Protokoll der Sitzung vom 20.09.2007

Wir geben diese Vorschläge in den kommenden Wochen im Rahmen der Haushaltsberatungen erneut ein und können sie dort erörtern.

Verehrte Abgeordnete, Kinderarmut ist ein bundesweites Thema. Mit vorliegendem Antrag bitten wir deshalb die Landesregierung, sich im Bundesrat dafür einzusetzen:

erstens, dass endlich die Bedarfe der Kinder korrekt ermittelt werden und parallel eine grundsätzliche Reform des Kinderzuschlages an Eltern mit geringem Einkommen erfolgt –

(Beifall Angelika Gramkow, DIE LINKE, und Irene Müller, DIE LINKE)

im Koalitionsvertrag der Bundesregierung war dieses angekündigt, steht jedoch bislang noch aus –,

zweitens, dass die Regelsätze für Kinder erhöht werden, um die Preiserhöhungen der letzten Jahre zu kompensieren – der Regelsatz der unter 15-Jährigen sollte von gegenwärtig 208 auf 250 Euro und der über 15-Jährigen von 278 auf 320 Euro erhöht werden –,

drittens, dass die einmaligen Beihilfen nach dem BSHG für Kinderbekleidung und Schulbedarf sowie anlässlich besonderer Feierlichkeiten wie Einschulung, Jugendweihe beziehungsweise Konfi rmation, Kommunion, der Bar- beziehungsweise Bat-Mizwa oder vergleichbarer Feierlichkeiten wieder eingeführt werden,

(Beifall Angelika Gramkow, DIE LINKE, und Regine Lück, DIE LINKE)

viertens die Mehrwertsteuer für Kinderprodukte des täglichen Bedarfs auf sieben Prozent abgesenkt wird.

Meine verehrten Damen und Herren Abgeordnete, in allen Orten Deutschlands wird darüber diskutiert, jedes Land zum kinder- und familienfreundlichsten Land zu machen.

Und dennoch werden Eltern deutlich schlechter gestellt als Tierhalter. Das kann ja wohl nicht sein!

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, wir anerkennen mit unserem Antrag, dass wir in einer offenen, von kultureller Vielfalt geprägten Gesellschaft leben. Wir lesen Wladimir Kaminer, Lion Feuchtwanger, wir freuen uns über Asamoah. Wir würdigen ihre Leistungen. Ihre Erfahrungen sehen wir als Bereichung unseres Lebens an und wir beziehen die Kinder ihrer Völker, so sie denn hier bei uns leben, ausdrücklich in unseren Antrag ein. Deutschnationalistische Beschränktheit, von der auch der vorliegende Antrag der NPD zeugt, hat Deutschland und die Völker Europas im vergangenen Jahrhundert in großes Unglück gestürzt. Gegenwart und Zukunft gestalten heißt auch, aus der Vergangenheit die richtigen Lehren zu ziehen.

Meine Fraktion weiß sich mit den genannten Forderungen in Übereinstimmung mit dem DPWV, Unicef, dem Deutschen Kinderschutzbund, den Kirchen, vielen Vereinen und Verbänden, Eltern und Pädagogen, mit Politikern anderer Parteien, der CDU/CSU, aber auch der SPD. Bundesminister Müntefering hat sich heute geäußert. Landesminister Sellering hat in seiner Pressemitteilung vom 12.09. im Sinne des vorliegenden Antrages ebenfalls eine Stellungnahme abgegeben.

Ich lese die ddp-Nachricht und kann Herrn Caritas-Präsident Neher zitieren. Er forderte die Bundesregierung heute auf, die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger an die Kostensteigerungen anzupassen. Nichts anderes wollen wir. Und Herr Müntefering hat heute verlautbart, Kinder könnten auch deshalb arm sein, weil sie aus Kostengründen keinen Kindergarten besuchen könnten, schlecht ernährt seien oder weil ihnen Schulbücher fehlten.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Späte Einsicht, aber sie kommt.)

