Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Tesch in Vertretung für den Wirtschaftsminister.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Kollege Jürgen Seidel, einer der erfolgreichsten Wirtschaftsminister, hat an dieser Stelle …
… schon mehrfach angemerkt, dass der Kampf um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihn nicht eine Herausforderung der Zukunft, sondern der Gegenwart ist. Insofern ist die Fachkräftesicherung zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor in Deutschland geworden. Gut qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Quelle für wettbewerbsfähige Produkte und Leistungen. Fachkräftemangel gefährdet – da sind wir uns alle einig – Unternehmensentwicklungen und Ansiedlungschancen und beeinträchtigt damit die Wachstumsmöglichkeiten unseres Landes. Und auch die Umfrageergebnisse des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zeigen, an erster Stelle, und damit von ausschlaggebender Bedeutung, bei den Standortfaktoren steht die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften.
Ursächlich für den Fachkräftemangel ist der demografische Wandel, der uns alle auch vor große Aufgaben stellt. An dieser Stelle sei auch noch mal an den Demografiebericht dieser Landesregierung erinnert, die sich in allen Feldern genau diesem demografischen Wandel stellt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zahlen, die unser Land betreffen, sind weitestgehend bekannt. Ich will jetzt hier auch nicht viele Zahlen sagen, aber vielleicht doch noch mal ein Zahlenpaar. Hatten wir im Jahr 1996 noch fast 30.000 Schulabgänger, so hat sich die Zahl im Jahr 2010 auf etwas über 10.000 verringert, und die Zahl ist natürlich sinkend. Im letzten Jahr gab es erstmals mehr betriebliche Ausbildungsplätze als gemeldete Bewerber und das Arbeitskräfteangebot wird aufgrund der langfristigen demografischen Entwicklung weiter deutlich abnehmen. Bis 2030 wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um ein Drittel zurückgehen. Sie reduziert sich bereits jetzt in Mecklenburg-Vorpommern Monat für Monat um rund 1.200 und die Alterung der Gesellschaft und der Belegschaften nimmt ebenfalls zu.
Es besteht bereits jetzt ein erhöhter Fachkräftebedarf, der sich angesichts der hier skizzierten Punkte und auch des derzeitigen Wirtschaftswachstums, was uns natürlich freut, in Zukunft dann noch steigern wird. Es stellt sich also auch die Frage, welche Erwartungen mit dem Eintritt in die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit am 1. Mai dieses Jahres erfüllt werden können. Wir als Land waren immer sehr früh dafür, aber die Frage ist natürlich, welche Erwartungen hiermit erfüllt werden können. In den grenznahen Regionen zu Polen hofft jedenfalls ein Teil der Unternehmer, den wachsenden Fachkräftebedarf hierüber abdecken zu können.
Der drohende Mangel an Fachkräften stellt neue Herausforderungen für Wirtschaft und Politik in allen Ländern der Europäischen Union. Gegenüber 2008 ist die demografische Situation im Jahre 2009 in der EU durch
einen geringen Rückgang bei der Bruttogeburtenziffer und eine konstante Bruttosterbeziffer gekennzeichnet. Der fehlende Nachwuchs wird insofern, auch das sei an dieser Stelle konstatiert, zu einem allgemeinen Problem. Damit ist klar, mit einem Zuzug von Fachkräften allein aus anderen EU-Ländern können und wollen wir die Probleme, die durch den demografischen Wandel hervorgerufen werden, nicht lösen.
Die Frage ist natürlich, wo kann man weitere Potenziale finden. Zuallererst muss es darum gehen, die nach wie vor vorhandenen Potenziale bei Langzeitarbeitslosen, älteren Arbeitnehmern und Frauen zu aktiven. Eine Lösung kann die Erschließung des Fachkräftepotenzials aus Drittstaaten sein, insbesondere durch die Schaffung erleichterter Rahmenbedingungen für die Zuwanderungen.
