament.
Verwirrung: In Deutschland wird kaum eine Verwirrung eintreten, denn alle wissen, was ein Diplomingenieur ist. Ich drehe es mal um. Wenn man das Verwirrungsargument ernst nimmt, dann hat Frau Wintermantel dem Bologna-Prozess keinen guten Dienst erwiesen. Das, was in Deutschland Verwirrung stiftet, ist die Einführung von Bachelor und Master. Das hat zur Verwirrung geführt und nicht die Beibehaltung des Diplomingenieurs. Und wenn wir das Verwirrungsargument dann wirklich ernst nehmen, dann müsste Frau Wintermantel eigentlich eine große Opponentin des Bologna-Prozesses sein, wenn Verwirrung ihr Kernargument ist. Das ist sie aber nicht.
Meine Damen und Herren, dann könnte man sich ja mal die Frage stellen, Verwirrung kann ja nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland eintreten. Es kann ja sein, wir hier in Deutschland verstehen, was ein Diplomingenieur ist, aber draußen in der Welt versteht das keiner. Da bin ich sehr dankbar, dass die TU9 uns einen Brief geschrieben hat.
Entwurf eines Zeugnisses aus Schweden, Universitätszeugnis, 1. April 2010. Was steht da drauf? Richtig, „Diplomingenieur“ steht drauf.
(Der Abgeordnete Mathias Brodkorb zeigt ein weiteres Schriftstück. – Egbert Liskow, CDU: Haben wir gesehen.)
Meine Damen und Herren, wir stellen also fest, es ist in der Realität so, dass in Europa die deutsche Erfindung des Diplomingenieurs aufrechterhalten wird und wir, weil wir sagen, unser Vorgarten muss sauber bleiben, sind ordentlich und halten uns an die Disziplin, wir geben unser Markenzeichen auf, während alle anderen damit weiter Politik machen. Ich würde daraus schlussfolgern, muss ich sagen, dass vermutlich doch keine Verwirrung eintreten wird, wenn wir weiterhin das machen, was wir seit 111 Jahren machen und was die anderen im europäischen Ausland auch weiterhin machen. Ich glaube, das ist eine ganz, ganz große Aufregung.
Herr Kreher, es gibt ja dann diesen Vorschlag mit der Äquivalenzbescheinigung als Alternative. Äquivalenz ist ja ein Begriff aus der Aussagenlogik. Bei der Äquivalenz gibt es sozusagen verschiedene Eigenschaften: Reflexivität, Transitivität und Symmetrie. Das muss man jetzt nicht irgendwie auseinanderpusemantuckeln. Aber Symmetrie heißt eigentlich ungefähr das, wenn a b äquivalent ist, dann ist b auch a äquivalent. Wenn Sie also sagen, Ihre Lösung besteht darin, dass Sie den Master äquivalent zum Diplom erklären wollen, dann müssen Sie aus aussagenlogischen Gründen sagen, dasselbe wäre es allerdings, wenn ich das Diplom umgekehrt als äquivalent zum Master anerkenne.
Und deswegen schlage ich Ihnen einfach Folgendes vor, und dann ist Schluss der Debatte: Unser Vorschlag ist, dass in die Rahmenprüfungsordnung einfach aufgenommen wird, dass, wenn eine Hochschule ein Diplom vergibt, der Absolvent einen zweiten Schein bekommt, da steht drüber „Äquivalenzbescheinigung“. Da steht drauf: Der beiliegende Diplomgrad ist äquivalent einem Master of Science, einem Bachelor, wie auch immer, mit soundso vielen ECTS-Punkten.
Und dann, wenn zum Beispiel Rudi Müller nach Madrid geht und man weiß dort nicht, was ein Diplomingenieur ist, dann sagt er: Kein Problem, ich habe hier meine Äquivalenzbescheingung, da steht alles drauf. Dann sagen die: Herzlich willkommen an unserer Universität! Alles ist gut, wir wissen, worum es geht.
Man kann also die Äquivalenzbescheinigung genau umgekehrt machen und die Probleme sind aus der Welt. Und das ist auch der Vorschlag, den wir unterbreiten.
Ich möchte meine Rede schließen mit einem Zitat aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das ich einem Hochschulprofessor verdanke, der hier heute auch anwesend ist und aus meiner Sicht die Debatte doch sehr gut auf den Punkt bringt: „Zwei Männer werden nach einem Flugzeugabsturz von einem Löwen attackiert. Als der eine Mann beginnt, seine Turnschuhe anzuziehen, fragt der andere, warum er das denn tue. ,Ich mache mich fertig, um wegzurennen.‘ – ,Aber du kannst nicht schneller laufen als ein Löwe.‘ Darauf der Erste: ,Ich muss nicht schneller laufen als der Löwe, nur schneller als du.‘“
Und da, meine Damen und Herren, in Europa sich viele bereits die Turnschuhe angezogen haben, sollten wir nicht so lange warten, bis wir die Letzten sind, die ohne Turnschuhe dastehen. Und deswegen bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Gesetzesvorschlag. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.