Protokoll der Sitzung vom 01.02.2007

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Ratjen von der FDP.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.

(Heinz Müller, SPD: So ist es.)

Manchmal wird einem braun vor Augen, wer einen so alles unterstützt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der NPD-Fraktion! Nein, Kolleginnen haben Sie ja nicht.

(Zuruf aus dem Plenum: Die sind alle zu Hause!)

Ja, die neue Rolle der Frau.

Sie haben mit Sicherheit einige Mängel der Gesundheitsreform aufgelistet. Das ist aber auch nicht schwer.

(Udo Pastörs, NPD: Wahrlich nicht.)

Ich glaube Ihnen nur leider nicht und ich kann Ihnen einfach nicht glauben, dass Ihnen dabei der Patient und die medizinische Versorgung unserer Bevölkerung in erster Linie am Herzen liegen. Ich habe leider das dumme Gefühl, Sie nutzen diese Systemfehler nur aus, um Ihr eigenes nationalistisches Süppchen daraus zu kochen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Und da, werter Herr Pastörs, unterscheiden wir uns. Wir lehnen das Gesundheitsreformpaket auch ab, aber wir lehnen es differenziert ab, wir betrachten es differenziert und wir argumentieren hier nicht mit Plattitüden, die platter sind als die norddeutsche Tiefebene.

(Udo Pastörs, NPD: Toll!)

Sehr geehrte Damen und Herren von der NPD, ich habe eine dringende Bitte – wenn Sie das jemals schaffen, dann wäre ich sehr glücklich –: Beweisen Sie uns allen hier im Haus, dass Sie nicht an die politischen Zeiten vor 1945 anknüpfen wollen, und wir werden uns mit Ihren Vorschlägen inhaltlich beschäftigen. Aber ich glaube, das wird Ihnen schwerfallen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Stefan Köster, NPD: Ich bin 1973 geboren. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Danke, Herr Ratjen.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/145. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Bei Zustimmung der NPD und Ablehnung aller anderen Fraktionen ist damit dieser Antrag abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrages der Fraktion der Linkspartei.PDS – Förderung von Klassenfahrten zu KZ-Gedenkstätten in Meck

lenburg-Vorpommern und Brandenburg zur Erhöhung des Geschichtsbewusstseins und des Demokratieverständnisses von Schülerinnen und Schülern, Drucksache 5/158. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/202 vor.

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS: Förderung von Klassenfahrten zu KZ-Gedenkstätten in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg zur Erhöhung des Geschichtsbewusstseins und des Demokratieverständnisses von Schülerinnen und Schülern – Drucksache 5/158 –

Änderungsantrag der Fraktion der NPD – Drucksache 5/202 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Bluhm.

Julius Fučik, „Reportage, unter dem Strang geschrieben“: „Menschen, ich hatte Euch lieb. Seid wachsam.“

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geschichte ist eine kollektive Erbschaft, die man annehmen muss. Sie ist nicht mehr zu verändern. Auch wenn man sie nicht mehr verändern kann, so muss man sich jedoch immer wieder neu mit ihr auseinandersetzen und versuchen, aus ihr zu lernen. Tut man es nicht, so ist die Gefahr groß, Fehler zu wiederholen. Dabei geht es nicht vordergründig um Ereignisse, sondern vielmehr um Ursachen, die zu diesen Ereignissen geführt haben. Nur dann ist es möglich, Schlussfolgerungen zu ziehen und sein Verhalten und seine Entscheidungen danach auszurichten.

Besonders für junge Menschen ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte wichtig. Dabei erwerben sie wesentliche Grundlagen für ihre persönlichen Einstellungen zu solchen wesentlichen gesellschaftlichen Lebensfragen wie Demokratie, Freiheit, Solidarität, Toleranz und Menschlichkeit. Das Unterrichtsfach Geschichte an unseren Schulen ist gerade deshalb von so enormer Bedeutung. Und wir alle kennen das gefl ügelte Wort von der Geschichte, die erlebbar gemacht werden soll. Der pädagogische Grundsatz der Anschauung durch eigene Wahrnehmung gilt natürlich für alle Fächer, aber besonders für Geschichte. Museen, Gedenkstätten, Denkmäler oder aktuelle Ausstellungen gibt es vor allem deswegen, und nicht nur für jüngere, auch für ältere Menschen.

