Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

bestenfalls nachträglich aus dem „Nordmagazin“, denn entschieden hat schon längst der zuständige Bundesinnenminister.

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Mein sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem Szenario taucht auch zwangsläufig, Herr Reinhardt, die Kulisse von Heiligendamm auf. Auch Ihre, ich halte mich

zurück, mäßigen Zwischenrufe ändern an dieser Tatsache nichts.

(Marc Reinhardt, CDU: Ich denke, schon.)

Der damalige Zuständigkeitswirrwarr zwischen der Bundeswehr und der Landespolizei verbietet es kategorisch, die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zu verwischen beziehungsweise die Sicherheitsarchitektur in Deutschland zu verschieben.

Stichwort Abfangjäger über Heiligendamm: Für das Bundesverteidigungsministerium lag die Gesamtverantwortung – etwa für die Luftsicherheit – beim Innenministerium unseres Landes. Die Luftwaffe wurde auf Antrag des Landes tätig. Insgesamt kamen vier Eurofighter und acht Phantom mit 23 Flugstunden zum Einsatz. Unser Innenminister kam hingegen zu der wenig beruhigenden Feststellung: Sollten sich Abfangjäger der Luftwaffe, Eurofighter oder F-4-Phantom im Luftraum über Heiligendamm und Rostock befunden haben, so geschah das nicht auf Anforderung unseres Landes, sondern in Wahrnehmung eigener Aufgaben des Bundesverteidigungsministeriums – so weit die immer noch ungeklärte Frage.

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das sind zwei verschiedene Dinge. – Zurufe von Harry Glawe, CDU, und Ilka Lochner-Borst, CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Einsatz der Bundeswehr vor und während des Gipfeltreffens G8 in Heiligendamm im Juni 2007 stellt einen vorläufigen Höhepunkt des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren dar.

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Ganz schlecht. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

So intensiv wie bei dieser Veranstaltung wurde vom Amtshilfeersuchen nach Artikel 35 Absatz 1 Grundgesetz noch nie Gebrauch gemacht. Auch vor diesem Hintergrund sollte gerade aus Mecklenburg-Vorpommern ein politisches Signal gegen eine weitere Aufhebung der grundgesetzlich festgelegten und aus gutem Grunde von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes festgelegten Trennung von Polizei und Militär ausgehen. Hände weg vom Grundgesetz! – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke schön, Herr Ritter.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Innenminister Herr Caffier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Ritter! Es ist immer wieder erstaunlich, wie Sie die unterschiedlichen Ebenen miteinander vermengen zu einer Problematik, die wenn, dann unterschiedlich betrachtet werden muss.

(Irene Müller, DIE LINKE: Konstruktiv es miteinander verbinden, heißt das. – Zuruf von Angelika Gramkow, DIE LINKE)

Zum Zweiten ist es unstrittig in der Großen Koalition in Berlin, dass es zu dem Thema Regelungsbedarf gibt.

Richtig ist, dass es zu dem derzeitig vorgelegten Gesetzentwurf, der zwischen dem Justizministerium und dem Innenministerium abgesprochen ist, Redebedarf sowohl in der SPD-Bundestagsfraktion gibt, aber auch Redebedarf innerhalb der Länder, weil die Fragen des Föderalismus und einzelnen damit verbundenen Sachen nicht eindeutig geregelt sind. Und dazu zähle ich, also insofern ist es nicht eine Frage dessen, wie es hier dargestellt wird, dass es eine vollkommen strittige Sache ist.

Sie reden grundsätzlich zu dem Thema „Kein militärischer Bundeswehreinsatz im Innern“, so lautet jedenfalls der Titel. Sie fordern den Landtag auf, zu erklären, dass alle Aktivitäten der Bundeswehr, die über die in Artikel 35 Absatz 1 Grundgesetz geregelte Amtshilfe hinausgehen, konsequent abzulehnen sind. Zur Begründung verweisen Sie auf die Unterstützungsleistung der Bundeswehr im Rahmen von G8.