Der Freistaat Sachsen hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsrechts in den Bundesrat eingebracht. Mit diesem Gesetz, das sei hier auch noch mal erwähnt, sollen rechtliche Hürden bei der gezielten Zuwanderung beseitigt und soll ausländischen Fachkräften eine dauerhafte Perspektive gegeben werden. Kernpunkt der Änderungsvorschläge sind zwei neue Aufenthaltstitel:
Erstens. Durch Aufenthaltstitel zur gesteuerten Anwerbung mit einem Paragrafen 18b des Aufenthaltsgesetzes soll eine Möglichkeit der Anwerbung über ein Bewertungsschema geschaffen werden. Ein Ausländer soll einen auf ein Jahr befristeten Aufenthaltstitel ohne Arbeitsvertrag erhalten, wenn er bestimmte Auswahlkriterien erfüllt und sein Lebensunterhalt gesichert ist.
Zweitens. Niederlassungsoptionen, ein neuer Paragraf 19a des Aufenthaltgesetzes, sollen Fachkräften von Anfang an eine Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt bieten. Ein Ausländer mit einem Jahresgehalt von mindestens 60 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung soll einen auf zwei Jahre befristeten Aufenthaltstitel, der danach bei bestehendem Arbeitsvertrag und fehlenden Sicherheitsbedenken in einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Form der Niederlassungserlaubnis übergeht, erhalten.
Sie wissen ja auch, die derzeitige Bemessungsgrenze bei Jahreseinkommen liegt bei 66.000 Euro im Westteil unseres Landes und bei 57.600 im Ostteil des Landes. Aber das nur am Rande.
Der Gesetzesantrag des Landes Sachsens befindet sich derzeit, und darum geht es ja, in den Beratungen der Bundesratsausschüsse. Der Wirtschaftsausschuss hat dazu seine Beratungen bereits abgeschlossen und empfiehlt dem Bundesrat die Einbringung des Gesetzentwurfes nach Maßgabe von Änderungen, die das Grundanliegen des Entwurfes unberührt lassen. Insofern geht der Kollege Seidel davon aus, dass nach Abschluss der Beratungen in den anderen Ausschüssen auch der Bundesrat dem Anliegen in der Sache folgen wird. Und insofern wird es Sie nicht verwundern, dass er an dieser Stelle eigentlich kein oder kein drängendes inhaltliches Anliegen in Ihrem Antrag für sich erkennen kann. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nicht dass Sie Angst haben, das ist jetzt nicht meine Rede. Das ist dann teilweise auch der Gesetzentwurf der Kollegen aus Sachsen.
Sehr geehrter Herr Kollege Roolf, ich will jetzt nicht das aufgreifen, was Herr Minister Tesch eben auch für den Wirtschaftsminister gesagt hat, warum es alleine schon aus den Gründen dieses Antrages nicht bedarf. Aber ich möchte vielleicht mal auf den Inhalt dieser sächsischen Bundesratsinitiative und letztendlich damit ja auch Ihre Antragstellung heute in diesem Haus eingehen. Wenn man die Bundesratsinitiative der sächsischen Landesregierung sieht, dann fällt einem im Grunde eins auf: Das eigentliche Problem, vor dem nicht nur Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern, sondern die Bundesrepublik insgesamt
oder alle Industrienationen weltweit stehen, wird von dieser Initiative in keiner Weise aufgenommen. Das Ganze kommt mir vor – da kennt sich der Kollege Müller vielleicht besser aus – wie bei einem Fußballverein, der über Jahrzehnte keine Nachwuchsarbeit gemacht hat und auf einmal ankommt und sagt: Oh, ich habe ein Problem, meine Spieler, die sterben mir weg, ich gucke jetzt mal, ob ich woanders irgendwelche finde, die dann bei mir spielen können, und verkennt dabei, dass die Situation bei vielen anderen Vereinen ähnlich ist, und dazu kommt noch, dass bei den anderen Vereinen mehr bezahlt wird.
