Protokoll der Sitzung vom 06.06.2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 44. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Finanzierung der Kinder tagesförderung muss chancengleiche Entwicklung für alle Kinder sichern helfen, auf Drucksache 5/1496. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/1542 vor.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Finanzierung der Kindertagesförderung muss chancengleiche Entwicklung für alle Kinder sichern helfen – Drucksache 5/1496 –

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 5/1542 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Um den 19. März diesen Jahres herum ging bei verschiedenen Einrichtungen des Landes, die mit der Kindertagesförderung befasst sind ein Schreiben der Landtagsfraktion der SPD ein, in dem es heißt, ich zitiere:

„Sicherlich haben Sie aus den Medien erfahren, dass wir zum Ziel gesetzt haben, Eltern aus familienpolitischen Gründen von den Kosten der Kindertagesbetreuung zu entlasten. So werden im Jahr 2008 6 Millionen Euro und im Jahr 2009 14,5 Millionen Euro zusätzlich zu diesem Zweck im Landeshaushalt zur Verfügung gestellt. Zu diesem Zwecke werde ein Teil der bisher für die Verbesserung der vorschulischen Bildung eingesetzten Mittel zur Entlastung der Eltern herangezogen. Das ist unseres Erachtens vertretbar, da die Kindertagesstätten nach Untersuchungen bereits heute über eine gute pädagogische Ausstattung verfügen. In diesem Rahmen hat die Landesregierung in der Märzsitzung des Landtages einen Entwurf zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes eingebracht, der nun zügig im Parlament beraten werden soll, damit Rechtssicherheit geschaffen wird.“ Ende des Zitats.

Der genannte Gesetzentwurf wurde inzwischen in den Ausschüssen behandelt und der Sozialausschuss hat hierzu eine Anhörung durchgeführt. Das Resümee der Anhörung muss allerdings weniger mit Rechtssicherheit als vielmehr mit Rechtsignoranz bezeichnet werden.

Verehrte Abgeordnete, das Anliegen der Koalition, Eltern, deren Kinder eine Kita besuchen, von den anfallenden Beiträgen zu entlasten, kann meine Fraktion gut mittragen. Umstritten bleibt allerdings für uns, auf welchem Wege Sie dieses Anliegen erreichen wollen. Es ist bekannt, dass in den Paragrafen 1 fortfolgende des Kindertagesförderungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern die Umsetzung des Rechtsanspruchs der Kinder auf vorschulische Bildung als eine neue Aufgabe festgeschrieben und deren schrittweise Umsetzung mit zunächst 7 Millionen Euro finanziell untersetzt wurde.

In der Begründung der Gesetzesänderung zur Reduzierung der Mittel für die vorschulische Bildung, eingebracht

Kindertageseinrichtungen“ – es geht um die 7 Millionen Euro – „… für zusätzliche … Ausstattungen zu verwenden. Dazu gehören insbesondere Spiel- und Lernmaterialien“ – und jetzt kommt es – „sowie Aufwendungen für zusätzliche Lernangebote.“

Bildung vollzieht sich über den gesamten Tag, im Wald bei Naturbeobachtungen, im Zoo beim Betrachten und Sprechen über Tiere, im Museum, in der Schwimmhalle beim Schwimmkurs, in der Musikstunde beim Flötespielen, Liedersingen und so weiter. Bildung erwerben Kinder durch das Begreifen der Welt mithilfe einer gut gebildeten und hoch motivierten Erzieherin oder einem hoch motivierten Erzieher.

Wer das nicht versteht, kann natürlich auch nicht verstehen, dass der Wert des gesetzlich fixierten Anspruchs auf vorschulische Bildung im Gesetz, dessen Umsetzung über den Rahmenplan und über die pädagogischen Programme der Kitas gerade darin besteht, allen Kindern den Zugang zu diesen zusätzlichen Lernangeboten zu sichern. Wir kennen aus den Jahren vor der Einführung der vorschulischen Bildung den Begriff der Bezahlangebote. Eltern, die es finanziell vermochten, haben ihr Kind zum Schwimmkurs geschickt, andere eben nicht. Bereits im Kindergarten begann die Segregation, die Ausgrenzung der Kinder aufgrund der sozialen finanziellen Situation ihrer Eltern. Bezahlangebote machen nach Kürzung der Mittel für die vorschulische Bildung wieder von sich reden.

