Protokoll der Sitzung vom 12.07.2007

Also den Änderungsantrag der Fraktion der Partei DIE LINKE.

(Zuruf von Angelika Gramkow, DIE LINKE)

Im Zentrum beider Änderungsanträge steht die Frage – und ich denke, das wird auch das sein, was politisch am umstrittensten ist: Wie hält man es mit der Ausbildung der Erzieherinnen an Hochschulen? Die Koalitionsfraktionen haben sich dafür entschieden, alle Optionen zu prüfen, alle Optionen prüfen zu lassen, eine Reform im bestehenden System, im schulischen System, eine Reform, die sich einer Akademisierung stärker öffnet als bisher und eine Reform, die gegebenenfalls noch einen Schritt weitergeht und darüber nachdenkt, die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in eine duale Ausbildung zu überführen.

Den Antrag der Fraktion der Partei DIE LINKE werden wir deshalb ablehnen, weil er – und das bedaure ich etwas – genau das tut, was wir nicht tun sollten. Ich möchte uns alle ermuntern, dass wir in dieser Debatte nicht dem Weihnachtsmannsyndrom unterliegen, uns den roten Mantel umhängen, einen Sack voller Geschenke auf den Rücken schnallen, übers Land ziehen und viele Geschenke verteilen, aber alle ganz genau wissen, dass die Schecks, mit denen die Geschenke bezahlt wurden, nicht gedeckt sind und irgendwann platzen werden, nämlich bei den Eltern, die die Elternbeiträge zu bezahlen haben, und bei den Kommunen, die ihre Zuschüsse entsprechend auch zu leisten haben.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Haben Sie kein Vertrauen in die Große Koalition, dass das kommt?)

Wir sind parteiübergreifend der Auffassung, dass wir die Elternbeiträge absenken sollten, dass wir darüber nachdenken sollten, ob wir die Gruppengrößen in den Kitas verkleinern, dass wir Bildungsprozesse unterstützen, dass wir gegebenenfalls auch kostenloses Essen an den Kitas einführen. Aber niemand von uns, niemand hat bis heute einen seriösen Finanzierungsvorschlag auf Landes- oder Bundesebene dafür. Und es wäre unredlich und man würde den Menschen in diesem Land Sand in die Augen streuen, wenn man als nächsten ungedeckten Scheck, als nächstes Projekt oben draufpacken würde, dass alle Erzieherinnen und Erzieher in Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern an der Hochschule ausgebildet werden und dementsprechend auch ein analoges Gehalt empfangen würden. Sie wissen, dass im Bereich der Kindertagesstätten die hauptsächlichen Kosten durch Personal entstehen. Und wenn Sie dort eine Hochschulausbildung generell einführen, werden Sie Kostenexplosionen haben, die von Eltern, von Kommunen und vom Land zu tragen sind. Da wir aber schon für die anderen Versprechen und Ziele bis heute keine Deckung haben, sollten wir uns selbst nicht damit überfordern, Forderungen zu stellen, die erkennbar nicht realisierbar sind, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

(Zuruf von Angelika Gramkow, DIE LINKE)

Und, meine Damen und Herren, ich möchte darüber hinaus auch sagen, sie sind nicht nur nicht fi nanzierbar, sie sind auch nicht notwendig.

(Jörg Heydorn, SPD: Das ist auch nicht notwendig. Das ist auch nicht notwendig.)

Es ist eine Legende, dass im internationalen Vergleich alle Erzieherinnen und Erzieher auf Hochschulniveau ausgebildet sind. Was wahr ist, ist, dass Deutschland da einen Rückstand hat. Das heißt, in anderen Ländern arbeiten selbstverständlich in Kindertagesstätten multiprofessionelle Teams, wo auch an der Hochschule ausgebildete Pädagoginnen dabei sind. In dieser Hinsicht hat Deutschland in der Tat einen Rückschritt. Wir alle bekennen uns dazu, dass wir diesen Rückschritt überwinden wollen. Aber man muss, um diesen Rückschritt zu überwinden, nicht in entgegengesetzter Richtung übertreiben und glauben, dass alle eine Hochschulausbildung in der Kita haben müssen,

