Protokoll der Sitzung vom 01.07.2011

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

die brauchen aber für die Aufarbeitung der Probleme, für die psychische Aufarbeitung die Opferberatungsstellen. Und wir haben zum Beispiel vereinbart, dass der Bürgerbeauftragte und auch die Stasiunterlagenbeauftragte einmal im Jahr zu einer größeren Beratung meiner Einrichtung mit hinzugezogen werden, um sich über Probleme, natürlich auch über Erfolge auszutauschen, um sich schlicht abzustimmen.

Parallel zu den Beratungsunterstützungsangeboten für Betroffene ist es für viele Opfer ebenfalls sehr wichtig, dass die Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Da, wie bereits erwähnt, sich aber viele Opfer erst sehr spät öffnen und die Strafverfolgungsbehörden hinzuziehen, ist es, darauf hat Herr Dr. Jäger hingewiesen, erforderlich, die Verjährungsfristen zu verlängern. Ich finde es sehr gut, dass auch dieser Punkt mit

in den Antrag aufgenommen worden ist, denn für viele Opfer ist es wichtig, dass die Täter vor Gericht kommen, um endlich einen Schlussstrich ziehen zu können. Ihnen geht es nicht mal so sehr um die Bestrafung, sondern für sie ist das beendet, wenn sie den Eindruck haben, auch vor Gericht wird ihnen geglaubt.

Um die strafrechtliche Verfolgung der Täter auch nach Jahren noch erfolgreich durchführen zu können, ist eine fachlich fundierte Verletzungsdokumentation zur Beweisführung unerlässlich. Und deshalb habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass an den Rechtsmedizinischen Instituten in Greifswald und Rostock ein Modellprojekt, das Modellprojekt der Opferambulanzen initiiert wurde. Ich freue mich sehr, dass das Parlament zu dem Schluss kommt, dass diese Opferambulanzen weiter bestehen bleiben müssen und auch weiter finanziert werden müssen.

Aber für ein Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern sind zwei Opferambulanzen sowie deren Außenstellen in Schwerin und Neubrandenburg für eine flächendeckende Versorgung meines Erachtens nicht ausreichend. Ich möchte aber, dass alle Opfer unabhängig davon, ob sie im unmittelbaren Einzugsgebiet der Rechtsmedizinischen Institute leben oder in Sassnitz, Plau oder Gägelow, die Möglichkeit haben, in ihrer Nähe eine Anlaufstelle für eine fachgerechte Befunddokumentation aufsuchen zu können.

Die unter meiner Federführung laufende Arbeitsgruppe „Gewalt und Gesundheit“, an der unter anderem auch Medizinerinnen und Mediziner und Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner teilnehmen, bereitet deshalb derzeit erneut eine Ärztefortbildung vor, die im Januar 2012 durchgeführt wird. Deren Ziel ist es, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zu gewinnen, um sich durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rechtsmedizinischen Institute qualifizieren zu lassen, sodass sie rechtsmedizinische Befunddokumentationen in ihren Praxen vornehmen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Schutz und die Unterstützung der Opfer sexualisierter Gewalt ist eine wichtige Aufgabe für uns. Beratungsstellen mit ausreichend qualifiziertem Personal sind ein wichtiger Baustein, die Betroffenen zu stabilisieren und ihnen zu helfen, in ein normales Leben zurückzufinden. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, den Opfern die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen. Stimmen Sie dem vorliegenden Antrag zu! Ich beantrage namens der demokratischen Fraktionen namentliche Abstimmung. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Dr. Seemann.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Borchardt für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erinnern wir uns: Im April 2010, nachdem mehr und mehr Fälle über sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen bekannt wurden, der Bürgerbeauftragte in seinem Bericht auf das Problem sexuellen Missbrauchs in Kinder- und Jugendeinrichtungen der DDR hingewiesen hatte, auf dessen Grundlage die CDUFraktion zu diesem Thema eine öffentliche Anhörung im Europa- und Rechtsausschuss beantragt hatte und die

FDP dem Landtag auf der Drucksache 5/3435 einen eigenständigen Antrag vorlegte, hat der Rechts- und Europaausschuss sich mit diesem Thema beschäftigt.