Es kann aber noch einen zweiten Grund geben, warum die Koalitionäre all diese Hinweise missachten. Und dieser Grund für die Kürzung der Mittel zur vorschulischen Bildung könnte darin bestehen, dass den Akteuren der Koalition die soziale Situation der Kinder im Land nicht ausreichend bekannt ist oder aber, dass sie es ablehnen, diese zur Kenntnis zu nehmen. Traurige und beschämende Realität ist es, dass die Zahl der Kinder in unserem Land durch Hartz IV sich schlagartig mehr als verdoppelt hat. Diese Einschätzung stammt übrigens vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und bestätigt nochmals die Auffassung meiner Fraktion: Hartz IV ist Armut per Gesetz! Heute leben in unserem Land, das sich nach Ankündigungen der Koalitionäre zum familien- und kinderfreundlichsten Land der Bundesrepublik entwickeln soll, circa 35 Prozent der unter 15-jährigen Kinder in Familien, deren Eltern Leistungen nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII, also Hartz IV erhalten, und weitere 15 Prozent der unter 15-jährigen Kinder leben in Familien, deren Eltern zu Geringverdienern gehören.

Damit steht Mecklenburg-Vorpommern nicht an der Spitze, sondern am Schluss bezüglich der sozialen Situa tion aller bundesdeutschen Flächenländer. Regional äußert sich das darin, dass für diese Kinder der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Elternbeiträge und auch nach Paragraf 21 Absatz 6 des KiföG die anteiligen Verpflegungskosten übernimmt. Im Landkreis Uecker-Randow beträgt der Anteil dieser Kinder sogar über 70 Prozent. Diese Kinder leben in beziehungsweise am Rande der Armut.

Armut, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, Armut, das ist zunehmend der unzureichende Zugang zu den anregungsreichen, impulsgebenden Einrichtungen wie Kita, Bibliotheken, Musikschulen, Theater, Sportvereine. Armut, das ist ein Ausgeschlossenwerden, ein Ausgeschlossensein. Armut ist Isolation, Armut ist Ausgrenzung. Kindertagesförderung, das kann Inte

gration sein, Kindertagesförderung kann ein Beitrag zur Chancengleichheit und Armutsbekämpfung sein. Dann müssen allerdings die Angebote umfassend und allen Kindern gleichermaßen zugänglich sein. Die von der Landesregierung vorgesehene Kürzung der Mittel für die vorschulische Bildung ist ein deutlicher Schritt gegen die chancengleiche Entwicklung unserer Kinder. Lediglich ein Teil der Eltern wird durch die geplante Elternbeitragsbefreiung entlastet und alle Kinder werden durch die Reduzierung der Bildungsangebote belastet.

Eltern, die Leistungen nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII, also nach Hartz IV erhalten, werden überhaupt nicht entlastet. Ihre Kinder jedoch werden durch die Wiedereinführung von Bezahlangeboten ausgegrenzt. Bildung wird partiell privatisiert, und das bereits im Kindergarten. Wir bitten Sie unter diesem Aspekt um Unterrichtung, wie Sie angesichts der sozialen Lage der Kinder im Land tatsächlich einen Beitrag leisten wollen, um diese Situation endlich zu verändern, um die Situation für Kinder zu verbessern und nicht weiter zu verschlechtern. Ich bitte Sie, dass Sie vielleicht auch beim Antrag auf Unterrichtung darstellen, wie jetzt kurz vor Einführung der von Ihnen geplanten Maßnahmen diese auch praktisch umgesetzt werden sollen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Harry Glawe, CDU: Also das ist wirklich beratungsresistent. Das ist nicht zu fassen.)

Vielen Dank, Frau Dr. Linke.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Frau Tegtmeier von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Abgeordnete! Die Fraktion DIE LINKE hat mittlerweile Punkt 2 Ihres Antrages zurückgezogen. Das ist gut so, das hätte sie mit dem ganzen Antrag tun sollen

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Dann setzen Sie sich mal wieder hin! – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Nur Ihre Anträge sind klasse, das wissen wir ja.)

oder besser noch ihn gar nicht erst einbringen. Zu Punkt 3, jetzt Punkt 2, wird Minister Sellering noch etwas sagen. Ich beziehe mich daher hauptsächlich auf Punkt 1.