(Beifall Jörg Heydorn, SPD, und Thomas Schwarz, SPD – Jörg Heydorn, SPD: Sehr richtig. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

denn stellen Sie sich das bitte nur praktisch vor: Wir haben in diesem Land 7.000 Erzieherinnen. An der Hochschule Neubrandenburg gibt es jährliche Aufnahmekapazitäten für genau 20 Erzieherinnen. Das heißt, selbst wenn wir annehmen, dass nur Personen, die in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten wollen, dort ausgebildet werden, dass alle ihren Abschluss machen und niemand sein Studium unterbricht, bräuchten wir ungefähr 350 Jahre, um entsprechenden Ersatzbedarf zu stillen. Wir stehen dort in der Tat deshalb vor so großen Herausforderungen, dass wir uns insgesamt mit solchen Forderungen nicht überfordern sollten.

(Heiterkeit bei Barbara Borchardt, DIE LINKE: Na, da haben Sie sich jetzt aber selber übertroffen bei der Berechnung.)

Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht als letzten Satz, als letzte Anmerkung folgender Überzeugung Ausdruck verleihen: Ich glaube, es ist mittelfristig nicht nur nicht fi nanzierbar, es ist, wie gesagt, auch nicht nötig. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Mensch auch ohne Abitur, auch ohne Hochschulabschluss in der Lage ist, aufopferungsvoll, liebevoll und kompetent mit Kindern umzugehen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Das betrifft nicht nur Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land, sondern alle Eltern in Mecklenburg-Vorpommern. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Bildungsminister Herr Tesch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Wert der pädagogischen Arbeit in den Kindertageseinrichtungen für die Entwicklungs- und Lernbiografi en von Kindern ist unbestritten. Ob Delphi, PISA oder IGLU, durch die Ergebnisse der Studien und Untersuchungen fordern Erzieher, Wissenschaftler und Bildungspolitiker zu Recht eine Reform der Erzieherausbildung. Puppenecke, Bastelteppich, Sandkasten – dieses Bild vom Kindergarten

ist nicht bloß überholt, es trifft selbst auf die Anfänge dieser Einrichtung kaum zu. Schon Friedrich Fröbel, der 1840 den ersten Allgemeinen Deutschen Kindergarten in Blankenburg gründete, wollte Kindern zu selbstgefundenen Wahrheiten verhelfen. Er ließ deswegen auch die Kindergärtnerinnen speziell schulen.

Veränderte Lebenswelten, Familienstrukturen und so ziale Rahmenbedingungen sowie gesteigerte Erwartungen an Erziehung, Bildung und Betreuung prägen die Anforderungen im Bereich der Kinder und Jugendlichen und der Jugendhilfe entscheidend. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch für mich die Anforderung an die Qualität der Fachkräfte mit neuer Dringlichkeit. Erzieherinnen und Erzieher müssen in der Lage sein, die Veränderungen im Leben der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien zu erkennen. Sie müssen die Angebotsstruktur darauf ausrichten und pädagogisch angemessen reagieren. Im Übergang von der Kindertagesstätte zur Schule nehmen Erzieherinnen und Erzieher eine Schlüsselfunktion ein. Sie unterstützen entscheidende Entwicklungsprozesse durch die ganzheitliche Förderung der Persönlichkeit des Kindes.

Dazu bedarf es einer fundierten pädagogischen Ausbildung des Fachpersonals. Eine Reform der Erzieherausbildung ist unabdingbar. Die tragenden Säulen dieser Reform sind für mich:

1. die Erneuerung der grundständigen Berufsausbildung

2. die Fort- und Weiterbildung in Schwerpunktbereichen

3. der Ausbau der Akademisierung

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und Jörg Vierkant, CDU – Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Die erste Säule, die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher, ist ein umfassendes Aufgabenfeld für die anstehenden Reformen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zurzeit ist der Erzieherberuf in der Bundesrepublik Deutschland ein dreijähriger Weiterbildungsberuf. Vorgeschaltet ist in der Regel die zweijährige Ausbildung zum Sozialassistenten. Darauf setzen drei Jahre Weiterbildung zum Erzieher auf. Bis ein junger Mensch Erzieher ist, vergehen ganze fünf Jahre Ausbildungszeit. Ergänzt um die Qualifi kation zum Facherzieher dauert sie bislang sogar sechs Jahre. Dies allein ist mit Blick auf die Lebensplanung junger Menschen wenig attraktiv für die Berufswahl. Hinzu kommt die auch im vorliegenden Antrag benannte mangelnde Spezialisierung und Praxisnähe. Das Problem ist die für die Freizügigkeit der Berufsausübung notwendige bundesweite Anerkennung der in den Ländern erreichten Berufsabschlüsse.

Durch die Kultusministerkonferenz ist festgelegt, dass staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher für die Arbeit mit Kindern im Alter von 0 bis 18 Jahren ausgebildet sein müssen. Allerdings haben die Länder Spielraum, um auch eine Spezialisierung auf bestimmte Altersgruppen und unterschiedliche Einrichtungen der Jugendhilfe einzuführen. Mecklenburg-Vorpommern hat diese Möglichkeit in den Jahren 2005 und 2006 im Rahmen eines Modellprojektes genutzt. Aber das ist nicht ausreichend.

In der Koalitionsvereinbarung ist die Anpassung der Erzieherausbildung an die gewachsenen Herausforderungen festgeschrieben, denn die hohen Ansprüche an die Qualität der frühkindlichen Bildung, die mit dem Kindertagesförderungsgesetz von Mecklenburg-Vorpommern normiert sind, korrelieren mit einem hohen Anspruch an die Erzieherausbildung.

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Ja, ja.)

Der Anfang ist gemacht. Mit Schuljahresbeginn 2007/2008 gilt für das erste Ausbildungsjahr eine neue Verordnung. In der modifi zierten Ausbildung sind entsprechende Praxisanteile bereits integriert. Es ist zudem geregelt, dass zum Beispiel die Abschlussnote auf dem für die Zulassung eingereichten Zeugnis, im Allgemeinen ein Realschulabschluss, in Zukunft die Mittlere Reife, einen Durchschnitt von maximal 2,5 betragen soll. Seiteneinsteiger aus einem anderen Beruf müssen zusätzlich ein 600-stündiges einschlägiges Praktikum nachweisen. Dies ist ein erster guter Schritt auf dem Weg der angestrebten Veränderungen.

Gerade bei dieser Berufsaubildung müssen wir in den nächsten Jahren verstärkte Anstrengungen unternehmen. Es wird, wie in anderen Berufsfeldern und vor allem in anderen pädagogischen Bereichen darum gehen, die notwendige Spezialisierung zu erreichen. Ich hoffe, dass die Diskussion zum Stellenwert der Kindertagesbetreuung dazu beiträgt, die Bereitschaft und die Mehrheiten für die notwendige Neuordnung der Erzieherberufe zu erreichen. Mit Blick auf unsere europäischen Nachbarn täten wir gut daran, neue Berufsbilder zu entwickeln. Wir brauchen aus meiner Sicht den Vorschulpädagogen als Fachkraft für die frühkindliche Bildung und Erziehung

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE, Jörg Vierkant, CDU, und Hans Kreher, FDP)

ebenso wie die Spezialisten für die außerschulische Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und die Spezialisten für die Hilfen zur Erziehung. Ich werde mich dafür einsetzen, dies auf die Tagesordnung der Kultusministerkonferenz zu bringen. Aber ich werde nicht warten, bis alle notwendigen Entscheidungen für eine bundesweite Veränderung erreicht sind.