Niemand von den demokratischen Fraktionen hat von Beginn an gezweifelt, dass der Landtag sich mit diesem Thema beschäftigen muss. Schnell, schon während der Debatte zum Antrag der FDP, wurde uns klar, dieses Problem ist ein gesellschaftliches Problem und nicht systemabhängig. Deshalb dürfen wir nicht nur die Vorkommnisse in der DDR betrachten, sondern müssen uns die Frage stellen, wie sind wir in Mecklenburg-Vorpommern für den Schutz unserer Kinder aufgestellt. Deshalb führten wir im September 2010 eine sehr umfangreiche Anhörung durch, sprachen mit den zuständigen Ministerien und der Parlamentarischen Staatssekretärin, ließen uns über ihre Maßnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich informieren. Begleitet wurde diese Debatte immer von den Ergebnissen der Arbeit des Runden Tisches auf Bundesebene.

Nun mag einer, der diesen Arbeitsprozess nicht hautnah miterlebt hat, meinen, habt ihr euch aber Zeit gelassen. Ja, sage ich an dieser Stelle, haben wir, und zwar ganz bewusst uns Zeit gelassen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

nicht nur, weil wir uns im Ausschuss noch mit vielen anderen Gesetzesvorlagen und Anträgen beschäftigen mussten, nein, weil wir uns sehr schnell dazu verständigt haben, dem Landtag einen gemeinsamen Antrag zur Beschlussfassung vorzulegen, weil wir dieses Thema nicht geeignet fanden, es parteipolitisch zu besetzen. Das sind wir den Opfern schuldig.

Dass uns das gelungen ist, dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei allen demokratischen Fraktionen dieses Hauses recht herzlich bedanken. Nur so, davon bin ich überzeugt, werden wir den Opfern gerecht und können unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.

Sexueller Missbrauch von Kindern ist schlimm, egal ob in Einrichtungen der Jugendhilfe in der DDR, der katholischen Kirchen oder in anderen öffentlichen Einrichtungen oder im häuslichen Umfeld. Dieser Anspruch brachte natürlich auch mit sich, dass wir auf allen Seiten Zugeständnisse und Kompromisse machen mussten. Darauf gehe ich an anderer Stelle noch ein. Und ich behaupte auch, keine öffentliche Anhörung wurde von keiner Fraktion der demokratischen Fraktionen so akribisch ausgewertet wie die zu diesem Thema.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Fraktion hat sich insbesondere mit der Verantwortung in DDREinrichtungen auseinandergesetzt, insbesondere im Hinblick auf die Ursachen und die sich daraus ergebenen Schlussfolgerungen. Durch die Anhörung wurde die Auffassung, die viele Wissenschaftler teilen, bestätigt, Missbrauch von Kindern findet immer – egal in welchem politischen System – da statt, wo geschlossene autoritäre Strukturen aufgebaut sind, die sich einer demokratischen Kontrolle entziehen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Missbrauch ist Ausdruck eines bestimmten Erziehungsbildes, das geprägt ist durch Autorität, körperliche Überlegenheit und Unwissenheit der Opfer, der Ausnutzung des Vertrauens und der Abhängigkeit. Dagegen müssen wir gemeinsam etwas tun.

Was uns am meisten helfen würde – davon bin ich überzeugt – sind starke Kinder, Kinder, die selbstbewusst und offen ihre Probleme artikulieren und sich ihrer Rechte bewusst sind, Kinder, die wissen, dass ihnen Unrecht geschieht, dass sie darüber auch reden. Deshalb brauchen wir die Veränderung bei der Ausbildung und beim Studium in den entsprechenden Berufen.

In Bezug auf die Unterstützung der Opfer aus der DDR unterstützen wir die Beratung durch die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR und ebenfalls die Initiative auf Bundesebene, auch diese Opfer zu entschädigen.