Und, Herr Kollege Kreher, bevor Sie sich hier unnötig aufregen, lassen Sie mich das doch einmal ganz deutlich sagen: Das ist ein Versäumnis, das auf Bundesebene weder der derzeitigen Bundesregierung alleine anzurechnen ist noch deren Vorgängerregierung, noch deren Vorgängerregierung, sondern das ist ein Problem, das muss man ganz offen sagen, das seit 30, 40 Jahren in diesem Staat – nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern – mitgeschleppt wird. Es ist nämlich nicht erst seit gestern bekannt, dass die demografische Entwicklung nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern so ist, wie sie ist, und man hätte sicherlich schon vor geraumer Zeit etwas machen können.
Nur die Frage, die man sich dann stellen muss, sehr geehrte Kollegen von der FDP, ist doch die: Ist das, was hier von Ihnen auch mit unterstützt wird oder mit angedacht wird, wirklich die Lösung des Problems?
Ich habe mir in Vorbereitung des heutigen Tagesordnungspunktes ein paar Artikel herausgesucht. Und jetzt muss ich zugeben, die beschäftigen sich dann weniger mit der Frage von Arbeitszuwanderung aus Nicht-EULändern, sondern tatsächlich mit der Freizügigkeit, wie sie sich seit dem 1. Mai ergibt. Aber das, was dort deutlich wird, gilt natürlich auch erst recht für andere Staaten oder für Arbeitsfähige, Erwerbsfähige aus anderen Staaten.
Wie stellt sich denn die Situation nach dem 1. Mai dar? Da sind teilweise zum Beispiel von der Handwerkskammer Ostbrandenburg extra in Polen Außenberatungsstellen eingerichtet worden, damit polnische Mitarbeiter, die
hier von Unternehmen gesucht werden, auch weitervermittelt werden können. Und das Ergebnis der ganzen Sache war ein absoluter Fehlschlag.
Und von den zweien, die vermittelbar gewesen wären, fehlte es auch noch an den Deutschkenntnissen, um den Arbeitsplatz tatsächlich auszuüben. Das zu der Situation nach dem 1. Mai und der Gefahr, dass ausländische Arbeitskräfte in diesem Maße hier auf den Arbeitsmarkt drängen.
Und wir wissen es ja nun auch schon aus der Vergangenheit, dass Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern auch nicht hier Schlange stehen, um tatsächlich auf dem deutschen Arbeitsmarkt zur Feder zu finden. Sicherlich muss man die Frage der Freizügigkeit, die Frage der Zuwanderung von Fachkräften auch für die Bundesrepublik Deutschland in einem Gesamtkontext lösen. Ich gehe davon aus, und da, Herr Kollege Roolf, gebe ich Ihnen durchaus recht, dass wir uns auch bemühen sollten, Fachkräfte aus dem Ausland dazu zu motivieren, hier in Deutschland Arbeit zu suchen. Bloß, darüber müssen wir uns dann auch im Klaren sein, wenn wir sie dazu motivieren, müssen wir nicht nur ihnen die Chance geben, sondern, das ist ja dann auch Teil dieser sächsischen Bundesratsinitiative, ihnen auch die Chance geben, ihre Familien mitzubringen, und nicht so, wie das derzeit auch von der eigenen Bundesregierung vorgesehen ist, gerade die Möglichkeiten dann wieder zu verschärfen von denjenigen, die bereits als ausländische Mitbürger in unserem Land leben.
Aber das Grundproblem, das werden Sie mit solchen Initiativen nicht lösen können. Das Grundproblem, sehr geehrter Kollege Roolf, werden Sie nur dann lösen können, wenn Sie den Menschen im eigenen Land eine berufliche und erwerbliche Perspektive bieten. Dieses Problem werden Sie nur dann lösen, wenn Sie den Menschen im eigenen Land eine wirtschaftliche Perspektive geben, und das bedeutet natürlich auch, dass die Menschen, die hier leben, entsprechende Verdienste haben wollen. Und das bedeutet auch, dass die Menschen, und da denke ich insbesondere auch an Frauen, die derzeit ja nur mit 51 Prozent überhaupt Vollzeitarbeitsplätze haben, dass Sie diesen Frauen, wenn sie es denn wollen, das ist ja immer noch eine individuelle Entscheidung, dann auch tatsächlich die Chance geben für einen Vollzeitarbeitsplatz. Das würde schon zu einer erheblichen Entlastung auf dem Arbeitsmarkt führen. Bloß dafür muss man die Rahmenbedingungen schaffen.
Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich an dieser Stelle dann auch einen Dank an unsere Sozialministerin richten, die sich ja nun gerade in der Vergangenheit insbesondere dafür eingesetzt hat, dass im Bereich Kindertagesstätten, Kinderförderung Entsprechendes geschaffen wird. Wir brauchen nämlich dann tatsächlich auch dieses Erwerbsfähigkeitspotenzial, das da vorhanden ist. Wir müssen uns natürlich auch darum kümmern, dass die älteren Arbeitnehmer, die wir ohnehin hier im Land haben, nicht mit 50 oder 55 auf die Straße gesetzt werden, sondern tatsächlich dann auch zumindest solange arbeiten können, wie sie arbeiten wollen.
Herr Kollege Roolf, ich bin ja durchaus bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren, in welchem Umfang Zuwanderung auch von Nicht-EU-Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland und natürlich auch nach MecklenburgVorpommern stattfinden soll und stattfinden muss. Aber, Herr Kollege Roolf, gestatten Sie mir dann an dieser Stelle auch abschließend die Bemerkung, das dann bitte in einem Gesamtkontext, das dann bitte auch im Zusammenhang mit der Frage: Wie verbessern wir die Rahmenbedingungen für die Menschen hier im Land? Dann können wir über solche Dinge reden. Solche Anträge, wie Sie sie heute hier eingebracht haben, sind vor diesem Hintergrund und auch vor dem Hintergrund, den Herr Minister Tesch eben ausgeführt hat, nicht zielführend. Wir werden den Antrag ablehnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP möchte die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland erleichtern und unterstützt deshalb eine entsprechende Initiative von Sachsen im Bundesrat. Ziel der Initiative ist, das Aufenthaltsgesetz in Deutschland zu ändern. Zwei neue Aufenthaltstitel sollen geschaffen werden.
Der eine Titel soll qualifizierten Fachkräften von Anfang an eine dauerhafte und unbefristete Aufenthaltsperspektive in Deutschland bieten. Fachkräfte aus NichtEU-Staaten mit einem Jahreseinkommen von mindestens 53.000 Euro für den Osten und 39.600 Euro für den Westen, das sind 60 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung, erhalten einen auf zwei Jahre angelegten Titel, der bei bestehendem Arbeitsvertrag automatisch in einen unbefristeten Aufenthaltstitel übergeht.
Der zweite neue Aufenthaltstitel soll qualifizierten Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten die Arbeits suche in Deutschland ermöglichen. Fachkräfte, die über bestimmte Qualifikationen, Sprachkenntnisse oder Berufserfahrungen verfügen, sollen sich zur Arbeitssuche bis zu einem Jahr in Deutschland aufhalten können. Verkauft wird die Initiative als moderne Ausländerpolitik, weil man in Deutschland endlich zu einer aktiven und gesteuerten Zuwanderungspolitik finden müsse, die im Interesse unseres Landes liege. Im Umkehrschluss wird damit aber gesagt, dass jede andere Art von Zuwanderung, und das spitze ich jetzt einfach mal zu für die Debatte, zum Beispiel als Flüchtling, veraltet ist und nicht im Interesse des Landes liegt, frage ich Sie.
Unbestritten ist, dass Deutschland gut ausgebildete Fachkräfte braucht. Für uns ist es egal, wo sie herkommen, sage ich für uns.
Aber Sie teilen die Menschen in verwertbar für den Arbeitsmarkt, dann sind sie willkommen, und eben nicht verwertbar für den Arbeitsmarkt, also wahrscheinlich dann auch nicht brauchbar, frage ich. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen,