Protokoll der Sitzung vom 28.03.2007

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Dr. Linke. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Linkspartei.PDS hat die Reform des Sozialhilferechts in Form des SGB II stets abgelehnt. Die heutige Situation im Land begründet diese Haltung im Nachgang jeden Tag neu. Weder wurden die Kommunen entlastet, noch ist es mit all den neu geschaffenen bürokratischen Instrumenten und Theorien zum sogenannten aktivierenden Sozialstaat gelungen, das entscheidende soziale Problem dieser Gesellschaft mit all seinen Folgen, nämlich die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit, zu entschärfen.

(Vizepräsident Hans Kreher übernimmt den Vorsitz.)

Sie wissen, auch auf dem Arbeitsmarkt gilt das Prinzip von Angebot und Nachfrage – wo das eine fehlt, mangelt es auch an dem anderen, und wo immer mehr Arbeitsplätze dem technischen Fortschritt weichen müssen, benötigen

wir andere Lösungen. Arbeitslosigkeit ist nun einmal in den seltensten Fällen ein persönlich verursachtes, sondern vielmehr ein gesellschaftlich bedingtes, ein von der Gesellschaft verursachtes Problem. Die Linkspartei.PDS bleibt deshalb bei ihrer Forderung: Schaffung von sozialversicherungspfl ichtigen Arbeitsplätzen, abgesichert durch einen gesetzlich garantierten Mindestlohn. Das ist einer der notwendigen Schritte auf dem Weg zu einem zukunftsfähigen Sozialstaat.

(Beifall Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

Ich könnte es also an der Stelle kurz machen und sagen, die Hartz-Gesetze, insbesondere das SGB II, gehören abgeschafft.

(Udo Timm, CDU: Oi! – Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Vielleicht!)

Davon, so denke ich, werde ich Sie aber heute wohl nicht in Gänze überzeugen, da ja schon in der Vergangenheit die Linkspartei.PDS im Bundestag und auch über den Bundesrat die einzige Partei war, die diese Gesetze abgelehnt hat und weiterhin auch ablehnen wird, wo hingegen die anderen Parteien im Bundestag noch im letzten Sommer weitere Verschärfungen dieses Gesetzes beschlossen haben.

Sie kennen die Probleme mit dem Gesetz alle aus Bürgersprechstunden oder Briefen von Betroffenen, in denen diese ihre Verzweifl ung und ihre Perspektivlosigkeit beschrieben haben. Sie kennen die Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten aus den Stellungnahmen der Betroffenenverbände oder eben auch aus der Arbeit des Petitionsausschusses in unserem Landtag. Sie kennen die Kritik auch durch die Arbeit und das Gutachten des Ombudsrates, der seine Tätigkeit eingestellt hat beziehungsweise einstellen musste, und in dem ja überhaupt keine PDS-Politiker, sondern allein Politiker Ihrer Parteien vertreten waren und dennoch herbe Kritik am Gesetz übten.

Überall wird deutlich, dieses Gesetz, das SGB II, entspricht weder der Lebenswirklichkeit noch den Lebenserfordernissen. So wurden mit dem SGB II unter dem Aspekt, die erwerbsfähigen Arbeitssuchenden müsse man nur richtig fordern, dann fördere man sie auch, nun eine Reihe von Änderungen im Sozialrecht eingeführt, die insbesondere Kinder und Jugendliche gegenüber der Rechtslage nach dem BSHG benachteiligen.

Heute thematisieren wir herausgehoben die kindbezogenen Leistungen, wie das sogenannte Begrüßungsgeld für Neugeborene, das Kindergeld oder Geldgeschenke und andere kindbezogene Leistungen oder Zuwendungen an oder für Kinder und Jugendliche, die in Bedarfsgemeinschaften leben. Die gesetzlichen Grundlagen, das SGB II und die Verordnung, nach denen die Anrechnung aktuell erfolgt, sind Ihnen bekannt. In der ALG-II-Verordnung zur Berechnung von Einkommen heißt es: „einmalige Einnahmen und Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen anfallen, wenn sie jährlich 50 Euro nicht übersteigen,“ sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Was bedeutet das in der Praxis? Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher zum Geburtstag, zu Ostern, Weihnachten oder zum Zeugnis ein Geldgeschenk von je 20 Euro erhält, dann müssten seine Eltern viermal 20 Euro als Einnahmen angeben und schon 30 Euro davon würden auf das Sozialgeld des Jugendlichen in der Bedarfsgemein

schaft angerechnet. Wenn dann Onkel und Tante auch noch etwas geben, würde das Kind oder der Jugendliche das komplett zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes einsetzen müssen. Und nun sagen Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete: Entspricht das der Lebenswirklichkeit?

(Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU: Nein, weil das keiner angibt.)

Ist das gerecht?

Ähnliches gilt für Jugendweihe, Konfi rmation oder Kommunion und auch für die Einschulung von Kindern aus diesen Familien. In diesen Fällen wurde nach dem BSHG zusätzliches Geld bereitgestellt. Nun sind die Familien auf sich allein gestellt, eine Situation, die ich mir, die ich aber eben auch anderen Menschen nicht wünsche. Zum einen wird weniger Geld mit der Begründung zur Verfügung gestellt, das wäre alles im Regelsatz enthalten. Zum anderen sind die erhaltenen Geldgeschenke meldepfl ichtig und ab dem Betrag von 50 Euro anzurechnendes Einkommen.

