Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 112. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 31: Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU und SPD – Kinderschutz umfassend stärken, auf Drucksache 5/3965.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich beginne, gestatten Sie mir ein paar persönliche Anmerkungen. In meinem bisherigen Berufsleben habe ich Dinge sehen müssen, die nicht schön sind, die in unserem Land geschehen. Und zu den prägendsten Dingen gehörte, wenn Kinder davon betroffen waren. Diese Bilder haben sich mir eingebrannt im Kopf, im Herz und in der Seele. Daher ist dieser Antrag umso wichtiger.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Kinderschutz umfassend stärken“ – der Schutz von Kindern und Jugendlichen hat für die Große Koalition oberste Priorität. Dieser Schutz beginnt schon im Säuglingsalter und soll Kleinkinder, Kinder und Jugendliche in allen Lebensphasen und Lebenssituationen begleiten. Manche Eltern sind zeitweise damit überfordert, ihren Kindern die liebevolle Zuwendung zu geben, die sie brauchen, und geraten in eine Spirale von Isolation, Vernachlässigung und Gewalt. In solchen Situationen brauchen Familien eine niederschwellige und alltagstaugliche Unterstützung. Die frühe Unterstützung der Eltern und die Stärkung ihrer Kompetenz ist ein Ziel unseres Ihnen heute vorliegenden Antrages.
Im Mittelpunkt stehen insbesondere die ersten drei Lebensjahre von der vorgeburtlichen Entwicklung bis zur frühen Kindheit. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder nach Paragraf 26 SGB V. Um die Teilnahmequote an den Früherkennungsuntersuchungen zu erhöhen, haben wir als Große Koalition in Mecklenburg-Vorpommern als eines der ersten Bundesländer eine inzwischen sehr erfolgreich funktionierende gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht, die den Eltern eine umfassende Hilfestellung, Unterstützung sowie eine klärende Beratung anbietet.
Ferner wurde bundesweit eine neue Untersuchung mit der Kurzbezeichnung U7a eingeführt und die Toleranzgrenze für die U6 um einen Monat verlängert. Die Krankenkassen sind durch ein Gesetz zudem verpflichtet worden, die Länder bei Maßnahmen zur Erhöhung der Inanspruchnahme der Kinderuntersuchungen zu unterstützen. Der untersuchende Arzt hat schließlich bei erkennbaren Zeichen einer Kindesvernachlässigung oder -misshandlung die notwendigen Schritte einzuleiten. Die Verbesserung des Kinderschutzes in Mecklenburg-Vorpommern steht somit ganz oben auf unserer Agenda.
Aber auch für die christlich-liberale Bundesregierung ist es eines der zentralen Themen ihrer Arbeit in den kommenden Jahren. So wurde in dem zwischen CDU, CSU und FDP vor einem Jahr geschlossenen Koalitionsvertrag ein klarer Auftrag definiert. Er fordert die Umset
zung eines aktiven und wirksamen Kinderschutzes, der auf den zwei Säulen Prävention und Intervention aufbaut. Hierzu wird das Bundesfamilienministerium ein Kinderschutzgesetz auf den Weg bringen, das den Schutz von Kindern in Deutschland umfassend stärkt. Bei dessen Ausarbeitung wollen wir uns als Land aktiv einbringen und die Landesregierung in ihren Bemühungen, den Schutz von Kindern in Deutschland umfassend und wirksam zu verbessern, unterstützen.
Prävention ist der beste Weg, um Kinder effektiv vor Gefährdungen zu schützen. Familien in belasteten Lebenslagen brauchen gerade in der Phase der Schwangerschaft und nach der Geburt flächendeckend niedrigschwellige und frühe Hilfen. Sie brauchen aber auch verlässliche Unterstützungsnetzwerke vor Ort, vor allem an den Schnittstellen
In den letzten Jahren haben Bund, Länder und Kommunen gerade im präventiven Bereich wichtige Schritte für einen aktiven Kinderschutz unternommen. Hierzu zählen vor allem das Aktionsprogramm „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ und die Einrichtung des „Nationalen Zentrums Frühe Hilfen“. Die Nachhaltigkeit dieser Anstrengungen soll bundesweit gesichert und Regelungslücken bei Prävention von Kindervernachlässigung und -misshandlung sollen geschlossen werden.
