Protokoll der Sitzung vom 15.12.2010

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Selbst wenn Sie positive Umfragewerte der CDU und positive Umfragewerte der FDP zusammenrechnen, werden Sie in diesem Parlament in den nächsten zehn Jahren keine Mehrheiten haben. Insofern können Sie sich das für später noch mal aufheben.

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich denke, es ist vielleicht an der Zeit, den parteipolitischen Schlagabtausch wieder zu beenden. Es geht eigentlich um ein ernstes Thema, dem man sich auch sachlich widmen sollte.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Das möchte ich versuchen. Ich habe aber durchaus Schwierigkeiten, hier fachlich Stellung zu nehmen. Es ist

schon darauf hingewiesen worden, es gibt keine PISADaten für Mecklenburg-Vorpommern.

(Helmut Holter, DIE LINKE: So ist es.)

Insofern ist es etwas unklar, worüber man dann reden soll. Aber selbst, wenn es welche gäbe, hätten wir gewisse Schwierigkeiten, weil die Frage, was PISA misst, bisher gar nicht diskutiert wurde. Wir können nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, dass unsere Schüler schlechter oder besser geworden sind. Das ist einfach falsch.

Das statistische Verfahren bei PISA funktioniert so, dass der OECD-Mittelwert bei der Punktzahl 500 festgelegt wird, und zwar bei jedem Test. Das heißt, wir wissen nicht, ob unsere Schüler besser geworden sind, wir wissen nur, ob sie sich im Verhältnis zu den anderen verbessert oder verschlechtert haben. Anders formuliert, wenn wir den OECD-Mittelwert erreichen und in dem einen Jahr haben wir unsere Leistungen halbiert, alle anderen aber auch, bekommen wir weiterhin die 500 Punkte, und wenn wir unsere Leistungen verdoppelt haben und alle anderen ebenfalls, haben wir wiederum den Leistungspunkt von 500.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Das heißt, wir haben es mit einem relativen Zahlenwert zu tun, aus dem man nur mit sehr viel Bedacht und mit sehr viel Differenzierung überhaupt etwas herauslesen kann. Deswegen habe ich mir jetzt die Frage gestellt: Wenn man diese beiden Restriktionen hat, was kann man jetzt eigentlich mit dieser PISA-Studie anfangen? Ich sehe nur eine Möglichkeit, dass man große strategische Grundüberzeugungen daran zu überprüfen versucht. Ich möchte das tun anhand der Frage des Schulsystems, der Autonomie von Schulen, externer Bildungsstandards, der Qualität der Lehrer oder „Lehrerqualität“, so nennt das PISA, der Vorschule und des Unterschiedes zwischen Leistungsstarken und Leistungsschwachen.

Was sagt PISA zum Schulsystem? Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin kurz zitieren. Eindeutiges Ergebnis: „In Ländern, in denen die 15-Jährigen auf der Basis ihrer Fähigkeiten auf eine größere Zahl verschiedener Bildungszweige verteilt sind, ist die Gesamtleistung deshalb nicht besser, und je früher die erste Aufteilung auf diese verschiedenen Zweige stattfindet, desto größer sind im Alter von 15 Jahren die Unterschiede bei den Schülerleistungen nach sozioökonomischem Hintergrund,“

(Rudolf Borchert, SPD: Und das an die Adresse von Herrn Roolf.)

„ohne dass deswegen die Gesamtleistung steigen würde.“ Da gibt es noch einen anderen Absatz, der sagt, dass bei Abschulung außerdem das Gesamtergebnis sogar schlechter wird.

Nur, meine Damen und Herren, die Fraktion der LINKEN wollte schon zustimmen, es ist allerdings eine wissenschaftliche Studie und die Autoren sagen ausdrücklich, dass man daraus nicht die Schlussfolgerung ziehen darf, dass es am Schulsystem selbst liegt und dass das die Ursache dafür ist, da PISA „nicht Ursache und Wirkung“ misst. Das heißt, wir haben eine offene Frage. Man muss es eher umgekehrt formulieren: Mit PISA kann man nicht belegen, dass ein integriertes Schulsystem besser ist. Man kann aber mit Bestimmtheit sagen, dass man kein gegliedertes Schulsystem braucht, um Spitzenleistungen und soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Das heißt einfach: Das ist in beiden Schulsystemen möglich und

deswegen kann man darüber auch unideologisch diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Zweitens, Autonomie: Was sagt denn PISA zum Thema Selbstständige Schulen? Ich zitiere wieder: „In Ländern, in denen die Schulen mehr Autonomie bei der Lehrplangestaltung und der Schülerbeurteilung haben, erzielen die Schüler tendenziell bessere Ergebnisse.“ Zitatende.

