Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in Europa brauchen sichere und faire Arbeitsbedingungen. Gute und faire Arbeitsbedingungen sind neben einem angemessenen sozialen Schutz unabdingbar für die Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgerinnen und Bürgern. In diesem Sinn ist es zu begrüßen, dass die EU-Kommission die Frage aufgreift, inwiefern in einem zusammenwachsenden europäischen Arbeitsmarkt die Unterschiede zwischen den jeweiligen Mitgliedsstaaten in Umfang und Tiefe der arbeitsrechtlichen Bestimmungen Auswirkungen auf die Situation der Beschäftigten und der Unternehmen in Europa haben. Es ist auch zu begrüßen, dass die EU-Kommission bei ihren Überlegungen im Grundsatz sowohl die Belange der Beschäftigten als auch die Belange der Unternehmen in ihre Betrachtungen einbezieht.
Man darf dabei jedoch nicht unberücksichtigt lassen, dass in den unterschiedlichen Mitgliedsstaaten Vorgaben im Bereich der Sozialversicherungssysteme oder etwa kollektivrechtlicher Regelungen in völlig unterschiedlicher Art geregelt und praktiziert werden. So ist zum Beispiel die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur über das Tarifvertragsgesetz einzelgesetzlich geregelt, sondern auch ausdrücklich über Artikel 9 Grundgesetz verfassungsrechtlich geschützt. Allein um die eingangs angeführte Akzeptanz der Europäischen Union bei den Menschen nicht über Gebühr zu belasten, muss daher darauf geachtet werden, dass bei dem Ziel, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Europäischen Union zu entwickeln, die unterschiedlichen Traditionen in den einzelnen Mitgliedsstaaten Berücksichtigung fi nden.
Wichtig ist daher, unabhängig von der Verantwortung des einzelnen Mitgliedsstaates für die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsrechtes in der Europäischen Union, dort, wo, es der Schutz der Beschäftigten erfordert, wo es die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Europäischen Union gebietet, um damit Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und die Sicherung eines funktionierenden Binnenmarktes zu gewährleisten, über die Grenzen der einzelnen Mitgliedsstaaten hinweg gemeinsame soziale Mindeststandards zu vereinbaren. Die Unterschiede der einzelnen Mitgliedsstaaten bei den ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen zeigen, dass ein einziges Modell keine Lösung für alle sein kann. Wir brauchen auf der einen Seite europaweite Mindeststandards, wir brauchen aber auch die Möglichkeit weitergehender nationaler Regelungen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, die eben gemachten Grundaussagen vorausgeschickt, einige Kernaussagen aus Sicht meiner Fraktion zusammenfassen. Nach Auffassung der SPD-Fraktion ist und bleibt der Schutz der Beschäftigten durch Arbeitsgesetze, Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung das vorrangige Ziel bei der weiteren Ausgestaltung des Arbeitsrechts.
Das erfolgreiche Wechselspiel aus Vertragsfreiheit und Tarifautonomie eröffnet bereits heute im deutschen Arbeitsrecht die notwendige Flexibilität, um jeweils die notwendigen Anpassungen im Arbeitsverhältnis vorzu
Die deutschen Unternehmen sind gut damit gefahren, dass sie Beschäftigung in kündigungsgeschützten Arbeitsverhältnissen anbieten. Zwischen Arbeitsplatzsicherheit einerseits und Arbeitsproduktivität andererseits besteht ein enger, nicht aufl ösbarer Zusammenhang. Zu einer angemessenen Balance zwischen Flexibilität und Sicherheit gehören auch faire Löhne. Armutslöhne sind kein solides Fundament wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung.
Wer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit wirtschaftlichen Sorgen zurücklässt, fördert die Demotivation, mangelnden Zusammenhalt und politische Instabilität. Nach Auffassung meiner Fraktion ist und bleibt auch unter Berücksichtigung aller sinnvollen Abweichungen darüber hinaus das unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnis, aus dem Ansprüche aus der Sozialversicherung bei Arbeitslosigkeit, im Krankheitsfall und zur Existenzsicherung im Ruhestand erworben werden, das Standardarbeitsverhältnis.
Dort, meine Damen und Herren, wo beschäftigte Unternehmen gemeinsam ein Interesse an der fl exibleren Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses haben, können und sollen auch andere Beschäftigungsformen ihren Platz fi nden. Dies ist heute schon der Fall, wie zum Beispiel im Bereich der Teilzeitbeschäftigung zur Vereinbarung von Familie und Beruf.
