zu sein, beziehungsweise in seiner Familie Erfahrung mit Erwerbslosigkeit gemacht hat. Wie gesagt, 1,4 Millionen Einwohner und wir sprechen im Land Mecklenburg-Vorpommern von 560.500 sozialversicherungspfl ichtigen Arbeitsplätzen. Da fehlt eine Menge.
Eigenartigerweise sprechen wir in der offi ziellen Arbeitslosenstatistik von 127.500 Arbeitslosen. Da kann ja irgendwo nur die halbe Wahrheit da sein. Es ist schwierig, an die realen Zahlen der Arbeitslosigkeit hier im Land und derer, die darunter leiden müssen, zu kommen. Man muss schon einige verschiedene Statistiken zusammennehmen, um zu addieren, was in Wirklichkeit los ist. So hat die Arbeitsagentur selbst dargestellt, auf welche Art und Weise sie ihre Statistiken jetzt anders führt. Und die Zahl kann ja dann im Endeffekt für uns nur manipuliert sein, wenn zum Beispiel alle Personen, die sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befi nden, einfach nicht mehr zu Arbeitslosen gezählt werden. Eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme ist sehr endlich und hat nun wirklich und wahrhaftig und gar nichts mit einem festen Arbeitsplatz zu tun, auch nicht mit einem Arbeitsplatz, der mal ganz kurz aus einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme in einen festen Arbeitsplatz mündet. Das wissen sie ganz genau und deswegen wäre es auch sinnvoll, wenn die Arbeitsagentur diese Zahlen, diese Personen, diese Menschen, wo immer ein Schicksal dran hängt, wieder in ihre Arbeitslosenstatistik aufnehmen würde.
Wir hatten hier im Oktober dieses Jahres 264.493 Menschen, die in Hartz IV waren. Wieso eigentlich, wenn wir nur so wenig Arbeitlose haben? Das heißt, dass sie alle Regelsätze aus dem SGB II erhalten haben. Wieso eigentlich, wenn die Zahl so relativ klein ist? Das heißt unter anderem, dass 55.000 Kinder – ich betone, Kinder – unter 15 Jahren in Familien leben, wo Arbeitslosengeld II Fakt ist. Das bedeutet auch, dass 2.210 Jugendliche über 15 Jahren, aber noch nicht im erwerbsfähigen Alter, ebenfalls von dieser Armut betroffen sind. Sie gehören also zu Bedarfsgemeinschaften, die in Armut leben.
Wir haben hier schon mehrmals ausgeführt, was diese Armut für Kinder und Jugendliche im Hinblick auf ihre Entwicklung und ihre Perspektive bedeutet. Wir haben offi ziell im Land Mecklenburg-Vorpommern statistisch erfasst 92.000 Arbeitslose. Wie geht denn das? Das heißt ganz einfach auf der anderen Seite, wir haben hier im Land viele Menschen, die geschickt in Maßnahmen versteckt worden sind, sodass sie ganz einfach nicht mehr auffallen. Wir haben viele, die trotz Arbeit Aufstocker sind, die trotz ihrer Arbeit nicht von diesem Geld leben können und Geld bekommen, um leben zu können. Wir haben gestern in der Aktuellen Stunde darüber gesprochen.
Sie sehen, das Erwerbslosenparlament hat sich so zusammengefügt und bietet doppelt und dreifach Anlass für uns, darüber zu diskutieren. Wir haben in unserem Land seit Langem zu verzeichnen, dass der aktuelle Stand verschoben, verzögert oder vielleicht gar nicht dargestellt wird. Das Erwerbslosenparlament hat uns dazu mannigfaltigste Statistiken, Analysen und Studien zugeführt. Und wer es nun immer noch nicht glauben mag, dass er mit der offi ziellen Statistik Zahlen hinterherläuft, die ganz einfach nicht stimmen, den bitte ich eindringlich darum, einmal in die Papiere vom Erwerbslosenparlament zu sehen.
Sehen Sie auch unter der Maßgabe auf diese Papiere, dass im Erwerbslosenparlament quer durch alle Par
teien hinweg Menschen sind, die dort zusammentreffen, wo dieses Problem defi niert, analysiert und wo darüber gesprochen wird, denn es betrifft sie selbst.