Auch das zu verändern, ist die Intention unseres Antrages.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, lassen Sie uns heute anlässlich des Weltkindertages durch Annahme dieses Antrages einen Schritt zur Verbesserung der Lebensbedingungen unserer Kinder gehen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Dr. Linke.

Um das Wort hat gebeten der Sozialminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Sellering. Herr Sellering, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema ist Teil dessen, was die SPD im April auf ihrem Parteitag beschlossen hat, wo es um Familienpolitik ging und wir das Programm „Kinderland MV“ beschlossen haben. Die Bekämpfung der Kinderarbeit in Mecklenburg-Vorpommern ist sicherlich,

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE: Armut!)

der Kinderarmut ist eines der wichtigsten Anliegen unserer SPD, aber auch hier der Landesregierung. Wir kennen ja die Zahlen im Land. Über 30 Prozent der Kinder leben in Haushalten, in denen die Eltern nicht in der Lage sind, den Lebensunterhalt sicherzustellen. Das ist eine große und wichtige Herausforderung und da müssen wir große Anstrengungen unternehmen, um zu helfen.

Völlig klar ist, dass Kinderarmut vor allem da anzutreffen ist, wo die Eltern, die Familie insgesamt, in prekären, schwierigen fi nanziellen Verhältnissen leben. Und wenn wir in dem Zusammenhang von Armut reden, dann sprechen wir nicht nur von materieller Armut, sondern gleichzeitig auch von sozialer, von kultureller Armut, davon, dass Kinder ausgegrenzt sind, keine Chancen haben. Sehr häufi g ist es so, dass in vielen Familien, die betroffen sind, auch der innere Zusammenhalt verloren gegangen ist, dass der soziale Kontakt zur Umwelt nur noch gering und einseitig ausgeprägt ist

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

und dass auch soziales Verhalten bei den Kindern nicht mehr so gelernt wird, dass sie erfolgreich in dieser Gesellschaft teilnehmen können. Viele Eltern sind überfordert von der Erziehung, sind krank, haben psychische Probleme, können ihren Kindern nicht die nötige Unterstützung und Begleitung geben.

Meine Damen und Herren, wir fi nden natürlich solche Verhältnisse besonders häufi g dort, wo Arbeitslosigkeit, auch lang andauernde Arbeitslosigkeit ist. Lang andauernde Arbeitslosigkeit führt letztlich zu einer schleichenden Zersetzung familiärer Strukturen. Damit ist völlig klar, das beste Mittel, Menschen zu helfen, ist, ihnen eine Perspektive zu geben, sie an der Arbeitswelt und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Es geht um die Gelegenheit, persönliche Anerkennung zurückzugewinnen durch eine sinnvolle Tätigkeit, durch eine gut bezahlte Tätigkeit.

Wir wissen alle, dass die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch ist in Mecklenburg-Vorpommern. Aber man wird auch sagen müssen, wenn man über dieses Problem spricht, der Trend ist positiv. Es zeichnet sich ab, dass der wirtschaftliche Aufschwung, den wir haben, sich verstetigt. Die Zahl der sozialversicherungspfl ichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt deutlich an. Wir haben vieles davon gestern im Rahmen der Aktuellen Stunde gehört. Ich will das nicht wiederholen.

Mir ist aber auch sehr wichtig der Hinweis darauf, dass es nach wie vor hier im Land viele gibt, die Arbeit haben, 40 Stunden fl eißig arbeiten und die dennoch auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen sind. MecklenburgVorpommern ist leider Niedriglohnland und das heißt auch, dass dort, wo Arbeit ist, dennoch Familien vielfach von Armut bedroht sind. Deshalb fordert die SPD einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn.

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Volker Schlotmann, SPD)

Meine Damen und Herren, dort, wo wir keine regulären Arbeitsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt anbieten können, versuchen wir, den Betroffenen durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu helfen. Viele Tausend sinnvolle gemeinnützige Tätigkeiten, auch in den Kommunen, werden staatlich unterstützt und integrieren die Beschäftigten wieder in den berufl ichen Alltag.