(Beifall Hans Kreher, FDP)

In unserem Land besteht Handlungsbedarf. In den kommenden zehn Jahren werden wir durch den anstehenden Generationswechsel bei den Erziehern jährlich 300 Stellen neu besetzen müssen. Es geht darum, den Berufsanfängern einen guten Einstieg und Perspektiven zu bieten. Dazu gehört eine anspruchsvolle Erstausbildung auf dem Niveau einer höheren Berufsfachschule mit integrierten Praxisanteilen. Diese muss zudem in einer angemessenen Zeit absolviert werden können. Meine Vorstellung ist eine Ausbildungszeit von maximal vier Jahren, in der zugleich die Fachhochschulreife erreicht wird. Wir könnten so einen hohen Ausbildungsstandard und berufliche Perspektiven sichern. Über diesen Weg wird auch mit der vom Landtag initiierten Bildungskommission zu reden sein. Fakt ist, dass jedes nicht richtig gefüllte Ausbildungsjahr gut 1,3 Millionen Euro hier im Land verbrennt und zugleich ein Lebensjahr für junge Menschen kostet. Nicht zuletzt deshalb gehört die Ausbildung zum Sozialassistenten als Voraussetzung für den Erzieherberuf auf den Prüfstand.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und DIE LINKE – Andreas Bluhm, DIE LINKE: So ist es.)

Baden-Württemberg hat bereits die Notbremse gezogen. Die Reduzierung der Erzieherausbildung auf nur drei Jahre ist jedoch im Alleingang erfolgt und sprengt die Grenzen der Kultusministerkonferenzvereinbarung. Dies führt dazu, dass die Ausbildung von den anderen Ländern nicht anerkannt wird. Ich setze auf den Dreiklang: Qualität der Ausbildung, Verkürzung der Ausbildungszeit und bundesweite Anerkennung auch mit der Perspektive, in der KMK aktiv zu werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Harry Glawe, CDU: Sehr richtig.)

Dies ist im Interesse der jungen Menschen und ihrer Freizügigkeit bei der Berufsausübung, auch wenn wir hierfür einen längeren Atem brauchen, hervorragend. Mein Haus wird deshalb zunächst im Rahmen eines Schulversuches handeln. Beginnend im Schuljahr 2008/2009 werden wir zunächst an einem Standort im Land den neuen Ausbildungsgang anbieten. Ein erstes Konzept für dieses Projekt liegt vor.

Die zweite wichtige Säule der Reform ist die Fort- und Weiterbildung, denn es reicht nicht aus, nur die Ausbildung zu reformieren. Mit dem Gesetz sind die Verpfl ichtungen für Fachkräfte, die Leiterinnen sowie die im Vorschuljahr tätigen Erzieherinnen klar geregelt. Diese Vorgaben sind nicht nur im Interesse der Kinder umzusetzen. Fort- und Weiterbildung sind ein Schlüssel zu andauerndem Berufserfolg und damit zur Berufszufriedenheit. Diese Tatsache und nicht nur die gesetzliche Norm nimmt alle Beteiligten in die Pfl icht.

Handlungsbedarf besteht in zwei Aufgabenbereichen. Wir brauchen für die pädagogische Arbeit in den Kindertageseinrichtungen des Landes eine verlässliche Evaluation und wir müssen hierauf aufbauend Schwerpunkte der Fort- und Weiterbildung vereinbaren.

Sehr geehrte Damen und Herren, Fort- und Weiterbildung in unserem Land bedarfsgerecht anzubieten heißt, der erreichten Qualität der pädagogischen Arbeit, den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Zugleich muss der Zugewinn an berufl icher Bildung erkennbar und gegebenenfalls als Mehrwert für die berufl iche Entwicklung einsetzbar sein. Es ist deshalb meine Überzeugung, dass große Teile des Angebotes als anrechenbare Module für einen akademischen Abschluss bereitgestellt werden müssen. Zukünftig wird es in Mecklenburg-Vorpommern eine berufsbegleitende Weiterbildung von Leiterinnen und Fachberaterinnen geben, die, so ist es vorgesehen, auf den Erwerb eines Bachelorabschlusses ausgerichtet ist.

(Zuruf von Angelika Gramkow, DIE LINKE)

Hierzu laufen gegenwärtig in meinem Haus intensive Abstimmungsprozesse mit der Hochschule Neubrandenburg.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Um den Bedarf an einer solchen Ausbildung decken zu können, gibt es erste Überlegungen zu Kooperationen staatlicher und freier Bildungsträger.

Die dritte Säule der Reform ist für mich die Akademisierung der Ausbildung.