Dieser Antrag gibt mir zunächst erst einmal Gelegenheit, mich ausdrücklich bei der Bundeswehr für die Unterstützungsleistungen im Rahmen der G8-Maßnahmen des Weltwirtschaftsgipfels an dieser Stelle ganz herzlich zu bedanken.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Die Amtshilfe der Bundeswehr und die dadurch zur Verfügung gestellte Technik waren für die Durchführung dieses umfassenden Einsatzes im letzten Jahr notwendig. Mir ist natürlich bekannt, dass nach dem Gipfel eine Verfassungsklage gegen die Unterstützung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden ist. Diese wird entschieden werden.

(Zuruf von Ilka Lochner-Borst, CDU)

Die Aussage der Fraktion DIE LINKE, dass diese Unterstützung politisch und rechtlich höchst umstritten gewesen sei, kann ich jedoch nicht nachvollziehen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Schon gar nicht kann ich verstehen, was das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Organstreitverfahren, bei dem es darum geht, ob der Bundestag mit der Verwendung der Bundeswehr in Heiligendamm hätte zuvor befasst werden müssen, mit der nun thematisierten Grundgesetzänderung zu tun hat.

Meine Damen und Herren von der Fraktion, mir scheint entgangen zu sein, dass die Unterstützung der Landrätin von Rügen anlässlich der Vogelgrippe durch die Bundeswehr von Ihrer Fraktion auch als politisch und rechtlich höchst umstritten befunden wurde.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Na, das haben wir ja nun nicht mit Raketentechnik gemacht, oder?! – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist aber eine Vermengung.)

Auch habe ich noch nie von Ihnen gehört, dass die bereits von der Verfassung vorgesehene Unterstützung in Katastrophenfällen, wie zum Beispiel beim Elbehochwasser, von Ihnen kritisiert wurde. Die Bundesregierung...

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Darum geht es doch gar nicht. – Irene Müller, DIE LINKE: Darum geht es ja gar nicht.)

Wir kommen schon noch dahin, es hat einen Zusammenhang.

Die Bundesregierung,

(Zurufe von Angelika Gramkow, DIE LINKE, und Irene Müller, DIE LINKE)

die Bundesregierung...

(Irene Müller, DIE LINKE: Das ist ja ganz durcheinander.)

Nun bleiben Sie doch ganz ruhig!

(Angelika Gramkow, DIE LINKE: Darum geht es hier gar nicht.)

Ich kenne Sie gar nicht so aufgeregt.

Die Bundesregierung und das Land MecklenburgVorpommern haben jedenfalls keinen Zweifel an der Vereinbarkeit der gewährten Unterstützungsleistung mit dem Grundgesetz gehegt, und genau darüber reden wir.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2006 die Regelung des Paragrafen 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz für nichtig erklärt. Das Luftsicherheitsgesetz ermächtigte die Streitkräfte, Luftfahrzeuge abzuschießen, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen. Hintergrund waren bekanntermaßen die terroristischen Angriffe vom 11. September 2001 in den USA. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass ein einfaches Gesetz für eine Erweiterung der Kompetenzen der Streitkräfte nicht ausreiche, vielmehr die Verfassung geändert werden müsse. Ferner stellte es fest, dass das Opfern tatunbeteiligter Personen durch einen solchen Abschuss gegen die Menschenwürde verstößt.

Dieses Urteil, und nur dieses Urteil setzte eine Diskussion in Gang, wie die Unterstützung durch die Bundeswehr – insbesondere in terroristischen Lagen – im Grundgesetz normiert werden kann. Ein Ergebnis stellt der nunmehr von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vor. Ziel der Grundgesetzänderung ist die Schaffung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit bei zielgerichteten Aggressionen gegen den Staat und seine Bevölkerung durch die Möglichkeit, in engen Grenzen die Streitkräfte mit spezifisch militärischen Mitteln im Rahmen von Artikel 35 Grundgesetz einzusetzen.