Herr Sellering, wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn Sie durch Familienberatungen, die Kompetenzen der Familien stärken, erweitern, weiterbilden und Maßnahmen ergreifen, um positive Aspekte zu erringen. Aber wir haben harte Fakten. Mit diesen Maßnahmen haben wir noch lange keine existenzsichernde Arbeit auf die Art und Weise, dass Kinder und Jugendliche, die in diesen Familien leben, auch gleiche Chancen zur Bildung, zur Erziehung, zur Weiterbildung, zum Studium und zum Beruf haben. Die Regelsätze, und das sind die harten Fakten, sind nicht bedarfsgerecht. Die Regelsätze für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind auch nicht ausreichend, das hat uns das Erwerbslosenparlament ganz eindeutig mit auf den Weg gegeben.
Meine Damen und Herren, Niedriglöhne, wie Sie sie teilweise propagieren, als ob es die Revolution an sich wäre, sind Gift für die Wirtschaft, sind Gift für die Entwicklung unseres Staates und sind Gift für die Menschen. Wir haben es in unserem Land Mecklenburg-Vorpommern – das gilt auch für die anderen neuen Bundesländern –, mit 17 Jahren Massenarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit zu tun.
Wir haben es mit 17 Jahren Benachteiligung von Kindern in diesen Familien zu tun, die nicht existenzsichernde Einkommen haben.
Wir haben es mit 17 Jahren Fehlentwicklung im Bildungssystem und Fehlentwicklungen mit vielen anderen Systemen zu tun. Da müssen wir ran!
(Gino Leonhard, FDP: Sie waren doch acht Jahre dabei. Das ist unglaublich! – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Jetzt haben wir 17 Jahre Elend.)
Diese Fehlentwicklung bringt nicht nur Einschnitte in unsere Gesellschaft und verändert nicht nur einzelne Menschen, denn es sind ja nicht mehr einzelne Menschen, sie verändern unsere Gesellschaft auf eine Art und Weise, die wir hier in unserem Landtag erkennen müssen. Die Ergebnisse dieser gesellschaftlichen Veränderungen sitzen an der Fensterfront. Die Ergebnisse dieser gesellschaftlichen Veränderungen bemerken wir zum Beispiel, wenn es um Strukturen der Gewalt geht. Und das fängt schon ganz klein an, denn das sind nicht nur die Schulen in Kreuzberg. Wir wissen auch, auf welche Art und Weise unsere Pädagoginnen und Pädagogen hier im Lande arbeiten müssen, um Kinder und Jugendliche, die sich aufgrund ihrer Familie aus diesem Leben ausgegrenzt fühlen, so weit mitzunehmen, dass sie nicht zu Gewalt, Straftaten und so weiter und so fort neigen.
Wir wissen, dass diese Menschen auch plumpe Angelegenheiten von Diskussionen in sich aufnehmen und die Gesellschaft dadurch noch mehr Schaden nimmt. Also, meine Damen und Herren, tun wir was dafür, dass wir hier im Land Mecklenburg-Vorpommern als Parlament Vertrauen säen können, Vertrauen erhalten können, dass wir glaubwürdig sind, dass wir …
… etwas im Sinne unserer Kinder und Jugendlichen tun. Jeder Tag Kinderarmut im Land Mecklenburg-Vorpommern ist ein schlechter Tag für Mecklenburg-Vorpommern und tut Mecklenburg-Vorpommern nicht gut. – Danke.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Müller hat uns zunächst einmal erläutert, worum es in dem Beschluss des Erwerbslosenparlamentes vom 26.10. dieses Jahres konkret geht, was aus Ihrem Antrag so ja erst einmal nicht hervorgeht. Vielen Dank, Frau Müller.
Herr Rühs von der CDU-Fraktion sprach gestern während seiner Rede zur Aktuellen Stunde von Ihrem Beitrag als einem Trojanischen Pferd. Der uns vorliegende Antrag ist ein solches nicht, den haben Sie uns ja noch einmal erläutert.