Die Verbrechen der Nazidiktatur waren in ihrer Dimension so unmenschlich, dass die Vorstellung von Ausmaß und Folgen mit menschlichem Verständnis nur schwer zu ermessen ist. Das Lesen von Büchern, der Vortrag der Lehrerin oder des Lehrers beziehungsweise das Betrachten von Bildern allein vermittelt einen nur sehr eingeschränkten Eindruck von dem, was wirklich geschah. Dokumentar- und Spielfi lme können das sicher eher leisten. Der Besuch einer Mahn- und Gedenkstätte in einem ehemaligen Konzentrationslager aber macht das Grauen und die Menschenverachtung des Nazisystems authentisch. Und es ist schon beklemmend, durch das gusseiserne Tor mit der demagogischen Schrift zu gehen und auf dem sogenannten Appellplatz anzukommen. Solche Besuche sind eine Möglichkeit, die Orte zu zeigen, an denen die Nazis ihre perfi de und unmenschliche Vernichtung von Millionen Menschen wegen ihrer politischen Anschauung, ihres religiösen Bekenntnisses oder ihrer ethnischen Herkunft staatlich organisiert haben. Wo sonst wäre die Dimension dieser Verbrechen deutlicher und plastischer als zum Beispiel auf den Mau

ern einer Baracke oder angesichts des weiß gefl iesten Sezier beckens?

Meine Fraktion hat in den letzten Legislaturperioden Schulklassenfahrten in solche Mahn- und Gedenkstätten ermöglicht. Es wurde sehr rege davon Gebrauch gemacht und von dem häufi g kolportierten Bild, Jugendliche seien nur an Spaß und Fun interessiert, blieb bei diesen Besuchen nichts übrig. In den Gesprächen mit den Schülerinnen und Schülern stellten wir eine große Bestürzung, tiefes Nachdenken und auch Trauer fest. Die Verarbeitung der Eindrücke bei diesen jungen Menschen, aber auch bei denen, die sie begleitet haben, war förmlich mit den Händen zu greifen.

Allerdings ein Besuch in einer solchen Mahn- und Gedenkstätte allein wird nicht ausreichen. Eine gründliche Vor- und Nachbereitung sind genauso unerlässlich wie ein entsprechendes Alter der Schülerinnen und Schüler, damit sie diese Eindrücke auch vernünftig verarbeiten können. Es sind solche Fragen zu beantworten wie die Frage nach dem Warum Menschen überhaupt so etwas tun, die Frage nach der Verantwortung, die Frage danach, warum war das nicht zu verhindern, die Frage nach Tätern, Mitwissern und Mitläufern und letztlich danach, was man heute tun muss, um so etwas künftig zu verhindern.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geschichtsbewusstsein hilft, Demokratieverständnis, Toleranz und Urteilsvermögen zu entwickeln. Anschauliche, also mit eigenen Augen gesehene Geschichte, verstärkt dieses. Mit dem Besuch von Mahn- und Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern soll aber nicht nur Geschichtsbewusstsein gestärkt, sondern auch ein Beitrag zur politischen Bildung geleistet werden. Der Vorteil der Institution Schule bei der politischen Bildung besteht ja bekanntlich darin, dass sie fast alle jungen Menschen erfassen kann. Eine solche Möglichkeit bietet sich nach der Schulzeit nur selten.