Mit dem Antrag zu 2. soll die Landesregierung aufgefordert werden, „insbesondere im Bundesrat frühzeitig und konsequent Bestrebungen (entgegenzutreten), den verfassungsrechtlichen Rahmen für einen Bundeswehreinsatz im Innern durch Änderungen von Art. 35 Grundgesetz auszuweiten“. Die Ereignisse der Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass es Lebenssachverhalte gibt, in denen ein Handeln des Staates erwartet wird und dringend notwendig ist und in denen die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten der Polizei an ihre Grenzen stoßen. Insbesondere bei terroristischen Bedrohungslagen sind Szenarien denkbar, die die Polizei mit eigenen Kräften und mit eigenen Führungsmitteln und Einsatzmitteln nicht bewältigen kann, wie zum Beispiel das Eindringen und Einwirken auf Flugzeuge, aber auch auf Schiffe. Niemand möchte, dass ein von Terroristen gelenktes Flugzeug in eine Stadt stürzt oder ein mit Sprengstoff beladenes Schiff in einen Hafen einläuft und dort eine Katastrophe verursacht.

Natürlich möchte kein Politiker und keiner hier im Haus in eine solche Situation geraten, und jeder hofft, dass wir uns mit einer derartigen Situation niemals ausein

andersetzen müssen. Im Interesse der Bürger müssen wir uns aber der übertragenen Verantwortung stellen. Hierzu ist es erforderlich, dass wir über die Möglichkeiten und natürlich auch über die Grenzen eines weitergehenden Einsatzes der Streitkräfte sprechen und wie das Verfassungsrecht an eine derartige Bedrohungslage angepasst werden kann, um im Einzelfall handlungsfähig zu sein. Schließlich kann nicht gewollt sein, dass die Polizeien der Länder sich selbst mit Abfangjägern oder anderer Technik ausstatten, um für solche Bedrohungslagen gerüstet zu sein.

Im Ergebnis kann ich nur feststellen, dass eine Verfassungsänderung dringend notwendig ist. Ob der vom Koalitionsausschuss auf Bundesebene vorgeschlagene Weg der einzig gangbare und auch richtige ist, wird weiter zu diskutieren sein. Und da mache ich in einzelnen Fällen, die Sie schon angesprochen haben, klar im Weg der Definition der Hilfeleistung beispielsweise, so kann man das nicht machen, wie es derzeit drinsteht.

Ich möchte aber dabei klarstellen, dass es mit mir eine Aushöhlung des föderalen Prinzips in Form eines Freifahrtscheines für die Bundeswehr definitiv nicht geben wird, und ich glaube, das ist auch in der Großen Koalition hier im Land vollkommen unumstritten. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes resignieren und sagen, wir müssen mit dieser Gefahr leben und die Behörden und die damit zu verantwortenden Mitarbeiter müssen tatenlos zusehen, wenn wir in eine derartige kritische Situation geraten.

Im Gegenteil, wir alle müssen ein Interesse daran haben, eine vernünftige Lösung zu finden, die die länderpolizeilichen Zuständigkeiten für die Gefahrenabwehr beim Einsatz der Bundeswehr berücksichtigt. Wenn man sich dieser Aufgabe stellen will, bedeutet dies im Ergebnis auch, und das unterscheidet uns allerdings, dass man über die Frage einer klaren Regelung im Grundgesetz nicht nur diskutieren muss, sondern sie zum Ende auch entscheiden muss. Dies ist eine Aufgabe, die dann der Deutsche Bundestag vorzunehmen hat und nicht der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.

(Hans Kreher, FDP, und Gino Leonhard, FDP: Ganz genau so ist es.)

Aber wir müssen uns dieser Diskussion stellen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, im Interesse der inneren Sicherheit dieses Landes,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und worüber wollen wir jetzt diskutieren?)