Unter der Überschrift „Finanzierung der Kindertagesförderung muss chancengleiche Entwicklung für alle Kinder sichern helfen“ legt die Fraktion DIE LINKE uns einen Antrag vor, bei dem es sich meiner Auffassung nach um ein reines Nachkarten handelt. Frau Dr. Linke hat es ja auch ausführlich beschrieben.

(Irene Müller, DIE LINKE: Zum Glück ist nicht jeder Ihrer Meinung.)

In ethischer Breite sind gerade zu Punkt 1 dieses Antrags immer wieder die Auseinandersetzungen in diesem Haus geführt worden. Die Fraktion DIE LINKE versucht, mit ihrem Antrag ein Thema am köcheln zu halten. Das kann endlos so weitergehen. Wir werden sie dabei aber nicht unterstützen. Die Oppositionsfraktion DIE LINKE

kann offensichtlich nur schwer ertragen, dass die Koalitionsfraktionen, obwohl von gänzlich unterschiedlichen Positionen kommend, zu einem Kompromiss gefunden haben,

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Dann tun Sie ihn doch endlich! Dann setzen Sie ihn doch endlich um!)

der von den Fraktionen auch durchgetragen wurde.

(Irene Müller, DIE LINKE: Nun setzen Sie es doch endlich um! – Harry Glawe, CDU: Sie können es ja gar nicht mehr abwarten.)

In einem demokratischen Prozess ist es nicht nur üblich, seine eigenen Vorstellungen und Überzeugungen einzubringen, sondern das ist auch gut so.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das ist gut so. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Und ebenso natürlich ist es, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Ideen und Meinungen auch vertreten. In einem demokratischen Prozess und in einer Koalition – erinnern Sie sich daran, wie es war – arbeitet man lang daran, hier die größtmögliche Übereinstimmung hinzubekommen. Das Ergebnis liegt vor, ob es Ihnen schmeckt oder nicht.

Minister Sellering hat mehrfach ausgeführt, dass er die geplante teilweise Befreiung der Eltern von den Kosten der Kindertagesförderung im letzten Kindergartenjahr als einen Beitrag im Rahmen der derzeit zur Verfügung stehenden Mittel zur chancengleichen Entwicklung der Kinder des Landes sieht, dies also nur ein Schritt ist, dem weitere folgen müssen und auch werden. Meine Fraktion teilt diese Auffassung. Er muss dies aber nicht in Endlosschleife auf jeder Landtagssitzung tun und ich hoffe sehr, dass er auch heute darauf verzichtet.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Die Landesregierung braucht daher Ihre Aufforderung auch nicht. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Frau Tegtmeier.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Grabow von der Fraktion der FDP.

Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! DIE LINKE greift mit Ihrem Antrag eine Problematik auf, die auch meine Fraktion von Anfang an sehr aufmerksam verfolgte. Wir haben gestern an dieser Stelle ja auch schon sehr ausführlich diskutiert über die Problematik KiföG und ich glaube, unsere Beschäftigung wird auch in den nächsten zwölf Monaten von ihr bestimmt sein. Frau Linke hat sehr ausführlich die Schwachpunkte der jetzigen vorliegenden Novellierung dargestellt und ich glaube, da ist auch nicht so sehr viel hinzuzufügen, dass man einfach sagen kann, SPD und CDU haben versprochen, die Eltern zu entlasten. Aber die jetzige Idee, die rausgekommen ist, Herr Glawe, die war nicht so richtig, die ist nicht Fisch und nicht Fleisch.

(Harry Glawe, CDU: Wir haben sogar Ihre Art noch angenommen.)

Ja, aber ich glaube, dass da wenige Eltern des Mittelstandes …

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Ich sage es jetzt mal, die Eltern, die arbeiten, haben wenig Entlastung. Und, Herr Glawe, da haben Sie mir ja noch was versprochen. Da hoffe ich ja noch drauf, dass auch die Eltern, die arbeiten gehen, doch auch eine Entlastung erfahren,

(Harry Glawe, CDU: Das müssten Sie eigentlich loben. Herr Grabow, das müssten Sie eigentlich loben.)

weil ich glaube, bei den jetzigen sind diese Eltern nicht dabei. Ich habe auch gestern noch mal gesagt, …

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Ich kenne noch keine Richtlinie, aus der man erkennen kann, dass es überhaupt funktioniert.)

Na, wir sind ja im Ausschuss teilweise auch schon informiert worden. Also ein bisschen was wissen wir schon.

(Zurufe von Torsten Koplin, DIE LINKE, und Irene Müller, DIE LINKE)