Protokoll der Sitzung vom 01.02.2007

sozialisten nach Deutschland und arbeitete zwangsverpfl ichtet als Dienstmädchen hier in Schwerin, bevor sie verhaftet und deportiert wurde. Ich hatte bereits mehrmals die große Ehre, diese sehr beeindruckende Frau zu treffen. Und ich weiß auch, dass die geehrte Frau Landtagspräsidentin Bretschneider einen engen Kontakt zu Frau Dagan pfl egt und sie bereits mehrmals hier ihr Gast in Schwerin war.

Warum habe ich diese Worte vorangestellt? Ein Anliegen aller Überlebenden und dabei insbesondere von Frau Dagan, das weiß ich aus persönlichen Gesprächen mit ihr, ist es, ihre schrecklichen Erfahrungen weiterzugeben, besonders mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, über Gedanken, Gefühle, Befi ndlichkeiten zu reden, aber auch Lebensfreude und Optimismus zu verbreiten, zu motivieren und zum Handeln anzuregen, aufzufordern, sich einzumischen, sich auseinanderzusetzen, heute zu fragen.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Am Montag dieser Woche waren der Bundesratspräsident, der Ministerpräsident unseres Landes Dr. Harald Ringstorff und ich zur Gedenkstunde des Deutschen Bundestages anlässlich des 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, in Berlin. Bundestagspräsident Dr. Lammert betonte in seiner Ansprache, wie wichtig der Kontakt zu den Zeitzeugen ist, die noch für uns da sind, und machte sinngemäß deutlich, dass die Zahl derer, die uns über Vergangenes Auskunft geben können, nur noch begrenzt ist, dass hier die fortschreitende Zeit gegen uns arbeitet. Ich selbst möchte deshalb hinzufügen, dass es für uns von großer Wichtigkeit und Bedeutung ist, dass sich diese Zeitzeugen erinnern, dass sie uns von ihrem Schicksal erzählen können. Und wir müssen versuchen zu erfassen, was dieses Leid für sie bedeuten muss. Wir werden zu begreifen haben, zuletzt werden die, die zu jener Zeit Kinder waren und überlebten, werden diese Zeitzeugen die Letzten sein, die den Nachgeborenen davon erzählen können.

Es ist wichtig, dass die junge Generation sich dieser Aufgabe stellt, dass sie sich in der Zukunft mit dieser Zeit auseinandersetzt, darüber ins Gespräch kommt, an Projekten arbeitet, langfristig und auch fachübergreifend, dass sie sich mit Schülern anderer Länder trifft und auch in diesem Rahmen den Projektgedanken aufgreift. Dabei geht es um nichts anderes, als ein entsprechendes Geschichtsbewusstsein zu entwickeln, Überlieferungen aus der Vergangenheit, gedeutete Geschichte und Geschichten zu hinterfragen, Erfahrungen mit der eigenen Rolle in der Geschichte, generell mit geschichtlichen Zusammenhängen von Welt und Mensch zu machen. Es geht um das historische Denken in allen Bereichen, angefangen beim außer- und vorschulischen alltagsweltlichen Geschichtsdenken der sogenannten Laien über das schulische Geschichtslernen, die historische Projektarbeit, die Erinnerungs- und Geschichtskultur bis hin zu universitärer Forschung und Lehre.

Und genau an dieser Stelle kommen die Gedenkstätten mit ihrem Potenzial in unser Blickfeld. Die Arbeit der Mitarbeiter an solchen historischen Orten ist von enormer Wichtigkeit, natürlich immer in enger Zusammenarbeit mit den Pädagogen, die für eine entsprechende Vor- und Nachbereitung Sorge tragen sollen und müssen. Schulwanderungen und Schulfahrten können einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des Auftrages der öffentlichen Schulen zur Demokratie- und Friedenserziehung unserer

Schülerinnen und Schüler in Mecklenburg-Vorpommern leisten. Wir müssen die jungen Menschen mit dem konfrontieren, was an Gräueltaten während des Nationalsozialismus verübt worden ist. Wir sollten jedoch immer die Wahl der Mittel überprüfen, mit denen wir das erreichen können, vor allem, um eine lang anhaltende Wirkung zu erreichen. Dafür gibt es kein Allheilmittel, keine einfache und schon gar nicht nur eine Antwort. Dieses weiß ich aus eigener Erfahrung.