Harry Glawe wird sich freuen, das sind zwei Punkte, die eingeführt wurden mit dem neuen Schulgesetz, nämlich Autonomie bei der Lehrplangestaltung, aber auch die Schülerbeurteilung. Das ist natürlich ein Punkt gewesen, der der CDU sehr wichtig war. Insofern spricht nach den PISA-Ergebnissen sehr viel dafür, dass die Selbstständige Schule im Modellprojekt, erfunden durch Rot-Rot und umgesetzt unter Rot-Schwarz, ein richtiger Ansatz ist, auch wenn es Probleme gibt.

Dritter Punkt, externe Bildungsstandards: Was sagt PISA dazu? Ich zitiere wieder: „In Ländern, die mit externen Prüfungen auf der Basis vorgegebener Leistungsstandards arbeiten, sind die Schülerleistungen in der Regel besser …“ Zentralabitur, zentrale Bildungsstandards sind also laut PISA der richtige Weg, um zu einem besseren Schulsystem zu kommen. Das ist empirisch belegt.

Punkt d, Qualität der Lehrer oder „Lehrerqualität“, wie PISA das nennt, ein sehr spannender Punkt. Ich zitiere wieder: „Auf der Ebene der Schulsysteme zeigt PISA unter Berücksichtigung der Höhe des Nationaleinkommens, dass höhere Lehrergehälter, jedoch nicht geringere Klassengrößen, mit besseren Schülerleistungen in Verbindung stehen.“ Höhere Lehrergehälter Ja, geringere Klassengrößen Nein, denn zufolge dieser Ergebnisse ist die „Erhöhung der Lehrerqualität ein effektiverer Weg zur Verbesserung der Schülerleistungen … als die Einrichtung kleinerer Klassen.“

Eine ganz klare Botschaft: Wenn man etwas tun will, braucht man gute Lehrer, die müssen gut bezahlt werden. Und das ist eine bessere Stellgröße als das Thema Größe der Klassen. PISA äußert sich zu diesem Thema sehr ausführlich.

Ich möchte noch einen zweiten Aspekt hinzufügen, auf den PISA in diesem Zusammenhang eindringlich aufmerksam macht: Die Autoren sagen nämlich nicht nur, dass wir gute Lehrer brauchen, die gut bezahlt werden, sondern diese müssen auch noch an den richtigen Schulen sein. Und dieses Problem, meine Damen und Herren, ist in Mecklenburg-Vorpommern aus meiner Sicht ein gravierendes. Ich darf wiederum zitieren: „Es berichten sozioökonomisch benachteiligte Schulen noch immer von großen Schwierigkeiten bei der Anwerbung qualifizierter Lehrkräfte. Mit anderen Worten spiegelt sich die Quantität der Ressourcen in benachteiligten Schulen nicht zwangsläufig in der Qualität der Ressourcen wider.“ Das heißt, es gibt einfach Regionen, die auch für Lehrer nicht so zuwanderungsattraktiv sind, und die Städte haben dort einen großen Vorteil und das ist für das Thema Chancengerechtigkeit oder Chancengleichheit ein großes Thema. Also: Qualität der Lehrer hat einen doppelten Aspekt.

Dann die Frage: Auf wen muss man sich denn, wenn man bessere Schulen organisieren will, konzentrieren, auf die Leistungsstarken oder auf die Leistungsschwachen? Alle gucken bei PISA immer auf die Spitzenleis

tungen. Die Antwort ist ganz einfach. Wenn man sich den PISA-Bericht zitiert, ist es eindeutig: „In vielen Ländern waren die Verbesserungen der Gesamtergebnisse großenteils auf Verbesserungen im unteren Teil der Leistungsverteilung zurückzuführen, was als ein Zeichen für Fortschritte bei der Erzielung ausgewogener Lernerträge zu werten ist.“ Und präzise auf Deutschland: „Zwischen 2000 und 2009 gelang es Polen, Portugal, Deutschland, der Schweiz und den Partnerländern Lettland und Liechtenstein, die Ergebnisse ihrer leistungsschwächsten Schülerinnen und Schüler zu verbessern und dabei das Leistungsniveau ihrer leistungsstärksten Schülerinnen und Schüler aufrechtzuerhalten.“

Die Aussage ist ganz klar: Wer das durchschnittliche Leistungsniveau des Schulsystems nach oben bringen will, muss bei den Leistungsschwächsten ansetzen. Die Leistungstärkeren haben in der Regel die Möglichkeit, aufgrund ihres sozialen Umfeldes, ihrer eigenen Befähigungen auch sehr viel mehr für sich zu tun.

Letzter Punkt: Die große Illusion, der man bei PISA unterliegen kann, ist, dass wir zu viel über Schule und die 9. Klasse diskutieren, denn dort wird dieser Test gemacht. Dem gehen aber viele Jahre von Bildung und Erziehung voraus. Das ist ein geronnenes Ergebnis von neun Jahren Schule und übrigens auch dem Kindergarten. Insofern wäre es völlig falsch, bei PISA in erster Linie über die 9. Klasse zu diskutieren. Das ist ein ganz großer Irrtum.