Um die Verzahnung zwischen Schule und politischer Bildung herzustellen, möchten wir die Verantwortung für diese Fahrten der Landeszentrale für politische Bildung übertragen. Wir stellen uns eine enge Kooperation zwischen der Landeszentrale und den Schulen vor. Dabei geht es sowohl um die organisatorische wie auch die inhaltliche Ausgestaltung dieser Klassenfahrten. Und die Orientierung auf eine Klassenstufe hat neben dem schon erwähnten Alter das Ziel, alle Schülerinnen und Schüler zu erfassen, bevor sie die Schule verlassen, und möglichst zeitnah die Behandlung der Zeit des Faschismus im Unterricht zu unterstützen.

Hinsichtlich der Finanzierung stellen wir uns vor, mindestens einen Zuschuss zu den Fahrkosten zu ermöglichen. Da wissen wir natürlich um die Finanzsituation des Landes. Es könnte über eine Kilometerpauschale, über einen Fahrkostenzuschuss erfolgen. Es wären verschiedene Möglichkeiten denkbar, die Mittel aufzubringen, bereits vorhandene zu bündeln, aber sozusagen es generell zum Bestandteil des Lehr- und Rahmenplans für Geschichte zu machen.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Wer eine Fluglinie fi nanzieren kann, kann auch dieses fi nanzieren.)

Und die Beschränkung auf die Gedenkstätten in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg hatte eben fi nanzielle Gründe, andere wären natürlich wie in Hamburg oder Berlin durchaus denkbar.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie sicher bemerkt haben, sind mit dem Antrag nicht alle Fragen abschließend geklärt. Das gilt sowohl für die inhaltlichen, aber auch für die organisatorischen und fi nanziellen Fragen. Uns ist das Anliegen wichtig, umso wichtiger, dass doch alle Fraktionen zumindest einen breiten Konsens der demokratischen Parteien in diesem Hohen Hause erreichen können, und wollen darum den Antrag in die zuständigen Ausschüsse überweisen.

Da ich in meiner Einbringungsrede viel über Geschichte und Geschichtsbewusstsein geredet habe, möchte ich bezogen auf das Thema mit einem Zitat von Nikolaus Cybinski, einem Lehrer, enden: „Der Gedanke, dass die Falschen das Falsche aus der Geschichte gelernt haben, ist so beklemmend wie die Vorstellung, dass sie unbelehrbar sind.“ Wenn also nicht alle demokratischen Kräfte bei den jungen Menschen mehr tun, das Richtige aus der Geschichte zu vermitteln, dann überlassen wir jenen das Feld, die das Falsche lehren wollen, um zu wiederholen, was schon unmenschliche Geschichte ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und Linkspartei.PDS)

Danke, Herr Bluhm.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Es hat um das Wort gebeten der Bildungsminister Herr Tesch. Herr Tesch, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Gestatten Sie mir, meine Ausführungen mit folgendem Gedicht zu beginnen:

Batsheva Dagan

„An die, die zögern zu fragen

Fragt heute, denn heute ist das Gestern von morgen.

Fragt heute, denn morgen entdeckt ihr plötzlich, dass es schon zu spät ist!

Fragt heute, denn heute gibt es noch Zeugen!

Fragt heute, denn morgen wird es nur Literatur sein oder Auslegung.

Was fehlen wird wenn das Morgen kommt, ist Blickkontakt und Erwiderung eine Antwort auf jede Frage in Worten oder Miene.

Fragt nochmals! Fragt immer wieder! Jetzt ist es Zeit! Gestern kehrt nicht wieder.“

Frau Batsheva Dagan ist eine Überlebende der Hölle von Auschwitz und Ravensbrück. Sie wurde 1925 geboren, gelangte zu Beginn der Machtübernahme der National

sozialisten nach Deutschland und arbeitete zwangsverpfl ichtet als Dienstmädchen hier in Schwerin, bevor sie verhaftet und deportiert wurde. Ich hatte bereits mehrmals die große Ehre, diese sehr beeindruckende Frau zu treffen. Und ich weiß auch, dass die geehrte Frau Landtagspräsidentin Bretschneider einen engen Kontakt zu Frau Dagan pfl egt und sie bereits mehrmals hier ihr Gast in Schwerin war.