Bundesminister Müntefering, die Bundesagentur und auch Herr Minister Seidel erklärten nun, dass Geldgeschenke kein Problem wären, sofern sie nicht unangemessen hoch seien. Nach dem Gesetz endet die Grenze der Angemessenheit bei 50 Euro. Und das empfi nden die Betroffenen, das empfi nde ich durchaus als Problem. Die Grenze für Anrechnungsfreibeträge sollte im Interesse der Kinder und Jugendlichen auf mindestens 500 Euro im Jahr erhöht werden, gerade wenn man sich Preise für Bücher oder Sportkleidung vergegenwärtigt, Dinge, die alle Kinder für eine anregungsreiche Freizeitbeschäftigung dringend benötigen.

Schließlich entspricht es der Lebenswirklichkeit, dass Kinder kleinere Geldgeschenke erhalten, um für die Erfüllung bestimmter Wünsche – sei es ein Musikinstrument, ein Sportgerät, einen Computer oder Ähnliches – zu sparen. Das erfordert Ausdauer, Zielstrebigkeit, Sparsamkeit und Planmäßigkeit gleichermaßen, Eigenschaften, die ebenso wie der sorgsame und planmäßige Umgang mit Geld erlernt, geübt werden müssen und die den Kindern im späteren Alter helfen, nicht in eine Schuldenfalle zu tappen. Eine Summe von maximal 50 Euro im Jahr hierfür vorzugeben und alles Weitere zur fi nanziellen Unterstützung auf das Einkommen der Eltern anzurechnen, konstruiert damit indirekt eine Unterhaltspfl icht minderjähriger Kinder für ihre Eltern, die es zivilrechtlich, also nach dem BGB so überhaupt nicht gibt.

(Beifall Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS, und Irene Müller, Die Linkspartei.PDS)

Kinder und Jugendliche, die nicht in Bedarfsgemeinschaften leben, haben dieses Geld zu ihrer eigenen Verfügung. Und damit sind wir bei der rechtlichen Bewertung, eben bei der Benachteiligung, die uns eine Gleichbehandlung fordern lässt. Aber wir fordern daneben auch die Aufhebung der kindbezogenen Reduzierung im SGB II, sowie die Aufhebung der Annrechnung des Kindergeldes nach dem Bundeskindergeldgesetz auf das Einkommen des jeweiligen Kindes. Schließlich stellt die Anrechnung auf das Einkommen des Kindes quasi auch eine Anrechnung auf das Einkommen der Eltern dar. Bei Kindern, deren Eltern im Beruf stehen, wird eine derartige Verknüpfung zwischen dem Kindergeld und dem Einkommen der Eltern so nicht hergestellt.

Die Pauschalierung der Regelsätze insgesamt sowie die genannten Reduzierungen berücksichtigen weder den wachstums- noch den bildungsbezogenen Bedarf von Kindern und Jugendlichen. Ihnen werden durch diese fi nanziellen Beschränkungen nicht hinnehmbare Grenzen der geistig-kulturellen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gesetzt. Auch hier bedarf die Regelsatzverordnung zum SGB II des Bundes aus unserer Sicht dringend einer Änderung.

Es bleibt an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass Geldzuwendungen bereits heute anrechnungsfrei sein können – wir haben das heute auch in der Zeitung gelesen –, sofern sie zweckgebunden sind. Und hier ist unser Antrag dahin gehend formuliert, dass die Landesregierung Kommunen, Unternehmen, also all diejenigen, die im Interesse von Kindern und Jugendlichen Mittel bereitstellen, darüber aufklären sollte, dass es zielführend ist, für ein Geldgeschenk einen beabsichtigten Verwendungszweck anzuführen. Deshalb werbe ich auch mit diesem Ansatz für unseren Antrag und fordere Sie auf, unseren Antrag zu unterstützen

(Beifall Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS, und Gabriele Měšťan, Die Linkspartei.PDS)

und die Landesregierung zu beauftragen, sich im Sinne des Antrages auf Bundesebene für die Anrechnungsfreistellung kindbezogener Leistungen in Bedarfsgemeinschaften einzusetzen und bis zur Herbeiführung eindeutiger Regelungen im Sinne des Antrages Kommunen und die Arbeitslosengeld-II-Familien mit Informationen und Empfehlungen so zu unterstützen, dass diese kindbezogenen Leistungen den Kindern und Jugendlichen zugutekommen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Danke, Frau Dr. Linke.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Tegtmeier von der SPD.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Sehr geehrte Frau Dr. Linke, ich war sehr gespannt, mit welchem Beitrag Sie diesen Antrag hier einbringen werden, nämlich vor dem Hintergrund unserer Aussprache am heutigen Morgen zum Thema Kinderbetreuung, bei dem die Beiträge ganz stark auf die Chancengleichheit von Kindern abzielten. Die Begründung, die Sie hier vorgetragen haben, richtet sich eigentlich in erster Linie darauf aus: Abschaffung von SGB II. Sie haben das auch ausgeführt. Hartz IV, da waren Sie immer schon dagegen. Viele Punkte haben sich durch Ihre kritischen Anmerkungen durchaus bestätigt. Wir haben jedoch nach der Diskussion am heutigen Morgen alle so ziemlich gleich die Überzeugung erlangt, um eine Chancengleichheit für unsere Kinder und Jugendlichen herzustellen, wollen wir Geld, wollen wir viel Geld, und das vom Bund, damit wir mit der fl ächendeckend ausgedehnten Betreuung unserer Kinder und Jugendlichen gut vorankommen können.