Und das sagen auch die Autoren der PISA-Studie, ich darf zitieren: „Schülerinnen und Schüler, die an Vorschulunterricht teilgenommen haben, erzielen in der Regel bessere Ergebnisse als andere Schüler. Dieser Vorsprung ist ausgeprägter in Schulsystemen, in denen die Vorschulbildung länger dauert … Im Vergleich aller teilnehmenden Länder erreichen Schulsysteme, in denen ein größerer Anteil der Schülerinnen und Schüler eine Vorschule besucht hat, in der Regel bessere Ergebnisse.“

Meine Damen und Herren, zusammenfassend stelle ich die Frage: Sind denn die grundsätzlichen strategischen Entscheidungen der Landesregierung, übrigens teilweise eingeleitet schon unter Rot-Rot, richtig? Ich klammere das Schulsystem jetzt mal aus, denn da ist aus meiner Sicht die These von PISA: „Es ist alles möglich, wenn man es gut macht“, einfach von anderen Fragen abhängig. Sollen die Schulen selbstständige Entscheidungskompetenz haben in der Gestaltung des Unterrichts? Die Antwort ist eindeutig Ja, das tun wir durch die Selbstständige Schule. Soll es externe Bildungsstandards geben, die für alle vergleichbar sind, damit sich die Schulen daran orientieren können? Ausdrücklich Ja. Soll die Qualität der Lehrer vor allem gestärkt werden, das heißt, soll der Beruf des Lehrers gestärkt werden? Eindeutiges Ja.

Und da ich Frau Lindner sehe, kann man ganz klar sagen, hier haben wir die größten Probleme, denn die Arbeitsbedingungen von Lehrerinnen und Lehrern sind nicht gut. Das hat mit Demografie zu tun und vielen anderen Dingen. Da muss man ehrlich sein.

(Hans Kreher, FDP: Richtig, richtig.)

Herr Kreher nickt. Daran müssen wir alle – übrigens im Bildungsausschuss – arbeiten und nicht im Plenum.

Was wir tun können, um hier Veränderungen herbeizuführen? Wir müssen uns konzentrieren, vor allem auf

die leistungsschwächeren Schüler, der Minister hat es angesprochen, viele andere auch, und wir müssen von Anfang an viel tun für Bildung.

Wenn wir das jetzt mal zusammennehmen, was hat denn die rot-schwarze Koalition noch vor, was hat sie vor Kurzem eingeleitet? Da muss ich sagen: Mit dem Kindertagesförderungsgesetz tun wir genau dies. Wir stärken Bildung, vor allem bei Kindern mit Benachteiligungen, mit Lernschwierigkeiten, mit Entwicklungsrückständen. Das heißt, wir tun genau das, was PISA fordert, mit 5 Millionen Euro zusätzlich für die Kitas, in denen es besondere Probleme gibt, und zwar viele, viele Jahre, bevor ein möglicher Test kommt. Und wir werden noch in dieser Legislaturperiode, auch wenn es einige überrascht, ein Lehrerbildungsgesetz auf den Weg bringen, um die Qualität der Lehrerausbildung …

(Hans Kreher, FDP: Ja, da waren wir schon lange. Da waren wir schon lange.)

Das kommt, Herr Kreher, das kommt, das ist kurz vor den letzten Zuckungen, dann wird es das Parlament erreichen.

(Hans Kreher, FDP: Das hat es aber schon vor längerer Zeit gegeben. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Wir werden also die Lehrerbildung modernisieren, und zwar mit dem klaren Schwerpunkt auf Inklusion und Benachteiligtenförderung als Schlussfolgerung aus PISA,

(Hans Kreher, FDP: Das wurde ja in letzter Sekunde durchgepeitscht.)

vor allem in der Grundschule und der regionalen Schule.

Und, meine Damen und Herren, wenn man das Paket zusammennimmt, sind die Grundlinien richtig. Es gibt im Detail in der Umsetzung ohne Zweifel erhebliche Schwierigkeiten, aber lassen Sie uns über diese bitte konkret und sachlich im Ausschuss diskutieren und Sachen auf den Weg bringen,

(Rudolf Borchert, SPD: Fachlich fundiert.)

denn das bringt Schülerinnen, Schülern und Lehrer/ -innen am meisten, kein parteipolitischer Hickhack hier im Plenum. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Herr Brodkorb.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Köster für die Fraktion der NPD.

(Heinz Müller, SPD: Versteht der was von Bildung?)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt ein gutes Sprichwort: „Wenn man nichts vorzuweisen hat, sollte man lieber schweigen.“

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)