1. Ein neuer Leistungstatbestand „Frühe Hilfen“ soll flächendeckend niederschwellige Unterstützungsangebote für Familien in belasteten Lebenslagen sicherstellen.
2. Es sollen niederschwellige und frühe Hilfsangebote für Familien in belasteten Lebenslagen, also noch während der Schwangerschaft und nach der Geburt, geschaffen werden. Dazu zählen auch Verbesserungen der Rechtsgrundlagen für Hebammen und Familienhebammen.
3. Die Zusammenarbeit im Kinderschutz soll für alle damit befassten Berufsgruppen und Institutionen gestärkt und die Grundlage für verbindliche Netzwerke geschaffen werden.
Die beste Prävention macht Intervention nicht überflüssig. Um Handlungs- und Rechtssicherheit für die mit dem Kinderschutz befassten Berufsgruppen zu schaffen, bedarf es klarer Vorgaben zu Handlungspflichten und -befugnissen. Mit einer Befugnisnorm soll beispielsweise für Berufsgeheimnisträger Klarheit hinsichtlich der Weitergabe von Informationen an das Jugendamt geschaffen werden, denn häufig sind es Ärzte oder andere Berufsgeheimnisträger, für die eine Gefährdung des Kindes als Erstes erkennbar wird, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und hier spreche ich aus persönlicher Erfahrung. Hier muss es klare Regelungen geben, die einerseits die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient schützen und andererseits den Weg zur Information an das Jugendamt öffnen.
1. Eine bundeseinheitliche Befugnisnorm zur Weitergabe von Informationen für Berufsgeheimnisträger soll die von den Ärzten wiederholt geforderte Rechtssicherheit bei der Abwägung der Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern erhöhen.
2. Der staatliche Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung soll qualifiziert werden. Durch klare Vorgaben zu Handlungsbefugnissen und -pflichten soll mehr Handlungs- und Rechtssicherheit für die mit dem Kinderschutz befassten Professionen geschaffen werden. So soll dafür gesorgt werden, dass die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet, nicht zu groß wird. Mit einer Verpflichtung des bisher zuständigen Jugendamtes zur Übermittlung notwendiger Informationen an das Jugendamt am neuen Wohnort der Familie soll dem sogenannten Jugendamtshopping beziehungsweise dem Versuch mancher Eltern, sich dem Zugang des Jugendamtes durch Wohnortwechsel zu entziehen, wirksam begegnet werden.
Die Jugendhilfe schützt Kinder und Jugendliche bei Gefährdung ihres Wohls bei Vernachlässigung, Misshandlung oder sexueller Gewalt. Dazu hält sie ein breites Spektrum von Leistungen bereit, um Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken und die Entwicklung von Kindern zu fördern. Es zählen Angebote wie Jugendarbeit, Förderung in Tageseinrichtungen und Elternkurs, aber auch Beratung und individuelle Hilfe bei Erziehungsfragen, bei Gewalt in der Familie oder bei Überforderung der Eltern.
Angeboten werden die Hilfen ambulant wie in der Erziehungsberatung und der sozialpädagogischen Familienhilfe, aber auch stationär, etwa in Pflegefamilien und Heimen. Wichtig ist jedoch, eine Kindeswohlgefährdung im Rahmen aller Möglichkeiten zu verhindern oder aber dann so früh wie möglich zu erkennen, also möglichst frühzeitig aktiv zu werden.
Ich bitte somit um Zustimmung zu unserem Antrag, meine sehr geehrten Damen und Herren. Und dieser Antrag ist mit Sicherheit nicht dazu geeignet, den politischen oder ideologischen Klassenkampf um Meinungen oder Sonstiges zu führen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen und ich eröffne die Aussprache.