Letzter Punkt: Die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung muss präziser defi niert werden. Scheinselbstständigkeit und neue Beschäftigungsformen wie Praktika oder Volontariate dürfen nicht zur Aushebelung von Arbeitnehmerrechten missbraucht werden. Leiharbeit, meine Damen und Herren, soll nach Auffassung der SPD-Fraktion als Brücke in ein reguläres Arbeitsverhältnis dienen und keine Umgehung des Normalarbeitsverhältnisses sein.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass ich damit einige, aber wesentliche Positionen meiner Fraktion zu diesem Thema verdeutlichen konnte. Aber gestatten Sie mir abschließend noch zwei Sätze zu dem vorliegenden Antrag. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, selbstverständlich wird sich meine Fraktion – übrigens nicht nur hier im Landtag, sondern auch außerhalb dieses Hauses – auch zukünftig, wie in Ihrem Antrag angesprochen, konstruktiv und ergebnisoffen an der Debatte über die Weiterentwicklung des Arbeitsrechtes in der Europäischen Union beteiligen. Dazu und um die vorgenannten Positionen zu fi xieren, bedarf meine Fraktion keines Antrages der Fraktion DIE LINKE. Weder Europa noch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa brauchen einen jener Anträge, wie den hier vorliegenden, Anträge, die nur für das gute Gefühl da sind, ohne dass sie konkrete Auswirkungen für die Betroffenen haben,
Anträge, die deswegen letztendlich niemandem wehtun, aber auch niemandem wirklich nutzen. Und erlauben Sie mir diesen Vergleich: Wenn wir in der Medizin wären, würde man wahrscheinlich von Placebo sprechen.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das mit dem Placebo, das merke ich mir. Das merke ich mir mit dem Pacebo.)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE, dass Ihnen bekannt ist, dass die Normierung des bundesdeutschen Arbeitsrechtes Aufgabe des Bundes und nicht des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern ist, unterstelle ich einfach mal. Ich unterstelle auch weiter zu Ihren Gunsten, dass sich Ihre Bundestagsfraktion wie auch die SPD-Bundestagsfraktion in dem Stellungnahmeprozess des Bundes zum Grünbuch im Rahmen Ihrer zugegebenermaßen anderen Möglichkeiten als seitens der SPD-Bundestagsfraktion eingebracht hat. Die Bundesregierung hat bei der Beantwortung und Kommentierung im Rahmen ihres Konsultationsprozesses Länder und Sozialpartner beteiligt. Gegenüber der Bundesregierung haben der Bundesrat, die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie 16 weitere Verbände bis hin zum Deutschen Richterbund Stellungnahmen abgegeben. Meine Damen und Herren, um es abzuschließen: Die SPD-Fraktion wird an dieser Stelle hier heute Ihren Antrag ablehnen. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Gabriele Měšťan, DIE LINKE: Das ist ja schade. – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ich bin ja fassungslos.)
Zurück zum Antrag. Bei uns in der Fraktion herrscht Harmonie, das kann man ja von der Koalition manchmal nicht sagen,
(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)
wie man heute Vormittag, heute Nachmittag, heute Abend, eigentlich in jeder Landtagssitzung sehen kann. Na gut, da haben Sie ja noch ein bisschen Zeit zu üben.
Das Ziel der Europäischen Kommission, die nationalen Arbeitsmärkte insgesamt fl exibler und anpassungsfähiger zu machen, ist vom Ansatz her richtig, um den gestiegenen und weiter steigenden Anforderungen an die Unternehmen durch die Internationalisierung der Wirtschaft gerecht zu werden. Notwendige Umstrukturierungsmaßnahmen müssen planbarer, schneller und
kostengünstiger werden. Bei zum Beispiel unregelmäßigen Produktionszyklen ist es unverzichtbar, zumindest Teile der Belegschaft fl exibel einzusetzen.
Der vorliegende Antrag ist in Nummer 1 zwar durchaus begrüßenswert, denn die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen ist grundsätzlich sinnvoll beziehungsweise notwendig. Unbestritten ist es auch, nachhaltiges Wachstum mit mehr Arbeitsplätzen zu erzielen. Unbestritten ist ebenso das Ziel des Grünbuchs, auf den europäischen Arbeitsmärkten größere Flexibilität im Hinblick auf die vielfältigen Arbeitsvertragsformen mit größtmöglicher Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit zu verbinden.
Der Antrag ist inhaltlich in Nummer 2 aber klar abzulehnen, denn der Antrag der Fraktion DIE LINKE spricht sich letztlich für die vorgesehene Ausweitung des Arbeitnehmerbegriffs und für die Stärkung des kollektiven Arbeitsrechts aus.
(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Richtig. – Barbara Borchardt, DIE LINKE: So wie das Europäische Parlament.)
Es ist eben nicht richtig, dass mehr Flexibilität für Arbeitnehmer in erster Linie über die Aushandlung von Tarifverträgen erreicht wird, wie Sie es in Ihrem Antrag unter Nummer 3 ausführen.
Der Antrag der Fraktion DIE LINKE geht hinsichtlich des Verständnisses von Kündigungsschutzregeln von einem falschen Ansatz aus.
Natürlich, aus meiner Sicht. Aber wir sind ja hier in einem Parlament und können miteinander diskutieren.
In dem Antrag heißt es: „Starke Kündigungsschutzregeln haben keine negativen Auswirkungen auf das Beschäftigungswachstum.“ Dass insbesondere kleinere Unternehmen bei etwaigen Neueinstellungen eher zurückhaltender sind, wird auch die Fraktion DIE LINKE kaum bestreiten können. Ursache ist auch das komplizierte Kündigungsschutzrecht. Im Hinblick auf das Kündigungsschutzrecht ist daher festzuhalten, der Schutz vor etwaigen willkürlichen Kündigungen ist in Deutschland sehr klar geregelt.
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Die Abgeordnete Barbara Borchardt meldet sich für eine Anfrage.)
Der darüber hinausgehende besondere Kündigungsschutz ist trotz derzeit vergleichsweise – Frau Borchardt, nein, danke –
(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sie sind doch schlagfertig, Sie können doch jede Frage beantworten.)
erfreulicher Zahlen im Hinblick auf die Zunahme der Beschäftigtenzahlen grundsätzlich ein Einstellungshemmnis und verfehlt damit letztlich seine soziale Schutzfunktion, da er erfahrungsgemäß nur zu einer Vielzahl von Arbeitsgerichtsprozessen führt.