Protokoll der Sitzung vom 18.03.2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 118. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.

Nach Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die heutige Sitzung die Abgeordneten Ute Schildt und Jochen Schulte zu stellvertretenden Schriftführern.

Ich rufe auf den Zusatztagesordnungspunkt: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Unverzüglich und unumkehrbar aus der Atomenergienutzung aussteigen, auf Drucksache 5/4219. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/4235 vor.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Unverzüglich und unumkehrbar aus der Atomenergienutzung aussteigen – Drucksache 5/4219 –

Änderungsantrag der Fraktion der FDP – Drucksache 5/4235 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Griese für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Letzte Woche war die Atomkraft so sicher wie das Amen in der Kirche – heute ist sie so sicher wie die Renten.“ Das ist nicht von mir. Dieser Satz stammt vom Moderator des „Morgenmagazins“ von ARD und ZDF am gestrigen Donnerstag. Dennoch finde ich diesen Vergleich ziemlich treffend. Auch wenn es angesichts des unendlichen Leids der betroffenen japanischen Bevölkerung keinen Grund für Scherze gibt, zeigt dieser Satz, alle Beteuerungen der Atomkonzerne und ihrer politischen Vertreter sind wie eine Seifenblase geplatzt. Man kann ihnen nicht trauen.

Japan droht der Super-GAU, das Schlimmste, was in einem KKW passieren kann und nach menschlichem Ermessen nicht mehr beherrscht werden kann. Alle Hilfe und internationale Solidarität gilt dem japanischen Volk. „Kamikaze“ ist ein Wort aus dem japanischen Sprachgebrauch, Ihnen, meine Damen und Herren, allen geläufig, die sich mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges befasst haben,

(Gino Leonhard, FDP: Es ist unglaublich! Ja, darüber reden Sie!)

„Selbstaufopferung“ die Übersetzung ins Deutsche. Aktuell bezogen auf den GAU würde ich noch die Übersetzung „Helden“ hinzufügen. Ich habe größte Hochachtung vor den 50 Menschen, die in Fukushima versuchen zu retten, was kaum noch zu retten scheint.

(Michael Andrejewski, NPD: Das sollten die Atommanager machen.)

Ich fürchte, sie opfern sich, um Millionen ihrer japanischen Landsleute zu retten. Manche der Versuche wirken ziemlich hilflos, zum Beispiel Wasser aus einem Hubschrauber gezielt auf die Reaktoren abzuwerfen, ein Tropfen auf einem glühenden Stein. Alle Hoffnungen richten sich auf die Wiederherstellung einer elektrischen Verbindung, um die Kühlaggregate und die Pumpen wieder in Betrieb nehmen zu können. Das ist kein

Vorwurf. Die 50 Helden tun einfach alles, was ihnen möglich erscheint, 14 Stunden täglich, so hilflos es auch sein mag. Man kann nur hoffen, dass ihr Einsatz nicht sinnlos sein wird.

Inzwischen ist bekannt, dass die Sicherheitsstandards von der Betreiberfirma auch nicht so genau genommen worden sind. Fukushima sollte gegen Erdbeben der Stärke 8,2 gesichert werden, war aber nur der Stärke 7 entsprechend gebaut worden. Das aktuelle Erdbeben hatte die Stärke 9,0. Die geforderte Absicherung war deshalb auch nicht ausreichend, aber es wirft ein bezeichnendes Licht auf das Unrechtsbewusstsein der Konzernchefs.

(Michael Roolf, FDP: Oh Mann, Mann, Mann!)

Und es stellt sich ja die Frage, warum nicht eine Sicherung bis zur Stärke 10 gefordert wird. Das ist ganz einfach: die Kosten. Sicherheit kostet. Energiekonzerne betrachten wie jeder Unternehmer die Rentabilität,

(Zuruf von Michael Roolf, FDP)

nur, dass eben ein Atomkraftwerk nicht wie jedes andere Unternehmen ist.

(Michael Roolf, FDP: Herr Griese, was erzählen Sie da?!)

Aber auch da wird das Verhältnis zwischen Sicherheitsanforderungen und den damit verbundenen Kosten austariert.

Noch viel bezeichnender ist jedoch, dass ein anderer Betrieb dieses japanischen Atomkonzerns just in diesem Moment der Tragödie im Heimatland mit dem Neubau eines Kernkraftwerks in Ankara begonnen hat. Ich mag es nicht glauben.

Aber zurück zur Natur: Es ist ganz offensichtlich, dass der Natur solche Balanceakte egal sind. Das verbleibende Restrisiko ist eben bei der Kernenergie nicht kalkulierbar und deshalb ist es auch nicht vertretbar. Das lehrt uns nun Japan. Mit einer solchen unheilvollen Verkettung von Erdbeben und Tsunamis à la Japan, mit so einer Dimension wird in Deutschland sicherlich nicht zu rechnen sein, aber andere Auslöser und Verkettungen sind möglich. Ich nenne nur menschliches Versagen, Blitzeinschläge, Materialermüdung, Stromausfälle, terroristische Überfälle, Flugzeugabstürze.

Die Nutzung von Atomenergie war und ist ein gigantisches Risiko für die Menschheit, und das in allen Fertigungsstufen des kernenergetischen Prozesses – der Uranabbau bereits, die Urananreicherung, die Fertigung der Brennstäbe, der eigentliche energetische Kernspaltungsprozess, die Zwischenlagerung mit den vielen Spazierfahrten dieses hoch brisanten Materials bis hin zur nicht geklärten Endlagerung. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir da raus, und das unverzüglich und unumkehrbar.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Gerade diese Irreversibilität des Ausstieges, der Verabschiedung von der Kernenergie, möchte ich besonders betonen. Deutschland muss nach dem Fukushima-GAU Vorreiter und Vorbild für alle Nachbarstaaten, für ganz Europa, ja, für alle Staaten der Welt sein, die uns folgen müssen, weil sonst ein Ausstieg im Herzen Europas keinen, überhaupt keinen Sinn macht.

Der erste Schritt muss die Rücknahme des Laufzeitverlängerungsgesetzes sein. Das zu tun, sollte eigentlich ganz einfach sein, vor allem jetzt, da ausnahmslos von allen anerkannt wird, wir müssen schneller die vollständige Umstellung auf erneuerbare Quellen erreichen. Abschalten alleine reicht also nicht.

Der zweite Schritt muss im Schaffen von Vorkehrungen bestehen, um hundertprozentig erneuerbare Energien rasch und zuverlässig zu erreichen. Auch hierbei hat Deutschland Know-how-Vorsprung zu bieten, womit wir auch international agieren können. In dieser Phase muss nun endlich die Regierung den Energieoligopolen die Arbeitsrichtung vorgeben, also die Brücke für die nächsten zehn Jahre muss der Bau von Erdgaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung, kombiniert mit knallharten Energieeinsparungsmaßnahmen in allen Bereichen sein,

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

dann die breite Flotte der erneuerbaren Energien bis hin zur Brennstoffzelle und dafür passende Elektroversorgungsnetze, Supergrids, kleine, dezentrale Netze und die Entwicklung wirtschaftlicher Elektrospeicherkapazitäten, das alles kann unser hoch industrialisiertes Deutschland leisten. Das schafft Abertausende hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen machen, machen sofort.

Ich muss schon sagen, der Sinneswandel der Bundesregierung ist ziemlich erstaunlich.

(Vincent Kokert, CDU: Tja, Ihrer auch, Ihrer auch.)

Ist es da ein Wunder, dass die Mehrheit der Menschen dem nicht mehr traut?

(Matthias Mantei, CDU: Das wollen wir jetzt nicht hören.)

Wir haben ständig diese Position vertreten.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ständig, ständig. – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Warum nur ein Moratorium für drei Monate, frage ich.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Was wissen wir in drei Monaten, was wir nicht heute schon wissen?

(Stefan Köster, NPD: Schaun wir mal!)

Ich halte mich nicht so sehr auf mit den rechtlichen Problemen, die gestern im Bundestag aufgeworfen worden sind.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Das sind lösbare Probleme. Sie müssen auch gelöst werden, denn Frau Merkel und Herr Westerwelle sind keine absolutistischen Herrscher, die die alleinige Entscheidungsgewalt haben dürfen.

(Gino Leonhard, FDP: Unglaublich!)

Aber ich sage es noch einmal: Die Probleme sind lösbar. Sie sind objektiv lösbar.

(Zurufe von Hans Kreher, FDP, und Michael Andrejewski, NPD)

Viel wichtiger erscheint mir da die Meinung von Experten, der sich übrigens auch der Umweltminister Niedersachsens von der FDP, der Herr Sander, angeschlossen

hat. Den Sozialdemokraten Hermann Scheer, besonders sein letztes Buch, empfehle ich jedem Politiker als Fachlektüre.

Die Fachwissenschaftler betonen auch, dass ein Sicherheitscheck des geforderten und nötigen Ausmaßes mindestens ein Jahr und länger dauert. Ich weiß nicht, was das Moratorium mit drei Monaten bewirken soll. Es kann keinesfalls nach drei Monaten abgeschlossen sein. Also noch einmal die Frage: Was wissen wir in drei Monaten, was wir nicht heute schon wissen? Also doch nur Beruhigungspillen im Wahlkampf?

Ich meine, meine Damen und Herren, die Sicherheit der Menschen ist ein Grundanspruch, den wir haben. Jede Technologie, jeder Eingriff in die Natur ist natürlich mit Risiken verbunden. Aber die Risiken, die die Behandlung der Kernenergie angehen, sind bis zum heutigen Tage, und ich wiederhole es ständig, nicht lösbar, nicht beherrschbar.

Die sieben Atommeiler, die jetzt vorübergehend abgeschaltet werden sollen, und der erste bereits abgeschaltete Reaktor müssen abgeschaltet bleiben. Mecklenburg-Vorpommern kann für diese Fälle ein praxiserprobtes Unternehmen, die Firma EWN, empfehlen. Das muss der Beginn …

(Vincent Kokert, CDU: Da, wo Sie immer demonstrieren an der Schiene. – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Zurufe von Wolf-Dieter Ringguth, CDU, und Michael Andrejewski, NPD)