„Jetzt schon im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern scharf zu schießen, verbietet sich schon allein deshalb, da wir gar nicht Herr des Gesetzgebungsverfahrens sind.“
„Es handelt sich hierbei vielmehr um Bundesgesetzgebung, die im Deutschen Bundesrat beraten und endabgestimmt wird. Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist an der Bundesgesetzgebung gar nicht beteiligt und der Bundesrat wird erst gefragt und votiert, nachdem das Ergebnis der Beratung im Deutschen Bundestag vorliegt. Wir sollten daher die Debatte im Deutschen Bundestag abwarten und die Diskussion nicht in Schwerin, sondern vielmehr in Berlin im zuständigen Bundesparlament führen.“
Das war ein Zitat aus der Rede der Abgeordneten Schlupp anlässlich der Debatte zu unserem Antrag im Mai 2009 zu einem diskutierten Bundeskinderschutzgesetz. Aber wie Adenauer schon sagte: Was schert mich mein Geschwätz von gestern?! Schon sehr interessant, wie ich meine, denn worüber reden wir denn heute?!
Am 14.12.2010, also am Dienstag, startete die Bundesregierung den zweiten Versuch, ein Bundeskinderschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Den ersten Versuch startete Frau Ministerin von der Leyen, heute die Familienministerin Schröder. Der vorliegende Entwurf hat also noch nicht einmal das Parlament erreicht, da singen Sie hier schon ein Loblied und wollen festschreiben, und zwar endgültig festschreiben, was denn alles im Gesetz enthalten sein soll.
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Fraktion DIE LINKE hat sich immer, immer für ein Bundesgesetz ausgesprochen,
um die Rechte der Kinder zu stärken und uns selbst mehr in die Verantwortung zu nehmen. Wir bezeichnen die Initiative auch nicht als puren Aktionismus, wie es einige Kritiker tun.
Und auch das will ich sagen: Wir sind auch der Auffassung, dass sich das Land so früh wie möglich in die Debatte einbringen sollte. Das gilt aber auch für andere Politikfelder. In der Vergangenheit wurden wir insbesondere von der CDU-Fraktion laufend belehrt, dass es ja wohl verfassungsrechtliche Probleme in Bezug auf die Zuständigkeiten gäbe, beziehungsweise die Regierung nähme ihre Verantwortung auf Bundesebene schon wahr.
Nun erwecken Sie mit Ihrem Antrag den Eindruck, dass Sie Ihrer eigenen Regierung wohl nicht so recht trauen.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich werden auch wir uns in die inhaltliche Debatte zu diesem Gesetzentwurf einbringen, denn darüber sind wir uns wohl alle einig unter den demokratischen Fraktionen des Landtages, dass uns der Schutz der Kinder am Herzen liegt und ein entsprechendes Gesetz schon längst überfällig ist. Denn dass es Regelungslücken gibt, wurde sowohl in der Debatte zum ersten Gesetzentwurf, aber auch bei den runden Tischen, den Gesprächen mit Experten deutlich.
Und, meine Damen und Herren, wir sind gespannt, wie es der Bundesregierung gelingen wird, die Verantwortlichen im Jugendhilfesystem – die freien Träger, die Jugendämter und die Kommunen – von der Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zu überzeugen, denn genau an diesem Punkt ist unter anderem das erste Gesetzgebungsverfahren gescheitert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits in der Debatte im Mai 2009 hat meine Kollegin Marianne Linke unsere Ansprüche an ein Bundeskinderschutzgesetz formuliert. Daran hat sich auch nichts geändert. Und ich will an dieser Stelle auf eine Wiederholung verzichten.
Einiges will ich aber auch einräumen. Im Vergleich zum ersten Entwurf hat sich einiges verändert, nämlich den präventiven Ansatz zu stärken und die Schnittstelle von Jugendhilfe und Gesundheitssystem zu schaffen.