Wenn von einem bedarfsgerechten Einkommen – und davon ist in Ihrem Antrag vordergründig die Rede – gesprochen wird, muss man natürlich den Begriff „Einkommen“ differenziert betrachten, wie es das Erwerbslosenparlament mit seinem Beschluss durchaus macht. Einkommen ist für mich in erster Linie Erwerbseinkommen und in zweiter Linie Sozialleistung. Beide Punkte sprachen Sie ausführlich an. In meiner letzten Landtagsrede zu diesem Thema habe ich ausgeführt, dass ein auskömmliches Einkommen der beste Schutz vor Armut ist. Dazu stehe ich natürlich nach wie vor.
Das Thema Erwerbseinkommen und in diesem Zusammenhang gerechte Löhne haben wir gestern in der Aktuellen Stunde sehr ausführlich behandelt. Der, ich nenne ihn jetzt einfach einmal verkürzt, Wirtschaftsminister Herr Seidel, in dessen Bereich das Thema Arbeit als solches
insgesamt fällt, führte dazu aus, dass sein Ministerium die Prioritäten in diesem Zusammenhang auf Wachstum bestehender Firmen, einer Standortoffensive zur Firmenansiedlung sowie der Förderung von Existenzgründungen legt, also eindeutig auf Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Er führte, und das auch nicht zum ersten Mal, seine Meinung zu Mindestlöhnen und sittenwidrigen Löhnen aus.
Durch den Beitrag von Herrn Schulte, der bekanntlich schon mehrfach in diesem Haus die doch etwas sehr abweichende Meinung der SPD darstellte, wurde dieses Thema regierungsseitig – sagen wir mal ganz einfach – abgerundet. Die wichtigste Essenz der Ausführungen von CDU und SPD war jedoch, dass man sich bei allen unterschiedlichen grundsätzlichen Einstellungen zu dieser Thematik auf eines einigen konnte, nämlich sich hier in Mecklenburg-Vorpommern, wo man tatsächlich aus eigener Kraft etwas erreichen kann, auf einen gemeinsamen Weg in Richtung gerechter Löhne zu machen. Ich bin gespannt, wie dieser Weg aussieht.
Dass das nicht bedeutet – wie praktisch gestern von Frau Lück mit ihrem Forderungskatalog gewünscht –, die Marktwirtschaft abzuschaffen, wird wohl allen in diesem Hause klar sein.
(Irene Müller, DIE LINKE: Das hat überhaupt gar keiner gesagt. – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Selektives Hören!)
Die Forderungen, die Sie formuliert haben, führen eindeutig dazu, die Marktwirtschaft ad acta zu legen.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, um ein bedarfsgerechtes Erwerbseinkommen geht es Ihnen ja nicht. Hier geht es in erster Linie um die Anhebung der Regelsätze nach Hartz IV. Auch die Regelsätze haben wir bereits mehrfach erörtert. Sie wissen, dass diese zurzeit auf dem Prüfstand stehen, aber Sie vermuten wahrscheinlich zu Recht, dass das Ergebnis der Prüfung nicht den Forderungen des Erwerbslosenparlamentes entsprechen wird.
Frau Reese sagte gestern in der Debatte zum Wassergesetz: „Ich wiederhole mich gern.“ Ich wiederum wiederhole mich nicht gern, aber wenn die Fraktion DIE LINKE immer dieselben Anträge, wie sie auch immer verpackt sein mögen, stellt, kann dies schlecht ständig zu anderen Aussagen führen.
Sehr geehrte Damen und Herren, materielle Armut bedeutet, dass ein landesüblicher und damit angemessener Lebensstandard nicht erzielt wird. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittsverdienstes zum täglichen Leben zur Verfügung hat. Besonders bedroht davon sind Menschen, die keinen Schul- und Berufsabschluss besitzen oder nur über eine geringe Qualifi kation verfügen. Je höher der Bildungsabschluss ist, desto geringer ist das Armutsrisiko. Kinderarmut entsteht häufi g dann, wenn Eltern arbeitslos werden oder sich trennen. Ein Armutsrisiko besteht daher insbesondere bei Alleinerziehenden, steigt auch in Familien mit
der Zahl der Kinder und ist im Wesentlichen von der Erwerbsbeteiligung der Eltern abhängig. Armut ist mehr als materielle Armut.