Eine Bundesinitiative, die kindbezogene Zuwendungen für die Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften anrechnungsfrei stellt, hört sich zunächst einmal sehr gut an.

Wenn man jedoch in die Begründung hineinschaut und sieht, was Sie darunter alles benennen – Begrüßungsgeld für Neugeborene, Kindergeld, Kindergeldzuschlag, Elterngeld –, und das alles unter dem Kontext sieht, dass Sie in der Überschrift Ihres Antrages auf eine chancengleiche Entwicklung abzielen, muss man doch schon mal sehr skeptisch werden.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Das glaube ich jetzt nicht. – Irene Müller, Die Linkspartei.PDS: Das steht doch gar nicht da.)

Ja, Anrecht auf chancengleiche Entwicklung – das steht da wohl so drüber.

Und wenn ich mir dann anschaue, wie unterschiedlich allein das Begrüßungsgeld kommunal bezahlt wird, zum einen sind es nur einige Kommunen, die es überhaupt zahlen. Ich würde behaupten, der große Teil der Kommunen zahlt es nicht,

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Das ist richtig.)

und die Kommunen, die es zahlen, zahlen es auch noch sehr unterschiedlich. Also dadurch erhalten Kinder ganz unterschiedliche Bevorteilungen.

Zum anderen ist das Kindergeld in Deutschland ja kein Sozialgeld, also keine Sozialleistung in dem Sinne, sondern es dient der Steuerfreistellung des elterlichen Einkommens, das muss man auch mal berücksichtigen. Deswegen glaube ich persönlich, dass die Finanzierung von mehr Kita-Plätzen über eine Absenkung der zu erwartenden Kindergelderhöhung sehr problematisch ausfallen könnte. Der Kindergeldzuschlag, den Sie beispielsweise auch noch ansprechen, der eine Sozialleistung ist, wird ja überhaupt nur bezahlt an Eltern, die selber ihr Existenzminimum sichern können.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Dann darf man das aber doch nicht gegenrechnen, verdammt! Oder doch?)

Das bekommt man ja dann dazu,

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Das wird gegengerechnet. – Irene Müller, Die Linkspartei.PDS: Das ist doch das Problem. – Zuruf von Birgit Schwebs, Die Linkspartei.PDS)

wenn ich nicht das Existenzminimum des mit mir zusammenlebenden Kindes unter 25 Jahre bestreiten kann.

Also diese Leistungen sind in ganz unterschiedlicher Höhe angesiedelt. Wenn ich mir die Geldgeschenke angucke: Der eine hat reiche Verwandte, der kriegt viel Geld zum Geburtstag oder sonst wann geschenkt, der andere wenig. Insgesamt ist es ja tatsächlich so, wir sehen, dass es vielen Kindern sehr schlecht geht

(Irene Müller, Die Linkspartei.PDS: Deswegen nehmen wir ihnen dann auch die Geschenke weg.)

und dass sie auch Sonderzuweisungen nicht für sich beanspruchen können. Aber da wir wirklich für eine bessere Chancengleichheit für alle Kinder sind, haben wir uns für einen anderen Weg entschieden.

(Zuruf von Birgit Schwebs, Die Linkspartei.PDS)

Darüber haben wir heute Morgen auch viel gesprochen. Wir wollen die Kita-Betreuung ausbauen. Wir haben eigentlich als oberstes Ziel einen Anspruch auf gebührenfreie Ausbildung von der Kinderkrippe bis einschließlich des Studiums, und das gekoppelt mit Erziehungshilfen für die Eltern. Das scheint uns der gerechtere Weg zu sein. Dafür brauchen wir auch viele Mittel des Bundes. Und wenn wir uns die Diskussion auf Bundesebene angucken, geht die ja eher dahin, die Regelsätze noch mal runterzusetzen statt hoch. Um eine Chancengleichheit im ALG II zu verbessern für unsere Kinder, könnte man über den Regelsatz als solchen verhandeln und einen höheren Regelsatz verlangen,

(Beifall Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Ja, das ist mal ein guter Ansatz.)

weil dieser Regelsatz für Kinder und die unterschiedlichen Entwicklungsstufen, die sie mitmachen, insgesamt zu niedrig angesetzt ist. Diese Meinung teile ich durchaus mit Ihnen. Außerdem teile ich auch die Meinung, die Frau Linke hier zu den Mindestlöhnen vertreten hat, ausdrücklich.