Klar ist aber auch, ich glaube, das müssen wir deutlich und ehrlich sagen, in Mecklenburg-Vorpommern wird der Abbau der Arbeitslosigkeit, vor allem der Langzeitarbeitslosigkeit noch ein langer Weg für uns sein, ein langer Weg, der nicht sehr leicht ist. Und ich meine, dass bis zum Erreichen dieses Ziels sichergestellt sein muss, dass die Sozialsysteme, und damit meine ich in erster Linie SGB II, dass die auch existenzsichernd ausgestaltet sind für die Familien, vor allem für die Kinder.

Praktisch seit Anfang 2005, als die zwei großen steuerfi nanzierten Sozialleistungssysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im SGB II zur Grundsicherung zusammengelegt worden sind, wird hier eine breite Debatte darüber geführt, auch hier im Landtag, ob diese Leistungen ausreichen. Und bei dieser Diskussion stand die Höhe der gesetzlichen Regelsätze für Erwachsene und Kinder immer im Vordergrund. In letzter Zeit haben wir auch deshalb darüber diskutiert, weil wir Preiserhöhungen im Bereich von Milch, Milchprodukten, Brot und anderen Konsumgütern des täglichen Bedarfs haben.

(Irene Müller, DIE LINKE: 49 Cent.)

Ich bin froh, dass wir sagen können, dass der Bundesarbeits- und -sozialminister zurzeit die Anhebung dieser Sätze prüft.

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Sind Sie dafür, Herr Minister?)

Es ist so, dass in der aktuellen Diskussion über die Regelsätze und über das Thema Kinderarbeit,

(Irene Müller, DIE LINKE: Armut.)

Kinderarmut für mich vier Punkte im Vordergrund stehen. Wenn es zu drastischen Preissteigerungen der Grundnahrungsmittel kommt, dann muss selbstverständlich eine rasche Aktualisierung der Sätze möglich sein, dann reicht es nicht zu sagen, das prüfen wir in zwei bis drei Jahren bei der nächsten Verbrauchsstichprobe.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Deshalb begrüße ich auch, dass Müntefering gesagt hat, ich will das prüfen, und er deutlich gemacht hat, dass gegebenenfalls eine rasche Erhöhung der Sätze erfolgen kann.

Für mich ist aber auch klar, und das habe ich in den letzten Monaten immer wieder gesagt, dass wir zur Berechnung des Regelsatzes für Kinder ein anderes Bedarfsermittlungssystem brauchen, als wir es bisher haben.

(Beifall Ute Schildt, SPD, und Angelika Gramkow, DIE LINKE)

Es reicht nicht aus zu sagen, wir rechnen aus, was ein alleinstehender Erwachsener braucht, und davon nehmen wir 60 oder 80 Prozent, je nachdem, wie alt die Kinder sind,

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

sondern wir müssen den Bedarf für Kinder konkret ermitteln. Wir müssen dabei auch berücksichtigen, wie viel die tägliche gesunde Ernährung eines Kindes kostet, welche fi nanziellen Mittel vernünftigerweise zum Beispiel für die Anschaffung von Schulmaterialien zur Verfügung gestellt werden müssen. Und wenn sich ergibt, dass eine solche sorgfältige Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass die aktuellen Regelsätze nicht ausreichend sind, dann muss selbstverständlich möglichst schnell eine Erhöhung vorgenommen werden. Dafür würde ich mich auch auf Bundesebene starkmachen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Mir ist aber in dieser Debatte um Kinderarmut, um Kindern zu helfen, ein dritter Punkt sehr wichtig. Wer Kindern ernsthaft helfen will, wer Chancengleichheit für alle Kinder erreichen will, der erreicht das nicht in erster Linie dadurch, dass die Eltern mehr Geld im Portemonnaie

haben. Aus meiner Sicht ist ein ganz wichtiges Anliegen, dass der Staat Kinder noch mehr als bisher direkt unterstützt. Eine solche direkte Leistung ist zum Beispiel die Ermäßigung der Elternbeiträge für Kitas im letzten Vorschuljahr,

(Irene Müller, DIE LINKE: Kostenfrei.)