Ich hatte zu Beginn gesagt, dass wir auf Kompromisse eingegangen sind. Darauf möchte ich an dieser Stelle näher eingehen:

Die Maßnahmen, die wir heute in dem interfraktionellen Antrag ansprechen, beziehen sich hauptsächlich auf die Situation, wenn der Missbrauch stattgefunden hat. Wir fordern, dass die Therapieangebote in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Wir setzen uns dafür ein, dass das Modellprojekt weitergeführt wird, dass sichergestellt wird, dass die Arbeit in diesen Projekten auch auf Dauer weitergeführt wird. Aber unsere Arbeit muss viel früher beginnen und wir setzen auf Prävention.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Selbstverständlich, und auch das habe ich in diesem Haus nicht nur einmal gesagt, dürfen wir nicht den Eindruck vermitteln, dass wir einen hundertprozentigen Schutz durchsetzen können. Aber wir müssen alles Erdenkliche tun, damit es gar nicht erst zu einem Missbrauchsfall kommt. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass wir uns auch dafür aussprechen, dass die Landkreise und Kommunen besser mit personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden, denn dort kann vor Ort eine Kontrolle bei ersten Anzeichen stattfinden. Ich denke, dass so auch Missbrauchsfälle verhindert werden können.

Darüber hinaus brauchen wir eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zum Thema „Missbrauch von Kindern und Jugendlichen“. Es ist gut, dass dieses Thema nach Jahren öffentlich in die gesellschaftliche Debatte gebracht wurde. Es ist eben kein Tabuthema mehr. Allerdings gibt es da Unterschiede. Einig sind sich alle in Bezug auf Vorkommnisse in öffentlichen Einrichtungen. Aber, wie wir in der Anhörung auch vernehmen konnten, sexueller Missbrauch findet zu 80 Prozent in der Familie und im sozialen Umfeld statt.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Ja, das habe ich auch schon gesagt.)

Und ich glaube, da gibt es immer noch – auch in Bezug auf die Öffentlichkeit – Probleme.

In Bezug auf Prävention möchte ich mich nur noch kurz auf das Projekt „Kein Täter werden“ beziehen, welches Mediziner nach Mecklenburg-Vorpommern holen wollen. Frau Sozialministerin hat darauf verwiesen, ja, Opferschutz beginnt auch mit Täterschutz. In diesem Projekt geht es darum, Männern, die auf Kinder gerichtete sexuelle Phantasien haben, aber keine Übergriffe begehen wollen, therapeutische Unterstützung zu bieten. Geben wir denjenigen, die diesen Gefühlen hinterherlaufen, auch die Chance, sich öffentlich zu äußern beziehungsweise ihnen Hilfe und Unterstützung zu geben. Ziel ist es dabei, sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie Kinderpornografie zu verhindern. Aber es

bleibt uns ja auch noch in der nächsten Legislaturperiode Zeit, vielleicht uns dieses Projekt genau anzusehen und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Was wir uns ebenfalls gewünscht hätten, wäre eine Prüfung gewesen, ob man mit dem Bürgerbeauftragten einen Kinderschutzbeauftragten ansiedelt. So würden wir diesem Thema gerecht werden. Es gäbe dann eine Stelle, die sich immerzu mit der Situation der Kinder beschäftigen würde und so frühzeitig auf Problemlagen hinweisen könnte. Ich will auch sagen, auch in meiner Fraktion ist dieser Ansatz umstritten. Aber wir sollten in der nächsten Wahlperiode darüber gemeinsam noch einmal reden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in der Anhörung gehört, dass es noch weitere Probleme gibt, so zum Beispiel auch, dass drei Ministerien bei diesem Thema zuständig sind. Aber zum Zwecke einer besseren Koordinierung müssten wir schon über die Bündelung nachdenken. Über diese Problematik sollte bei der nächsten Regierungsbildung ernsthaft nachgedacht werden.