Es wird Sie vielleicht überraschen, aber leider existierte ein entsprechender Haushaltstitel für Fahrten zu solchen Orten im Haushaltsplan des Bildungsministeriums in den letzten acht Jahren nicht.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Das stimmt.)

Wir hätten ihn gerne fortgeführt. Auch momentan gibt es keine Stelle im Haushaltsplan.

(Udo Pastörs, NPD: Vielleicht impfen Sie die jungen Leute – dann brauchen Sie nicht so viel zu arbeiten – alle durchgehend.)

Die Regierungsfraktionen beziehungsweise die Landesregierung haben die neue Legislaturperiode damit begonnen, CDU und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt,

(Udo Pastörs, NPD: Was haben die Kinder damit zu tun?)

dass die politische Bildung zu einem verpfl ichtenden Bestandteil der Lehreraus- und -fortbildung wird und die politische Bildung in allen Schulprogrammen zu verankern ist.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist widerlich, das Dazwischenrufen, verdammt noch mal!)

Die Landeszentrale für politische Bildung ist in das Bildungsministerium integriert. Demokratie zeichnet sich aus durch Vielfalt. So müssen wir den jungen Menschen diese Vielfalt deutlich machen und ihnen vermitteln, wie sie damit am besten im gegenseitigen Respekt umgehen. Wir wollen auch das Landesprogramm „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!“ zügig umsetzen.

Den Schülerinnen und Schülern muss ein breites Angebot für die persönliche Auseinandersetzung mit bestimmten Epochen unserer jüngeren Vergangenheit unterbreitet werden, um sie für das Thema zu sensibilisieren und ihnen die Werte der Demokratie und des Friedens näher zu bringen. Hierzu werden an den Schulen unseres Landes entsprechende Projekte durchgeführt, die auch unter Einbeziehung von Zeitzeugen einen realistischen Hintergrund vermitteln können. Es bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung und intensiven Nachbereitung solcher thematischen Schulfahrten durch die verantwortlichen Lehrkräfte unter Einbeziehung der Eltern und Familien.

In diesem Zusammenhang ist es für mich wichtig zu erwähnen, dass es sich bei diesen Fahrten nicht um Pfl ichtveranstaltungen für unsere Schülerinnen und Schüler handeln darf.

(Udo Pastörs, NPD: Wieso nicht?)

Ein verordneter Gedenkstättentourismus würde, wie hinlänglich aus DDR-Zeiten bekannt, nicht zum gewünschten Erfolg führen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Fachleute aus der Gedenkstättenarbeit fordern vielmehr ein differenziertes, individuelles Herangehen an dieses Thema. Ich habe die große Bitte an die demokratischen Parteien in diesem Parlament, in einer gemeinsamen Anstrengung eine Lösung zu fi nden, die dem von mir dargestellten gesellschaftlichen Anliegen wirklich gerecht wird. Gegenwärtig wird der Nachtragshaushalt beraten und der neue Doppelhaushalt 2008/2009 erstellt. Es besteht also eine Chance für die Förderung dieses Anliegens zur Stärkung der politischen Bildung.

Der Antrag der Linkspartei.PDS muss aus meiner Sicht qualifi ziert und ein wenig quantifi ziert werden.

(Beifall Marc Reinhardt, CDU)

Der Bildungsausschuss könnte zum Beispiel mit eigenen Empfehlungen, die an die letzten Empfehlungen zur politischen Bildung anschließen, hier konsequent die begonnene Arbeit fortsetzen. Dieses halte ich für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. So könnte man zum Beispiel auch überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, modellhaft bereits Studenten in der ersten und zweiten Ausbildungsphase erste Erfahrungen machen zu lassen in der Zusammenarbeit mit Schulen und Gedenkstättenarbeit, also lange bevor sie in der Schule arbeiten werden. Überlegenswert wäre in diesem Zusammenhang auch einmal, den Stiftungsgedanken aufzugreifen. Hier könnten sich sowohl die Landespolitik, Landtagsfraktionen, das Bildungsministerium als auch weitere gesellschaftliche Kräfte, Firmen und Privatpersonen einbringen und damit Gesicht zeigen.

Es würde mich sehr freuen, wenn hier kurzfristig eine gute Lösung gefunden werden kann, und zwar im Sinne unserer Kinder und Jugendlichen und der Entwicklung eines entsprechenden Geschichtsbewusstseins und natürlich auch im Sinne der Überlebenden, die es noch gibt.

Lassen Sie mich dies mit den Worten von Victor Klemperer sagen, die er kurz nach Kriegsende äußerte: „Damit es Tag werde in den Köpfen, wird heute die geistige und damit die menschlichste Nahrung in Deutschland benötigt. Denn nimmt man die Verdunklung, unter der wir im Krieg gelitten haben, als Symbol, denkt man an die Köpfe statt an die Fenster, so haben wir nicht sechs, sondern reichliche zwölf Jahre der Verdunklung hinter uns. Und nun gibt es kaum einen wichtigeren Mann im Lande als den Schulmeister, und nun kann es für uns, auf welchem Katheder auch immer wir stehen, es kann für uns nichts Wichtigeres geben, als für Entdunklung zu sorgen, für klare Tageshelle, für Aufklärung.“

Daneben und darüber hinaus würde ich anregen nachzudenken, inwieweit es ebenfalls sinnvoll erscheinen kann, weitere Möglichkeiten im Sinne, und ich betone, im Sinne einer Demokratie- und Friedenserziehung zu nutzen.

Es gibt viele Orte in Mecklenburg-Vorpommern, die dazu beitragen können, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen, zum Beispiel das Gefangenenlager in Fünfeichen, das auch von den Russen als Gefangenenlager genutzt wurde, die ehemalige Synagoge in Hagenow, das KZ-Außenlager/Kriegsgefangenenlager in Barth oder auch die Internationale Jugendbegegnungsstätte Golm des Volksbundes, übrigens die einzige auf deutschem Boden. Sie bietet entsprechende Möglichkeiten für Friedenserziehung, Völkerverständigung und individuelles Lernen über die Folgen von Krieg und Gewalt. Über 23.000 Gräber von Soldaten und Opfern der Bombenangriffe vom 12. März 1945 auf Swinemünde werden hier von jungen Menschen gepfl egt.

„Fragt heute, denn heute ist das Gestern von morgen....

Fragt heute, denn morgen wird es nur Literatur sein oder Auslegung....

Fragt nochmals! Fragt immer wieder! Jetzt ist es Zeit!...“

Lassen Sie es uns gemeinsam in Angriff nehmen!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU, Linkspartei.PDS und FDP)

Danke schön, Herr Minister.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Polzin von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt Themen und es gibt Reden, bei denen man sich fragt, muss man überhaupt noch irgendetwas ergänzen oder kann man sagen, beide Vorredner haben im Grunde das dargestellt, was auch meine Fraktion bewegt.

Ich meine, dies ist ein solcher Punkt und man kann es nicht besser sagen vom Anliegen her. Man kann auf ein Prozedere hinweisen. Wir haben mit diesem speziellen Thema der Gedenkstättenarbeit, der Erinnerungsarbeit einen Aspekt aufgegriffen, der uns ja schon seit mehreren Jahren hier fraktionsübergreifend begleitet: Erziehung zur Demokratie und Toleranz. Da sind wir mit einem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, PDS in einer Programmverständigung aus der Legislatur herausgegangen und es ist natürlich völlig selbstverständlich, dass hier eine Untersetzung, eine Erweiterung, eine Umsetzung erfolgt.

