Protokoll der Sitzung vom 09.05.2007

Meine Damen und Herren, knapp ein Drittel der Kinder in Mecklenburg-Vorpommern lebt in einem Haushalt, in dem die Erwachsenen nicht mehr in der Lage sind, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern,

(Udo Pastörs, NPD: Das ist Ihre Politik.)

und das in einer Gesellschaft, in der die Zukunftschancen von Kindern ganz entscheidend vom sozialen Status des Elternhauses abhängen.

(Michael Andrejewski, NPD: Dank Ihnen.)

Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um die vordergründig betroffenen Arbeitnehmer, wenn wir über Mindestlöhne reden, es geht um die Familien, es betrifft ganze Bevölkerungsgruppen.

(Stefan Köster, NPD: Dann ändern Sie doch endlich was!)

Meine Damen und Herren, eine humane Gesellschaft kann es sich nicht leisten, auch nur ein Kind abzuschreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Udo Pastörs, NPD: Bla, bla, bla!)

Sie kann es sich nicht leisten, auch nur einem Kind nicht die notwendige Unterstützung und pädagogische Hilfe zu geben, die es braucht, um sich seinen Anlagen gemäß bestmöglich zu entwickeln und seinen Platz in dieser Gemeinschaft zu fi nden. Aber wie sollen sich Kinder positiv entwickeln, wenn sie ihre Eltern, wenn sie ihre Familie als ausgegrenzt empfi nden? Wie erleben sie unseren Staat, unsere Wirtschaftsordnung, wenn die Mutter oder der Vater täglich acht Stunden hart arbeitet, die Familie aber davon nicht leben kann, sondern ergänzend Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss?

(Michael Andrejewski, NPD: Die Sie gekürzt haben!)

Meine Damen und Herren, Löhne von 3 bis 4 Euro, Hungerlöhne von 3 bis 4 Euro, sind eine Verletzung der Menschenwürde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS – Volker Schlotmann, SPD: Sehr richtig.)

Und sagen Sie jetzt bitte nicht, solange diese Löhne ortsüblich sind, dürften sie nicht so bezeichnet werden.

(Barbara Borchardt, Die Linkspartei.PDS: Aber zumutbar sind sie.)

Wenn unsere europäischen Nachbarn Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Irland, Belgien, Luxemburg bei jeweils insgesamt geringerer Wirtschaftskraft in der Lage sind, Mindestlöhne von 8 bis 9 Euro festsetzen zu können, ohne dass dies zu Arbeitsplatzverlusten führt, wie können dann in einem deutschen Bundesland Löhne, die um mehr als 50 Prozent darunter liegen, moralisch gerechtfertigt sein?

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Meine Damen und Herren, solche Hungerlöhne für ehrliche Arbeit sind auf Dauer außerdem ein gefährlicher sozialer Sprengstoff.

(Michael Andrejewski, NPD: Genau. – Stefan Köster, NPD: Wer stellt die Regierung?)

Für die Rechtsextremen ist das die willkommene Möglichkeit zu versuchen, die Enttäuschung und den Frust der Betroffenen nutzbar zu machen für ihre aggressive Ablehnung dieses Staates, ihre aggressive Ablehnung unserer Demokratie und der Freiheitsrechte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und CDU – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Auch deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir alle Anstrengungen unternehmen,

(Zurufe von Raimund Borrmann, NPD, und Stefan Köster, NPD)

damit jeder eine Chance hat, in unserer Gemeinschaft mit dabei zu sein,

(Michael Andrejewski, NPD: Wie lange müssen Sie noch an der Macht sein? – Zurufe von Volker Schlotmann, SPD, und Stefan Köster, NPD)

damit jeder Arbeit fi ndet und der, der Arbeit hat, davon auch leben kann.

Meine Damen und Herren, welche wirtschaftlichen Folgen hat das aber, wenn wir Mindestlöhne einführen? Welche Folgen Kombilöhne haben, das liegt, glaube ich, auf der Hand. Die Unternehmen werden geradezu eingeladen, die Löhne zu senken und niedrig zu halten, um dann auf Kosten der Steuerzahler Zuzahlungen zu erreichen.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Jawohl, das wollen sie.)