Eine weitere Bemerkung zu unserem gemeinsamen Antrag: Wir haben als Punkt aufgenommen, dass alle Beratungsstellen, die für Opfer sexualisierter Gewalt tätig werden, für diese Arbeit angemessen ausgestattet werden. Nun weiß ich als Juristin, und Herr Dr. Jäger weiß es auch, der Begriff „angemessen“ ist ein sehr dehnbarer Begriff. Deshalb möchte ich meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass wir über die Parteien hinweg uns bei der Haushaltsaufstellung 2012/2013 für eine tatsächliche Mehrausstattung bei den Beratungsstellen einsetzen und es nicht nur bei dieser Passage im vorliegenden Antrag bleibt.

Lassen Sie mich nun noch ein Wort zum Thema „Datenweitergabe bei Verdacht auf Kindesmissbrauch“ sagen. Das war ein Punkt für uns, wo wir sehr lange überlegt haben, ob wir diesen so mittragen, denn unserer Ansicht nach gibt es bereits jetzt genügend gesetzliche Grundlagen. Aber die Anhörung hat uns gezeigt, dass es da auch noch viele Grauzonen gibt. Der Deutsche Kinderschutzbund und die Deutsche Kinderhilfe haben, glaube ich, in der Anhörung deutlich darauf hingewiesen. Wenn es uns gelingt, durch eine Veränderung der Gesetzgebung die Angst derjenigen, die die Daten offenlegen, wegzunehmen, dass dies nicht strafrechtlich verfolgt werden kann, dann, glaube ich, haben wir einiges gekonnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir noch ein paar Worte, das fällt mir jetzt ein bisschen schwer, zum Agieren der NPD, auch wenn sie jetzt nicht hier drin sind. Ich glaube, wir haben alle die Verpflichtung, dass wir draußen den Bürgerinnen und Bürgern sagen, das, was die NPD zu diesem Thema hier im Landtag und auch außerparlamentarisch vertritt, ist menschenverachtend und zeigt ihre Sichtweise auf Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wollen die Opfer politisch für ihre Zwecke missbrauchen und das sollten wir draußen auch immer wieder sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen, ich verbinde mit der heutigen Beschlussfassung die Hoffnung, dass wir uns gemeinsam und kontinuierlich der Problematik auch in Zukunft annehmen werden. Helfen wir den Kindern, den Opfern

von Missbrauch, auch denjenigen, die den Mut noch nicht gefunden haben, ihr Schicksal öffentlich zu machen. Sie brauchen unsere Hilfe, unsere Unterstützung und Solidarität und es ist unsere politische Verantwortung. Wir sollten diese gemeinsam wahrnehmen. Ich denke, dieser Beschluss, das sollte sich der nächste Landtag ins Hausaufgabenheft schreiben, ist der erste Anfang und wir sollten weiterarbeiten, und zwar auf der gemeinsamen Grundlage.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei Herrn Dr. Jäger recht herzlich bedanken. Wir haben uns sehr oft gestritten, aber in diesem Punkt und bei diesem Antrag, glaube ich, waren wir uns sehr schnell einig.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Vielen Dank noch mal. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Vielen Dank, Frau Borchardt.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP auf Drucksache 5/4406. Interfraktionell ist beantragt worden, gemäß Paragraf 91 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung hierzu eine namentliche Abstimmung durchzuführen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beginnen nun mit der Abstimmung. Dazu werden Sie hier vom Präsidium namentlich aufgerufen und gebeten, vom Platz aus Ihre Stimme mit Ja, Nein oder Enthaltung abzugeben. Damit Ihr Votum korrekt erfasst werden kann, bitte ich Sie, sich nach Aufruf, wenn möglich, von Ihrem Platz zu erheben und Ihre Stimme laut und vernehmlich abzugeben. Darüber hinaus bitte ich alle im Saal Anwesenden, während des Abstimmungsvorganges von störenden Gesprächen Abstand zu nehmen.

Ich bitte nunmehr die Schriftführer, die Namen aufzurufen.

(Die namentliche Abstimmung wird durchgeführt.)