Ich meine, die Rahmenbedingungen dieses Programms öffnen auch die Wege für das, was die PDS uns hier spe ziell als Untersetzung vorschlägt, denn wir haben die Gleise so gelegt, dass politische Bildung an Schulen besser und effi zienter stattfi nden kann. Ich darf daran erinnern, dass wir im letzten Doppelhaushalt 100.000 Euro pro Jahr für politische Bildung an Schulen eingestellt haben. Ich darf erinnern, dass wir politische Bildung an Schulen auch vom Alter her für freie Träger überhaupt erst ermöglicht haben, und ich darf daran erinnern, dass wir in einem großen Konsens in diesem Hause uns damals einig waren, dass hierzu viele Facetten gehören, unter anderem auch die Gedenkstättenarbeit in dem Sinne. Insofern wird aus meiner Fraktion zum Anliegen dieses Antrages kein Fragezeichen kommen und auch kein Nein.

Ich bin sehr dankbar, dass Herr Bluhm selbst angeboten hat zu sagen, dass der Antrag an sich noch nicht ganz rund ist, was die Finanzierung anbelangt, was den Umfang anbelangt, was die Intention anbelangt. Der Minister, meine ich, hat schon sehr gute Vorschläge gemacht zu dem Thema.

Insofern kann ich für unsere Fraktion nur dafür plädieren, dass wir in der Tat diesen Antrag verweisen federführend an den Bildungsausschuss und mitberatend an den

Finanzausschuss, obwohl ich nicht einmal glaube, dass wir zusätzliche Mittel brauchen, wenn wir nämlich sehr intelligent die vorhandenen, schon erhöhten Mittel nutzen und uns vor allem in den Bereichen „Pädagogische Konzepte“ und „Verbesserte Zusammenarbeit zwischen der Landeszentrale für politische Bildung und den Schulen“ unserer Möglichkeiten besinnen. – In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und Linkspartei.PDS)

Danke schön, Frau Polzin.

Das Wort für die FDP erhält jetzt der Abgeordnete und Vizepräsident Herr Kreher.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich selbst war mehrfach mit Kindern, mit Jugendlichen an verschiedenen Orten der Erinnerung. Ich habe erlebt, wie Kinder, die anfangs noch auf dem Hinweg alberten, sich gegenseitig schubsten, wie diese Kinder beim Ansehen, beim Erleben dieser historischen Orte immer ruhiger wurden, immer nachdenklicher, wie sie plötzlich durch dieses visuelle Erlebnis nachfühlen konnten, was es bedeutet, wenn Menschen gequält und gefoltert werden. Deshalb, meine Damen und Herren, dieses Anliegen, dass wir uns mit unserer Geschichte auseinandersetzen, dass wir das, was Erfahrungen unserer Vorgenerationen waren, weitergeben, damit wir nicht Fehler der Vergangenheit wiederholen. Das, meine Damen und Herren, sollten wir alle unterstützen.

Dabei geht es nicht vordergründig, meine Herren von der NPD-Fraktion, nur gegen rechtsextreme Gewalt, sondern es geht, meine Damen und Herren, vordergründig darum, dass wir uns für Menschenrechte, für Vielfalt auch in unserer Gesellschaft, für die Menschenwürde grundsätzlich, auch für die Menschenwürde von Kranken, Behinderten, für die Gleichberechtigung einsetzen, dass wir dafür den Blick öffnen. Es geht also nicht grundsätzlich gegen eine Art von Gewalt, sondern grundsätzlich um eine friedliche, demokratische Gesellschaft in unserer Gesellschaft.

(Beifall Udo Pastörs, NPD)

Das, meine Damen und Herren, ist wichtig. Aber, Herr Pastörs, gegenwärtig ist eben die Bedrohung unserer demokratischen, weltoffenen, freiheitlichen Gesellschaft durch gerade dieses Leugnen von Dingen der Vergangenheit, die uns nach 1945 erst in diese Situation gebracht haben, offensichtlich. Dadurch ist es doch so notwendig, das immer wieder zu verdeutlichen.

Trotzdem, es geht auch nicht um die Einengung unserer Geschichte auf zwölf Jahre.

(Beifall Udo Pastörs, NPD)