Mindestlöhne, angeglichen an die Mindestlöhne unserer wirtschaftlich vergleichbar starken europäischen Nachbarn, würden die Unternehmen dagegen zwingen, beim Wettbewerb mit ihren Konkurrenten andere Stärken zu entwickeln, als auf einen Lohnkostenvorteil im Bereich der Geringverdiener zu setzen, also zum Beispiel auf technische Innovation, auf klügeres Management, langfristig sicherlich ohnehin die wettbewerbsfähigere Unternehmensstrategie. Dennoch ist nach den alten volkswirtschaftlichen Lehrbüchern schon im ersten Semester die Sache klar: Mindestlöhne führen zu weniger Beschäftigung, zu mehr Arbeitslosen. Je niedriger die Löhne, desto eher kann die Nachfrage gedeckt werden, es gibt also weniger Arbeitslose. So die Theorie. Die Realität im Zeitalter der Globalisierung sieht allerdings anders aus. Nicht nur, wenn wir unsere Arbeitslosigkeit bei gering Qualifi zierten vergleichen mit denen in Ländern, die relativ hohe Mindestlöhne haben, da sieht es dann nicht so aus, dass wir besser dastehen als die, sondern ganz im Gegenteil.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Eben, eben.)

Es gibt seriöse wissenschaftlich untermauerte Analysen zu den Auswirkungen der Mindestlöhne in den USA und in Großbritannien – da gibt es sie am längsten – und diese zeigen, dass von einem höheren Mindestlohn keine negativen Beschäftigungseffekte ausgehen. Der USSachverständigenrat hat das schon 1999 festgestellt, die britische Low Pay Commission kommt in ihrem jüngsten Bericht zum selben Ergebnis und im Oktober 2006 haben fünf amerikanische Ökonomie-Nobelpreisträger für einen höheren Mindestlohn plädiert. Es ist also auch volkswirtschaftlich mehr als vertretbar, der schädlichen Entwicklung eines Lohndumpings nicht tatenlos zuzusehen. Wir haben uns in Deutschland zu Recht gegen eine sich selbst überlassene unregulierte Marktwirtschaft entschieden und für eine sozial gesteuerte. Wir sind mit dieser sozialen Marktwirtschaft, mit starken Gewerkschaften, Mitbestimmung, Kündigungsschutz, sozialen Sicherungssystemen gut gefahren. Die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft hängt eben auch vom sozialen Frieden in der Gesellschaft ab. Soziale Marktwirtschaft braucht Leitplanken, damit Wettbewerb und Gewinnstreben in eine für alle verträgliche Richtung gelenkt werden. Dazu gehört dann auch, dass der Staat Rahmenbedingungen dafür setzt, dass die Gewerkschaften ihre Aufgabe wahrnehmen, ihre soziale Befriedungsfunktion erfüllen können. Sonst bleibt die staatlich garantierte Tarifautonomie ein leeres Versprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn Gewerkschaften sich gezwungen sehen, Tarifl öhnen von weit unter 4 Euro zuzustimmen, darf das nicht als Zeichen dafür gewertet werden, dass diese Löhne dann offenbar sogar von den Gewerkschaften selbst als angemessen angesehen werden. Das wäre zynisch. Hieran zeigt sich vielmehr überdeutlich, in welche Schiefl age wir geraten sind und wie notwendig es ist, für mehr Gleichgewicht zwischen den Tarifpartnern zu sorgen. Das ist vielleicht auch das wirksamste Mittel gegen Tariffl ucht, wie wir sie gerade wieder in diesem Land erleben und wie niemand sie, denke ich, gutheißen kann.

Meine Damen und Herren, die Einführung eines den Lebensunterhalt sichernden Mindestlohnes löst selbstverständlich nicht alle aktuellen sozialen Probleme, die es vor allem in Ostdeutschland gibt. Ich nenne nur das in manchen Regionen so schwierige Verhältnis von Arbeitslosen und offenen Stellen, dass das Prinzip „Fördern und Fordern“ oftmals unrealistisch erscheint oder die große Zahl der Langzeitarbeitslosen, von denen einige aller Voraussicht nach nie mehr in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können, dafür müssen noch Lösungen gefunden werden.

Die Einführung von Mindestlöhnen entfaltet aber schon für sich allein ganz sicher positive Wirkungen weit über das rein Finanzielle für den einzelnen Arbeitnehmer hinaus. Die Geringschätzung der Leistungen und Fähigkeiten einer großen Gruppe von Menschen wird beendet. Sie und ihre Familien – ich bitte das nicht zu vergessen – erhalten das klare Signal: Ihr seid nicht ausgegrenzt, Ihr gehört dazu, wir brauchen Euch.

