Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat?

(Die Abgeordneten Michael Andrejewski, Dr. Till Backhaus, Rudolf Borchert, Harry Glawe, Angelika Gramkow, Helmut Holter, Werner Kuhn und Gino Leonhard werden nachträglich zur Stimmabgabe aufgerufen.)

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und unterbreche die Sitzung für zwei Minuten.

Unterbrechung: 12.22 Uhr

Wiederbeginn: 12.24 Uhr

Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich eröffne die unterbrochene Sitzung und gebe das Abstimmungsergebnis über den Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/1823 bekannt. An der Abstimmung beteiligten sich 60 Abgeordnete. Mit Ja stimmten 6 Abgeordnete, mit Nein stimmten 54 Abgeordnete. Damit ist der Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/1823 abgelehnt.

Die Fraktion der NPD hat um eine Beratung des Ältestenrates gebeten. Der Ältestenrat wird nach dem Tagesordnungspunkt 21 zusammentreten.

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 29: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Entschließung: Kein militärischer Bundeswehreinsatz im Innern, Drucksache 5/1888. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/1934 vor.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Entschließung: Kein militärischer Bundeswehreinsatz im Innern – Drucksache 5/1888 –

Änderungsantrag der Fraktion der NPD – Drucksache 5/1934 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Ritter von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wenden uns jetzt wieder einem für das Land wirklich wichtigen politischen Thema zu, anders als beim vorangegangenen Thema. Und deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, kündige ich gleich zu Beginn an, dass wir eine namentliche Abstimmung zu diesem Antrag beantragen werden.

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Ja, gerne.)

Vielleicht führt das ja dazu, dass der eine oder die andere doch noch in den Saal hineinkommt um zuzuhören, damit er dann bei der Stimmabgabe auch weiß, worum es sich überhaupt dreht.

Lieber Kollege Nieszery, ich möchte zunächst von dieser Stelle aus Ihnen recht herzlich zum neuen Amt gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Danke, Herr Ritter.)

Ich möchte mich auch recht herzlich bei Ihnen bedanken für die Arbeit als Vorsitzender des Innenausschusses, das war immer eine sehr angenehme Zusammenarbeit. Ich wünsche Ihnen für Ihr neues Amt viel Erfolg und immer kluge Entscheidungen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Aber? – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das werden wir gleich jetzt sehen. Das werden wir gleich jetzt sehen. – Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Ihre Meinungsäußerung allerdings zu unserem Antrag gehört nicht in die Rubrik klug. Wir brauchen keinen Antrag der LINKEN – so Ihre Reaktion auf unseren Antrag „Kein militärischer Bundeswehreinsatz im Innern“.

(Zurufe von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE, und Hans Kreher, FDP)

Ich würde gern die Fragestellung erweitern wollen: Wozu bedarf es eigentlich überhaupt einer demokratischen Opposition?

(Toralf Schnur, FDP: Ja.)

Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es Ihnen an einem anderen Beispiel erläutern, was aber auch etwas mit diesem Thema zu tun hat. Seit Jahren erklärt die SPD – außer wenn sie gerade mal den Bundesverteidigungsminister stellt –, sie sei gegen die Wiederinbetriebnahme des Luft-Boden-Schießplatzes in der KyritzRuppiner Heide.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Richtig.)

In der jüngsten Entscheidungsvorlage des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages sprachen sich jedoch nur die Abgeordneten der LINKEN und der

Grünen gegen das Bombodrom aus. Die Ausschussmehrheit – und ich glaube, auch die SPD gehört zu dieser Ausschussmehrheit – stünde nicht gegen das Bombodrom. Es bedarf also der LINKEN, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf diese Umstände, diese Unglaubwürdigkeiten in der Politik immer wieder hinzuweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie erklären, die SPD Mecklenburg-Vorpommern sei gegen einen militärischen Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, glaubt Ihnen das jemand, wenn Sie heute unseren Antrag ablehnen? Ich habe da so meine Zweifel.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Na, wir hoffen ja noch.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Entschließungsantrag meiner Fraktion verfolgt ausdrücklich nicht die Absicht, den G8-Gipfel von Heiligendamm im Gewande aktueller Verfassungsdebatten an dieser Stelle erneut zu debattieren. Und ich erwarte heute nicht plötzlich das, was bereits vor über einem Jahr Illusion bleiben musste, also eine politisch einvernehmliche kritische Bewertung des G8-Gipfels. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte, dass Übereinstimmung erzielt werden kann, dass ein Bundeswehreinsatz mit militärischen Mitteln im Innland weder stattfinden noch legalisiert werden darf.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Richtig.)

Die Landesregierung wird aufgefordert, diese Position auf Bundesebene zu vertreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Hintergrund des vorliegenden Antrages ist folgender Sachverhalt. Im Koalitionsausschuss auf Bundesebene, so mitten in der Finanzkrise und heimlich still und leise, haben sich CDU und SPD am 5. Oktober darauf verständigt, Artikel 35 des Grundgesetzes, der die Amtshilfe bei Katastrophen regelt, zu ergänzen. Zwei Absätze sollen hinzugefügt werden. Die Streitkräfte sollen dann eingesetzt werden, wenn polizeiliche Mittel nicht mehr ausreichen, wie etwa bei terroristischen Angriffen.

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Richtig.)

Falls erforderlich, kann die Bundesregierung auch Landesregierungen Weisungen erteilen. Darüber hinaus sieht der Koalitionsbeschluss eine Eilkompetenz vor. Bei Gefahr im Verzug entscheidet der zuständige Bundesminister selbst.

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Genau. Sagen Sie doch mal, warum!)

Nun tönt es zwar aus Berlin, dieser Vorschlag des Koalitionsausschusses sei am Widerstand der SPD gescheitert.

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Mann, Mann, Mann!)

Eine Sitzung des Koalitionsausschusses, bei der dieser Vorschlag zurückgenommen wird, hat aber noch nicht stattgefunden. Es besteht also immer noch „Gefahr im Verzug“, um im Bilde zu bleiben.

Ein deutliches Signal aus dem Landtag MecklenburgVorpommern könnte also die Formation der Ablehner auch in der Bundes-SPD stärken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben allen Formulierungen im Einzelnen und abgesehen von allen juristischen Feinheiten, in einem Punkt gibt es keinen Zweifel: Dieses Vorhaben der Großen Koalition auf Bundesebene rührt am bundesdeutschen Verfassungsverständnis.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: So ist es.)

Auch Bundesinnenminister Schäuble lässt hieran keinen Zweifel aufkommen. Am Rande der diesjährigen Danziger Gespräche in Rostock-Warnemünde hat er eine Einsicht dahin gehend gefordert, dass die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit zusehends obsolet wird und daher die Bundeswehr zur Bekämpfung extremer Gefahren auch im Inland mit Waffengewalt eingreifen müsse. Diese Absicht widerspricht aber der gegenwärtigen Verfassungslage und würde sich über höchstrichterliche Rechtsprechung hinwegsetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesverfassungsgericht hat am 15. Februar 2006 das sogenannte Luftsicherheitsgesetz für nichtig erklärt und in diesem Zusammenhang für die Amtshilfe nach Artikel 35 Grundgesetz klargestellt: Im Rahmen der Amtshilfe darf die Bundeswehr der Verfassung wegen keine „spezifisch militärischen Waffen“ einsetzen. Der Bundeswehr ist bei einem Hilfseinsatz zugunsten der Bundesländer ausschließlich die Wahrnehmung der dabei anfallenden Aufgaben polizeilicher Art erlaubt. Der Einsatz mit militärtypischer Bewaffnung ist ausgeschlossen. Anders ausgedrückt: Die Armee darf laut Verfassung im Inneren lediglich als Hilfspolizei der Länder fungieren und muss sich zudem strikt an die polizeilichen Regelungen halten. Diese bestehenden verfassungsrechtlichen Grenzen sollen nunmehr eingerissen werden.

Meine sehr verehren Damen und Herren, in der „Frankfurter Rundschau“ vom 9. Oktober spricht die Bundesjustizministerin Zypries davon, dass es nur um die Regelung von Amtshilfe ginge. Ja, ginge es wirklich nur darum, wäre die Verfassungsänderung doch aber gar nicht nötig. Kommt es jedoch zur Verfassungsänderung, reden wir dann eben nicht mehr nur von Amtshilfe der Bundeswehr bei Naturkatastrophen, sondern von tief fliegenden Tornados über Menschenansammlungen,

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Och nee!)

gepanzerten Spähfahrzeugen zur Abriegelung von Demonstrationszügen oder flapsig gesagt Fallschirmjägern auf der Schlossbrücke.

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Bei Gefahr im Verzug erfahren Landesregierung und Landtag von dieser Amtshilfe

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

bestenfalls nachträglich aus dem „Nordmagazin“, denn entschieden hat schon längst der zuständige Bundesinnenminister.