Meine Damen und Herren, ich bitte alle demokratischen Parteien dieses Hauses, sich für die Einführung von Mindestlöhnen einzusetzen. Was die Höhe angeht, hat die SPD in Mecklenburg-Vorpommern auf ihrem Parteitag vor drei Wochen die Forderung der Gewerkschaften nach 7,50 Euro unterstützt. Ob das die richtige Zahl ist, ob vielleicht zwischen Ost und West differenziert werden muss, das können wir sicherlich noch im Einzelnen diskutieren mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, vielleicht auch mit Wissenschaftlern. Dieser Prozess wird ja noch andauern.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: 17 Jahre nach der Wende! Das darf doch aber nicht sein! – Zuruf von Irene Müller, Die Linkspartei.PDS)

Wo wir auf keinen Fall differenzieren dürfen, ist zwischen Männern und Frauen. Ganz im Gegenteil wollen wir da eine stärkere Angleichung erreichen. Frauen erhalten immer noch im Durchschnitt für gleiche Arbeit deutlich weniger Lohn und sie sind unter denen, die mit Löhnen zwischen 3 und 4 Euro abgespeist werden, weit überdurchschnittlich vertreten. Deshalb ist ein Mindestlohn in vernünftiger Höhe auch ein wichtiger Beitrag, um gerechtere Löhne für Frauen zu erreichen.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Sehr richtig.)

Ich bitte um ein gemeinsames Signal in Richtung Mindestlohn. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Sellering.

Das Wort hat jetzt der Wirtschaftsminister Herr Seidel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um zunächst auch jedes Missverständnis auszuräumen, ich will kein Lohndumping, ich will keine sittenwidrigen Löhne und ich akzeptiere auch nicht, wenn Arbeitnehmerrechte verletzt werden. Sittenwidrige Löhne sind in Deutschland verboten und sicherlich ist es notwendig, auch hier zu prüfen, inwieweit dieses noch rechtssicherer und damit auch durchsetzbarer formuliert werden muss.

(Irene Müller, Die Linkspartei.PDS: Wir haben sie aber.)

Aber wie ist die gegenwärtige Situation? Natürlich ist es so – und das ist eine wichtige Forderung –, dass die Existenzsicherung für jeden gegeben sein muss, und deswegen gibt es auch Instrumentarien, die wir jetzt schon haben, um mithilfe von aufstockenden Leistungen ein Einkommen für jeden zu sichern.

(Zuruf von Irene Müller, Die Linkspartei.PDS)

Um es auch gleich vorwegzusagen – und das wird Sie nicht sehr wundern –, ich sehe das Thema Mindestlohn, im Übrigen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn, über das Thema reden wir ja hier, wesentlich differenzierter als unser Koalitionspartner.

(Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS: Das merken wir schon lange. – Zuruf von Irene Müller, Die Linkspartei.PDS)

Und es ist so, dass angesichts der immer noch viel zu hohen Arbeitslosigkeit im Land und der Aufgabe, allerspätestens bis zum Jahr 2019 auch unter Beachtung der fi nanziellen Möglichkeiten wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen, die Einführung gesetzlicher branchenübergreifender Mindestlöhne eher Risiko als Chance für Mecklenburg-Vorpommern ist.

Die Koalitionspartner haben sich zu Beginn dieser Legislaturperiode die Aufgabe gestellt, die viel zu hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Ich will hier vielleicht doch einmal die Ziffer 1 des Koalitionsvertrages zitieren: „Das wirtschaftspolitische Ziel, das die Koalitionspartner beständig und berechenbar verfolgen, heißt: Wirtschaft stärken, Wachstum fördern und damit dauerhafte Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen.“ Mehr Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt und damit weniger Arbeitslose muss unser vorrangiges Ziel sein und das muss es auch bleiben. Das trägt entscheidend dazu bei, dass Menschen ihre Perspektive in diesem Land sehen, dass sie entweder hier bleiben oder nach Mecklenburg-Vorpommern zurückkommen und andere sich für uns als Wirtschaftsstandort entscheiden.

Meine Damen und Herren, es ist ja auch unübersehbar, dass wir hier durchaus auf gutem Wege sind. Das reicht aber alles noch nicht aus, gar keine Frage, und wir sind auch noch lange nicht am Ziel, aber ich glaube, wir haben allen Optimismus, hier entsprechend mitzuwirken.